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Rock im Revier 2015 - Freitag - ArenaPark, Gelsenkirchen - 29.05.2015
Dienstag, 03.06.2014: ein Beben geht durch die deutsche Festivallandschaft. Vor einigen Tagen wurde bekannt, dass Rock am Ring im nächsten Jahr nicht mehr am Nürburgring stattfinden wird. Die fast dreißig Jahre währende, legendäre Verbindung wurde letztendlich aufgrund von Vertragsstreitigkeiten zwischen der Marek Lieberberg Konzertagentur (MLK) und den neuen Ringbetreibern aufgelöst, was die einen zum Umzug, die anderen zur Werbung einer neuen Veranstaltung zwang. An diesem Punkt kommt die Deutsche Entertainment AG (DEAG) ins Spiel, die in den gerade geschilderten Gegebenheiten die einmalige Chance zum Markteinstieg sah. Und der sollte massiv ausfallen.
An besagtem Tag und demnach kurz vor der letzten Ausgabe Rock am Rings in der Eifel verkündeten Peter Schwenkow (Geschäftsführer DEAG), Ossy Hoppe (Wizard Promotion) und Stuart Galbraith (Kilimanjaro Live) auf einer Pressekonferenz, dass mit „Grüne Hölle“ die neue Musikgroßveranstaltung am Nürburgring für 2015 schon in trockenen Tüchern ist. Mit MLK geht man auf direkten Konfrontationskurs, denn das Festival soll zeitgleich mit Rock am Ring stattfinden und all diejenigen befriedigen, denen das Programm am Ring in den letzten Jahren zu wenig Rock zu bieten hatte. Mit den Ereignissen der darauffolgenden Monate lässt sich mittlerweile ein ganzes Buch füllen, wenn sich denn jemand findet, der bei den ganzen Wendungen noch durchblickt.
Zu den ersten wichtigen Wegmarken gehört der Namensstreit: Die Betreiber des Nürburgrings zogen mit MLK vor Gericht, weil sie sich als Besitzer der Marke „Rock am Ring“ sahen. Im Erfolgsfall hätte die DEAG den Namen nutzen dürfen, was vermutlich nicht nur für steigende Besucherzahlen am Ring gesorgt, sondern auch Marek Lieberberg empfindlich getroffen hätte, der zu dieser Zeit noch ohne neuen Veranstaltungsort dastand. Letztendlich gewann MLK und zog nach einem heißen Flirt mit der Stadt Mönchengladbach ins gerade mal dreißig Kilometer vom Nürburgring entfernte Mendig. Nebenbei ließ Lieberberg auch noch die Planungen der DEAG auffliegen, nach denen der Ring-Veranstaltung noch ein Schwesterfestival in München an die Seite gestellt werden sollte. Der Plan schien endgültig klar zu sein: die vermeintliche Schwäche MLKs ausnutzen und Rock am Ring, Rock im Park und Nova Rock einen empfindlichen Schlag versetzen.
Doch zunächst geriet die Unternehmung ins Stocken: während MLK schon Anfang Oktober ein von FOO FIGHTERS, DIE TOTEN HOSEN und SLIPKNOT angeführtes, schlagkräftiges Line-Up bestätigte, hatte es von Seiten DEAGs seit der Pressekonferenz im Juni nichts Neues mehr gegeben. Manche vermuteten schon die Absage des Festivals, als sich im November die von Lieberbergs gestreuten Gerüchte bestätigten. Neben dem mittlerweile in „Der Ring – Grüne Hölle Rock“ umbenannten Event am Nürburgring wurden „Rockavaria“ im Münchener Olympiapark und „Rock In Vienna“ auf der Wiener Donauinsel aus der Taufe gehoben, deren erste Welle es ebenso in sich hatte. Für alle drei Veranstaltungen konnten nicht zuletzt durch die Kontakte von Stuart Galbraith (der sich für die ambitionierten Wanderfestivals unter dem Banner „Sonisphere“ verantwortlich zeichnet) und Ossy Hoppe METALLICA, MUSE und KISS als Headliner verpflichtet werden. Hinzu gesellten sich die nicht minder attraktiven Co-Heads FAITH NO MORE, INCUBUS und JUDAS PRIEST, die nicht nur die rockige Ausrichtung unterstreichen sollten.
Das namhafte Programm soll die Gagen nach oben getrieben haben, es lässt sich aber auch als indirekten Angriff auf ein Festivaldoppel verstehen, das eigentlich gar nicht direkt in der Schusslinie steht. MUSE, FAITH NO MORE und INCUBUS hätte FKP Scorpio gerne als Headliner für seine Festivals Hurricane/Southside gebucht, stattdessen stehen heute vergleichsweise kleine Bands bzw. Künstler wie PLACEBO, FLORENCE + THE MACHINE und MARTERIA in der Kopfzeile der Veranstaltungen. Die hiesige Festivallandschaft krempelte sich aber auch noch an anderen Stellen um. Beispielsweise pausiert das mittelgroße Metalfest an der Loreley 2015, um nach eigenen Aussagen auf die Abkühlung des überhitzen Markts zu warten. Auch MLK musste reagieren und das gerade erst etablierte, im August stattfindende Rock’n’Heim am Hockenheimring auf einen Tag verkürzen, ein weiteres für Mönchengladbach geplantes Festival wurde zunächst zurückgestellt. Es wird mit Spannung zu sehen sein, wie sich das Ganze auf die kommenden Festivalsaisons auswirkt.
Für die DEAG lief es nach der Verkündung der ehrgeizigen Festivalpläne nicht wirklich rund. Die Veranstalter rückten von dem ursprünglich angesetzten Termin ab und zogen mit Der Ring und Rockavaria um eine Woche vor auf Ende Mai. Während Rock am Ring nicht nur die Sympathien auf seiner Seite hatte, sondern auch direkt auf den Ausverkauf des auf 75.000 Tickets aufgestockten Kontingents für Mendig zusteuerte, lief der Vorverkauf bei der Konkurrenz Berichten und Gerüchten nach eher schleppend. Zu den vermeintlich katastrophalen Zahlen wollten sich die Veranstalter nicht äußern, von einem Traumstart wollten sie aber auch nicht reden. Den vorerst letzten großen Plottwist deuteten viele Kritiker jedoch als Bestätigung ihrer These.
Offiziell soll nun auch die DEAG mit den Betreibern des Nürburgrings über Vertragsinhalte streiten, Insider wollen jedoch in Erfahrung gebracht haben, das noch nicht einmal 10.000 Karten verkauft wurden. Während es vor allem mit dem Stadionkonzept in München vergleichsweise gut läuft, scheint Der Ring an der angepeilten Zielgruppe vorbeizugehen. Welche Version nun auch immer stimmen mag, der Nürburgring ist als Veranstaltungsort definitiv hinfällig. Keine zwei Monate vor Start des neuen Festivals wurde aber nicht die Absage, sondern der Umzug in den ArenaPark in Gelsenkirchen bekannt gegeben. Das Vereinsgelände des FC Schalke 04 hat zwar schon einige Weltstars wie AC/DC, U2, DEPECHE MODE und MICHAEL JACKSON gesehen, ein Drei-Tages-Festival hatte es heir aber bislang noch nicht gegeben.
Natürlich wurden auch hier die Stimmen laut, das Festival würde trotzdem nicht stattfinden, es müssten ja erst einmal die Genehmigungen eingeholt werden, woran bei vergleichsweise langer Vorlaufzeit schon Rock am Ring in Mönchengladbach verhinderte. Die größte Baustelle stellte dabei die zweitgrößte Bühne dar, die als einzige Open Air bespielt werden sollte und dementsprechend schallschutztechnische Hürden nehmen musste. Doch gut eine Woche vor der Deadline segnete die Stadt Gelsenkirchen das Konzept ab und verhalf der Veranstaltung, die mittlerweile in „Rock im Revier“ umbenannt wurde, zu einem Happy End. Ähnliches gilt für den Ticketverkauf: Zwar bleibt man am Ende deutlich hinter den eigenen Erwartungen zurück, insgesamt 40.000 verkaufte Tickets sind aber nicht die von Kritikern erwartete Vollkatastrophe.
Dafür verantwortlich könnte zum einen die Annäherung an die Ausrichtung Rockavarias sein, die dem teilweise doch recht alten Publikum den typischen Festivalbesuch erspart, der von langem Stehen, Wetterabhängigkeit und unbequemen Campingplätzen geprägt ist. Außerdem sind dabei gerade die Tagestickets von größerer Bedeutung, da viele sich nicht für den MUSE-Tag interessieren und/oder lieber zu einer Art Konzert gehen, um anschließend im heimischen Bett schlafen zu können. Gerade im Ruhrgebiet scheint die Rechnung aufzugehen, denn zum einen ist die infrastrukturelle Vernetzung innerhalb der Region hoch, zum anderen wird eine Musikveranstaltung dieser Größenordnung in und rund um das Ruhrgebiet schmerzlich vermisst. Rock im Pott in der Veltins Arena konnte sich nicht behaupten, aber auch kleinere Festivals wie DevilSide und Area4 sind schon vor ein paar Jahren in die Knie gegangen. Ob es Rock im Revier gelingt diesem Schicksal zu entgehen, wird sich weisen, die Bedingungen sind jedenfalls gegeben. Dazu gehört der Campingplatz auf der Trabrennbahn, der allerdings gute zwanzig Minuten mit Bus und Bahn entfernt liegt. Welche Effekte das gerade skizzierte Konzept auf die Veranstaltung selbst hat, dazu nun mehr.
Der Freitag ist mit 30.000 Fans der am stärksten besuchte Tag, wie viele sich letztendlich für die Tagesticketvariante entschieden haben, ist nicht nachzuvollziehen. Bei einer genehmigten Maximalauslastung von 48.000 hat das den Effekt, dass es auf dem Gelände zu keinen Drängeleien und Engpässen kommen kann, was sich zum Beispiel positiv auf mögliche Bühnenwechsel auswirkt. Die Wege zwischen den Bühnen sind zu keiner Zeit verstopft und kurz vor jedem Gig kommt man überall weit nach vorne. Andererseits wird schon zu Beginn deutlich, warum Tagestickets eigentlich nicht angeboten werden sollten. Während den Gelsenkirchener Metalcore-Newcomern ANY GIVEN DAY die Ehre zuteil wird, das Festival auf der kleinsten Bühne eröffnen zu dürfen, weihen EXODUS die Big Stage in der Veltins Arena ein. Für die Show um 14 Uhr sind nur ein paar Tausend Nasen gekommen, die noch nicht mal den ersten Wellenbrecher vollbekommen, auf den Tribüne sind nur vereinzelt Figuren zu sehen. Bei Festivals mit einem vergleichbar namhaften Aufgebot an Bands sieht das normalerweise anders und in einem Fußballstadion mit Platz für mehr als 60000 Fans wirken die Mannen aus der Bay Area dann doch etwas verloren. Es scheinen doch viele nur für METALLICA und FAITH NO MORE zu kommen, denn als Besucher eines Drei-Tages-Festivals mit angrenzender Campingmöglichkeit nimmt man auch gerne mal am Nachmittag den einen oder anderen Act mit. Den Vorteil sich als Tageskartenbesitzer völlig verausgaben zu können, nehmen jedenfalls nur wenige wirklich ernst.
Dabei sorgen EXODUS doch für ein wenig Big 4-Flair im weiten Rund. Als die ersten Gerüchte über das Line-Up der legendären Thrash-Veranstaltung aus dem Jahr 2011 kursierten, fielen u.a. auch die Namen EXODUS und TESTAMENT, die viele mindestens auf Augenhöhe mit ANTHRAX gesehen haben. Die Erstgenannten müssen heute vorlegen, rangieren damit streng genommen nur auf Rang sechs der Thrash-Legenden-Tabelle und das, obwohl sie mit "Bonded By Blood" das für viele Metalfans und Kritiker beste Genrealbum geschrieben haben. In die Rechnung muss aber auch miteinbezogen werden, dass Gitarrist, Gründungsmitglied und Bandgesicht Gary Holt bei der gerade laufenden Europatour nicht dabei sein kann, weil er gerade mit der ehrhaften Aufgabe betraut ist das neue SLAYER-Album "Repentless" einzuholzen. EXODUS ohne Gary Holt, das ist für viele wie ANTHRAX ohne Scott Ian, doch sie vergessen dabei, dass beide Fälle nun schon einige Male eingetreten sind. Wieder mit an Bord ist Steve „Zetro“ Souza, der nun bereits zum dritten Mal Teil der Band ist.
Dass die Wahl auf ihn fiel, hängt mit der Rückbesinnung der Band auf die alten Stärken zurück, womit EXODUS an die alten Großtaten anknüpfen wollen. Die Richtung auf ihrem neuen Album „Blood In Blood Out“ stimmt zumindest, weswegen sich die drei neuen Old School-Trasher ‚Black 13‘, ‚Blood In Blood Out‘ und ‚Body Harvest‘ gut ins Gesamtset einfügen. Der Sound ist besser als bei der Big 4-Veranstaltung vor vier Jahren, schnell vorgetragene Thrash-Riffs werden es in Stadien aber immer schwer haben. Die pfeilschnelle Gitarrenarbeit von Lee Altus und Ersatzmann Kragen Lum (HEATHEN) ist oft nur zu erahnen, weswegen das Uptempo-orientierte Set etwas an Durchschlagskraft einbüßt. Trotz der mäßigen Zuschauerreaktionen (kaum einer scheint mit dem Schaffen der Thrash-Legenden vertraut zu sein) ist es schön, Klassiker wie ‚Bonded By Blood‘, ‚Strike Of The Beast‘ und ‚The Toxic Waltz‘ noch einmal mit Souzas Gesang erleben zu können. Der ist in guter Form und könnte mit seiner schneidenden Stimme im Notfall auch mal bei den Kollegen von OVERKILL aushelfen. Lediglich sieben Songs kann die gut aufeinander eingespielte Band in vierzig Minuten Spielzeit unterbringen, was bei einer Show auf dem Rock Hard Festival sicherlich anders ausgesehen hätte. Aber die Hauptsache ist, dass EXODUS wieder einen Fuß in der Tür haben und vermehrt auf die großen europäischen Festivals eingeladen werden. Schade nur, dass sich auch SLAYER gerade wieder in Stellung bringen und sich Gary Holt geschnappt haben.
Danach sind HATEBREED an der Reihe, die natürlich besser zur Core-Ausrichtung auf der Bang Stage passen, für die Emscher-Lippe-Halle aber viel zu groß sind. Ihre unermüdlichen Touraktivitäten und ihr hochprofessionelles Verhalten haben der Band schon zu diversen Tourneen und attraktiven Slots auf den größten Metalfestivals rund um den Globus verholfen. Heute reicht es "nur" für einen Nachmittagsslot, was aber mit den großen Namen zusammenhängt, die auf der Hauptbühne noch folgen. Jamey Jasta und seine Jungs interessiert das aber herzlich wenig, eher im Gegenteil freuen sie sich wie immer, dass sie die Bühne mit so vielen Legenden teilen dürfen. Mit DEATH-Shirt bewaffnet gibt es dann ebenfalls wie immer das volle Programm: Musik von Fans für Fans und eine Dreiviertelstunde Vollgas.
20 Jahre sind die Jungs aus Bridgeport, Connecticut jetzt schon unterwegs und begehen das Jubiläum – natürlich – mit einer Tour. Die erste Station heißt wie für viele in diesem Sommer Gelsenkirchen bzw. München und wird mit einer fetten Metalcore-Show im eigentlichen Sinne bedacht. Die kantige Hardcore-Bollo-Attitüde wird mit einer Metalllegierung überzogen und lädt gleichermaßen zum Moshen und zum Headbangen. Jamey Jasta weiß die große Bühne aufzufüllen und spult ein immenses Pensum ab, während seine Mitstreiter punktgenau punkiges Uptempo und doomige Breakdowns abliefern. Der Sound bleibt im Vergleich zu EXODUS qualitativ in etwa gleich, die Ausbaufähigkeit des Klangs fällt bei den heftigen HATEBREED-Brettern nicht weiter ins Gewicht. Im Zuge des für Bandverhältnisse kurzen Sets fällt auf, wie viele Hits die Amis schon geschrieben haben, denn neben neueren (‚In Ashes They Shall Reap‘) und älteren Hymnen (‚Perseverance‘) fallen einem immer noch genug Songs ein, die sie auch noch hätten spielen können. Nach ‚Destroy Everything‘ schnappen dann doch schon ein paar Besucher ordentlich nach Luft und haben das erste Highlight des Tages gesehen. Auf HATEBREED ist eben Verlass.
Danach werden drei Songs von TESTAMENT geguckt, die das zweite Jahr in Folge in Gelsenkirchen auftreten. 2014 ersetzten sie MEGADETH beim Rock Hard Festival, blieben durch diverse Spielfehler nicht allen positiv im Gedächtnis. Eine abschließende Bewertung der heutigen Gigs ist durch den kurzen Eindruck nicht möglich, beeindruckend ist in jedem Fall das All-Star-Line-Up, das da momentan miteinander musiziert. Zu den TESTAMENT-Gründungsmitgliedern Alex Skolnick, Eric Peterson und Chuck Billy gesellen sich die Tausendsassas Gene Hoglan am Schlagzeug und Steve DiGiorgio am Bass. Wer sich selbst von der Spielkunst des Fünfgestirns überzeugen will, bekommt in den nächsten Wochen noch die Möglichkeit einige Clubshows zu besuchen, die gemeinsamen Dates mit EXODUS sind allerdings schon abgehakt. Das Set aus alten und neuen Granaten lässt sich aber so oder so sehen.
Grund für das kurze TESTAMENT-Intermezzo ist das Set von GOJIRA, das sich mit dem der Legenden beißt. Es geht rüber zur Boom Stage, für die zum ersten Mal der direkt an die Veltins Arena grenzende Parkplatz P7 zum Veranstaltungsort umfunktioniert wurde. Dort, wo früher Tennisplätze zu finden waren, stehen bei den Heimspielen der Königsblauen seit Jahren mehrere hundert Autos, die daneben stehende, ehemalige Tennishalle wird als Lagerraum genutzt und beherbergt das Vereinsheim des Schalker Fanclubverbands. Besonders charmant ist der komplett betonierte Standort (Crowdsurfen ist eigentlich verboten, letztendlich passiert den Übeltätern aber doch nichts) nicht, nur der durch die Ausrichtung der Bühne gen Süden ermöglichte, direkte Blick auf das blau-weiße Stadion ist ganz nett. Der Weg aus dem Innenraum ebendieser zur zweiten Bühne ist etwas umständlich, da die Besucher durch den nächstgelegenen Tunnel gar nicht, durch einen zweiten nur rein- und nicht wieder rauskommen. Grund dürften die Auflagen sein, die seit der Loveparade-Katastrophe jegliche Engpässe zu vermeiden versuchen. Der Weg führt also erst mal nach oben zum erhöhten Ring, der einmal um die Arena führt, ehe es wieder nach unten und um die besagte Lagerhalle geht. Fünfzehn Minuten gehen dafür mindestens drauf. Für Rock im Revier wurde auf dem Parkplatz eine recht große Bühne errichtet, die sogar über Bildschirme an den Seiten verfügt. Diese sind vermutlich höchstens bei LIMP BIZKIT und AIRBOURNE von Nutzen gewesen, zu den anderen Bands kommen nur mit Glück mehr als 1000 Leute.
Dementsprechend leer ist es bei GOJIRA, die gerade von ihren Gigs in ihrer Heimat Frankreich anderes gewohnt sind. Diesmal konnten ihre Verbindungen zu METALLICA auch nicht für einen Slot auf der Hauptbühne sorgen, auf der ihre Fähigkeiten aber sowieso bei dem dortigen Sound untergegangen wären. Hier ist der Ton um einiges besser, was sicherlich auch daran liegt, dass heute mit DECAPITATED und MESHUGGAH noch zwei andere Bands am Start sind, die sich mit komplexen Songwriting auskennen. Vierzig Minuten haben GOJIRA Zeit und geben wie gewohnt alles. Natürlich funktioniert das Ganze besser im Dunklen mit der dazu passenden Lichtshow, doch trotzdem beeindrucken die Franzosen mit ihrem massiven Sound und einer abwechslungsreichen Songauswahl. Das aktuelle Album „L’Enfant Sauvage“ wird mit dem Titelsong und ‚The Axe‘ bedacht, neues Livefutter ist laut Joe Duplantiers Ansage schon in der Mache, das neue Album soll noch dieses Jahr erscheinen. Aber auch so haben die Vier schon einiges Großartiges angehäuft, was ein Konzert zu einem Vergnügen werden lässt.
‚Ocean Planet‘ ist ein klasse Einstieg, weil es einen Spannungsbogen aufbaut, der von fast schon ambient über groovige Genauigkeit ins komplette Chaos führt. Insbesondere Mario Duplantier beweist seine fast schon maschinellen Fähigkeiten am Schlagzeug in Songs wie ‚The Heaviest Matter Of The Universe‘, lässt aber zu keinem Zeitpunkt Feeling und Groove vermissen. Die Verzahnung von Gitarren, Bass und Drums funktioniert für den ersten Gig des Sommers unglaublich gut und sorgt wie immer für offene Münder. Nach nur sieben Songs ist Schluss, obwohl GOJIRA Luft und Bock für mindestens doppelt so viele hätten. Die Jungs sind danach noch bei MESHUGGAH im Publikum anzutreffen und feiern zusammen mit DECAPITATED ihre Helden. Den Spaß lassen sie sich nicht nehmen.
Vor den Großmeistern aus Schweden spielen die Progressive-Rocker ANATHEMA auf und regeln den Lautstärke- und Heavyness-Pegel deutlich runter. Dass die Briten in den 90ern lupenreinen Death Metal spielten, ist heute kaum mehr nachzuvollziehen. Das Set wird zu einem Ruhepol zwischen der ganzen Brutalen Technik, obwohl auch hier mit überlangen Songs und Rhythmen jenseits des 4/4-Takts gearbeitet wird. Das fällt nur nicht sofort auf, weil die Songs so weich und poppig klingen, dass sie oftmals unterschätzt werden. Aber ganz im Gegenteil zu den vielen Schandtaten der Popwelt verkommt die Musik ANATHEMAs zu keiner Zeit zum Kitsch, sondern entfaltet bei näherer Betrachtung schnell eine einnehmende Atmosphäre, die unumwunden als wunderschön zu beschreiben ist. Weil sich die Band um den charismatischen Frontmann Vincent Cavanagh Zeit für ihre fragilen und hypnotisch wirkenden Kompositionen nimmt, passen gerade einmal fünf Songs von den letzten vier Alben in den 45 Minuten-Gig. In der ersten Reihe feiern zwei Fans jede Sekunde des Sets ab, ansonsten sind die Reaktionen eher zurückhaltend. Das dürfte auch mit der ursprünglich nicht geplanten Überschneidung mit WITHIN TEMPTATION zusammenhängen, mit denen sich ANATHEMA sicherlich einige Fans teilen. Wie im Falle von GOJIRA wirkt die Musik wahrscheinlich erst in dunkler, intimer Umgebung so richtig, an der spielerischen Klasse des sechsköpfigen Band gibt es nämlich rein gar nichts zu meckern. Da ihr aktuelles Album „Distant Satellites“ vor ziemlich genau einem Jahr veröffentlicht wurde, dürften sich noch einige Chancen zum Konzertbesuch bieten.
Danach heißt es sich entscheiden: Sowohl FAITH NO MORE als auch MESHUGGAH sind in Deutschland nur selten zu sehen und beide versprechen auf ihre eigene Art zu unterhalten. Die Wahl fällt dann doch auf Letztere, weil der Gig von GOJIRA Lust auf mehr gemacht hat. Die Entscheidung wird mit einer intimen Show belohnt, weil sich dann doch sehr viele Besucher für Mike Patton & co. entschieden haben. MESHUGGAH müssen vielleicht 1000 Neugierigen antreten und man will sich gar nicht vorstellen, wie viele sich gerade vor der kleinsten Bühne in der Emscher-Lippe-Halle tummeln. Immerhin scheinen die Meisten zu wissen, worauf sie sich einlassen und feiern die fünf Progressive Metaller ordentlich ab. Enttäuschen können die Pioniere eigentlich auch nicht, denn so tight wie sie die unmöglichsten Passagen spielen, glaubt man erst gar nicht an irgendwelche Spielfehler. Da ist der Glaube, dass da gerade Wesen aus einer anderen Galaxie auf der Bühne stehen, um einiges stärker.
Auf Nichteingeweihte wirkt der Signature Sound des Quintetts zuweilen zu gleichförmig, der Teufel liegt jedoch im Detail. Das Material, das neben drei Songs vom letzten Album „Koloss“ einen Querschnitt durch das bisherige Schaffen MESHUGGAHs darstellt, schreit danach, auseinanderklamüsert zu werden. Erst mit dem Wissen um die fast schon streng wissenschaftliche, mathematische Herangehensweise an das Songwriting und das unmenschliche Können der Musiker ist es überhaupt möglich das Ganze wertzuschätzen. Lässt man sich gefangen nehmen von den kolossalen Riffkaskaden und komplexen Rhythmusfiguren, kann die rund einstündige Show zu einer echten Erfahrung werden, nach der man den Drang verspürt sich in die Alben einzuarbeiten. Die Band honoriert den Einsatz und die Geduld der Zuhörer ihrerseits mit einer perfekten Show inklusive kleiner Details wie dem jazzigen Gitarrenzwischenspiel im monolithischen ‚In Death – Is Death‘. Einziger Wermutstropfen: Immer wieder setzt die P.A. für Sekundenbruchteile aus, was den Hörgenuss etwas einschränkt. Andererseits könnte die Ironie nicht größer sein: Die Technik versagt, die Menschen spielen wie Maschinen weiter.
Dass das Hauptkaufargument der meisten Besucher auf den Namen METALLICA hört, zeigt auch der Timetable. Nur die letzten Minuten von DIR EN GREY überschneiden sich mit der Show des Headliners, allerdings war das zunächst anders geplant. WITHIN TEMPTATION sollten eigentlich zeitweise parallel die Boom Stage headlinen, übernahmen aber den Slot von KREATOR, die auf ihren Auftritt auf der Big Stage zugunsten ihres Headlinegigs auf dem ebenfalls in Gelsenkirchen stattfindenden Rock Hard Festival verzichteten. Auch das Quasiheimspiel der Castrop-Rauxeler ESKIMO CALLBOY wurde nach vorne verschoben, damit fast jeder ohne schlechtes Gewissen dem bereits dritten Auftritt METALLICAs im Schalker Stadion beiwohnen kann.
Viele hatten bei der Bestätigung der Band für die drei DEAG-Festivals gemurrt: zwar sind sie zusammen mit der Sonisphere-Show in Italien die einzigen Auftritte in Europa im Juni, doch die zahlreichen Festivalgigs der letzten Jahre und weitere Shows im August relativieren den Exklusivitätsanspruch wieder ein Stück weit. Hinzu kamen Auszüge aus einem bald erscheinenden Buch über die vier Legenden, das der Band ein durch einige Fehlinvestitionen (ihr eigenes Musikfestival, der Kinofilm) verursachtes Finanzproblem zuschiebt. Aber all das ist vergessen, als etwas verspätet um 20:45 Uhr das "The Ecstasy Of Gold"-Intro eingespielt wird.
Das Stadion ist zwar nur zur Hälfte gefüllt, die Stimmung ist jedoch herausragend. Alle freuen sich auf ein mit Hits gespicktes Set, doch manch einer dürfte sich von den ersten Minuten irritiert zeigen. James Hetfield kommt auf die Bühne und spricht von einer wichtigen Ankündigung, die sich auf ein Problem bezieht. Zum Glück war das nur ein Flachs und METALLICA starten erst zum zweiten Mal überhaupt mit 'Fuel' in eines ihrer karriereumspannenden Sets. Der Sound ist differenziert und druckvoll und wird einzig durch das bekanntermaßen ausbaufähige Schlagzeugspiel von Lars Ulrich geschmälert. Den Amis gelingt ein Einstand nach Maß und das mit einem (zugegebenermaßen guten) Song aus der verhassten "Load"/"Reload"-Phase.
Fast immer dabei ist 'For Whom The Bell Tolls', das mit seinem simplen Aufbau und dem Bassintro des bärtigen Rob Trujillo immer überzeugt. Es bleibt jedoch vorerst die letzte Bank in einem Set, das sich wie das vom letzten Besuch 2011 vornehmlich an Liebhaber und treue Wegbegleiter richtet. Den Thrasher 'Metal Mililtia' gibt es nur selten zu hören, Gelsenkirchen erlebt die Performance des Songs nach 2004 aber tatsächlich schon zum zweiten Mal. James Hetfield wagt sich wieder an die hohen Gesangslagen aus den "Kill 'Em All"-Tagen und die Band bekommt das unbekümmerte Stück gut auf die Bühne. Unterschätzt wird auch 'King Nothing', das beweist, dass METALLICA auch in ihrer rockigen Phase Mitte der Neunziger ein paar gute Songs zustande bekommen haben. Und auch wenn nicht jeder zu wissen scheint, was das Quartett da gerade aus dem Archiv gezaubert haben, geht das Publikum voll mit.
Beim sperrigen 'Disposable Heroes' können dann schon wieder mehr Fans ihre Textsicherheit beweisen, vielleicht sind sogar ein paar Leute dabei, die den Song 2009 in Oberhausen mitsangen. Danach kommt es zu einer echten Premiere: METALLICA spielen 'The Unforgiven II' zum ersten Mal im Zuge eines Konzerts und machen den klasse Gig mit einer Uraufführung zu einem ganz besonderen Erlebnis. Zwar ist die Fortsetzung vom Black Album-Hit nur emittelmäßig und wird leicht verändert gespielt, aber Premiere bleibt Premiere. Selbst von den Fanclubmitgliedern, die direkt auf der Bühne mit der Band feiern dürfen, können nur wenige Wort für Wort mitsingen. Apropos Fans auf der Bühne: es ist so schon eine schöne Idee die eigenen Anhänger so nah an sich heranzulassen, noch bewegender sind allerdings die Szenen für die das Setting sorgt. Auf den Bildschirmen ist zum Beispiel zu sehen, wie ein Fan, der sein Glück kaum fassen kann, sich mit James Hetfield verbrüdert und ihn innig umarmt oder eine Dame, die James ein Tuch schenkt, das er sich sofort anheftet. Von keinem besonderen Wert sind hingegen die Gitarren- und Basssoli, die drei Mal zwischen zwei Songs vermitteln, die über ihren Verschnaufpausencharakter nicht hinaus kommen.
Mit 'Cyanide' ist nur ein Stück vom immer noch aktuellen "Death Magnetic" im Set vertreten, das Eingängigkeit mit Progressivität paart. Wie die Zukunft klingen könnte, davon zeugt 'Lords Of Summer', das schon im vergangenen Sommer unter anderem bei Rock am Ring/Rock im Park vorgestellt wurde. Ob sich die Festivalhymne tatsächlich auf dem schon gefühlt seit einer halben Ewigkeit angekündigten, neuen Album wiederfinden wird, steht noch in den Sternen, wahrscheinlich auch weil es nicht gänzlich überzeugt. METALLICA versuchen zwischen Vergangenheit (thrashige Strophe) und Moderne (verspielte Progressivität) zu vermitteln, der Song hätte aber auch nach der Hälfte seiner Spielzeit ein sinnvolles Ende finden können.
Mit 'Sad But True' bekommen die nicht ganz so tief in der Materie Steckenden wieder etwas zum Mitmachen, ehe mit 'Frayed Ends Of Sanity' eine weitere Rarität ausgepackt wird. Letztes Jahr durften die Besucher der METALLICA-Sommershows das Set der Band wählen, aber nur die Finnen kamen auf die Idee die Chance zu nutzen und sich eine Premiere zu sichern. Dabei gehörte der "...And Justice For All"-Song schon lange zu den meistgewünschten Songs, die Forderung wurde aufgrund der schwierig zu spielenden Parts jedoch lange überhört. Auch hier lautet die Devise überlang und sperrig, was die Nummer aber auch besonders interessant macht.
METALLICA bleiben im Jahr 1989, verzichten aber auf die obligatorischen Pyroeffekte (sind im Stadion ja ohnehin ein heiß diskutiertes Thema). Die Rede ist von 'One', das heute ausschließlich durch Laser audiovisuell untermalt wird. 'Master Of Puppets' darf natürlich auch nicht fehlen und kommt heute besonders gut an. 'Damage, Inc.' gab es ebenfalls vor sechs Jahren in Oberhausen zu hören, ist aber der letzte überraschende Song der heutigen Show. Als nach 'Fade To Black' schon 'Seek And Destroy' angestimmt wird, machen sich einige Besucher Sorgen, ob METALLICA verfrüht die Bühne verlassen. Entwarnung können jedoch all diejenigen geben, die 2011 schon die Big 4-Show erlebten. Damals gab es den Song, der die Shows normalerweise beschließt, schon weit vorne im Set, was natürlich die Spekulationen über die Songauswahl fürs Finale anstachelte. Es folgt natürlich wie immer eine Zugabe mit den verbleibenden Evergreens. Gerade beim von Raritäten gespickten Set von heute ist die Wahl 'Creeping Death', 'Nothing Else Matters' und 'Enter Sandman' nicht sonderlich spannend, der Stimmung verhilft sie aber auf einen neuen Höchstpunkt. Als zum Finale die METALLICA-Bälle von der Decke tropfen, sind die 135 Minuten tatsächlich schon um und um 23 Uhr ist klar: METALLICA haben ein weiteres Mal abgeliefert.
Wer danach schweißgebadet, aber glücklich die Veltins Arena verlässt, der wird sich zunächst einmal ärgern. Der Regenschauer, der eigentlich schon für den Nachmittag angekündigt war, hat nun Gelsenkirchen erreicht und wird vor allem den Campern, die jetzt noch zum Platz fahren müssen, überhaupt nicht schmecken. Andererseits werden viele doch froh sein, dass sie heute in einem überdachten Stadion sein durften. Die Abreise ist unterdessen überhaupt kein Problem. Die Shuttlebusse und Straßenbahnen stehen fünf Minuten entfernt bereit und sind vor und nach den Fußballspielen mit über 60000 Besuchern deutlich voller. Die Aussicht im Schnitt in unter einer Stunde zuhause sein und im eigenen Bett schlafen zu können, ist jedenfalls nicht zu verachten.
FAZIT: Der Freitag ist der stärkste Rock im Revier-Tag und ist dementsprechend gut besucht. Junge und alte Helden geben sich die Klinke in die Hand und spielen allesamt klasse Konzerte. Bei einem Tagesticketpreis von 70€ ist das eine feine Sache, denn die bezahlt man auch für ein Einzelkonzert der Headliner METALLICA mit nur ein bis zwei Supportacts. Die Veltins Arena ist am Ende zur Hälfte gefüllt, auf der Boom Stage ist es zu jeder Zeit des Tages relativ leer. Der Sound im Stadion ist ausbaufähig aber ok, draußen ist er sogar ziemlich. Die Stimmung könnte besser sein, aber viele sind dann doch nur für METALLICA und FAITH NO MORE gekommen und interessieren wenig für die restlichen Bands.
Morgen geht es weiter mit dem ersten Besuch der Emscher-Lippe-Halle, einer stabilen Wetterlage und den neuen QUEEN, die angeblich gesichtet wurden...