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Ermes | Harms: Fingerhut - Doppel-Review von König/Koß (Review)

Artist:

Ermes | Harms

Ermes | Harms: Fingerhut - Doppel-Review von König/Koß
Album:

Fingerhut - Doppel-Review von König/Koß

Medium: CD/Download
Stil:

Electronica/Industrial/Ambient

Label: Sireena Records/Broken Silence
Spieldauer: CD1: 37:00/CD2: 41:03
Erschienen: 18.09.2020
Website: [Link]

Ungewöhnliche Alben verdienen auch mal eine doppelte Review! Hier könnt ihr eine lesen. Bei der Punktwertung sind sich Jochen König und Thoralf Koß absolut einig!

Axel Ermes und Hauke Harms lernten sich bereits Ende der 80er bei GIRLS UNDER GLASS kennen. Parallel zum Bandgeschehen zwischen Darkwave und Gothic beschäftigten sich beide mit weiteren Formen elektronischer Musik. Dies führte zu einer künstlerischen Zweierbeziehung, die mehr als dreißig Jahre später den vorliegenden „Fingerhut“ erzeugte. Eine fast 80-minütige Reise durchs Elektroland, mal breitflächig wogend, mal brachial und repetitiv, eine Art Techno aus der Berliner Schule.

Meditative Industrieromantik, die auch mal splitternd implodieren darf, Maschinenwelt trifft auf Andeutungen von gotischem Horror, Farbenlehre, Zahlenspiele, Märchen (eher brutal als heimelig), ferne Echos, Digitalreisen, tief hinab in den Berg, oder doch lieber die Hege kleiner Blumen. Wovon Roboter halt so träumen.

„Fingerhut“ lässt viel Raum für individuelle Interpretationen, blubbert hypnotisch vor sich hin („Farbe 23“ – welche auch sonst), pflegt eigenständige Mandarinenträume („Farbe Rot“ und „Farbe Sand“), kann aber auch eruptiv ein Kraftwerk durchpflügen. Das flirrt, zirpt, poltert und rumort durch die Nacht, dass es eine Wonne ist. Zwischendurch Stillstand, dann wieder Krawall und dunkles Treiben – erinnert sich noch jemand an Klaus Schulzes „Stahlsinfonie“? „Fingerhut“ könnte als Fortsetzung glatt durchgehen, und John Carpenter hätte auch seinen Spaß daran.

FAZIT: „Fingerhut“ ist keine Lehrstunde in Floristik, sondern zeitgenössische elektronische Musik, die sich in der Vergangenheit auskennt und gekonnt durch ambiente Traumlandschaften stromert und hämmernde Geisterbeschwörungen abhält.

Und Thoralf Koß meint:

„Alle Geräusche und Rückkopllungen sind beabsichtigt!““ (Hinweis auf dem Digipak der Doppel-CD)

Entdeckeralarm für alle Freunde der elektronischen Musik des krautrockigen Berliner-Schule-Umfelds und natürlich für diejenigen, die noch heute schmerzhaft die herrlich innovative und recht finstere Band GIRLS UNDER GLASS vermissen. HAUKE HARMS und AXEL ERMES trafen sich genau in dieser Band und fassten den Entschluss, gemeinsam ein wenig mit vorwiegend elektronischen Klangerzeugern zu experimentieren. Heraus kamen dabei über 75 Stunden Audioaufnahmen, deren Highlights nunmehr dank Sireena Records auf zwei Silberlinge gepresst, in ein dreifaltiges Digipak getan und mit einem achtseitigen Foto-Booklet versehen wurden.

Einen verdammt giftigen Namen gab es mit „Fingerhut“ gleich noch dazu. Gefährlich schön und gefährlich giftig – diese Pflanze mit ihren bunten Glockenblüten und ihrem zugleich selbst für Menschen tödlichen Gift. Zum Glück gilt das nicht für die „Fingerhut“-Musik der Elektroniker Harms und Ermes, die zwar spannende Klänge in unser Wohnzimmer pflanzen, welche vielleicht auch einige giftige Untertöne aufweisen, aber garantiert nicht lebensgefährlich sind. Außer natürlich, man dreht seinen Lautstärkeregler zu hoch, dann könnten sich dieses elektronische Gewächs gefährlich in unsere Gehörgänge fräsen.

Auf „Fingerhut“ erblühen gut anderthalb Stunden Musik als eine illustre Mischung aus an TANGERINE DREAM und KLAUS SCHULZE erinnernde Electronics sowie breitgefächerten Krautrock zwischen CLUSTER und CAN, der aber auch gerne auf minimalistische Klänge und eine Vielzahl von Sound-Collagen zurückgreift.
ERMES | HARMS experimentieren mit Klängen und faszinieren dabei mit ihrem Einfallsreichtum – schockieren sogar manchmal, ähnlich wie bei den Bildern in ihrem achtseitigen Booklet, das einen neben dem Adjektiv „tot“ eine verendeten Kohlmeise zeigt, während auf der anderen Seite uns eine Kuh – als die bedrückende Antithese der Atom-Heart-Mother-Kuh – traurig durch den Stacheldraht ihres überschwemmten Geheges anblickt. „Fingerhut“ bietet dazu die entsprechend düsteren Sounds mit einem Hang zur Tristesse des Grauens, aber auch der Schönheit von akustischen Fantasie-Welten, die es mit analogen Synthesizern und elektronischen Experimenten zu erobern gilt.

Für ihre Aufnahmen wählten ERMES | HARMS die unterschiedlichsten Orte aus, sodass sie neben den „klassischen“ Proberäumen und Studios auch im ehemaligen Billbrooker Wasserwerk, im Weltkulturerbe-Bergwerk Rammelsberg, 500 Meter unter Tage, einem leerstehenden Getreidesilo in der Nordheide und weiteren ähnlich exotisch anmutenden Plätzen ihre Musik aufnahmen. Selbst unerwartete Feedbacks oder Störungen der elektronischen Klangmuster wurden hierbei beibehalten und eher als spontane Bereicherung der unendlichen, aber auch unberechenbaren Klangwelten hinter diesem Doppel-Album verstanden. Ein Doppel-Album, dessen Entstehungszeit sich über 30 Jahre (von 1989 bis 2019) und einer Auswahl von mehr als 75 Stunden Audiomaterial erstreckt. Gespenstisch und zugleich schön – genauso wie wir es atmosphärisch auch bei GIRLS UNDER GLASS zu schätzen wussten.

FAZIT: In der Natur gilt: Hütet euch vor dem Fingerhut, er ist giftig und kann tödlich sein, auch wenn seine ganze Schönheit darüber hinwegtäuscht.
In der Musik gilt: Genießt den „Fingerhut“ von ERMES | HARMS, den beiden ehemaligen Musikern von GIRLS UNDER GLASS, die auf dieser Doppel-CD mit einer Zusammenstellung von Aufnahmen aus insgesamt 30 Jahren mit elektronischen Berliner-Schule-Klängen liebäugeln sowie psychedelischen Krautrock-Sounds der Marke CAN und CLUSTER experimentieren und dabei höchstens ein spezielles musikalisches Gift verbreiten, das bei Elektronik-Freunden mit Hang zur Nostalgie durchaus Suchterscheinungen hinterlassen könnte.

Jochen König (Info) (Review 2916x gelesen, veröffentlicht am )

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  • 1-3 Punkte: Grottenschlecht - Finger weg
  • 4-6 Punkte: Streckenweise anhörbar, Kaufempfehlung nur für eingefleischte Fans
  • 7-9 Punkte: Einige Lichtblicke, eher überdurchschnittlich, das gewisse Etwas fehlt
  • 10-12 Punkte: Wirklich gutes Album, es gibt keine großen Kritikpunkte
  • 13-14 Punkte: Einmalig gutes Album mit Zeug zum Klassiker, ragt deutlich aus der Masse
  • 15 Punkte: Absolutes Meisterwerk - so was gibt´s höchstens einmal im Jahr
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Wertung: 11 von 15 Punkten [?]
11 Punkte
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Tracklist:
  • CD1:
  • Farbe Rot
  • Farbe Sand
  • Farbe 23
  • Zahl Null
  • Zahl Eins
  • CD2:
  • Märchen 1
  • Märchen 2
  • Echoes
  • Reise Nach Digitalis
  • Reise Nach Digitalis
  • Tief Im Berg
  • Margeriten Am Bach

Besetzung:

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Interviews:
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