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Kafka Band: Der Process (Review)
Artist: | Kafka Band |
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Album: | Der Process |
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Medium: | Do-LP/CD | |
Stil: | Electro, Industrial, Dark Wave, Jazz, Pop, Prog-Rock, Ambient, Folklore und Kafka |
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Label: | Indies Scope Records | |
Spieldauer: | 53:36 | |
Erschienen: | 12.01.2024 | |
Website: | [Link] |
„Aus Sprache wird Musik, aus Musik wird Bild. Mysteriös, schaurig, sehnsuchtsvoll und doch beinahe tröstlich klingend, schwebt der Geist Kafkas über den 12 Songs.“ (Absolut passende Promo-Beschreibung der KAFKA BAND und ihres dritten Albums „Der Process“)
Wenn jemand den Namen Kafka in Verbindung mit seinem Bandnamen tragen darf – dann diese KAFKA BAND! Denn schließlich kommt dieses poetisch-musikalisch-literarisch-experimentell-mehrsprachige Ensemble aus FRANZ KAFKAs Heimatland, der Tschechischen Republik (ehemals CSSR und zuvor Tschechoslowakische Republik), und wohl sogar aus dessen Geburtsstadt Prag und lässt sich von ihrer Musik her nicht nur durch den 1883 geborenen Schriftsteller inspirieren, sondern widmet sich nunmehr nach ihren Alben „Das Schloss“ (2013) und „Amerika“ (2019) mit „Der Process“ bereits zum dritten Mal einem seiner (unvollendeten) Werke für ihre komplettes Alben, indem sie, einer festen Tradition folgend, die Geschichten bzw. Romanfragmente Kafkas zum Inhalt ihre Texte und Musik machen.
Wenn also auf jemanden der Begriff 'Kafkaesk' zutrifft oder angewendet werden kann, dann auf die KAFKA BAND, für die alles vor 11 Jahren mit „Das Schloss“ begann.
In Tschechien genießt die KAFKA BAND um Sänger und Zeichner Jaromir 99 und Autor sowie Möricke-Literaturpreisträger Jaroslav Rudi längst Kultstatus. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die beiden durch ihre Graphic Novel „Alois Nebel“ und deren Verfilmung bekannt geworden sind. Mit diesem Hintergrund haben sie einige der renommiertesten tschechischen Musiker um sich geschart, welche aus in Tschechien sehr bekannten Bands wie PRIESSNITZ, LETNI KAPELA oder TATA BOJS stammen, um dieses Kunst-Musik-Werk ihres literarischen Landeshelden und Vorzeigeautors anzugehen, dessen Name nicht nur in der Literatur- sondern auch der gesamten Kunst-Szene Weltruhm genießt, was auch ein wenig daran liegt, dass Kafka ähnlich finstere Bilder zeichnete, wie er sie mit seinen Parabeln in Worte kleidete.
Da aller guten Dinge eben drei (und nach „Der Process“ hoffentlich noch mehr) sind, reisen wir diesmal mit der Band in Kafkas Gedankenwelt seines dritten unvollendeten und erst postum erschienenen (und von Kafka eigentlich ausdrücklich verbotenen, aber von seinem Freund Max Brod – zum Glück – nicht umgesetzten Versprechens) Romans, in dem es um den Bankprokuristen Josef K. geht, der ohne Angabe von Gründen am Morgen seines 30. Geburtstags verhaftet wird, obwohl er sich keinerlei Schuld bewusst ist. Völlig vergeblich versucht der Prokurist nun, den Grund für seine Verhaftung und die ihm vorgeworfenen Vergehen herauszufinden, damit er eine Möglichkeit hat, sich zu verteidigen. Seine Suche bleibt ohne Erfolg, wobei er aber während seiner Suche sich in einem albtraumhaften Labyrinth der Bürokratie – allesamt von Türstehern bewacht – verstrickt und feststellt, dass er dieser Bürokratie und ihren willigen, empathielosen Umsetzern ausgeliefert und zugleich auch ein Bestandteil davon geworden ist, was ihn nunmehr in sein endgültiges Verderben führt, da er zu spät dagegen zu kämpfen beginnt. Ohne sein Zutun wird ein Urteil über ihn gefällt, das dazu führt, dass Josef K. am Vorabend seines 31. Geburtstags von zwei Herren abgeholt, zu einem Steinbruch geführt und dort brutal erstochen wird.
So weit also zur finstere Geschichte hinter „Der Process“.
Eine Geschichte, die in ihrer musikalischen, grauenhaften, parabelschwangeren und lyrischen Umsetzung der KAFKA BAND viel abverlangt – und auch vom Hörer eine intensive Auseinandersetzung mit der grandiosen Musik gleichermaßen wie mit dieser schrecklichen (unvollendeten) Roman-Parabel verlangt, die uns bildhaft die Schrecken aller Bürokratien wie Überwachungsmechanismen, denen wir unterworfen sind, vor Augen führt und die eine ähnlich finstere Dimension wie „1984“ von George Orwell entfaltet.
Für diese zudem ebenso finster gestaltete Doppel-LP samt der mit allen (deutschen und tschechischen sowie einem englischen) Texten sollte man sich unbedingt Zeit nehmen. Dafür wird man als Musik- wie Literatur-Liebhaber auf höchstem Niveau entschädigt. Kafka lebt tatsächlich in dieser Musik fort. Mehr kann man als nachgeborener Künstler einfach nicht erreichen.
So beginnt das Album genauso wie der Roman mit der „Verhaftung – Zatceni“ und dem Zitat: „Jemand mußte / Josef K. / Verleumdet haben...“
Aus musikalischer Sicht wird uns hierbei eine wilde, progressive Musikmischung der Extraklasse aus Electro, Industrial, Dark Wave, Jazz, Pop, Prog-Rock, Ambient und Folklore samt Klar- und Sprechgesang geboten. Hier kennt die musikalische Vorstellungskraft kaum Grenzen. Also leicht angejazzt und sehr atmosphärisch Richtung SIGUR RÓS wird das Album eröffnet, um sich dann mit der Industrial-Brachialität der EINSTÜRZENDEN NEUBAUTEN auf die „Untersuchung – Vysetrováni“ zu stürzen, während der sich K. fragt, was bloß geschehen ist und immer wieder zu der Erkenntnis gelangt: „Ich weiß es nicht!“
Unmittelbar danach wartet die „Leere“ als Instrumental mit akustischen Piano-Linien auf und balladeske Töne verbreiten Hoffnung, bis eine Trompete (So wie die von Jericho!?) im Hintergrund auftaucht, dazu eine wunderschöne berauschende Melodie spielt, in der sich hintergründig nach so viel Schönklang schon kakophonische, bedrohliche Störungen und Gefahren auftun, die sich in dem finsteren Stück „Maskenball – Maskarbál“ offenbaren und in der K. mit verzweifelter Stimme (deutsch – der restliche Text wir in Tschechisch gesungen) feststellt: „Ich bin wie ein Schatten / Bin einer von euch...“
Wen jetzt (also nach der ersten LP-Seite) das Album nicht gepackt hat, der schalte gerne wieder sein Radio ein und lese weiter seine Groschenhefte oder die neusten Fake News des WWW.
Die KAFKA BAND sprengt alle möglich erscheinenden Dimensionen zwischen Musik und Literatur – jedoch nur die des Freigeistes und der progressiven Kunst, aber nicht die der Blödheit und Oberflächlichkeit, denn „die Band spürt den Puls der Stadt und Nachtclubs, aber auch Unruhe, Zittern und Angst“, wie es in der Band-Empfehlung so schön und treffend zugleich heißt.
Ein kleiner Ausbrecher des Albums ist „Shame – Stud“, der als einziger durchgängig in englischer Sprache vorgetragen wird und in dem es um die Suche nach der Schuld geht, die Josef K. nie auf sich lud, er sich mit der Ungewissheit aber trotzdem wie ein gefangenes Tier hinter unüberwindbaren Gittern (der Bürokratie) fühlt, selbst wenn man ihn noch nicht einmal in ein Gefängnis gesperrt hat. Eine Momentum, das Liebe und Vernunft ausschließt, da beides nicht verwaltbar ist...
Hinzu kommt noch die großartige Sound-Produktion, welche zum wahren Erlebnis wird, wenn beispielsweise in „Die Kanzleien – Kanceláre“ davon gesungen wird, dass K. „nur den großen Lärm [hörte] / Von links nach rechts, von rechts nach links“ und der Sound gemeinsam mit diesen Worten in die entsprechende Richtung – mal nach links, dann wieder nach rechts und erneut zurück nach links wandert. Hier wird nichts dem Zufall überlassen, alles ist genaustens durchdacht und zugleich eine riesige Ehrerweisung für FRANZ KAFKA.
Noch dazu fasziniert einen der deutschsprachige Sprecher, bei dem man sich tatsächlich mitunter an den einzigartigen BEN BECKER (in diesem Falle aber mit erkennbarem tschechischen Dialekt) erinnert fühlt.
Und dass die Liebeserklärung für „Leni“ dann durchgängig in deutscher Sprache vorgetragen wird, lässt einen sogar an einen ganz großen deutschen Romantiker wie NOVALIS denken: „Reiß mir vom Himmel / Auch den blutigen Mond / Und leg ihn auf mein / Blutendes Herz /.../ So bleibt die Nacht / Für immer und jetzt / So bleibt die Nacht / Unsere Nacht.“
Wer Franz Kafka liebt, der kommt an der KAFKA BAND genauso wenig vorbei wie derjenige, der gewagte Musik, die sich keine Grenzen, außer die des eigenen Anspruchs sowie Vorstellungskraft setzt und dabei eine Hommage zu Kafkas unvollendetem Romanfragment „Der Process“ schafft, die ihresgleichen sucht und zwar wunderbar, aber inhaltlich schrecklich grauenhaft wie der Roman selber endet, wenn an Josef K. das Urteil vollstreckt wird, von dem er gar nicht weiß, warum und was er sich überhaupt hat zu schulden kommen lassen: „Sie lehnten K. an einen Stein / Seinen Kopf obenauf / Dann öffnete er seinen Gehrock / Fleischermesser in der Hand / Im Licht prüfte er die Schärfe / Sie legten Hände an K.s Gurgel / Sie stießen tief in sein Herz / Wie ein Hund, sagte er // 'Wie ein Hund!' sagte er. Es war, als sollte die Scham ihn überleben.“
Oh ja – etwas Ähnliches hat selbst ein NICK CAVE in seinen schaurigen „Murder Ballads“ um keinen Deut besser hinbekommen!
FAZIT: „Die KAFKA BAND hat aus den eigensinnigen Texten Kafkas ein einzigartiges Album geschaffen, das mit seiner düsteren Charakteristik irgendwo zwischen Electro, Industrial, Dark Wave und Folklore schwingt und nicht nur Kafka-Fans begeistert!“ So bringt uns das Promo-Schreiben hinter „Der Process“ die Doppel-LP der tschechischen KAFKA BAND absolut passend nahe. Eine grandiose Verschmelzung des weltberühmten Prager Kult-Autoren mit der Musik einer Band unter Federführung von Schriftsteller Jaroslav Rudis, der zusammen mit dem Sänger und bildenden Künstler Jaromir 99 die Texte auf Tschechisch, Englisch und Deutsch schreibt, singt und rezitiert. Kafkas Name ist im Bandnamen verewigt, die sich somit als KAFKA BAND der Mission stellt, die Texte des 1883 geborenen und zugleich bekanntesten Autoren der Tschechei (nunmehr bereits alle drei unvollendeten Roman-Fragmente) in ihrer progressiv richtungsweisende Kunst und Musik umzusetzen. Dabei arbeiten sie mit deutschen wie tschechischen (und einem englischen) Texten in einer Kombination aus deutschem Sprechgesang und tschechischem Melodie-Gesang sowie Musik, die ein wahres Wunderwerk aus den komplexesten Genren ist und das Geheimnisvolle hinter den Kafka-Texten in einer ähnlichen anmutenden Atmosphäre musikalisch verwirklicht. Ein hehres und gewagtes Ziel. Bravourös verwirklicht und stellenweise alle Grenzen des Vorstellbaren durchbrechend – genauso wie es einst Kafka mit und in seinen Werken gelang, selbst wenn er diese – so wie „Der Process“ – nie der Öffentlichkeit preisgeben wollte.
- 1-3 Punkte: Grottenschlecht - Finger weg
- 4-6 Punkte: Streckenweise anhörbar, Kaufempfehlung nur für eingefleischte Fans
- 7-9 Punkte: Einige Lichtblicke, eher überdurchschnittlich, das gewisse Etwas fehlt
- 10-12 Punkte: Wirklich gutes Album, es gibt keine großen Kritikpunkte
- 13-14 Punkte: Einmalig gutes Album mit Zeug zum Klassiker, ragt deutlich aus der Masse
- 15 Punkte: Absolutes Meisterwerk - so was gibt´s höchstens einmal im Jahr
- Seite A (19:48):
- Verhaftung – Zatceni (7:17)
- Untersuchung – Vysetrováni (4:21)
- Leere – Prázdnota (2:56)
- Maskenball – Maskarbál (5:14)
- Seite B (13:05):
- Die Kanzleien – Kanceláre (4:33)
- Shame – Stud (4:28)
- Leni (4:04)
- Seite C (13:00):
- Advokat – Advokát (4:28)
- Dom – Chrám (4:03)
- Türhüter – Dvernik (4:29)
- Seite D (7:43):
- Im Mondschein – V mesicnim svitu (3:33)
- Ende – Konec (4:10)
- Bass - Petr Weiser
- Gesang - Jaroslav Rudis, Jaromir Svejdik, Dusan Neuwerth, Tomás Neuwerth, Lukás Morávek, Zdenek Regal Jurcik, Petr Weiser
- Gitarre - Dusan Neuwerth, Lukás Morávek, Zdenek Regal Jurcik
- Keys - Zdenek Regal Jurcik
- Schlagzeug - Tomás Neuwerth
- Sonstige - Tomás Neuwerth (Glockenspiel, Percussion), Lukás Morávek (Trompete), Zdenek Regal Jurcik (Melodika, Percussion, Glockenspiel), Petr Weiser (Geige), Alois Ponizil (Horn)
- Der Process (2024) - 14/15 Punkten
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