Partner
Services
Statistiken
Wir
Pulp: More (Review)
Artist: | Pulp |
![]() |
Album: | More |
|
Medium: | CD/LP/MC/Download | |
Stil: | Art-Pop, Brit-Pop, Barock-Pop, Soul, Orchestral-Pop, Glam-Rock |
|
Label: | Rough Trade | |
Spieldauer: | 50:16 | |
Erschienen: | 06.06.2025 | |
Website: | [Link] |
Wenn es um die wirklich genialen Texter der Popmusik geht, kommt man an Jarvis Cocker nicht vorbei: "I am not Jesus, though I have the same initials/I am the man who stays home and does the dishes", sang der Mastermind von PULP auf deren (bisher) größtem, ambitioniertesten Album "This Is Hardcore" im prächtigen "Dishes". 27 Jahre ist das her, aber mit Jesus Christus, dessen Initialen er (rein zufällig?) trägt, hat es der große Ironiker Cocker immer noch. Warum wir das nun aufs Neue mitkriegen (wider Erwarten, denn eigentlich waren PULP seit ihrem vermeintlichen Abschiedwerk "We Love Life" von 2001 als Studioband ja mausetot)?
Weil es endlich wieder eine Platte der zumindest im Nachhinein vielleicht doch besten Nineties-Britpop-Band gibt. Und die ist (bei weitem nicht nur wegen der aktuellen Lyrics) ein Ereignis. Eine Sensation.
Jetzt tritt Jarvis Cocker mit dem älteren, dem biblischen J.C. abermals in Kontakt - im Song "Slow Jam", der mit sinnlichem Funk-Bass und wilden Streichern zu den allerbesten auf diesem perfekten Pop-Album zählt. "Jesus died upon the cross/Then Jesus came back from the dead/So, I had a word with Jesus/And this is what he said", erzählt der 61-Jährige, und man kann sich das Schmunzeln beim Betexten dieser typischen PULP-Fiktion lebhaft vorstellen. "Jesus said, I feel your paun/God knows I share it too/Slow death/Now you know just what I, what I went through/So how about we talk about something new?/because there's not a great deal that I can do". Hört sich nach einer christlichen Abfuhr für Herrn Cocker an.
Den Satz "Irony is over", den der PULP-Frontmann ebenfalls vor 27 Jahren auf dem "Hardcore"-Closer "The Day After The Revolution" wuchtig formulierte, muss man also nicht ganz so ernst nehmen. Denn Ironie gibt's noch jede Menge auf "More", auch jede Menge Wortwitz - aber nun begleitet von einer gewissen Melancholie übers Älterwerden, gerade in Libido-Dingen. Während er einst heiter über "My Erection" sang, geht es heute in "My Sex" realistischerweise ruhiger zu. Stattdessen kehrt die Liebe in anderer Form zurück - etwa in "Farmers Market", mit dem Cocker eine neue Beziehung feiert. Das besinnliche Lied startet mit den Worten "That was a good year..." und endet mit "Ain't it time we start a living" - laut dem wieder frisch verheirateten Jarvis Cocker "ein Lovesong, ein Lied über ein späteres Leben".
Wenn man nicht nur auf diese großartigen Lyrics, sondern auch auf die fantastische Musik von "More" hört, wird einem so richtig bewusst, was man vermisst hat während der schier endlosen PULP-Sendepause. Das dachte sich wohl auch die "Zündfunk"-Interviewerin Amy Zayed und fiel kürzlich im Bayerischen Rundfunk gleich mit der Tür ins Haus: "Jetzt habt ihr dieses tolle Album fertiggemacht. Aber verdammte Hacke: 25 Jahre! (...) Was ist passiert?" Damit sprach sie allen Fans aus dem Herzen, die rund ein Vierteljahrhundert Wartezeit auf eine neue Platte ihrer Lieblingsband arg üppig fanden. Falls sie überhaupt noch mit diesem Comeback gerechnet hatten nach all den Solo-Erfolgen und -Extravaganzen von Jarvis Cocker und dem Tod von PULP-Bassist Steve Mackey vor zwei Jahren.
Der Sänger erzählte dann in dem BR-Interview etwas von "ganz schlimmer Darmverstopfung" als Grund, warum man nach "We Love Life" aufgehört habe. "Wir haben 2023 wieder angefangen, zu touren und einen neuen Song während der Soundchecks zu proben. Und den haben wir dann in Sheffield einfach gespielt." Dieser von den Nordengländern passenderweise "The Hymn Of The North" betitelte Neustart sei "ganz gut angekommen, und wir hatten Spaß ihn zu spielen. Das war wahrscheinlich die erste Inspiration." Keyboarderin Candida Doyle erwies sich anfangs noch als Bremsklotz: "Dann bin ich misstrauisch geworden und hab Jarvis gefragt: Du willst doch nicht etwa, dass wir ein neues Album machen, oder? Ich war überhaupt nicht überzeugt und dachte: Bitte nicht! Und Jarvis meinte: Ach Quatsch. Ich probiere nur neue Songs aus!"
So ging's also zunächst mühsam los mit dem wohl wichtigsten Pop-Comeback des Jahres. Wenn die Pause aber notwendig war, um eine solche Rückkehr von PULP auf die große Bühne hinzukriegen, dann bitte sehr!
"Spike Island", ein schon vor mehreren Wochen veröffentlichter Album-Teaser, leitet als Opener gleich großformatig in die elfteilige, von Top-Produzent James Ford (Arctic Monkeys, The Last Dinner Party, Fontaines DC) betreute, innerhalb von nur drei Wochen eingespielte Songsammlung ein. Und ist zwar der erste Track von "More", das dezent ans Hitalbum "Different Class" von 1995 gemahnende Aushängeschild - aber noch nicht einmal der stärkste Song.
Eher in die Richtung von "This Is Hardcore", nur noch weiter gereift und verfeinert und noch souveräner, geht "More" nun insgesamt. Ein Album für die dunkleren Stunden des Tages, mit atemberaubenden, hypnotischen, opulenten Arrangements, einem entfesselten Sänger im besten David-Bowie-Modus - stilistisch irgendwo zwischen dem (Disco-)Soul der Sixties/Seventies ("Slow Jam", "Got To Have Love"), dem orchestralen Pop des jungen Scott Walker ("Tina", "Partial Eclipse") oder von Frank Sinatra, den Musicals eines Steven Sondheim ("Hymn Of The North", "A Sunset").
Früher hatte Cocker seine Texte stets am Ende verfasst - eine stressige Herangehensweise für alle, wie sein Label Rough Trade einräumt. Diesmal begann es anders: "Ich dachte, nun, jetzt bist du in deinen Sechzigern. Ich sollte zumindest einmal ausprobieren, die Lyrics vorab zu schreiben. Ich kramte also meine Notizbücher und die Skizzen auf meinem Telefon hervor, so wie immer, wenn es daran geht, ein neues Album zu machen. Ich schaute mir an, was ich im Verlaufe der Zeit geschrieben hatte, um zu sehen, ob etwas dabei wäre, was Sinn ergibt, etwas Gutes.”
Man mag es angesichts der Qualität von "More" kaum glauben, aber Cocker, Doyle, Mark Webber (Gitarre) und Nick Banks (Schlagzeug) von der langjährigen offiziellen PULP-Besetzung hatten tatsächlich zunächst Zweifel. "Unsere Managerin meinte: Ich höre es mir am Wochenende an und sage euch, ob es sinnvoll ist, ein neues Album zu machen. Das war das längste Wochenende meines Lebens", sagte der Sänger im BR-Interview. "Weil man sich nicht vorstellen kann, dass es wirklich gut genug ist. Oft redet man sich ein, etwas sei gut, auch wenn es einfach nicht gut ist."
"Ich versuche noch zu verstehen, warum genau wir beschlossen, dass es die richtige Idee sei, eine Platte zu machen", grübelt der Pop-Intellektuelle Jarvis Cocker weiterhin vor sich hin. "Es hatte zum Teil sicher mit Steves Tod zu tun." Der PULP-Bassmann von 1988 bis 2013 war im Frühling 2023 gestorben, und auch wenn er sich entschieden hatte, kein Teil der zweiten Reunion-Tour zu sein, blieb sein Einfluss auf die Band und ihre Musik ungebrochen. "Auch meine Mutter ist Anfang letzten Jahres gestorben", sagt der Sänger jetzt. "Wenn Leute, die dir so nahe stehen, gehen, dann wird dir klar, dass du selbst immer noch am Leben bist. Und dass du weiter die Möglichkeit hast, etwas zu erschaffen."
Im Fall von "More": etwas ganz Großes.
FAZIT: Nach fast einem Vierteljahrhundert Funkstille (zumindest als Studio-Album-Band) kehren PULP mit einem unerwarteten Comeback zurück. Und reden wir nicht groß drumherum: Größer, schöner, besser hätte es nicht werden können, kaum eine andere Platte wird Fans einer Band in diesem Jahr so glücklich machen. Im Falle des mit 50 Minuten angemessen opulenten, in jeder Hinsicht brillanten Meisterwerks "More" ist mehr wirklich mal mehr.
- 1-3 Punkte: Grottenschlecht - Finger weg
- 4-6 Punkte: Streckenweise anhörbar, Kaufempfehlung nur für eingefleischte Fans
- 7-9 Punkte: Einige Lichtblicke, eher überdurchschnittlich, das gewisse Etwas fehlt
- 10-12 Punkte: Wirklich gutes Album, es gibt keine großen Kritikpunkte
- 13-14 Punkte: Einmalig gutes Album mit Zeug zum Klassiker, ragt deutlich aus der Masse
- 15 Punkte: Absolutes Meisterwerk - so was gibt´s höchstens einmal im Jahr
- Spike Island
- Tina
- Grown Ups
- Slow Jam
- Famers Market
- My Sex
- Got To Have Love
- Background Noise
- Partial Eclipse
- The Hymn Of The North
- A Sunset
- Bass - Andrew McKinney
- Gesang - Jarvis Cocker
- Gitarre - Mark Webber, Jarvis Cocker, Emma Smith, Richard Hawley, James Ford
- Keys - Candida Doyle, Jarvis Cocker, Mark Webber, Adam Betts, Jason Buckle, Richard Jones, Animesh Raval, Chilly Gonzales
- Schlagzeug - Nick Banks, Adam Betts
- Sonstige - Elysian Collective/Richard Jones (Streicher-Arrangements), Emma Smith, Jennymay Logan (Geige), Richard Jones (Bratsche), Laura Moody (Cello
- More (2025) - 14/15 Punkten
-
keine Interviews