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Interview mit Slaves To Gravity (05.05.2011)

Slaves To Gravity

Guter Alternative Rock ist schwer zu finden, macht er seinem Namen doch schon immer seltener Ehre. Die SLAVES TO GRAVITY aus London schicken sich an, mit ihrem zweiten Album "Underwaterouterspace" etwas daran zu ändern. Kurz nach Albumveröffentlichung und unmittelbar vor der anstehenden Touringphase spricht Sänger und Gitarrist Tommy Gleeson mit uns über UK-Szene und US-Szene, Business und Kunst, Schüler und Lehrer, Luft und Wasser, die Downloadkultur und die seligen 90er. 

Es liegt in der Natur der Sache, dass in Musikinterviews über Musik geredet wird. Was ihr auf "Underwaterouterspace" zeigt, ist aber eigentlich für den Bauch gemacht und darf gar nicht zerredet werden. Siehst du das auch so? 

Weißt du, bevor ich anfange, rund um das Release herum Interviews zu geben, bin ich irgendwie noch gar nicht in der Lage, unsere Arbeit mit nüchternem Abstand zu betrachten und richtig einzuschätzen. Bis zu diesem Zeitpunkt bleibt ein neues Album immer etwas sehr Privates und Introspektives. Wenn man einmal angefangen hat, es bis ins Detail auseinander zu nehmen, um es den Leuten verständlich zu machen, verliert es ein wenig von dem Hitzeflimmern, von dem es umgeben ist. Andererseits: Ich rede schon lieber über meine Musik als über meinen Haarschnitt oder meinen Lieblingskandidaten bei X Factor.Slaves-To-Gravity-Cover

Wenn das so ist, bitte ich um ein Wort zum ungewöhnlichen Titel des neuen Albums, der doch recht allumfassend klingt.


Ich liebe es, mit Sprache zu spielen, und dieser Titel schien mir sehr aufrüttelnd zu sein und auch offen für Interpretationen. So etwas finde ich toll. Er hat viele Bedeutungen für mich, aber die zentrale Idee ist, dass in dir selbst und um dich herum genauso viel Fremdartiges ist wie auf einem anderen Planeten, und das ist es, worauf wir unseren Entdeckerdrang zunächst mal konzentrieren sollten. 

Mit dem Vokabular des Albumtitels gesprochen: Worin liegt der Unterschied zwischen tief tauchen und hoch fliegen?


Ich glaube, du musst das eine tun, um das andere ermöglichen zu können. Alles, was je erreicht wurde, war nur durch schrecklich harte Arbeit, Geduld und Hartnäckigkeit möglich, so viel ist sicher. Einfach nur die Wasseroberfläche zu streifen, ist zugleich der bequemste und unbefriedigendeste Teil. Was uns angeht, wir haben dort sehr viel Zeit verbracht, als wir darauf gewartet haben, dass die Platte endlich veröffentlicht wird.

Ich habe euch erst mit "Underwaterouterspace" kennen gelernt und kann deswegen nicht viel zu eurer Weiterentwicklung gegenüber dem Debüt "Scatter The Crow" sagen. Wo seht ihr die Veränderungen zwischen den Slaves To Gravity von 2008 und denen von 2011?


Ich spreche wahrscheinlich für jeden, wenn ich sage, dass aus uns erwachsene Männer mit viel breiteren Schultern geworden sind. Unser Songwriting hat sich um das Zehnfache verbessert, weil wir den Mut hatten, auszuscheren und unseren eigenen Sound zu etablieren, anstatt zu sehr auf unsere Einflüsse zu bauen. Wir wissen jetzt auch viel besser, wie wir die Dinge als Band anpacken müssen, vom Touring bis zur Einfädelung von Deals. Wir denken jetzt viel geschäftlicher und haben realistischere Erwartungen. Diese Seite des Business kennen zu lernen und sie ernster zu nehmen, hat ironischerweise für mich die Kunst in einen noch schärferen Fokus gerückt. 

Grundsätzlich bin ich kein Freund von Namedropping, in meiner Rezension war ich allerdings mehrmals dazu versucht, mit allerlei Namen um mich zu werfen. Nicht, weil ihr uneigenständig klingen würdet, sondern eher, weil beim Hören der Platte ein Feuerwerk aus Assoziationen entsteht, das einfach Spaß macht. Wie wichtig sind euch äußere Einflüsse?   Slaves-To-Gravity-Artwork

Wir sind große Musikfans. Musik ist alles, worüber wir reden, wenn wir zusammen sind. Wir versuchen, eine sehr breite Palette zu berücksichtigen und einen Haufen unterschiedlicher Einflüsse einzubeziehen. Straight Up Rock 'n Roll ist eine Zeit lang aufregend, aber für mich wird das schnell langweilig und kann mich als Songwriter blockieren. Meine Hoffnung ist es, dass wir unseren Vorbildern gegenüber respektvoll sind, wenn wir sie miteinander vermischen. Das Ganze sollte dann natürlich mehr sein als die Summe seiner Teile. 

Mit dem typisch britischen Indie-Sound habt ihr nicht viel gemein. Einflüsse erkenne ich eher aus der amerikanischen Richtung. Ist das korrekt? 

Es ist so, dass wir alle als Rock-'n-Roll-Kids aufgewachsen sind und Guns N' Roses und Nirvana gehört haben, als alle anderen Oasis und Blur hörten. Auf der Schule waren wir die Ausgestoßenen mit langen Haaren. Wir sind einfach immer der US-Szene gefolgt. Die UK-Szene kam mir immer vorhersehbar und langweilig vor.  

Gibt es Dinge, die ihr euch auf Live-Touren bei Kollegen abschaut? Bekommt man Tipps, gibt man welche weiter?


An der Bühnenseite zu sitzen und eine Band wie Alter Bridge zu beobachten, ist schon faszinierend – diese Geschicklichkeit zu sehen und Zeuge der Kontrolle zu werden, die sie über ihr Material haben, das ist schon toll. Was ich aber niemals vergessen werde, ist, wie ich Aiden von der Seite aus zugesehen habe, als wir mit ihnen auf Tour waren. Die waren alle krank an diesem Tag und der Club war praktisch tot, aber dann brachten sie ein Cover von irgendeinem alten Punk-Song – ich kann mich gerade nicht an den Namen erinnern – und ich sage dir, die spielten, als wären das die letzten drei Minuten ihres Lebens. Total roh und in-the-moment. Keiner von den Kids dort hatte jemals von dem Song gehört und somit auch den Bezug nicht verstanden, aber das war eine richtige Lehrstunde darüber, wie wichtig es ist, dass Musik aus dem Herzen kommen muss. 

Euer erster Gig fand in Schottland statt. Sehr ungewöhnlich für eine Londoner Band. Wieso ausgerechnet dort?


Wir dachten uns: Wenn wir scheiße sein sollten, dann sollten wir dabei zumindest so weit weg von unseren Freunden sein wie möglich. 

Wie ist denn das Londoner Publikum so im Vergleich mit dem Rest der Welt? Merkt man den Heimvorteil?


Slaves-To-Gravity02London ist hart zu spielen. Da treten an jedem Abend der Woche so viele Bands auf, dass das Publikum dadurch ein bisschen verdorben ist und verwöhnt und selbstgefällig zu werden droht. Andererseits: Die Anzahl guter Spielstätten wurde durch die Schließung des Astoria drastisch verkleinert und es sind ja noch viele andere Örtlichkeiten gefährdet. Die Gigs finden jetzt eher abseits der ausgetretenen Pfade statt. Londons Musikszene hat jetzt eher einen Underground-Vibe. 

Freut ihr euch auf die anstehende Touringphase?


Ich kann es kaum erwarten. Ich bin ziemlich nervös, weil wir schon eine Weile aus dem Spiel sind, aber ich trainiere schon, versuche, mich richtig fit zu machen. 

Im Juli eröffnet ihr in eurer Heimatstadt zweimal für Papa Roach. Habt ihr irgendwelche speziellen Erwartungen an diese Gigs?


Ganz generell wird es großartig sein, einfach nur wieder in einer schönen Location auf einer großen Bühne zu stehen. Vor großem Publikum sind wir eine ganz andere Band – das Gefühl, dass etwas Besonderes ansteht, scheint uns wirklich anzustacheln. Wir haben acht Monate angestauter Energie und Aggression, die wir auf die Menge loslassen wollen. Das wird ein Riesenspaß. 

Viele Bands, mit denen ihr tourt, sind ja fast schon alte Hasen. Ich beispielsweise gehöre zu der Generation, in deren Jugend Bands wie Limp Bizkit, Incubus, Korn und wie sie alle heißen, in aller Munde waren. Vielen ehemaligen Fans haben diese Bands den Weg zu anspruchsvollerer und komplexerer Rockmusik geebnet. Dem Alternative- und Nu Metal der späten Neunziger wird allerdings gemeinhin vorgeworfen, dass er nicht mit dem Publikum mitgewachsen sei. Was ist an diesem Vorwurf dran?


Ich denke, die Ironie daran ist, dass die Energie dieser Szene einige aus der älteren Garde, die Stone Temple Pilots beispielsweise, dazu angestachelt hat, härtere, düsterere Alben aufzunehmen – das hat ein bisschen was von "Sohn lehrt den Vater". Mag sein, dass es einigen von ihnen nicht gelungen ist, aus ihrer Blaupause herauszutreten, aber sie haben dabei geholfen, die Dinge vorwärts zu bewegen, auch wenn sie vielleicht nicht die absolute Qualität hatten, um ihr Genre auf neues Terrain zu bewegen. 

Viele Neuveröffentlichungen alter Helden kann man nur noch durch die nostalgische Brille genießen. Wie kann man heute noch frisch und zeitgemäß klingen, wenn man klassischen Alternative Rock spielen will?


Es dreht sich alles um Balance und ob man dazu in der Lage ist, sein musikalisches Wissen zu nutzen. Das ist das Fundament deines Hauses. Wenn das erst mal auf solider Basis steht, kann man neue Dinge erkunden und in den Himmel greifen. Hier wird die Spreu vom Weizen getrennt, und entweder wird die Kreativität und das Talent enthüllt oder sein Fehlen aufgedeckt. Man muss dazu in der Lage sein, sich selbst zu pushen und brutal ehrlich sein mit seiner Arbeit. Was das Moderne angeht, da muss man einfach den Zeitgeist erkennen und für sich nutzen, bevor andere es tun. Manchmal erfordert das, zurückzugehen, dann wieder, etwas ganz Neues zu präsentieren. Egal, was man macht – man muss ehrlich dabei sein. Es muss aus dem Herzen kommen.
 

Bands, die seit Jahrzehnten im Geschäft sind, haben mit einem radikalen Strukturwechsel im Musikbusiness zu kämpfen. Ihr kennt es wahrscheinlich gar nicht anders als mit Myspace, mp3s & Co. Könnt ihr euch noch daran erinnern, wie es war, als man Musik nicht aus dem Netz gezogen hat, sondern ganz altmodisch im Plattenladen entdeckte oder von einem Freund auf Kassette mitgebracht bekam?


Slaves-To-Gravity-4Ich vermisse den Thrill, Geld für eine CD auszugeben, ohne vorher bereits von jedem Stück ein Sample gehört zu haben. Ein Album zu downloaden, während man die Wäsche aufhängt, das hat so was Abgetrenntes an sich – es drängt die Musik in den Hintergrund. Es gibt mehr Musik als jemals zuvor, aber gerade jetzt hört irgendwie keiner mehr zu. Es gibt einfach keine Bindung mehr. Der Umstand, dass es in der Jugendkultur eine etablierte Konvention ist, Musik für lau zu "ziehen" und das auch noch okay zu finden, das ist so verdammt schädlich für die Seele. Es entwertet die Kunst und zerstört großartige Bands. Jeder scheint das hinzunehmen oder einen Weg daran vorbei zu finden, weil es so schwer ist, dagegen anzukämpfen, aber es ist definitiv nicht tragbar. 

In welcher Ära lässt es sich am besten rocken – in den 60ern? Den 80ern? Den 80ern? Den 90ern? Heute?


Die letzte große Ära zum Musikmachen waren die 90er, bevor das Internet die Regeln geändert hat.


Was macht einen guten Song aus? 

Aufrichtigkeit, Tiefe und Schlichtheit.

Welche Musik würde dich für ein Nebenprojekt reizen? 

 

Es müsste etwas komplett Neues sein. Ein richtiger Neustart. Anderenfalls würde ich darin keinen Sinn sehen. Ich frage mich oft, wie es wäre, so etwas zu machen, nachdem man 13 Jahre lang versucht hat, bei Rock-'n-Roll-Bands auszusteigen. Es ist einfach eine Frage des Mutes.

 

 Vielen Dank für das Interview. Irgendwelche letzten Worte?


You're not in Kansas anymore, Dorothy. 

Sascha Ganser (Info)
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