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Interview mit GIANT HEDGEHOG (06.08.2022)
Zu den musikalisch wie optisch schönsten Schallplatten des Jahres zählt auf jeden Fall die Debüt-LP der Münsteraner GIANT HEDGEHOG, und selbige wirbelt nicht nur hierzulande mit ihren abenteuerlichen Kompositionen einigen Staub auf Review-Seiten auf. Grund genug, sich den Schlaf aus den Augen zu reiben, einmal mehr beim Riesenigel anzuklopfen und zu fragen, was es mit dem traumhaften Siel auf sich hat, wann die Band mal wieder die Bühne betritt und wie es überhaupt vorangeht...
Hallo ins Münsterland! Bei Euch trudeln ja aktuell einige sehr euphorische Rezensionen ein, und auch unter meiner Rezi bei Musikreviews.de gibt es begeisterte Zustimmung und von Hörerseite sogar noch mehr Punkte für "Im Siel", mit dem Ihr – endlich – Euer erstes Langspielalbum vorgelegt habt. Seid Ihr ähnlich erfreut und erleichtert, dass die Scheibe nun draußen ist?
Wir freuen uns, dass wir nach langer Zeit das Album, an dessen Entstehung wir über Jahre hinweg so hart gearbeitet haben, in der Hand halten können. Das Stück "Im Siel" haben wir das erste Mal 2017 geprobt, wenn ich mich recht entsinne, und es hat wirklich schlicht und ergreifend Jahre gedauert, bis wir so aufeinander abgestimmt waren, dass es sich beim Musizieren einfach rund angefühlt hat: Das reicht vom Umeinandertänzeln von Saxophon und Gitarre, ohne dass es sich künstlich heruntergespielt anhört, sondern eben natürlich, bis hin zu kleineren, aber nicht weniger wichtigen Aspekten wie Berührungen von kurzen rhythmischen Patterns zwischen Schlagzeug und Bass. Aber auch alle anderen Stücke, selbst das kurze "Lunas Bank", haben sehr viel Zeit und Arbeit erfordert. Es freut uns sehr, dass eben diese harte Arbeit jetzt bereits von verschiedenen Seiten sowohl positiv aufgenommen als auch bewertet wurde. Von Erleichterung über die Veröffentlichung kann zumindest ich nicht sprechen; vielmehr war es so, dass sich der Zeitpunkt der Studioaufnahmen im Herbst 2020 einfach genau richtig angefühlt hat. Wir mussten zwar doch noch ein Jahr warten, bis wir "Im Siel" dann schließlich im Januar 2022 veröffentlichen konnten – die Pandemie und vor allen Dingen arg lange Wartezeiten bei den Schallplatten haben uns da einen Strich durch die Rechnung gemacht -, aber was soll's. Auf manche Dinge hat man einfach keinen Einfluss, warum sollte man sich dann darüber ärgern? Nein, nein, ich bin zutiefst zufrieden mit unserem Album, und ich denke, das geht den übrigen Bandmitgliedern genauso. Unser Dank gilt natürlich auch Waik Schöner, unserem großartigen Audio Engineer und Poul Dohle, dieser Seele von einem Menschen, der jetzt schon seit Jahren liebevoll unsere Cover gestaltet; und natürlich auch Stella Polaris, die dem Stück "Damals Am Teiche" ein besonderes atmosphärisches Colorit durch ihren Gesang als Gastmusikerin verliehen hat.
Im vorigen Interview hattet Ihr ja angedeutet, dass Euer Langspiel-Debüt wohl nicht so lang auf sich warten ließe, dann kam Corona und legte auch im Musik-Sektor vieles lahm. Allerdings habe ich auch Stimmen von Musizierenden und Bands vernommen, welche die Zwangspause für sich zu nutzen wussten. Wie habt Ihr diese Zeit mit GIANT HEDGEHOG erlebt, was habt Ihr daraus gelernt und worauf könnt Ihr in Zukunft ohne Wenn und Aber verzichten?
Die Auftritte haben mit der Pandemie schlagartig aufgehört, und auch aus privaten Gründen haben wir dann weniger geprobt. Trotzdem haben wir immer darauf geachtet, dass wir genug in der Übung geblieben sind, damit die Stücke weiterhin gut funktioniert haben. Wir haben zwar insgesamt weniger geprobt, aber in den entsprechenden Proben dann umso konzentrierter an unserer Musik gearbeitet. Mein persönliches Fazit ist, dass man auch mit wenigen Proben viel erreichen kann, wenn man diese dann vielleicht etwas länger gestaltet und besonders konzentriert an den Stücken arbeitet.
Mit "Im Siel" ist Euch eine Produktion geglückt, die ein wahrer Ohrenschmaus ist: Ich höre den Instrumenten unheimlich gerne bis in kleine Nuancen zu und freue mich über akustische Details, die im Zusammenspiel ein ganz voluminöses und facettenreiches Klangbild ergeben. In Kombination mit Spielfreude und mehr noch Spielwitz – an manchen Stellen sticht Euch doch der Hafer! – ergibt sich ein Album, dessen Komplexität nie überfrachtet wirkt, sondern das anhaltend Freude beim Hören bereitet. Habt Ihr dafür Eure Seelen oder wenigstens Eure Schatten verkaufen müssen, oder auf welchen riskanten Handel habt Ihr Euch eingelassen?
Zunächst einmal danke für das tolle Kompliment! Eine Niere musste es dann schon sein... Nej, eigentlich ist das Album das Resultat jahrelanger harter und teilweise auch repetetiver Arbeit an den Songs, die aber trotzdem immer viel Spaß gemacht hat. Einerseits ist es einfach unglaublich erfüllend, die Musik zu spielen, die man schon immer spielen wollte, andererseits kannst du mir glauben, dass man nach zwei bis drei Stunden GIANT-HEDGEHOG-Probe den Rest des Tages erschöpft auf dem Sofa verbringt. Aber das ist es für uns dann absolut wert.
Als Antwort auf meine Rezension ist mir zu Ohren gekommen, dass Niklas "Ren & Stimpy" tatsächlich gerne schaut. Spiegelt sich deren Temperament auch in Eurer Wahrnehmung hier und dort in den Kompositionen, oder welche vielleicht nicht so naheliegenden Einflüsse oder Ähnlichkeiten erkennt Ihr?
Wir sind alle Prinzessinnen aus Quark.
Unbedingt. Unter einigen inspirierenden Songtiteln lässt "Gemurmel aus dem Brunnen" sofort Bilder vor dem inneren Auge entstehen und entführt ins Märchenreich. Gibt es (für Euch) einen thematischen roten Faden, den Ihr mit "Im Siel" spinnt, oder wollt Ihr alles so offen wie möglich lassen?
Die Antwort darauf ist eine sehr persönliche. Und zwar bezieht sich der Albumtitel "Im Siel" nicht etwa auf "das Siel", jenen Gewässer-Ausfluss, den man bei Deichen vorfindet, sondern auf "den Siel". Der Siel nun ist ein kleiner Waldpark in meiner Heimatstadt Bad Oeynhausen. Eigentlich heißt er wohl "Siel-Park", aber alle Einheimischen nennen ihn einfach nur "den Siel". Der Siel ist, seitdem ich denken kann, ein wichtiger Bezugspunkt für mich gewesen. Schon als Kind habe ich dort gespielt und als Jugendlicher häufig kleinere Lustwandel unternommen – zumeist spät in der Nacht. "Im Siel" beschreibt besagte Wanderungen, wobei die – insbesondere sommerliche - Idylle hier das zentrale Motiv ist. Es fällt mir schwer das in Worte zu fassen – ich habe es teilweise in Gedichten versucht, glaube aber an der Begrenztheit der Sprache jedes Mal gescheitert zu sein. Es gibt jedenfalls eine ganz besonders schöne Stelle im Siel, wo sich ein alter Kastanienbaum über einen Teich neigt. Dort habe ich häufig gesessen und Inspiration für meine Kompositionen gesammelt – aber natürlich nicht nur dort. Man kann ja Kreativität bekanntlich nicht wirklich steuern. Manchmal hat man spontan eine Phase sprudelnder Ideen und dann bringt man wiederum tagelang nichts zu Papier. Das Stück "Damals am Teiche" fußt jedenfalls auf dem oben beschriebenen Ort, das Album aber ist dem gesamten Siel gewidmet. Ich habe wie gesagt versucht, das Gefühl der Idylle in meinen Kompositionen einzufangen, vielleicht ist es ja das, was du mit "märchenhaft" meinst. Ein ganz besonderer musikalischer Einfluss für "Im Siel" waren übrigens maudlin of the Well, die VorgängerBand von Kayo Dot, und da noch einmal ganz besonders das "Bath"-Album von 2001. Das habe ich sehr oft gehört, wenn ich im Siel gewesen bin, und ich denke, es hat die Stimmung der Stücke durchaus mit beeinflusst.
Über Poul Dohles phantastisches Artwork ließe sich eine Menge berichten, doch ich belasse es hier mal damit, auf eine Parallele mit Eurer Musik zu verweisen: Je stärker wir uns damit beschäftigen, umso mehr wunderliche Details fallen ins Auge bzw. in die Ohren… wie seht oder hört Ihr das?
Poul ist einfach ein unglaublicher Künstler, der mit viel Liebe zum Detail arbeitet. Uns sind zu Beginn auch nicht alle Gesichter in den Bäumen und der Natur aufgefallen, in der sich unser Maskottchen, der Igel, aufhält. Es ist dann immer ein toller Aha-Effekt, wenn man plötzlich Details bemerkt, von denen man vorher keine Ahnung hatte. Vielen Dank auf jeden Fall auch für das schöne Kompliment, dass beim Hören unserer Musik immer wieder Details auffallen! Das ist sicherlich eines der schönsten Komplimente, die man so hören kann.
Ein tolles Album, tolle Kritiken… wann schickt Euch Euer toller Manager auf eine tolle Tour oder wenigstens ein paar tolle Gigs? Und werdet Ihr dabei Riesling-Igel im Ausschank haben?
Eine richtige Tour ist bis jetzt nicht geplant und vielleicht auch bei solch einer speziellen Musik wie RIO-Prog nicht unbedingt üblich. Bis jetzt stehen keine Gigs in Aussicht, aber das kann sich ja noch ändern und wird es sicherlich auch!
Vor langer Zeit, als das Wünschen noch half, also das Internet allenfalls in den Kinderschuhen steckte, gab es noch Fanzines, die sich nur einer einzigen Band widmeten und dementsprechend sehr ins Detail gingen, also auch abseitige und Hintergrund-Geschichten lieferten. Angenommen, es gäbe solch ein GIANT-HEDGEHOG-Fanzine, was wäre darin wohl zu lesen?
Da stünde bestimmt, dass bei der Aufnahme unserer ersten EP im März 2014 in Enschede in Patricks Auto eingebrochen wurde und wir dann die zerschlagene Fensterscheibe provisorisch durch Mülltüten ersetzen mussten und es natürlich in der Karre wie Hechtsuppe gezogen hat. Das Foto im Inlay unserer ersten EP ist übrigens auf der niederländischen Polizeiwache während der Anzeige des Einbruchs entstanden.
Hmmmm, was ist denn noch so passiert? Wir haben mal bei einem Bandcontest den vorletzten Platz in der Jurywertung und den vierten in der Publikumswertung belegt, wenn ich mich recht entsinne. Bei Festivals war es auf jeden Fall auch öfters mal so, dass sich drei Viertel der Zuhörerschaft innerhalb der ersten Viertelstunde unseres Sets verabschiedet hat.
Manchmal erlebt man aber auch Überraschungen. Früher habe ich immer gedacht, dass man als Prog-Band in erster Linie Zuhörer vergrault, aber das ist eigentlich gar nicht mal unbedingt so. Überraschend häufig sind nämlich hinterher Leute auf einen zugekommen und haben einem gesagt, dass ihnen das Konzert gut gefallen hat, obwohl sie eigentlich gar nicht so eine Musik privat hören. Das ist dann natürlich immer sehr schön.
Bevor ich mich einmal mehr für Eure Zeit und für ein extrem schönes Album bedanke, frage ich noch kurz nach, ob es bereits so etwas wie Skizzen und Fragmente neuer Songs gibt?
Ich komponiere derzeit an einem Stück, das die Erfahrungen in Zeiten von Pandemie und Krieg verarbeitet. Das ist dann natürlich deutlich düsterer und kakophoner als die Stücke auf dem "Im Siel"-Album. Wir bedanken uns zu guter Letzt herzlich für deine Interviewanfrage, über die wir uns sehr gefreut haben. Der Riesen-Igel grüßt alle ganz lieb!
- Giant Hedgehog - Giant Hedgehog (2016)
- Giant Hedgehog - Die Irrealität der Zeit (2018)
- Giant Hedgehog - Im Siel (2022)