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Interview mit VARDE (07.11.2018)
Dass Jørn Øyhus ein grandioser Gitarrist und mehr als talentierter Komponist ist, steht außer Frage. Der vielbeschäftigte Norweger hat seine überbordende Kreativität in den vergangenen Jahren in zahlreichen Bands und Projekten unter Beweis gestellt, darunter NORDJEVEL, VARDE und BYRDI. Für spontane Unterstützung alter Weggefährten scheint der zwischen Black Metal und Folk im weitesten Sinne sich bewegende Musiker ebenso parat zu stehen wie für manchen Schabernack. In den letzten Wochen ging es jedoch dermaßen drunter und drüber, dass ich den Überblick zu verlieren drohte. Kurzum bat ich den sympathischen Hansdampf um ein Update, und auch sein VARDE-Mitstreiter Koll kam dabei zu Wort.
Hi Jørn! Seit unserem Plausch über das Debut-Album von NORDJEVEL hat sich eine Menge zugetragen: Du bist weit herumgekommen und hast viele Konzerte mit den nordischen Teufeln gespielt, zudem habt Ihr das "Krigsmakt" Mini-Album aufgenommen – und nun hast Du die Band verlassen? Letztes Jahr hast Du den einst von Dir mitgegründeten BYRDI bei ihrem Auftritt auf dem Midgardsblot Festival ausgeholfen – und bist nun wieder mit an Bord? Dann hast Du vor einer Weile eine Single und eine EP mit VARDE aufgenommen, und vor ein paar Tagen hast Du auch noch das Projekt NORDEIN angekündigt... Habe ich das alles korrekt wiedergegeben? Dein musikalisches Leben scheint mit abenteuerlicher denn je...?!
Grüß dich, Thor! Es stimmt, in den vergangenen Jahren war ich ein vielbeschäftigter Musiker, der andauernd auf Tour oder am Aufnehmen war. Das hat tiefe Einblicke in die Musikindustrie sowie einiges an Lebenserfahrung mit sich gebracht. NORDJEVEL habe ich in der Tat verlassen, nachdem ich meine Beiträge für das kommende Album aufgenommen hatte. Wir haben uns musikalisch und menschlich in unterschiedliche Richtungen entwickelt, und die anderen wollen eine Richtung einschlagen, die nicht zu der Basis passt, die ich einst für die Band gelegt hatte. Ich wollte jene ursprüngliche Vision weiter zum Ausdruck bringen, doch die anderen schmiedeten eigene Pläne, von denen ich nichts wusste. Ich wünsche ihnen alles Glück der Welt damit, doch ich muss zu meinen Überzeugungen und zu meinem künstlerischen Anspruch stehen.
Mit VARDE genieße ich die Freiheit, genau das zum Ausdruck bringen zu können, was mir vorschwebt, und die Chemie in der Band lässt es zu, dass sich jeder von uns selbst verwirklichen kann.
Da ich nun mehr Zeit habe, schloss ich mich BYRDI wieder an, denn Nash Rothanburg und ich haben die Band vor einigen Jahren gemeinsam gegründet.
NORDEIN wiederum ist für mich quasi eine Spielwiese, auf die ich jeden einladen kann, mit dem ich gerne mal zusammenarbeiten möchte. Im Hinblick auf Musikstile, Instrumente und Ausdrucksweisen sehe ich das ziemlich locker.
Alles zusammengefasst, hast Du das schon richtig aufgezählt. Mein musikalisches Leben ist wirklich spannender als je zuvor!
Mit Blick auf die zahlreichen Naturphotographien, die Du in sozialen Netzwerken veröffentlichst, nehme ich an, dass Natur für Dich immer noch eine große Inspirations- und Kraftquelle ist, welche Deine Kreativität und Leidenschaft befeuert?
Natur sowie Stille und ein gewisser Grad an Zurückgezogenheit sind für mich absolut essenziell, um kreativ zu werden. Ich muss eine Distanz zu den Übeln der Gesellschaft einnehmen, und ich finde viel Inspiration an ruhigen Orten. Ich fürchte, dass es heutzutage ein Leichtes ist, komplett den Bezug zur Realität und zu dir selbst zu verlieren. Ich bemühe mich nach Kräften, meine Wurzeln nicht zu vernachlässigen und mich jenen Kräften zuzuwenden, die mir bei dem helfen, was ich mache.
In meiner Rezension der "Asgaardsreia" EP notierte ich, dass Koll in etwa so angepisst klingt, als ob ihm gerade ein Jahresvorrat an Bier gestohlen worden wäre. Es scheint, als wollte er auf gar keinen Fall mit denjenigen verwechselt werden, die Black Metal auch als "lieblich" oder gefällig misinterpretieren...
Ich glaube nicht, dass sich Musik misinterpretieren lässt, wenn wir einfach ehrlich auf sie reagieren. Wie ein einzelner Hörer interpretiert, ist doch eine völlig individuelle Angelegenheit. Allerdings schätze ich, dass du im Hinblick auf Koll schon Recht hast, denn er hat einige Hühnchen zu rupfen, und in seinen musikalischen Vorstellungen ist er sehr stark und leidenschaftlich.
Wir haben die Musik nicht in einem herkömmlichen Studio aufgenommen, und das hatte sicher einen entscheidenden Einfluss auf ihre Ausstrahlung und die Stimmungen, die wir zum Ausdruck bringen konnten. Es lässt sich ein bisschen mit unserer Herangehensweise beim ersten BYRDI-Album vergleichen. Es geht darum, die Magie des Augenblicks einzufangen, also bleibt es eine sehr spontane und lebendige Angelegenheit.
Nicht gerade viele Black-Metal-Musiker entscheiden sich, ihre neue Band mit einem 17minütigen Stück vorzustellen, doch bei Euch scheint das kaum der Rede wert. Das ist also die künstlerische Freiheit, die Ihr beansprucht, um Euch verwirklichen und herausfordern zu können?
Freiheit liegt allem zugrunde, was wir machen. Das Lied, auf welches du dich beziehst, "Asgaardsreia", basiert nun mal auf einem langen Text, der sich über mehrere Seiten erstreckt. Es war ziemlich viel Arbeit, die Musik dafür zu arrangieren, doch die Worte selbst lieferten uns viel Inspiration. Ich nehme an, dass ein 17minütiges Stück in diesem Genre eher ungewöhnlich ist, doch mein Gefühl sagt mir, dass es uns gelungen ist, genügend dynamische und spannende Elemente einzuflechten. Es lässt sich übrigens auch ganz anders betrachten: Nämlich als eine von Musik begleitete Erzählung bzw. Lesung.
Mit VARDE zollt Ihr u.a. Wongraven Tribut, und Du hast bereits früher erwähnt, welchen Eindruck dieses herausragende Album auf Dich gemacht hatte. Für mich stellt es bis heute ein Paradebeispiel für Musik als willkommene Weltflucht und zur Ankurbelung der eigenen Phantasie dar. Damit steht es für eine Qualität, die verloren zu gehen droht, und die viele mit allem möglichen Schwachsinn bombardierten Kinder erst lernen müssen. Welche Erinnerungen verbindest Du mit "Fjelltronen", und wie hat es Deine eigenen Ausflüge ins Grüne oder Blaue inspiriert?
Ich stimme dir absolut zu: Das ganze Album bzw. Stück ist eine lange Reise durch etwas tief Verwurzeltes, gleichzeitig Phantastisches und Obskures. Dieses Album wird von einem Geist durchzogen, den anderswo zu finden, noch vor mir liegt. Wir fühlten, dass "Asgaardsreien" etwas von diesem Geist benötigte. Es ging uns nicht darum, das Werk von jemand anderem zu kopieren, sondern wir wollten etwas sehr Persönliches mit Gefühlen jenseits von Worten zum Ausdruck bringen. Und ich glaube, dass es genau darum im Black Metal geht: Es ist ein Verlangen, etwas Einzigartiges und sehr Persönliches zum klingen zu bringen, zumindest gilt das für die meisten der Künstler in diesem Genre. Es geht nicht um die Neuerfindung des Rads, sondern um einige ganz wesentliche Aspekte deiner Persönlichkeit.
Inwiefern hat die Reise nach Island Euer Konzept von VARDE geschärft?
Koll und ich sind im Februar 2018 dorthin gereist, und wir haben dort einige ziemlich ungewöhnliche Orte abseits der bekannten Attraktionen und Touristen-Routen aufgesucht, um die Landschaften auf uns wirken zu lassen. An dem Konzept hat das rein gar nichts geändert, denn das bestand bereits zuvor. Selbst das Lied "Iceland", welches wir im Frühjahr veröffentlichten, hatten wir bereits lange zuvor geschrieben. Wir wollten schlicht und einfach die Atmosphäre der Landschaften aufsaugen und dem Geist dieser Orte nachspüren. Das bescherte uns fraglos viel spirituellen und kreativen Input, und wir planen, dorthin zurückzukehren, um noch mehr zu sehen.
Bereits vor 20 Jahren freuten sich bestimmte Leute darüber, dass der Nordische Black Metal früher oder später von der Bildfläche verschwinden würde, weil das Genre nichts Neues mehr zu bieten hätte – zumindest nahmen sie das an. Doch Nordischer Black Metal ist längst zu einem eigenen Stil geworden, dessen Tradition für einige – dickköpfige? – Menschen offenbar nichts von ihrer Faszinationskraft verliert. Ähnlich wie die Illustrationen und Gemälde Theodor Kittelsens umgibt auch manchen Black Metal etwas ziemlich Zeitloses. Würdest Du zustimmen, dass VARDE daher eher unabhängig von Trends und ähnlichem ist?
In den Neunzigern gab es einen starken Schub, und einige Leute entwickelten Black Metal in eine Richtung, die andere wiederum nicht akzeptierten. Ich glaube, dass diese experimentelle Phase extrem wichtig war, damit sich das Genre auf sich selbst besinnen konnte. Diese Zeitlosigkeit ist meinem Empfinden nach eine der maßgeblichen Qualitäten, welche das Genre so ästhetisch einzigartig macht. In etwa so wie die Werke von Kittelsen, oder die Schriften von Welhaven oder Wergeland. Dem direkten historischen Ausdruck liegt etwas sehr Bedeutungsvolles und immer noch Lebendiges zugrunde.
Auf "Asgaardsreia" interpretiert Ihr die Dichtung von Johan Sebastian Cammermeyer Welhaven, dessen Name einigen im Zusammenhang mit Burzums "Filosofem" begegnet sein könnte. Stimmt es, dass einige seiner Gedichte immer noch zum Grundlehrstoff an norwegischen Schulen gehören? Was fasziniert Euch an seiner Dichtung – und vielleicht auch an der "Philosophie" dahinter?
Koll: Ich würde seine Dichtung nicht als grundlegenden Schulstoff bezeichnen, doch die Ära, in welcher sie geschrieben wurde, gehört zum gängigen Lehrplan, und das beinhaltet bestimmte Formen der Dichtung. Insofern sind die Dichter jener Zeit, ihre Biographien und Beziehungen weitgehend bekannt. Unser Interesse gilt nicht einem einzigen Dichter dieser Zeit, und es ist Zufall, dass Texte von Welhaven auf beiden Seiten der kommenden Vinyl-Veröffentlichung auftauchen. Wir fühlen uns der Ära von ungefähr 1820 bis 1880 verbunden. Uns fasziniert, wie und worüber diese Dichter damals schrieben. Sie haben das kulturelle Erbe in den Blickpunkt gerückt, mitsamt den alten Geschichten und den norwegischen Landschaften in Zeiten vor den Eroberungen durch Schweden und Dänen. Es ging ihnen um die Wiedererrichtung nationaler Identität und um Stolz. Es geht um die Liebe zum Vaterland, das Interesse an und die Faszination für vergangene Zeiten, und einen leidenschaftlichen Schreibstil. Mit alter Literatur ist es wie mit guter Musik! Je länger du ihr lauscht, umso schöner klingt sie. Unser Ziel mit dem Aufgreifen dieser Texte dürfte den ursprünglichen Zielen der Autoren im 19. Jahrhundert ähneln, schätze ich: Wir wollen diese vom Staub überzogenen Schätze aus den norwegischen Bibliotheken wieder ans Licht bringen.
Was steht als nächstes bei VARDE an, und welche Ziele verfolgt Ihr in längerer Hinsicht, vor allem angesichts Deiner Erfahrungen mit NORDJEVEL?
Als nächstes nehmen wir ein Langspielalbum auf, für das wir bereits einiges an Material geschrieben haben. Die meisten Texte für das Album sind bereits ausgewählt, und so langsam gibt sich uns das Album in seiner Grundstimmung zu erkennen. Bereits früh im nächsten Jahr werden wir mit einer kompletten Band proben, und nach der Veröffentlichung des Albums werden wir uns um Konzerte kümmern. Meine Erfahrungen werden in VARDE einfließen, und wir sind uns sicher, dass diese Band eine anerkannte treibende Kraft in der norwegischen Szene wird, und zwar auch an der Live-Front.
In früheren Interviews hast Du berichtet, dass Du mit kranken Menschen sowie Menschen mit Behinderung arbeitest. Wissen einige von ihnen über Deine Musik Bescheid, oder hast Du mal erlebt, dass Deine Musik jemandem auf eine Weise geholfen hat, die über herkömmliche Therapie hinausgeht?
Ich arbeite als Therapeut im psychiatrischen Bereich und mit Abhängigkeits-Kranken. Da ich Beziehungen zu diesen Menschen aufbaue, bekommen sie auch einige ausgewählte Aspekte meines Lebens mit. Mein Wirken als Musiker ist schwerlich zu verstecken, daher wissen die meisten darüber Bescheid. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob ausgerechnet Black Metal der beste therapeutische Ansatz bei einer Psychose ist, doch ich weiß, dass einige meinen musikalischen Werdegang verfolgen. Ich bin mir nicht sicher, ob ihnen die Musik quasi direkt hilft, doch sie hilft in jedem Fall, um mit mir als Mensch in einen authentischen Kontakt zu treten. Eine gute offene Beziehung ermöglicht Vertrauen, und das wiederum hilft mir, Menschen auf einer tieferen Ebene anzusprechen. Ich denke, da kommt eins zum anderen.
Jørn, danke, dass Du Dir mal wieder die Zeit genommen hast, und viel Glück bei all Deinen Unterfangen!
Es war mir ein Vergnügen, Thor! Wir treffen uns bei nächster Gelegenheit.