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Interview mit MIASMA (14.11.2020)

MIASMA

Miasma - Pestilence - Darkness Descends. Wer diese Kombination von Bandname, Albumtitel und Opening Track liest, der vermutet nicht zu Unrecht, es könne sich bei der dazugehörigen Musik um zwischen Thrash- und Death Metal mäandernden Krach handeln - doch weit gefehlt! MIASMA aus Münster steht für kühlen, mit Tribal Percussions unterlegten Ambient / Drone, der an die silbern-bleiche Ära inspirierender Cold-Meat-Industry-Klangkünstler erinnert. Mit seinem bislang nur als Download erhältlichen Debüt-Album "Pestilence" konnte mich das Soloprojekt jedenfalls nachhaltig begeistern und so entschloss ich mich, mit dem Musiker dahinter ein Interview per Email zu führen. Selbiges erstreckte sich über einen Zeitraum, auf den viele von uns sicher einst mit Unbehagen zurückblicken werden, nicht zuletzt wegen der Verluste an Begegnungen und Konzerte - von persönlichen Einschnitten und Verlusten ganz zu schweigen.

Hallo Sagaart. Schön, dass wir uns über Dein Projekt MIASMA und das ziemlich grandiose "Pestilence" Album unterhalten können! Ein Freund hatte mich darauf hingewiesen, und gleich beim ersten Hören zog mich die Musik unwiderstehlich in ihren finsteren Bann. Unter dem Namen MIASMA ist es Deine erste Veröffentlichung, doch ich mag kaum glauben, dass Du vorher nicht auf die eine oder andere Weise bereits musikalisch aktiv warst…

Erst einmal vielen Dank für das angebotene Gespräch und vor allem für das Lob. Es freut mich sehr, wenn meine Musik Menschen etwas geben kann.
Da hast du vollkommen Recht, ich mache Musik schon seit jeher, selbst als Säugling habe ich mich schon musikalisch bespaßt, indem ich mich selbst in den Schlaf gesungen habe. Davon aber abgesehen, war ich musikalisch sehr aktiv. So habe ich in der Piratenrock/-Metal-Band Nachtaktiv an den Keys gestanden, in der Black-Metal-Band Bestialis zeitweilig Bass gespielt, mit meinem damaligen Chef zusammen eine Cover-Rock-Band gegründet und dort gesungen, Bass und Keys gespielt, und habe bis heute ein Industrial/Dark-Electro-Projekt unter dem Banner Rotten Core, mit dem ich auch schon ein Album bei Bandcamp habe, das eigentlich in voller Selbstironie entstanden ist, weil mir als Szene-DJ zu der Zeit die Welle des „Totentechnos“ tierisch auf die Nerven ging. Von anderen gruftigen Jugendsünden sprechen wir aber jetzt besser nicht. Und in Planung ist ein Projekt in Richtung Dark Folk mit dem Fokus auf Grusel- und Schauerliteratur-Thematiken, das ich leider wegen Corona etwas verschieben musste.

Oha, das klingt ja spannend bis schauerlich - "Totentechno" habe ich bisher wohl noch nie gehört. Für MIASMA musizierst Du allerdings nicht ironisch, sondern schon sehr ernst, und "Pestilence" macht auf mich den Eindruck einer sehr intensiven Arbeit, wobei Du den Lockdown für diese Vertiefung offenbar kreativ nutzen konntest…

Nein, MIASMA ist alles andere als ironisch. 2019 war für mich ein Jahr voller Enttäuschungen und Umbrüche. Dabei ist "Pestilence" gar nicht geplant gewesen, sondern das eigentliche Debütalbum "Demons, Desires and Death", dessen Tracks allesamt auch schon aufgenommen sind und an denen vorrangig nur noch kleine Schrauben gedreht werden müssen. Und natürlich muss ich es noch abmischen und mastern. Aber dann kam eben Corona und für mich als selbstständiger Lehrer, Musiker und DJ kam dann eine schwierige Zeit. Um mich abzulenken, habe ich mich an meinen Synthie gesetzt und Musik aufgenommen. Ich hatte eine Vorstellung, was ich haben will und habe es dann einfach produziert. Dazu muss man sagen, dass ich selbst auch synästhetisch veranlagt bin: Ich sehe beim Hören von Musik häufig Formen, Bilder oder ganze Filme und daraus entsteht dann die Musik. Und aus der ursprünglichen EP wurde dann doch noch eine LP, die diese schwierige Zeit 2020 musikalisch beschreibt. MIASMA ist also für mich nicht "nur" Musik, sondern auch Therapie und "Pestilence" ist für mich persönlich der Soundtrack. Daher auch eigentlich ein einziger Titel auf alle Tracks des Albums verteilt.

Wahrscheinlich klingt "Pestilence" daher auch so dicht und unheimlich dräuend, als ob Dir ein Plagegeist im Rücken oder auf der Schulter gesessen hätte. In meinem Freundeskreis gibt es einige Synästhetiker, deren Wahrnehmungen ich zwar aus ihren Erzählungen kenne, jedoch in den sinnlichen Kombinationen nicht wirklich nachvollziehen kann. Kannst Du Dir denn "Pestilence" selbst nun mit einigem Abstand "gut" anhören? Und wenn Du die Musik ohnehin in Bildern denkst, hast Du dann bereits über die Realisierung von Videos - oder besser noch: Kurzfilme - nachgedacht, denn so etwas kann ich mir wiederum sehr gut vorstellen?!

Ja, obwohl ich das Album zwecks Mixing und Mastering verdammt häufig hören und einige Dinge nachträglich verändern musste, kann ich das Album noch sehr gut hören. Und die Musik erzeugt noch immer dieselben Bilder, aber auch neue Nuancen. Das führt mich zu deiner weiteren Frage. Ich habe schon oft über Videos oder auch Filme nachgedacht. Die Bilder, die ich zu der Musik sehe, könnten auch der Feder eines bestimmten H.P. Lovecraft entstammen. Zu "...leaving the world behind with nothing but the void…" gibt es bereits ein Video. Da habe ich gemeinfreie, relativ alltägliche Videos mit Aufnahmen von Ruinen gemischt und viel mit Filtern gearbeitet. Aber eben erst einmal nur mit dem Moviemaker. Aber es gibt auch sehr gute Open Source Software, für die ich aber bessere Hardware benötigte. Also ja: Da ist so einiges geplant.
Ach ja, die "TdV Version" von "...to clean the world…" ist der Livemitschnitt der Videoaufzeichnung für das 25. Jubiläum des Tanz der Vampire (TdV), einer meiner Stamm-Grufti-Partys in Münster, die im Lockdown Livestreams gestaltet hat. Für das Jubiläum hat man befreundete Musiker gefragt, ob sie nicht ein Livevideo aufnehmen wollten. Da habe ich dann sehr gerne mitgemacht. Auch das Livevideo gibt es bei Youtube zu bestaunen.
Also, Videos bzw. Livestreaming sind an sich geplant, jedoch wäre mir eine Liveshow mit Publikum an einem mystischen Ort mit Fackeln und allerlei okkultem Tanderadei lieber. Aber dank der weltweiten Pestilenz, wird das wohl noch etwas auf sich warten lassen, auch weil ich zur Zeit mit Probenarbeit und Mitmusikern vorsichtig bin.

Als Metal-Fan muss ich beim Namen MIASMA gleich an den grandiosen gleichnamigen Song von Secrets of the Moon und ein nie veröffentlichtes Video dazu denken, doch die Idee eines Pesthauchs ist heute mal wieder sehr aktuell und bestimmt derweil unser Leben. Ist das inspirierend oder doch eher nervig, vielleicht auch ängstigend - und MIASMA deshalb in seelischer / therapeutischer Hinsicht wohl noch für längere Zeit sehr wichtig, um all das uns umgebende Chaos zu verarbeiten?

Wir leben in einer Zeit, in der es nicht nur einen Pesthauch gibt. Da ist einerseits Corona/Covid als ganz offensichtlicher Faktor, aber dieses Virus fördert schlussendlich Seiten der Gesellschaft zutage, die jedoch immer schon hinter der Fassade aus Anstand, Moral und Lächeln gesteckt hat. Dieser zweite Pesthauch ist meiner Meinung nach die weitaus größere Gefahr, denn er zersetzt unsere demokratischen Grundwerte und legt eine Wohlstandsverwahrlosung und damit einhergehend auch große Hilflosigkeit im Angesicht von Veränderung wie bspw. Verminderung von Luxus, ohne sich darüber bewusst zu sein, was Luxus überhaupt bedeutet, offen. Deshalb war, ist und wird Musik immer ein Fluchtpunkt im Leben der Menschen sein, so auch bei mir, egal ob ich rezipiere oder produziere. Es ängstigt mich aber nicht (mehr), da ich von Menschen nichts anderes mehr erwarte und meinen Frieden mit gesellschaftlicher Bigotterie geschlossen habe. Nervig ist das manchmal schon, aber gerade dann zieht man viel Energie und Inspiration für die Kunst daraus. Und ja, das Virus bestimmt zwar unser Leben auf gewisse Weise, aber wenn man gelernt hat, anpassungsfähig zu sein, dann kann man mit solchen Situationen bis zu einem gewissen Maß umgehen und ironischerweise ist der erneute Teil-Lockdown für mich nahezu gar keiner, da ich gezwungen war, nahezu komplett auf Dozenten-Tätigkeiten umzuschwenken, sodass ich nun gar keine beruflichen Einschränkungen zu verzeichnen habe, wobei mir die Anekdote um meine kleine Musikschule erlaubt sei: Anfang November durfte ich trotz Hygiene-Konzept (Desinfektion von Instrumenten, Gegenständen, Händewaschen, Abstand, Masken etc.) keinen musikalischen Einzelunterricht geben, musste aber weiterhin im völlig überfüllten ÖPNV zu mindestens 15-köpfigen Deutschkursen juckeln. Deutsch hätte ich übrigens im Einzelunterricht weiter unterrichten dürfen, sofern er der Integration dient. Verrückte Welt.
Um dieses pestilenzielle Jahr und die, die da noch kommen mögen, wirklich verarbeiten zu können, braucht es aber noch sehr viel Lebenszeit. Und ich glaube, dass das sehr vielen Leuten den Stecker gezogen hat.
Wir leben in bizarren Zeiten, die aber in dem Zuge für erneute Inspiration sorgen. Also ja, MIASMA wird weiterhin ein treuer Therapeut sein, um diesen Wahnsinn zu verarbeiten. Ich kann aber auch das Chaos um mich herum abstellen, indem ich unterwegs Musik höre. Getreu dem Motto: Musik an, Welt aus.

Genau dazu lädt MIASMA mit Soundtrack-Qualität geradezu ein, wie ich finde. Und auch wenn Name-Dropping bei Musikern nicht unbedingt beliebt ist, versuche ich es dennoch als Lob zu formulieren: Seit rund 20 Jahren hat mich kein Album so intensiv an Ulf Söderberg erinnert wie Deines, und ich erlebe Musik dieses Stils selten so packend. Gibt es "Wegbereiter" für MIASMA, die Du nennen kannst?

Danke für die Blumen! Ja, es gibt Wegbereiter. Allen voran muss man sagen, dass es im Hause bei mir schon recht früh "ge-ulft" hat. Söderberg hat es geschafft, mit seiner Musik, sei es unter seinem Klarnamen oder unter Sephiroth, meinen Nerv zu treffen. Die düsteren, von Drones durchzogenen, Klangkaskaden in Verbindung mit den martialischen Drums zogen einen in den Bann. In der örtlichen Düster-Disco hatte ein DJ immer "Wolftribes" aufgelegt und ich war jedes Mal hin und weg. Aber auch Martin Stürtzer aka Phelios hat MIASMA sehr stark geprägt. Ähnlich intensiv wie Söderberg, aber eher abgespaced. Ebenso haben mich die Projekte Desiderii Marginis, Raison d‘etre wie auch das Sideproject Svasti Ayanam, und Inner Vision Laboratory beeinflusst. Miasma selbst ist aber nicht aus dem Wunsch heraus entstanden, diesen Projekten nachzueifern, sondern es floss einfach aus mir heraus. Ich weiß nicht, ob du das kennst, aber manchmal will man Dinge tun und macht sie nicht, kommt nicht dazu, hat nicht den Antrieb etcetera, und dann auf einmal kommt es einfach.
Nun, heutzutage sind es unzählige Musikprojekte, die ich höre, allein schon wegen meiner "Spheres", einer Radiosendung für Dark Ambient, Ritual, Tribal, IDM, Downtempo und Experimental. Da forstet man viel bei Bandcamp und da habe ich schon viele fantastische Bands und Projekte gefunden. Und jeder Musiker würde lügen, wenn man nicht von extern inspiriert wird.

Na klar, bei meinem Fanzine huldige ich derweil auch ganz offen den Pionieren, die mich einst begeisterten und dazu ermutigten, selbst ein kleines Heft zu basteln. Wo Du gerade Phelios und Drone erwähnst: Erst auf einem Konzertabend vor ein paar Jahren in einer Wuppertaler Kirche mit einem Gastspiel von Morthound fiel es mir wie Schuppen von den Augen, dass "Drone" wohl etwas mit Drönen zu tun haben könnte - jedenfalls hat es mich völlig von den Socken gehauen, wie die finsteren Klänge im Kirchengewölbe zwischen den Mauern zu schweben schienen und ich das Gefühl hatte, die Musik würde durch meinen Körper durchschwingen. Ich war danach ziemlich hin und weg... Wo würdest gerne mal MIASMA laut erklingen lassen? Was wäre für Dich ein gelungener Konzertabend?

Ein gelungener Konzertabend, mhhhhh. Also da gibt es einige Orte. Eigentlich überall da, wo man spirituelle Energien finden kann. Das ist der Musik sehr zuträglich. Kirchen, Burgen, Höhlen, Wälder oder Kultstätten. Ja, ich weiß, alles etwas Klischee-belastet, aber für diese Art der Musik darf das auch sein. Und ja, es dröhnt, das muss es auch. Diese Musik darf nicht nur gehört werden, sie muss mittels Frequenzen auch gefühlt werden. Wie schrieb ein Freund von mir heute während meiner Radiosendung? "Ich steige mal auf Kopfhörer um, der Schreibtisch bewegt sich [durch die Musik] schon wieder von der Wand weg". Musik fühlt man eben nicht nur über physische Schwingungen, sondern sie ist auch eine metaphorische und metaphysische Suggestion. Daher tanzen Menschen zu Musik oder "gehen ab". Ein wichtiger Prozess in der Sozialisation und Validierung des Selbst. Live-Auftritte spielen da eine extrem wichtige Rolle, weil sie dynamisch gestaltet werden können und anders als auf Platte nicht statisch sind. Das am richtigen Ort zur richtigen Zeit ergibt nicht nur das Hören von Musik, nicht nur das Fühlen, sondern das Erfahren und Erfahrungen nimmt man sein ganzes Leben mit.

Nun, ich würde mich zweifelsohne freuen, MIASMA eines Tages bzw. eines Abends oder Nachts in einem Gemäuer oder an einem anderen Ort mit passender Akustik zu erleben. Bis dahin mag noch eine Weile vergehen, wie geht es nun also mit MIASMA weiter?

Wie geht es weiter…? Gute Frage. Ich denke, dass ich mich sehr bald an das Mastering von "Demons, Desires and Death" setzen und das "eigentliche" Debüt dann zwischen den Jahren veröffentlichen werde. Ferner werde ich mich mit Musikern, vorranging Percussionisten, in Verbindung setzen und Live-Aktivitäten planen und proben. Ich habe, je nach Aufführungsort, verschiedene Elemente wie Video- und Fotoscreenings, Illumination etcetera vor Augen. Ideen für neues Material habe ich auch, aber das muss noch etwas warten, weil ich gerade dabei bin, mir neue Recording-Technik anzuschaffen und mich dann entweder für die alte oder neue Plattform entscheiden muss und dann gibt es, sodenn man uns lässt und es noch Orte gibt, vielleicht in 2021 Miasma live und eventuell auch schon ein neues Album. Drücken wir mal die Daumen und harren der Dinge, die da kommen mögen.

Du hast vorhin Deine Radiosendung erwähnt. Bevor wir nun zum Ende kommen: Wann bist Du wo zu hören und wer sollte um Himmels Willen nicht einschalten?

Ich bin jeden Donnerstag von 21:00 Uhr – 23:00 Uhr auf www.amazing-shadow-radio.de zu hören. Die Sendung "Spheres" vereint Dark Ambient, Ritual, Tribal, IDM, Downtempo und Experimental. Vielleicht sage ich lieber, wer einschalten sollte, denn als Pädagoge soll man ja immer positiv formulieren, haha: Die Sendung ist für jeden, der keine Scheuklappen bezüglich experimenteller, aber auch elektronischer Musik hat. Die Spannweite reicht von Ambient über Getrommel, Rituellem, Psychedelischem, Etheral oder "Spacigem" bis hin zu Drone and Noise. Offene Ohren sind also immer willkommen.
Etwas bodenständiger geht es aber auch jeden ersten Mittwoch des Monats im Amazing Shadow Radio zu, denn da gibts von mir in der "Blackened Cult" allerlei extremen Metal von Black bis Doom auf die Ohren. Von beiden Sendungen gibt es aber auch Aufzeichnungen auf meinem Mixcloudprofil (https://www.mixcloud.com/DJ_Sagaart/).

Danke Dir für Deine Zeit & Glück auf!

Ich bedanke mich sehr, dass ich dir Rede und Antwort stehen durfte und wünsche dir alles Gute in dieser bizarren Zeit and keep on Drones!

Thor Joakimsson (Info)
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