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Interview mit ROSE TATTOO (18.06.2018)

ROSE TATTOO

 

ROSE TATTOO, die sich seit 1976 im Rockbusiness herumtreiben, sind bis heute einer der erfolgreichsten Hardrock Exportschlager Australiens. ANGRY ANDERSON, dessen markante Stimme das Gesicht der Band von Anfang an prägt, ist eine der wenigen Konstanten der Bandgeschichte, die, so ANDERSON, sich von „Drama zu Drama“ hangelt. Neben Gründungsmitglied Pete Wells, der 2006 seinem Krebsleiden erlag, starben auch Bassist Ian Riley, aus dessen Feder der Klassiker „Bad Boy For Love“ stammt, sowie Gitarrist MICK COX jeweils an Krebs.

ANGRY ANDERSON machte allerdings auch neben ROSE TATTOO von sich reden, sei es als Schauspieler in „Mad Max Jenseits der Donnerkuppel“, wo er an der Seite von MEL GIBSON und TINA TURNER den IRONBAR gibt, oder als Solokünstler, der es mit dem Hochzeitssong „Suddenly“ aus der Fernsehserie „Nachbarn“ bis auf Platz 3 der britischen Charts schaffte. Nebenbei kümmert sich der der Vater von vier Kindern um verschiedene Wohltätigkeitsprojekte, unter anderem um Straßenkinder, Kinder mit Down-Syndrom, tritt gegen Kinderprostitution ein und setzt sich per TV-Kampagne im australischen Fernsehen für Vorsorgeuntersuchungen zur Früherkennung von Prostatakrebs ein.


Nach langer Abstinenz sind ROSE TATTOO mit dem Re-Release ihres 2007 erstmals veröffentlichten Albums „Blood Brothers“ wieder auf Headliner-Tour in Europa unterwegs. Der Interviewtermin verzögert sich etwas und während ich vor dem Tourbus auf ANGRY warte, öffnet sich die Tür und DAI PRITCHARD, der von PETE WELLS noch selbst inthronisierte Nachfolger an der Slide-Gitarre, steht unvermittelt vor mir. Nach einem herzlichen Shake Hands habe ich die Gelegenheit, ihm ein paar kurze Fragen zu stellen.

Dai, ROSE TATTOO waren seit zehn Jahren nur sehr sporadisch zu einigen Festivals in Deutschland. Wie fühlt es sich an, als Headliner wieder hier zu sein?


DAI PRITCHARD: Ja, es ist schon eine Weile her. Wir hatten Probleme mit verschiedenen Line-Ups und brauchten auch Abstand. (Deutet auf die ZECHE) ..aber ich erinnere mich an diesen Club hier...zwar nicht übermäßig groß, aber sehr interessant, mit der Empore und den Stufen, auf denen die Leute sitzen können...

Die Show heute in der ZECHE BOCHUM ist ausverkauft. Wie schätzt du das ein?


DAI PRITCHARD: Das erfüllt mich mit Demut. Wir waren so lange nicht hier und dennoch haben uns die Fans nicht vergessen. Das macht mich stolz aber in erster Linie demütig.

Ihr habt schon ein paar Shows der Tour hinter euch. Wie beurteilst du die Resonanz?

DAI PRITCHARD: Umwerfend! Das Publikum nimmt uns so auf, als wären wir nie weg gewesen. Die singen alle Songs mit und feiern uns wie zu unseren besten Zeiten. Es ist einfach unglaublich!

Dann geht die Tür zum Tourbus auf und Tourmanager Bennie bittet mich hinein. Ich verabschiede mich noch kurz von DAI PRITCHARD, der mit Blick auf meine Kamera noch scherzt: „Aber nicht nur Fotos von Angry machen, ok?“

Drei Stufen hoch, dann nach rechts und ich nehme ANGRY gegenüber Platz, der mich mit breitem Lächeln begrüßt.

 

Hallo Angry, vielen Dank, dass du dir die Zeit für Musikreviews.de nimmst.

ANGRY ANDERSON: Es ist mir eine Freude!

Angry, ich würde gern mit etwas recht Aktuellem beginnen. Auf eurem Gig in Hamburg vor ein paar Tagen hattest du Probleme mit der Stimme. Nach dem Konzert hast du auf Facebook gepostet: „Letzte Nacht haben wir, habe ich in der Markthalle Hamburg die unglaublichste Erfahrung meiner Karriere gemacht. Ich hatte fast keine Stimme, musste aber weitermachen und mein Bestes geben, die Menge, das Publikum unsere Freunde und Fans trugen mich mit ihren Herzen, ihren Stimmen und ihrer Liebe.“ Kannst du mir von dieser Nacht etwas erzählen?

 

ANGRY ANDERSON: Ich hatte eine Atemwegsentzündung, hervorgerufen durch eine Allergie. Es war wirklich unglaublich...wir haben uns beraten und ich hab gesagt: „Ich bin total heiser und weiß nicht, ob ich die komplette Show durchhalte. Wenn nicht, müssen wir entweder das Geld für die Tickets zurückerstatten oder die Show zu einem anderen Zeitpunkt nachholen.“ Nach ein paar Songs habe ich mich dann an das Publikum gewandt und gefragt, ob wir weitermachen sollen. Die Antwort war: YEAH!!! ...die haben dann alle Songs gesungen...

Die wollten euch nicht gehen lassen...

ANGRY ANDERSON: Nein, auf keinen Fall. Ich habe die Fans gefragt, ob wir zu einem anderen Termin wiederkommen sollen, aber die Antwort war eindeutig. Es wurde dann eine fantastische Nacht, die Band war brillant und etwa zur Hälfte des Konzerts, besserte sich meine Stimme, ich hatte ja auch etwas Medizin eingenommen...aber es war eine unglaubliche Erfahrung und das ist das, was zählt, es geht um den Geist, um die Magie der Dinge, die passieren, an die wir immer geglaubt haben, wonach wir immer gelebt haben.

Weißt du, wir wissen was wir musikalisch tun und wir wissen, was alles so passieren kann. Aber ein paar wenige Ereignisse in meiner Karriere, genaugenommen waren es nur zwei oder drei, waren unglaublich und zwar aufgrund ungewöhnlicher Umstände. Aber das war die unglaublichste Erfahrung für mich, eine sehr spirituelle Erfahrung.


Wie wichtig ist die gerade angesprochene Spiritualität für dich?

ANGRY ANDERSON: Sehr wichtig. Ich bin jetzt siebzig Jahre alt. Mehr als die Hälfte meines Lebens wurde ich von einer streng gläubigen Katholikin aufgezogen. Wir lebten damals unter dem Einfluss häuslicher Gewalt, sie in erster Linie. Ich habe es erst sehr viel später, als erwachsener Mann fertiggebracht, mit ihr über diesen Missbrauch, den ich miterlebt habe, zu reden. Aus verschiedenen Gründen hatten wir beide es anfangs sehr schwer. Ich war immer fasziniert von ihrer Stärke und diese Stärke bezog sie aus ihrem Glauben, ihrer Religion, etwas, das ich nie geteilt habe. Ich war nie Teil einer Kirche oder dogmatischer Praktiken – gerade aufgrund der Erfahrung, dass sie durch ihre Religion dazu gebracht wurde, in einer Ehe zu verharren, obwohl sie eigentlich hätte gehen sollen. Aber sie war römisch-katholisch und war durch deren Gesetze gebunden.

Als ich dann älter wurde, hinterfragte ich dann mehr und mehr meine eigenen Erfahrungen, unsere Erfahrungen als menschliche Wesen und ich habe herausgefunden, so wie es meiner Meinung nach jeder herausfindet, der einen offenen Geist und ein offenes Herz hat – manche finden diese Antworten tatsächlich in den dogmatischen Praktiken verschiedener Religionen – aber eine stetig wachsende Zahl von Leuten hat - und das hat es hat immer schon gegeben - eine wirkliche spirituelle Verbindung zu etwas, das wir als „göttlich“ bezeichnen.

Es geht um die Entwicklung aller Dinge, um den natürlichen Prozess der Schöpfung des Lebens. Was die Physik anbelangt: Ist es entscheidend, wie das Ganze begann? Der Urknall und das ganze Zeug...das ist für Wissenschaftler von Bedeutung, die davon fasziniert sind. Für mich ist das nicht von Bedeutung. Meine Erfahrung ist hier (deutet auf sein Herz). Es ist mir egal warum oder wie es entstanden ist, aber ich glaube, dass es durch göttliche Inspiration entstanden ist. Und ich habe festgestellt, dass ich mit dieser göttlichen Inspiration verbunden bin, dass ich Teil dessen bin.

Lass uns über die aktuelle „Blood Brothers Tour“ reden. Elf Jahre nach der Veröffentlichung eures „Blood Brothers“ Albums gibt es das Re-Release der Scheibe bei GOLDEN ROBOT RECORDS und die Tour...

ANGRY ANDERSON: Yep – das war Teil des Deals. Teil des Deals deshalb, weil ich vor ein paar Jahren sehr beschäftigt war. Ich bin damals in die Politik gegangen und hatte mich eigentlich dazu entschlossen, nicht mehr auf Tour zu gehen, nicht einmal mit ROSE TATTOO. Weißt du, ich kann musikalisch auch andere Dinge machen...zum Beispiel mit der ANGRY ANDERSON BAND, die Band, mit der ich im letzten Jahr beim BANG YOUR HEAD Festival aufgetreten bin, das war meine Band, Dai ist auch in der Band...

Aber als ROSE TATTOO zu spielen...Mann, ich liebe die Jungs in der Band, super Jungs und super Musiker...aber das ist nicht ROSE TATTOO...

Das da ist ROSE TATTOO (deutet gen Himmel). Du musst die richtigen Leute haben mit der richtigen Einstellung. Ich muss davon überzeugt sein, dass die Jungs genau wissen, was sie tun und zwar in allen Belangen. Das ist auch der Grund, warum so viele verschiedene Leute in der Band gespielt haben oder auf einer Tour ausgeholfen haben, aber nur ein paar haben es bis hier her geschafft...

Nehmen wir zum Beispiel MICK O´SHAE, ein großartiger Schlagzeuger, toller Musiker, der ausgeholfen hat, wenn DeMARCO (etatmäßiger Schlagzeuger bei ROSE TATTOO, Anm. der Redaktion) nicht kommen konnte – dieses Mal kann DeMARCO nicht kommen, weil er im Knast sitzt – Mick spielte in der Band und hat eine ganze Tour gespielt – also schon etwas Besonderes, er war so etwas wie ein Bandmitglied, aber wenn er der Richtige gewesen wäre, wäre er auch immer noch in der Band...Aber auch Johnny „Watto“ Watson ist ein fantastischer Drummer...so wie alle in der Band – tolle Musiker.

Wie fühlt es sich an, auf der Bühne zu stehen, das alte Material zu spielen und an die Mitglieder der Band zu denken, die gestorben sind?

ANGRY ANDERSON: Das ist eine wunderbare Sache. Es hat etwas Schwieriges, aber es ist dennoch richtig. Solange es sich richtig anfühlt, ist es auch richtig, dass wir das hier machen. Ich erinnere mich daran, als PETE WELLS auf dem Sterbebett lag. Ich habe ihn gefragt, was ich denn tun soll. Er war schon weit weg - stand unter starken Medikamenten. Er fragte mich seinerseits: „Was glaubst du, was meint ihr, dass ich tun soll?“ Ich habe ihm geantwortet: „Ich glaube, dass wenn du gegangen bist, das hier beendet ist.“ Er konnte mich nicht mal mehr ansehen, weil sein Kopf steif auf dem Kissen lag und sagte nur: „F*** them! Gibt nicht auf!“ Siehst du – obwohl Pete die Band gegründet hat – es geht um die Musik. Die Musik ist größer als das Individuum. Deshalb ist die Band auch kein Image mehr. Früher war die Band sehr wohl ein Image. Und das war sehr wichtig. So war das damals – wir entsprachen diesem Image. Heute interessiert das Image nicht mehr – nur noch die Musik. Es ging immer nur um die Musik.

Ja, die Musik ist das, was bleibt. Lass uns über die hier in Europa unbekanntere Seite von dir sprechen. Ich meine dein Engagement für verschiedene Projekte wie dein Einsatz für Straßenkinder, Kinder mit Down-Syndrom, Krebsforschung und Prävention, um nur einige zu nennen. Kannst du ein bisschen davon erzählen?

ANGRY ANDERSON: Das ist das christliche Prinzip. Dort, wo die Religion meiner Mutter entgegen wirkte, empfand ich das als Zynismus. Dort aber, wo ihre Religion ihr half – denn ich war ja nicht blind – ich habe nicht nur die negativen Aspekte gesehen, sondern das gesamte Bild und die Religion gab ihr Kraft. Daher wusste ich, dass ein Teil des Ganzen gut war, denn es gab ihr Kraft, irgendwie durchzukommen. Und Jahre später hat sie dann wieder geheiratet, obwohl sie sich geschworen hatte, das nie zu tun. Sie hat einen Nachbarn geheiratet, dessen Frau ihn verlassen hatte. Er liebte meine Mutter auch wegen ihres Christentums. Er sagte zu mir: „Sie würde jedem helfen.“ Mom hat immer jedem geholfen, auch den Leuten, für die sie die Wäsche gemacht und geputzt hat. Sie sagte immer: „Das ist einer der Gründe, warum wir hier sind: Um uns um andere zu kümmern.“

Deshalb rede ich immer davon: Sich um andere zu kümmern. Als die Band sich dann 1983 auflöste habe ich die Möglichkeit bekommen, mit Ex-Häftlingen zu arbeiten, das waren Straßenkinder. Ich vesuchte ihnen zu helfen, ihr Leben wieder in den Griff zu bekommen. Darüber wurde dann eine TV-Story gedreht, ich war im Fernsehen und habe über die Kinder berichtet und gefragt, warum wir so etwas geschehen lassen. Daraufhin haben sie mir dann einen Job beim Fernsehen gegeben. Ich habe von 1985 bis 1996 beim Fernsehen gearbeitet, nein, 1998 haben wir noch ein Spezial gemacht...mein Job war es, Stories über diese Straßenkinder zu machen. So hat das alles angefangen. Seit diesem Zeitpunkt hatte ich immer mit Hilfsprojekten zu tun, immer wenn Menschen Hilfe gebraucht haben. Das Fernsehen erfüllte diesen Zweck sehr gut, denn das lief auf nationaler Ebene. Fernsehen hat eine große Macht. Damals ging es nicht nur um Entertainment. Die Show, die wir damals von 1985-1990 gemacht haben, lief mittags und hieß „Midday-Show“, wir hatten hohe Einschaltquoten, da waren Millionen von Zuschauern vor den Apparaten. Mein einziges Problem ist, dass ich nicht nein sagen kann.

Angry, kommen wir zur letzten Frage: Was erwartest du von eurem Gig hier heute Abend?

ANGRY ANDERSON: Magie! Darum geht es uns. Wir versuchen immer, Magie zu erschaffen. Das ist unsere Bestimmung. Jeder hat eine Bestimmung. Das ist ein Teil dieser spirituellen Dimension. Es gibt auch Leute, die darüber die Nase rümpfen, wen ich für die Band aussuche, weil ich weiß, dass sie hier sein sollten. Nicht jeder, den ich kenne, spielt brillant, sondern es ist etwas, das sie in sich haben. Jemand sagte mir mal: „Du könntest doch die besten Musiker Australiens haben!“ Ja, könnte ich. Aber die Jungs hier – das sind die Richtigen.

Angry, vielen Dank für dieses Gespräch.

ANGRY ANDERSON: Stefan, es war mir ein Vergnügen.

Mein Dank geht an Brooke-Lynn Promotion für die Akkreditierung.

ROSE TATTOO Zeche Bochum 15.06.2018

ROSE TATTOO Blood Brothers Review

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Tourdaten ROSE TATTOO:
19.06.2018 Neuruppin, Kulturhaus

20.06.2018 Berlin, Festsaal Kreuzberg

24.06.2018 Aschaffenburg, Colos-Saal ( Zusatzkonzert)

29.08.2018 Nürnberg, Hirsch

30.08.2018 Karlsruhe, Substage

31.08.2018 Bochum, Zeche (Zusatzkonzert)
Stefan Haarmann - Stellv. Chefredakteur (Info)
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