Partner
Services
Statistiken
Wir
Interview mit HVRT (19.09.2020)
„The Grief That Feeds The Night“ ist ein würdiger Titel für das finster-schwere Debüt-Album der Jungs von HVRT, die es bereits seit geraumer Weile gemeinsam krachen lassen, nun allerdings noch mal einen Neustart hinlegen, der sich gewaschen hat. Das sieht auch Gitarrist Christian Braunschmidt so, der im Gespräch mit uns verschiedene Facetten aktueller Herausforderungen reflektiert, die sich in den massiven Klängen seiner Band niederschlagen.
Hallo und herbstlichen Glückwunsch zu Eurem fiesen neuen Album! Ganz im Ernst: Wäre die Platte ein Mensch und käme mir abends in der Dämmerung entgegen, ich würde wohl die Straßenseite wechseln, denn es brodelt offensichtlich ganz gewaltig... was zur Hölle hat Euch bei den Aufnahmen geritten?
Also in erster Linie wollten wir sicherstellen, dass dieses Album von vorne bis hinten richtig gut wird. Wir haben ja in fast identischer Besetzung bereits zwei Alben unter dem Namen Shitshifter veröffentlicht und die finde ich bis heute auch nach wie vor super, besonders das Erste. Aber diese beiden Alben waren, verglichen mit "The Grief That Feeds The Night", viel spontaner und etwas weniger durchdacht. Wir haben uns mit dem HVRT Debüt echt viel Zeit gelassen und sind in wirklich alle Aspekte des Songwritings tief eingestiegen. Auch mit den Texten und dem Gesang haben wir uns viel mehr Zeit gelassen und haben uns damit erlaubt, auch mal neue Sachen zu versuchen.
Was hat Euch zum Namenswechsel bewogen und was habt Ihr Euch von diesem Neuanfang versprochen?
Unser Schlagzeuger Tobias hat irgendwann auf einer Probe vor den Aufnahmen mal die Frage in den Raum geworfen, ob Shitshifter noch Shitshifter sind. Als wir diese Band gegründet hatten, wohnten Stefan und Tobias zusammen in einer Zweier-WG, und ich habe bei denen bestimmt vier mal die Woche abgehangen. Irgendwann haben wir dann zusammen Musik gemacht und daraus wurde Shitshifter. Diese Band war besonders anfangs eher ein Spaß-Projekt. HVRT ist viel ernster und hat musikalisch einen ganz anderen Tiefgang. Daher dachten wir, dass der Name Shitshifter vielleicht etwas in die Irre führen könnte, und haben mit HVRT einen Namen gefunden, der einfach besser zur Musik und zu der Band passt, die wir heute sind.
Ihr habt "The Grief That Feeds The Night" live im Studio aufgenommen und nicht erst seit den letzten beiden Alben von The Brew steht fest, dass solche Aufnahmen enorm mitreißend, in Eurem Fall zudem noch massiver klingen können. Voraussetzungen dafür sind natürlich eine gut eingespielte Band und ein Produzent, der die Vorstellungen der Musiker nicht nur versteht, sondern die Band auf den Punkt hin ihre beste Leistung abliefern lässt. Wie ging das bei Euch vonstatten und habt Ihr bereits beim Aufnehmen gemerkt, dass Ihr da gerade etwas verdammt Starkes auf die Beine stellt?
Stefan und ich arbeiten jetzt schon seit über zehn Jahren mit Role aus der Tonmeisterei zusammen. Er hat die beiden Shitshifter-Alben aufgenommen und kennt uns einfach sehr gut. Im Studio ist Role quasi das fünfte Bandmitglied und steuert und durch den Aufnahmeprozess. Er weiß genau, wann wir gut spielen und wann nicht, wann wir eine Pause brauchen oder wo wir uns noch steigern können. Wir haben über die Jahre gelernt, ihm da voll und ganz zu vertrauen. Ob wir beim Aufnehmen bereits gemerkt haben, dass da etwas Besonderes entsteht, kann ich schlecht beurteilen. Ich bin im Studio immer sehr mit mir selbst beschäftigt und versuche, so gut wie möglich zu spielen. Aber ich erinnere mich, dass wir eine Menge Spaß hatten, obwohl es natürlich auch ziemlich anstrengend war, jeden Tag zehn Stunden aufzunehmen. Bei einer Albumproduktion gibt es so viele Baustellen, die es zu bedenken gibt, so dass ich jedes Mal denke: "Oh Mann, das kriegen wir niemals gebacken...". Und um so mehr staune ich dann, wenn ein Album dann doch fertig und richtig gut wird.
Euer Albumtitel weckte in mir zunächst die Vermutung, ich bekäme Katatonia-ähnliche Klänge zu hören, dann warf er jedoch die Frage auf, welche schlaflosen Nächte Ihr Euch um die Ohren geschlagen habt, um schließlich diesen die Phantasie beflügelnden Titel zu finden - oder ist es ein Tribut an At The Gates?
Die Idee zu dem Titel hatte ich ziemlich spontan als in in einer TV-Serie die Zeile "The Grief that feeds" aufschnappte. Daraus wurde dann bei mir sofort "The Grief That Feeds The Night". Ich finde den Titel super, weil er zum Einen für mich persönlich eine starke Bedeutung hat, zum Anderen aber auch für viele Menschen sehr zugänglich ist. Ich meine, jeder kennt doch diese Phasen im Leben, in denen man Nächte lang wach liegt und wegen was auch immer nicht schlafen kann oder das Gefühl hat, verrückt zu werden.
Euer Lyrics-Clip zu "Moralists" wartet mit Zeilen auf, die rein gar keine gute Laune verbreiten, sondern konstatieren, dass wir alle mehr oder weniger ignorant leben und durch die Bank versagen. Nicken die Menschen in Eurem Umfeld solche Aussagen ab nach dem Motto "da habt Ihr Recht, ist so, aber groß was ändern können wir daran auch nicht", oder bekommt Ihr auch Widerspruch zu hören, und dass Ihr Euch mal bitte nicht in dieser Negativität suhlen sollt?
Ich persönlich habe mit niemandem außerhalb der Band und der Menschen, die an dem Album mitgearbeitet hatten, über die Texte gesprochen, daher habe ich auch keinerlei Rückmeldung bekommen. Ich für meinen Teil glaube auch nicht, dass sich der Text in Negativität suhlt – ich sehe das viel mehr als eine relativ ernüchternde Bestandsaufnahme, die eigentlich keine wirkliche Message hat. Was ich aber in meinem persönlichen Umfeld durchaus erlebe, ist, dass viele Menschen mittlerweile aktiver versuchen, für sich, ihr Umfeld und auch im Bezug auf die Umwelt an einem "besseren" Leben zu arbeiten (was ja eine sehr individuelle Sache ist). Das finde ich schon mal gut. Ich würde mich eigentlich darüber freuen, wenn der Text Unrecht hat und sich vielleicht doch ein breiter Wille zur Veränderung in der Gesellschaft regt.
Covid-19 und kein Ende: Als Musiker werdet Ihr die Entwicklungen sicher mit einigem Unbehagen verfolgen. Wenn ich mir vor Augen führe, dass z.B. BMW in diesem Jahr an zwei (!) Menschen 770 Millionen Euro Dividende (von insgesamt 1,6 Milliarden) ausschüttet und sich gleichzeitig das Kurzarbeitergeld staatlich subventionieren, d.h. hauptsächlich aus unseren Steuern finanzieren lässt, dann hilft mir Musik wie die Eure, dass ich nicht spontan aus lauter Groll über so viel Ungerechtigkeit irgendwelche Dummheiten begehe. Fest steht mittlerweile, dass die Umverteilung des Geldes durch die Krise noch befeuert wird, und dass auch Musiker und Künstler in den Allerwertesten gefickt werden, während die Hilferufe der Veranstaltungsbranche bislang weitgehend ungehört verhallen. Ist das bestenfalls Inspiration für einen weiteren Hassbatzen von einem Album, oder leidet Ihr unter der - hier nur grob skizzierten - Entwicklung stärker, als Ihr vielleicht vor einem halben Jahr vermutet hättet?
Ich würde mir niemals anmaßen zu behaupten, dass wir als Band unter der Corona-Pandemie leiden. Klar, wir können nicht auftreten, proben quasi kaum und sehen uns auch sehr wenig außerhalb von Videokonferenzen. Aber "Leid" finde ich ein zu schweres Wort dafür. Menschen, die wirtschaftlich real betroffen oder die möglicherweise sogar an Covid19 erkrankt sind, können dies mit Sicherheit über sich sagen. Aber wir sind ja wirtschaftlich in keinster Weise abhängig von der Band. Klar würde ich gerne auftreten oder wenigstens proben. Aber es ist nunmal, wie es ist. Ich sehe wenig Sinn darin, mich über den Zustand zu ärgern. Das sich der Staat auch um Berufskünstler und Menschen aus der Veranstaltungsbranche kümmern muss, steht natürlich außer Frage, da muss etwas passieren.
Welche positiven Erfahrungen nehmt Ihr bisher aus 2020 mit?
Gute Frage ... und die Tatsache, dass ich nicht auf Anhieb darauf antworten kann zeigt mir, dass ich mehr darüber nachdenken sollte und mich zu sehr auf negative Erfahrungen konzentriere.
Euer Album erscheint auf Vinyl für einen ausgesprochen Fan-freundlichen Preis, während sich Euer Label nicht lumpen und sogar Promo-CDs anfertigen ließ. Ich schätze, Ihr fühlt Euch bei Holgers gar nicht mehr so kleinem Chaos ganz gut aufgehoben, oder? Könnt Ihr Euch vorstellen, dass in ein paar Jahren auch mal ein HVRT-Album in einer EMP-Sonderauflage mit nur dort erhältlicher Vinyl-Farbe und Bonus-Krimskrams veröffentlich wird?
Wir freuen uns natürlich total, bei Holger auf dem Label gelandet zu sein, allein schon wegen seiner unermüdlichen Arbeit und seiner schier grenzenlosen Motivation. Wenn irgendwann jemand Lust hat, einer Sonderauflage mit uns zu machen, kann man natürlich gerne über alles reden. Aber sowas ist mir persönlich jetzt nicht besonders wichtig, daher kann ich dazu auch gar nicht so viel sagen.
Wie in meiner Rezension angedeutet, freue ich mich auf hoffentlich bald wieder stattfindende Konzerte, und ich rechne bei Euch mit einem monumentalen Abriss - wobei ich einen gemeinsamen Konzertabend mit Absolutum und Raptvre grandios fände, sage ich mal Zaunpfahl-winkend. Welche Pläne habt Ihr in dieser Hinsicht?
Derzeit planen wir keinerlei Konzerte, weil sich ja absolut nicht absehen lässt, wann sowas wieder erlaubt wird und dann auch guten Gewissens möglich ist.
Für Euren Song "Zentrum" habt Ihr gerade ein Lyrics-Video veröffentlicht, das ausnahmsweise in dieser Form tatsächlich mal Sinn macht, da der Text die Wucht der Musik noch unterstreicht und das alles sehr unausweichlich rüberkommt. Beobachtet Ihr auch in vielen Facetten, dass die Demut krepiert?
Ja, absolut. Ich finde, dass lässt sich auf zig Ebenen beobachten. Wir leben unser Leben mit einer maßlosen Arroganz und Selbstverständlichkeit, während wir vor Griechenland knapp 14000 Menschen im Dreck verrecken lassen. Aber auch im Alltag lässt sich das meiner Meinung nach oft beobachten. Unser alltägliches Tun kritisch zu hinterfragen, scheint uns ziemlich abhanden gekommen sein.
Danke, dass Ihr Euch Zeit genommen habt, und Glück auf!
Photos: Lars Horstmann