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Interview mit Paul Ansell's Number Nine (25.08.2011)

Paul Ansell's Number Nine

PAUL ANSELL hat vor einiger Zeit ein genreübergreifendes Rockabilly-Album veröffentlicht, das wunderbar nachhaltig klingt und in einer von Trends und Vetternwirtschaft unabhängigen Medienlandschaft in die Charts käme. So gereicht es dem smarten Briten zumindest zur Ehr auf unseren Seiten.

Da bei uns kaum jemand dich kennt, könntest du uns einen kleinen Überblick verschaffen: Wie bist du zur Musik gekommen und so weiter?

Nun, meine Band und ich spielen seit 1993, als wir unser Debüt veröffentlichten, im weiteren Rockabilly- und Rock-'n'-Roll-Feld. Davor spielte ich in einer Band namens The Blue Rhythm Boys, die den Sound der uralten Platten wiederaufleben lassen wollten. NUMBER NINE sollte dann alles abdecken, was ich mir selbst gern anhöre, also verschiedene Einflüsse heranziehen, ohne auf die allzu strengen Grenzen der Rock-Szene zu achten.

Was hat dich zur Gitarre greifen lassen, und wie haben deine Mitmusiker dich im Lauf der Jahre geprägt?

Als ich zum ersten Mal Elvis und verschiedene Rockabilly-Musiker hörte, musste ich zur Gitarre greifen, was ich in erster Linie tat, um mich selbst beim Singen zu begleiten. Mit der Zeit lernte ich auch, ein bisschen Klavier zu spielen, womit ich der Musik beim Schreiben näherkam, die mir vorschwebte. Für meine Band suche ich mir stets Leute zusammen, die besser als ich sind, damit auch ich gut dastehe. Zudem halte ich es für wichtig, dass sie stilistisch nicht allzu beschränkt sind, weil man so einfacher abwechslungsreiche Musik komponieren kann. Das habe ich schon mit Sam Phillips von Sun Records so gehalten. Mein Geschmack veränderte sich über die Jahre, weil ich mir so viel unterschiedliches Zeug anhöre, während ich mich meinen Wurzeln weiterhin tief verbunden fühle.

Wie kommt es, dass du trotz deiner beeindruckenden Laufbahn in Deutschland noch ein weitgehend unbeschriebenes Blatt bist?

Gute Frage, auf die ich keine Antwort weiß … Zumindest für das breite Publikum trifft es zu, aber in der Rock- und Rockabilly-Szene kennen mich eine Menge Leute, auch und gerade in Deutschland. Wahrscheinlich handelt es sich um eine verschworene Gemeinschaft, doch die hat meine Musik dafür umso inniger ins Herz geschlossen. Typen wie Frauen sind bei euch Neuem gegenüber sehr offen und empfänglich für das Feeling, das ich mit meiner Musik vermitteln will.

Kann man denn tatsächlich von einer Rockabilly-Szene in unserem Land sprechen?

Ach, ich denke einfach, man muss mein Zeug nur hören, um damit warmzuwerden, denn im Grunde genommen geht es um Musik aus Leidenschaft, mit reichlich Gefühl und Melodien. Ich berufe mich auf den Sound, ohne den wir heute nicht hier wären. Zeitgenössischer Rock, Blues, Soul und was nicht alles gehen darauf zurück, und auch die Deutschen, denke ich, springen ernsthaft darauf an, also nicht nur, weil es ein Trend sein könnte, sondern wegen der Zeitlosigkeit dieses klassischen Zeugs.

Du hast es geschafft, mit Rock-'n'-Roll-Legende Scotty Moore zu arbeiten. Wie kam es dazu, und was hast du draus für deine eigene Musik gelernt?

Mein Bekannter Pete Pritchard gab Scotty, der einen Sänger für seine England-Tournee suchte, eine meiner CDs. Er wollte keinen Elvis-Imitator und fragte mich, ob ich Lust dazu hätte. Wie hätte ich die Chance, mit meinem Lieblingsgitarristen zu zocken, ausschlagen können? Damit wurde ein Traum wahr, und ich hab verflucht viel von ihm gelernt - vor allem, was für ein brillanter Zuhörer er ist. Er hat ein fabelhaftes Ohr für Musik, womit sich auch erklärt, warum seine eigene so gut ist. Außerdem spielt er überaus gefühlvoll: Es sieht auf der Bühne so einfach aus - aber was für ein Sound, den er sich aus den Fingern zieht! Allmählich begriff ich auch, wie ich meinen Gesang auf ihn einpendeln konnte: Ich musste genau an den gleichen Stellen einatmen wie Elvis auf den Scheiben, um ihm gerecht zu werden, und wenn man die Schoten nicht gerade jeden Tag auflegt, ist es überhaupt nicht leicht, die Einsätze so auf die Kette zu kriegen. Diese Erfahrung kam meinen eigenen Stücken im Nachhinein zugute.

Siehst du generell ein Revival für alle Arten klassischer Rockmusik?

Jawohl, und das liegt vornehmlich an der Jugend, die scheinbar nach Frische sucht, echten Instrumenten. Rock 'n' Roll kommt im großen Stil zurück, genauso wie die dazugehörende Optik, Kleider, Frisuren und all das. Am Ende wird diese Generation sich gegen die Handvoll verschworener Plattenpäpste durchsetzen, die ihnen Gülle eintrichtern wollen.

Kannst du dich mit Weiterdenkern identifizieren, etwa die Horror-Punk-Szene oder Bands wie Volbeat, die Elvis und Cash mit Heavy-Metal-Elementen verbinden?

Voll und ganz, weil ich seit Jahren ähnlich vorgehe: Gute Musik welcher Art auch immer ist schlicht eine Mischung aus verschiedenen Stilen.

Hältst du dich für einen Nachlassverwalter, oder bist du ein betont moderner Künstler mit aktuellem Sound, der nur zufällig von mutmaßlich altmodischer Musik zehrt?

Ich schätze, irgendetwas dazwischen.

Was bewegt dich dazu, Texte zu verfassen? Sind sie eher zweitrangig, um die Lücken mit den üblichen Themen zu füllen, oder schürfst du tiefer? Ich denke speziell an "Train of Love", "Red Light" und "Catch A Rat" von der neuen Scheibe.

Nun, im Fall dieser drei Songs, kann ich nur für "Train of Love" sprechen, weil die anderen Texte nicht auf meinem Mist gewachsen sind, und wenn es ein Thema gibt, über das ich mich ohne nachzudenken auslassen kann, dann wohl das älteste schlechthin: Liebe. Dennoch geht mir mehr durch den Schädel, das ich, so es funktioniert, ohne mit der Wimper zu zucken in den Lyrics verbraten würde. Der Titelsong des Albums dient dazu als treffendes Beispiel.

Wie erklärst du dir als Brite, dass eindeutig in den USA geprägte Musikstile auch in Europa einen anhaltenden Reiz versprühen? Immerhin stellen Blues, Country und dergleichen folkloristische und provinzielle Bezüge her, die sich uns nicht eben emotional erschließen.

Das ist wohl auch nicht erst set gestern so: Schon immer lechzte man hier danach, amerikanische Kunstformen zu hören beziehungsweise zu sehen und sogar umzudeuten, was auch für diese Genres gilt, von denen du sprichst, Jazz nicht zu vergessen. Großbritannien war wohl mithin der erste Fleck in Europa, der das Zeug von der anderen Seite des Atlantik aufschnappte, weil es sich politisch und sprachlich schlicht anbot. Hier adaptierte man deren Musik und machte etwas Eigenes daraus. Denk nur an Billy Fury, Cliff Richard und in den Sixties natürlich Beatles, Stones und Animals. Alle waren verrückt auf amerikanische Mucke. Zunächst, schätze ich mussten die Deutschen sich noch vom Trauma der Weltkriege erholen, weshalb Musik in den frühen Tagen noch eher einen Luxus darstellte, während eure Jugend heute das entsprechende Geld hat und relativ abgesichert ist, sodass sie sich alledem stärker denn je widmen kann. Klar, das Internet trägt seinen Teil dazu bei. Warum aber dieser Zuspruch? Na ja, da muss ich nicht großartig nachdenken: Amerika war von den Zwanzigern an bis in die Siebziger ein riesiger Kulturkessel, in dem auch Deutsche, Iren, natürlich Afrikaner und auch Franzosen zusammenkamen. Das geschah natürlich nicht bewusst, doch in der dabei entstandenen Musik spiegeln wir alle uns letztlich wider. Hör dir die Bassstimmen in deutscher Volksmusik an; oft fußt sie auf dem gleichen Zweiertakt wie Country-Songs, und spielt man eine europäische Melodie darüber oder eine Blues-Skala, hat man Rockabilly. Alles ist eins.

Schönes Schlusswort, besten Dank! 

Andreas Schiffmann (Info)
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