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Interview mit Blackfinger (27.10.2017)
Man lauscht Eric Wagner auch dann gerne, wenn er nicht hinter einem Mikrofon steht, sondern mit eigentlich sehr britischem Understatement seine gesammelte Lebensweisheit zum Besten gibt. Die ehemalige TROUBLE-Stimme ist aber nie woanders zu Hause gewesen als in Chicago, was BLACKFINGERs Umzug nach Pittsburgh umso verwunderlicher macht. Allerdings hat der Sänger dies der Liebe wegen getan, und auch wenn man das dem lakonischen zweiten Album der Band nicht anhört, ist „When Colors Fade Away“ ein Stück Musik, das unbedingt intensiv gehört werden möchte.
Eric, ich nehme an, deiner Heimatstadt den Rücken zu kehren hatte persönliche Gründe, oder?
Ja, ich habe eine Frau kennengelernt, mit der ich jetzt gemeinsam in Pittsburgh lebe.
Dort hast du gleich mit dem PENANCE- und DREAM-DEATH-Gitarrist Terry Weston angebandelt; wie kam es dazu?
Als ich hier aufschlug, hatte ich eigentlich nicht vor, ein weiteres BLACKFINGER-Album zu machen. Unser Drummer Dave, der seinerzeit bei TROUBLE spielte, als wir mit „Plastic Green Head“ auf Tournee gingen, überredete mich dazu, mit der Band weiterzumachen. Als wir Mitmusiker suchten, stießen wir zunächst auf einen anderen Gitarristen, der es ungefähr ein Jahr lang mit uns aushielt. Terry wurde uns von seinem PENANCE-Kumpel Matt Tuite vorgeschlagen, der schon vorher bei uns eingestiegen war, gehört jetzt bereits länger zu uns und ist eine Bereicherung in allen Belangen.
Beschäftigst du dich mit der Szene in Pittsburgh, falls es so etwas dort gibt?
Ach nein, da bin ich raus; ich kümmre mich nur um meine eigene Musik.
Das Cover von „When Colors Fade Away“ lässt keine genauen Schlüsse auf den Titel und Inhalt der Platte zu.
Den Titel hatte ich schon kurz nach der Fertigstellung unseres Debüts. Der Fotograf Matt Bluejay, der auf dem 2016er Maryland Doom Fest Bilder von uns machte, beeindruckte mich mit seinen anderen Arbeiten, wobei ich dieses Motiv fand, das den Innenraum einer alten Begräbniskirche zeigt. Ich dachte, es würde gut zu dem Namen passen, den ich der Scheibe geben wollte, und zu den Themen, die ich in den Songs behandle. Die Gestaltung ergab sich also zufällig.
Bezüglich der Themen: Harsche Selbstkritik zieht sich durch alle neuen Songs.
So bin ich seit jeher drauf, ich kann nicht anders (lacht). Vermutlich springe ich strenger mit mir selbst um als mit anderen Menschen. Ich wollte immer perfekt in allem sein, was ich tue, obwohl ich weiß, dass das unmöglich ist. Wenn ich mich anstrenge, schaffe ich es wenigstens gerade so, mich selbst zufriedenzustellen, aber das ist gewiss nicht einfach. Dieser Wesenszug wurde mir mit in die Wiege gelegt, daran lässt sich wohl nichts ändern. Zumindest kann ich heute damit leben.
Wie weit möchtest du dich deinem Publikum gegenüber öffnen, ohne zu viel von dir preiszugeben?
Da ich nie andere Texte als solche geschrieben habe, bin ich es gewohnt, die Hosen herunterzulassen. Mit der Zeit und dem Älterwerden sind meine Texte zusehends persönlicher geworden, weil ich schlicht gerne in mich gehe und Selbstbetrachtung für wichtig halte. Es handelt sich bloß um Gedanken darüber, wie ich mich fühle und die Welt um mich herum wahrnehme. Die aktuellen Texte sind eben das, was mir 2017 durch den Kopf geht, doch ich versuche nie, mich beim Schreiben in eine bestimmte Richtung zu drängen. Folglich weiß ich dabei nie, was daraus wird, bis ein Text fertig ist, und begreife die Bedeutung dahinter manchmal sogar erst im Nachhinein.
Songwriting ist also ein Mittel, mit dem du dich selbst zu verstehen versuchst.
In meiner Kindheit durfte ich meine Gefühle nicht ausdrücken, zumal sie für mein Umfeld sowieso keine Rolle spielten. Irgendwann, nachdem ich mir meine ersten Sporen als Musiker verdient hatte und begann, eigene Songs in Bands zu schreiben, fand ich dadurch ein Ventil, um alles Angestaute herauszulassen. Man kann so etwas nicht ewig unterdrücken, und darum wird man regelmäßig Musik von mir zu hören bekommen; nach einiger Zeit hat sich eben manches angesammelt, was ich mir von der Seele singen muss.
Ein Song wie ‚My Old Soul‘ zeugt von einem Gefühl der Entfremdung.
Das habe ich ständig. In der Regel lernt man ja aus den eigenen Fehlern, aber was auf der Welt geschieht, ist mir oft schleierhaft. Viele Entwicklungen in letzter Zeit ergeben in meinen Augen einfach keinen Sinn, ob im sozialen oder politischen Bereich. Mit abstrakten Begebenheiten tue ich mich schwer, da ist mir der Mensch an sich mit all seinen Eigenarten lieber. Was auf der Weltbühne so getrieben wird, kommt mir meistens dumm vor, weil ich glaube, dass sich Probleme im Grunde auf sehr simple Weise lösen lassen. Mag sein, dass ich mich damit in mancher Hinsicht irre, weil partout niemand meinen Weg wählen will (lacht).
Schöpfst du dabei Kraft aus spirituellem Glauben oder etablierter Religion?
Letzteres auf keinen Fall. Ich wurde katholisch erzogen, habe das aber alles hinter mir gelassen, weil es auch nur von Menschen geschaffen wurde. Für mich besteht ein Unterschied zwischen dem Göttlichen und unseren Religionen. Diese predigen Furcht, und das ist meines Erachtens das Gegenteil von Liebe. Religion beruht auf Furcht und Druckmitteln: „Besuch sonntags den Gottesdienst, oder du kommst in die Hölle“, und so weiter. Unterdessen erhältst du keine Hilfe, wenn es dir dreckig geht, und die katholische Kirche beispielsweise ist ein einziges großes Theater, eine Farce. Als kleiner Junge hatte ich Riesenangst vorm Beichten, darüber bin ich nie hinweggekommen.
Wenn man deine Texte liest, kann man erahnen, von wem sie stammen, ohne es vorher zu wissen, weil bestimmte Metaphern, Wendungen und Farben über die Jahre hinweg immer wieder auftauchen.
Da lässt sich durchaus eine Entwicklung nachvollziehen. Die neuen Stücken bauen inhaltlich auf jenen unseres Debüts auf. Zunächst richtete ich die Texte nicht bewusst auf Farben aus, dachte aber nach einiger Zeit, das sei eine coole Idee. Sie stehen symbolisch für Geisteszustände oder Emotionen, führ innere Ruhe und Frieden, für Hoffnung und Liebe. Als das erste Album fertig war, stellte ich mir die Frage, was geschähe, wenn es keine Farben mehr geben würde, und daraus ergab sich der Titel dieser Platte. Ich habe eben einen bestimmten Schreibstil, und dass man ihn erkennt, ist doch nicht schlecht, oder?
Wenn Menschen ihre Hoffnung verlieren, wenden sie sich häufig Gott zu.
Das liegt wohl daran, dass Hoffnung die eine Sache ist, ohne die wir nicht leben können. Darum verwende ich den Begriff auch so häufig; ich glaube, unsere Bestimmung auf Erden besteht darin, einander zu lieben, was uns aber bis heute nicht sonderlich gut gelingt.
Macht es dir etwas aus, dass man dich wegen solcher Äußerungen schon mehrmals als weltfremden Hippie abgestempelt hat?
Meine Jugend viel mehr oder weniger genau in die Hochzeit der Hippie-Kultur. Wenn du mich fragst, wurde zwischen 1965 und 72 auch die beste Musik überhaupt geschaffen. Jedenfalls konnte ich der Sehnsucht der Hippies nach Frieden und ihrer Zuversicht hinsichtlich der Zukunft eine Menge abgewinnen. Am Ende war es nur ein schöner Traum, weil anscheinend jemand da draußen nicht will, dass die Menschheit als Ganzes glücklich ist. Das sind die Leute, die den Großteil des Geldes auf dem Planeten horten.
In ‚Can I Get A Witness‘ beschäftigst du dich mit Schuldgefühlen; wohin wendest du dich damit als selbstverantwortlicher Mensch, der sie nicht auf Gott abwälzen kann?
Mit der Zeit habe ich mir so einiges vergeben, wohingegen ich über anderes nicht hinwegkomme. Ich blicke mit diesem Stück auf das erste BLACKFINGER-Album zurück und gelange zu dem Schluss, dass Songtexte ein Eigenleben entwickeln, sobald man sie loslässt. Jetzt erkenne ich mehrere mögliche Bedeutungen in ein und demselben Lied, obwohl ich es nie darauf angelegt habe. Es kommt auch immer auf die eigene Befindlichkeit an, ob man bedrückt ist oder fröhlich; je nachdem lässt sich Musik interpretieren, und demzufolge sollte man die Bitte um einen Zeugen genauso wenig wörtlich verstehen wie die Behauptung in den Lyrics, ich sei bereits tot (lacht). Mitunter habe ich das Gefühl, dieser oder jener Texte sei gar nicht auf meinem eigenen Mist gewachsen. Letzten Endes sind wir Menschen alle miteinander verbunden, also ergeben sie sich vielleicht aus dem kollektiven Unterbewusstsein.
Das habe ich schon von mehreren Musikern gehört: Zugriff auf Archetypen, die uns allen gemein sind, um kreativ sein zu können.
Mein größtes Problem besteht darin, dass ich mich beim Schreiben emotional zu stark mitreißen lasse. Ich schließe alle Fenster, dunkle die Zimmer ab und setze mich grübelnd hin. Wenn ich mich nicht irre, verbrachte ich insgesamt ein Jahr mit den Texten, während ich wiederholt mit The Skull auf Tournee war. Ansonsten sperrte ich mich zu Hause ein und brütete über meinen Gedanken. Die Realität ist hartes Brot, und jedes Mal, wenn ich die Fenster wieder öffnete, hatte sich die Welt abermals verändert, aber nicht zum Besseren. Darum komme ich mir oft wie ein Einsiedler vor, der nicht hierher gehört. Früher habe ich mich auf Partys zerstreut, doch das kommt heute nicht mehr infrage.
Interessant: Dein Eskapismus fördert Texte zutage, mit denen sich im wirklichen Leben praktisch jeder identifizieren kann.
Ich weiß auch nicht … Nach Konzerten kommen hin und wieder Fans zu mir, die erzählen, wie sehr ihnen ein bestimmter Song über persönliche Schwierigkeiten hinweggeholfen hat. Ich bin doch nur ein Typ aus der Chicagoer Vorstadt, kann aber anscheinend zum Ausdruck bringen, was manche Leute tief in ihrem Inneren spüren.
Eigentlich ist es doch ganz einfach, und alle Menschen haben die gleichen Bedürfnisse – Selbstentfaltung, in Ruhe gelassen werden und dergleichen mehr.
Ja, aber so wie es aussieht, kapieren das nur wenige, weil sie nicht in sich hineinhorchen. Das Wichtigste im Leben ist die Erlaubnis, sich selbst treu zu bleiben. Wenn du dich verstellst, geht das nicht lange gut, und du bist dauerhaft unzufrieden. Erst wenn man mit sich selbst im Reinen ist, kann man auf andere eingehen, ihnen helfen und Liebe entgegenbringen. Wahrscheinlich ist das zu offensichtlich, um es zu erkennen, ganz davon abgesehen, dass immer noch viele Menschen auf der Erde von ihren Regierungen unterdrückt werden. Ich betrachte unser Dasein hier nur als Übergangsphase; es ist wohl fast so, als müssten wir auf einen Schulabschluss hinarbeiten, auf den aber nichts Besseres folgt, denn das wäre sehr christlich gedacht; alles wiederholt sich, glaube ich, und wir kehren alle dorthin zurück, woher wir kommen. Alles Schöne auf der Welt soll uns daran erinnern, dass mehr hinter dem steckt, was wir mit dem bloßen Auge wahrnehmen.
Um wieder auf den Boden der Tatsachen zurückzukehren: Lange Touren kommen für BLACKFINGER nicht infrage, richtig?
Nein, aber ein paar Shows und Festivalauftritte sind machbar. Ein Teil der Bandmitglieder hat eine Familie zu ernähren, und wir sind sowieso zu alt, um noch mit einem Kleinbus durch die Staaten zu tingeln, zumal ja sowieso niemand mehr Konzerte besucht, so wie es aussieht. Übrigens liegen hier wieder genügend Ideen für unser nächstes Album herum, aber momentan hat die zweite THE-SKULL-Scheibe Vorrang. Ich erwarte nicht, noch Geld mit meiner Musik zu verdienen, und bin auch keineswegs darauf angewiesen; ich mache das, um meinem Seelenfrieden ein Stück näher zu kommen.
- Blackfinger - Blackfinger (2014)
- Blackfinger - When Colors Fade Away (2017)