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Stage Secrets Festival 2012 - Oberhausen, Kulttempel - 03.11.2012
Hat da jemand eine kleine Marktlücke entdeckt? In Zeiten, in denen selbst namhafte Bands bei ihren Konzerten oft weniger als 100 Zuschauer ziehen, erscheint es fast wie eine kleine Sensation, dass das Stage Secrets Festival 2012 ziemlich genau 611 Zuschauer in den Kulttempel in Oberhausen lockt. Denn auch wenn NOCTE OBDUCTA als Headliner zweifellos eine Größe in der deutschen Black-Metal-Szene sind, so ist es doch wohl eher das Gesamtkonzept, das hier voll aufgeht. Das Billing des Festivals besteht ausschließlich aus deutschen Bands, die allesamt im erweiterten Umfeld des Black Metals agieren, die Palette reicht dabei von Postrock bis hin zu krankem Depressive Suicidal Black Metal. Die Gemeinsamkeit der Bands besteht vor allem darin, dass Atmosphäre und Stimmung groß geschrieben werden, simples Geholze ist an diesem langen Tag eher die Ausnahme.
Der Kulttempel, einigen vielleicht noch als das Saint bekannt, ist eine hübsche Location, die im Inneren mit kirchenähnlicher Dekoration einen stimmungsvollen Rahmen bietet. In der Nähe von Turbinenhalle und Centro gelegen, ist die Anbindung an den ÖPNV gut – sicherlich auch ein Grund dafür, dass an diesem Samstag so viele Leute gekommen sind. Doch es sind nicht nur Gäste aus dem Ruhrgebiet, immer wieder hört man, dass die Leute von weit her angereist sind, um sich dieses Festival nicht entgehen zu lassen. Norddeutschland, Ostdeutschland, Süddeutschland – wenn man sich umhört und mit den Leuten spricht, hört man verschiedenste Dialekte.
Die Macher des Festivals sind seit Frühjahr 2011 in Sachen Live-Events tätig und stellen regelmäßig interessante Konzerte aus dem modernen Extrem-Metal-Bereich auf die Beine. Eine gewisse Erfahrung ist also vorhanden, insofern überrascht es, dass man bei Stage Secrets Festival kein sonderlich gutes Händchen bei der Auswahl der Tontechniker hat. Zwar haben die meisten Bands einen zumindest passablen Sound, doch oft dauert es eine kleine Ewigkeit, bis man dorthin gekommen ist. Vor allem die Umbaupause vor NOCTE OBDUCTA zieht sich scheinbar endlos und stellt die Besucher auf eine Geduldsprobe. Defekte Mikrofone und Kabel, Monitorboxen, die keinen Mucks von sich geben, Probleme mit der Einstellung der Monitore – alles keine Riesenprobleme, die aber leider nicht schnell gelöst werden können. Ein weiterer Kritikpunkt ist bei der Beleuchtung der Bühne zu sehen. Zwar mag es der Atmosphäre förderlich sein, wenn möglichst wenig Licht die Bühne erhellt, doch bei den meisten Bands war es so wenig Licht, dass man ohne High-End-Equipment kaum in der Lage war, ohne Blitzlicht vernünftige Fotos zu machen – was man an den Bildern in diesem Bericht sehen dürfte. Und Bilder, die mit Blitz geschossen werden, sind einfach zu leblos.
Kritik gibt es auch für das Konzept mit den Verzehrkarten, wobei die Regelung für die meisten Leute kein Problem sein sollte. Der Mindestverzehr beträgt pro Karte drei Euro, das heißt, man muss zum Verlassen der Halle entweder mehr auf der Karte haben oder eben diese drei Euro zahlen. Bei humanen Preisen von zwei Euro für ein Bier oder ein anderes Getränk muss man also zweimal etwas bestellen, wenn man nicht nur fürs Rausgehen bezahlen will. Kann man kritisieren, muss man aber nicht. Da jedoch das Rauchen in der Halle nicht verboten und es schon früh sehr voll ist, steigt der Frischluftbedarf bei einigen Gästen schnell an.
Um Punkt 16 Uhr fällt der Startschuss für einen langen Konzertabend mit der Münchener Band WALDGEFLÜSTER und vor der Bühne ist es jetzt schon erstaunlich voll. Wer bei dem Bandnamen folkloristisches Geschunkel erwartet, wird getäuscht. Die Band um Sänger Winterherz spielt atmosphärischen, melodischen Black Metal der zumeist im Midtempo dargeboten wird. Die Songs haben gerne mal Überlänge, so dass in den 40 Minuten Spielzeit gerade mal fünf Nummern gespielt werden, darunter „Seenland“ und „Fichtenhain“ vom aktuellen Longplayer "Femundsmarka - Eine Reise in drei Kapiteln“ sowie „Wotan sang“ vom „Herbstklagen“-Debüt. Winterherz hat eine gute Bühnenpräsenz und bietet seine Songs mit Leidenschaft und nicht zu derbem Gekreisch dar und entledigt sich zum Ende des Sets seines Shirts. Die Band steht ein bisschen im Hintergrund, erledigt ihre Aufgabe aber souverän. Das Publikum ist angetan von der Darbietung und spendet deutlich mehr als nur Höflichkeitsapplaus. Zahlreiche Matten fliegen schon jetzt und dass die Band prima ankommt zeigt auch die Tatsache, dass man hinterher zahlreiche WALDGEFLÜSTER-Shirts im Publikum sieht.
Als nächstes steht mit WASSERMANNS FIEBERTRAUM eine Band auf dem Plan, die den wenigsten bekannt sein dürfte. Der Bandname lässt Texte zum Fremdschämen befürchten, doch die Angst ist unbegründet – es gibt nämlich gar keine Texte. Die deutsch-österreichische Band spielt komplett instrumentale Musik, die mit Black Metal so gut wie nichts zu tun hat, sondern viel mehr dem Postrock zuzuordnen ist. Der Vortrag des Ganzen überzeugt jedoch auf ganzer Linie. Sicherlich ist es ein Wagnis, eine solche Band auf einem solchen Festival spielen zu lassen, doch das Experiment muss man klar als geglückt bezeichnen. Mit viel Enthusiasmus und Spielfreude präsentiert das Quartett neun Songs, die mit wirklich schönen Melodien ausgestattet sind und nicht dahinplätschern, sondern viel Drive und Schmiss haben. Damit das Ganze auch optisch Reiz bekommt, hat man ein großes weißes Tuch als Backdrop aufgehängt, auf das stimmungsvolle Videos projiziert werden. Zwar wirkt der Auftritt auf Dauer leicht eintönig, da die Melodien eine gewisse Beliebigkeit innehaben, doch im Endeffekt haben WASSERMANNS FIEBERTRAUM eine ansprechende Visitenkarte abgegeben.
Vor dem Auftritt von THRÄNENKIND beginnen dann die technischen Probleme und der Linecheck wird in die Länge gezogen. Ohne wirklichen Erfolg jedoch, denn die Band hat anfangs massiv mit Technikproblemen zu kämpfen, was die Stimmung merklich drückt. An der Front steht mit Sänger Nils Groth der Schlagzeuger von FÄULNIS, die auch noch ihren Auftritt haben werden. Musikalischer Kopf ist Gitarrist Nathanael, der ansonsten auch bei AGRYPNIE und HERETOIR mit von der Partie ist. Und wo wir gerade bei AGRYPNIE sind: deren Sänger Torsten ist bekanntlich auch Frontmann von NOCTE OBDUCTA und kommt direkt im ersten Song von THRÄNENKIND zur gesanglichen Unterstützung mit auf die Bühne. Retten kann er den Auftritt jedoch nicht. Der melodisch-melancholische Sound der Band kann hier und heute nämlich nicht wirklich überzeugen und wirkt über weite Strecken langatmig und letztlich auch ein bisschen belanglos. Zwar ist das Publikum auch von diesem Auftritt angetan – man mag es auf die preiswerten Alkoholpreise schieben – doch insgesamt können THRÄNENKIOND von allen Bands am wenigsten überzeugen.
Ganz im Gegensatz zu FÄULNIS. Die zocken eine punkig-rockige Variante von suizidalem Black Metal und haben den wohl auffälligsten Frontmann des Tages in ihren Reihen. Seuche nennt der Knabe sich und besticht zunächst durch seine Optik: kurze Haare, Oberlippenbart und ein weißes Wifebeater-Unterhemd, das seine vernarbten Oberarme besonders gut zur Geltung bringt. Sieht schön asozial aus und auch mit seiner gesamte Gestik und Mimik stellt er den durchgeknallten Irren mehr als überzeugend dar. Offensichtlich haben FÄULNIS auch eine entsprechende Anhängerschar – selten hat man so viele Leute mit geritzten und vernarbten Armen in den ersten Reihen eines Konzerts gesehen. Und die Zerschnittenen bejubeln den Auftritt frenetisch und singen die Songs begeistert mit. Man kann natürlich geteilter Meinung darüber sein, wie sinnvoll es ist, selbstverletzendes Verhalten und die damit einhergehende psychische Störung so demonstrativ zur Schau zu stellen (Stichwort Nachahmer), aber in gewisser Weise macht das auch stark den Reiz dieser Band aus. Seuche schreit, brüllt, gröhlt und leidet sich mit Inbrunst durch die eingängigen, wirklich gut rockenden Songs seiner tight aufspielenden Band und pöbelt Leute an, die NSBM angeblich nur wegen der Musik hören. Im kurzweiligen Set ragen vor allem die Songs „30. Juli, bewölkt“, „Gespien“ und „Landgang“ heraus und so kontrovers es auch sein mag, ist der Auftritt von FÄULNIS komplett stimmig und deshalb bei aller Geschmackssache ein Tageshighlight.
Nach diesem Übermaß an Ausstrahlung wirken LANTLÔS dagegen völlig blass. Kurzhaarig und in Straßenklamotten sehen die vier Herren aus wie langweilige Alternative-Musiker – von Rocker will man hier nun wirklich nicht sprechen. Am auffälligsten sind da noch die dunklen Ringe, die der musikalische Kopf Herbst, der heute auch am Mikro steht (und dort ständig Stromstöße kassiert, das aber tapfer ignoriert) zur Schau trägt. Auf den Platten singt bekanntlich ALCEST-Frontmann Neige, der jedoch nicht mit der Band live spielen wird. Kann man schade finden, muss man aber nicht, zumal Herbst auch als Sänger eine gute Figur macht und seine eigenen Songs vielleicht sogar noch etwas inniger präsentieren kann, als ein „fremder“ Sänger. Lassen wir mal die Optik der Band außen vor und konzentrieren wir uns ganz auf die Musik, so muss man LANTLÔS allerdings einen wirklich starken Auftritt bescheinigen. Der extrem atmosphärische, dabei kalte und mit Jazz-Versatzstücken alles andere als leicht konsumierbare Post Black Metal wird spielerisch absolut überzeugend dargeboten und wird vom geschmackssicheren Teil des Publikums begeistert aufgenommen. Sechs Stücke werden geboten, drei vom aktuellen Album „Agape“ („Intrauterin“, „Bliss“ und „Eribo – I Collect The Stars“), zwei vom Vorgänger „.neon“ („Coma“ und „Minusmensch“) sowie ein brandneues Stück mit dem Titel „Melting Sun“. Dafür, dass es erst der zweite Auftritt von LANTLÔS ist, machen sie ihre Sache verdammt gut, so dass sich das Manko der nicht vorhandenen Ausstrahlung problemlos verschmerzen lässt.
Nachdem sich wohl so manch ein Zuschauer während des Auftritts von LANTLÔS in einer der beiden nahegelegenen Burgerschmieden ein Abendessen genehmigt hat, wird es zum Auftritt des Headliners wieder deutlich voller im Kulttempel. Doch bevor NOCTE OBDUCTA endlich loslegen können, wird die Geduld der Zuschauer durch die erwähnten technischen Schwierigkeiten arg auf die Probe gestellt. Zwar ist die Band recht früh startklar und steht versammelt auf der Bühne, bis es aber tatsächlich losgehen kann, vergeht noch eine halbe Ewigkeit. Sänger Torsten versucht, die Leute mit Sprüchen bei Laune zu halten, die Band stimmt zwischendurch mal ein bisschen Unterhaltungsmusik an und gegen 23.15 Uhr ist es dann doch soweit – dem ursprünglichen Zeitplan hinkt man da schon eine Dreiviertelstunde hinterher. Zwar haben NOCTE OBDUCTA ihren eigenen Soundmann dabei, der jedoch scheint auch nicht so recht mit der Haus-PA zurechtzukommen. Der Sound ist verhältnismäßig leise und auch ein bisschen matschig – da hatten die Vorgruppen teilweise einen besseren Sound. So nonkonform wie NOCTE OBDUCTA auf Platte agieren, so präsentieren sie sich auch auf der Bühne. Sänger Torsten präsentiert sich als echter Metal-Fronter mit ordentlichen Posen, Bassist Heidig dagegen ist die personifizierte Schlaftablette. Er steht die ganze Zeit seitlich zum Publikum und stiert Löcher in die Luft, während er seinen kopflosen Bass bedient. Wesentlich agiler zeigen sich die Gitarristen Marcel und Draghkar, während Keyboarder Flange sich immer wieder zum Gesangsduett nach vorne zu Torsten begibt. In Sachen Setlist ist man heute vergleichsweise oldschoolig unterwegs. Zwei Drittel der Songs stammen von den ersten drei Releases, nämlich den Alben „Lethe - Gottverreckte Finsternis“ („Der erste Frost“, „Eine Teichoskopie“ und „Solange euer Fleisch noch warm ist“ als Zugabe), „Taverne – In Schatten schäbiger Spelunken“ (hier wird natürlich das geile „Prinzessin der Nachtschatten“ gespielt) und der EP „Schwarzmetall – Ein primitives Zwischenspiel“. Etwas überraschend werden davon mit „Fick die Muse“ und dem überlangen „Gemälde derer, die schieden“ sogar zwei Stücke gespielt. Abgerundet von „Es fließe Blut“ vom zweiten „Nektar“-Album, der Punknummer „Niemals gelebt“ mit atmosphärischem Zwischenteil vom aktuellen Album „Verderbnis – Der Schnitte kratzt an jeder Tür“ sowie einem brandneuen Stück „Ein Nachmittag mit Edgar“ bleiben da theoretisch kaum Wünsche offen. Praktisch jedoch springt der Funke nicht so richtig über – zumindest nicht zu den Leuten, die nicht gerade zu den Fans der Band zählen. Das Wechselspiel aus schnellen und langsamen Passagen wirkt manchmal etwas zäh und zusammenhanglos und während die einen die Band dafür lieben, dass sie ihr Ding konsequent durchzieht, empfinden andere das alles als aufgesetzt und gekünstelt. Andererseits geben der Erfolg und der Zuspruch der Band auch Recht, so dass man NOCTE OBDUCTA letztlich einen ordentlichen Auftritt attestieren muss, trotz der Umstände und der subjektiven Enttäuschung. Mir gefällt die Band auf Platte einfach besser.
Ursprünglich sollten VERDUNKELN vor NOCTE OBDUCTA spielen, aus organisatorischen Gründen liegt es der Band nun anheim, den Abend zu beschließen. Es mag etwas hochgestochen klingen, doch damit trennt sich die Spreu vom Weizen – auch im Hinblick auf das Publikum. Diejenigen, die höchst atmosphärischen Black Metal der langsameren Art, bei dem allein die Musik zählt und keinerlei Image, zu schätzen wissen, bleiben da, wer sich auf den Heimweg macht, hat es nicht besser verdient. Wobei wohl auch die letzten Busse dafür sorgen, dass der Saal sich spürbar leert, letztlich sind es aber immer noch gut 300 Leute, die sich dem Sound der Band aus dem Umfeld der legendären NAGELFAR hingeben. Normalerweise treten VERDUNKELN immer mit extrem viel Nebel auf, doch die Maschine kommt erst im Verlaufe des Sets in die Gänge, dann aber wird der Auftritt zu einem rauschhaften Erleben. Sänger und Gitarrist Gnarl verwöhnt mit den typischen, hallenden Leads, die an klassischen Dark Wave bzw. Gothic Rock angelehnt sind und verzichtet komplett auf jegliche Ansagen. Wie gesagt, hier zählt nur die Musik. Alex von Meilenwald unterfüttert den Sound mit stoischen, derben Riffs, während die Rhythmusfraktion um Basser Hiemos und Drummer Ratatyske einen wuchtigen Teppich legt. Vom starken aktuellen Album „Weder Licht noch Schatten“ kommen der Titeltrack, der Opener „Das Antlitz des Himmels“ sowie „Die letzte Legion“ zum Zuge, die anderen fünf Songs sind vom Demo und dem Debüt „Einblick in den Qualenfall“. Das verbliebene Publikum aktiviert die letzten Reserven und feiert den Auftritt ab, der letztlich sogar noch stärker ausfällt, als die Show mit CASTLE, YEAR OF THE GOAT und ATTIC im Mai dieses Jahres. Somit wird der Auftritt von VERDUNKELN zum atmosphärischen und musikalischen Höhepunkt des Stage Secrets Festivals.
Auch wenn nicht alles ganz glatt läuft, muss man den Veranstaltern ein sehr gelungenes Festival attestieren. Eine ungewöhnliche, spannende und abwechslungsreiche Bandauswahl und zumeist überzeugende Auftritte der jeweiligen Acts sorgen für einen interessanten Tag in Oberhausen. Auch die Tatsache, dass so viele Leute gekommen sind, gibt den Veranstaltern Recht und zeigt, dass man auch mit vielen Bands ein großes Publikum ziehen kann, wenn das Programm mit viel Bedacht ausgewählt wird. Hoffen wir also auf eine Wiederholung in 2013.