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Novalis: Flossenengel (1979) (Review)

Artist:

Novalis

Novalis: Flossenengel (1979)
Album:

Flossenengel (1979)

Medium: CD
Stil:

Wal“Fisch“s romantischer Krautrock-Abgesang

Label: MIG-Music
Spieldauer: 45:09
Erschienen: 30.03.2012
Website: [Link]

Es gibt Songs, mit denen Erinnerungen verbunden sind, die man nie vergisst. „Wer Schmetterlinge lachen hört“ von NOVALIS (als Band & als Lyriker) ist so einer, den ich einst in einem verrauschten und verbotenen Radiosender in der DDR, dem wenig der Romantik ergebenen, dafür aber deutlich der Mauerkunst zugewandten Land, zum ersten Mal hörte. Diesen Titel musste ich besitzen und ich setzte alles daran, mir diese LP in der DDR auf ziemlich unromantische, „verbrecherische“ Weise zu besorgen. Irgendwann besaß ich dann tatsächlich die LP „Konzerte“, die noch heute ein kleiner Goldschatz in meiner Plattensammlung ist.

Und so gingen die Jahre ins (einstmals eingemauerte und nunmehr befreite) Land, doch meine Liebe für die Musik blieb und ich denke, kaum jemand kann dieses Gefühl heutzutage noch nachvollziehen, als ich das erste Mal die geliebte NOVALIS-“Konzerte“-Platte auf meinem Plattenteller rotieren ließ, für die ich mein komplettes Studentenstipendium eines Monats hingeblättert hatte. Sie war es wert – zum Glück habe ich nicht ein weiteres Monatsstipendium für „Flossenengel“ investiert.

Einen Menschen aber kenne ich definitiv, der ganz Ähnliches fühlte, weil er wie ich als (K)Ossi der Musik verfallen war und in der DDR das tägliche Leid nur zu gut kannte, das uns trieb, um verbotene Schallplatten zu besorgen. Sein Name ist Holger Grützner und er schrieb unter den Babyblauen Seiten wahrhaft ironische, unkommunistische sowie kompromisslose Kritiken zur Musik aus Ost und West sowie den kleinen DDR-Geschichten dahinter, die ich sehr hoch schätze. Und er erkannte wohl schon etwas früher als ich, dass sich hinter der westdeutschen Band NOVALIS nicht nur Beeindruckendes, sondern auch viel Peinliches und Lapidares verbarg. Deshalb möchte ich hier auch aus einer seiner NOVALIS-Kritiken zitieren, die in gewisser Weise das Dilemma um „Flossenengel“ zum Ausdruck bringen: „Bei so einer Metapher wie 'Flossenengel' denkt man normalerweise an irgendwas Ariell-mäßiges und nicht an Zentner lebenden Trans! Ambitioniertes Werk und poetische Katastrophe! Hätte Mühlböck über Elefanten schreiben wollen, wäre vermutlich eine 'Savannenelfe' daraus geworden … nun lasst uns bloß nicht Freud anwenden!“

Genau diese Worte bringen das auf den Punkt, was die Stärken, aber ganz besonders auch Schwächen von „Flossenengel“ auszeichnet: nicht die Musik, sondern die Texte sind der absolute Schwachpunkt dieses Albums und NOVALIS waren immer nur dann wirklich in ihrer musikalischen und textlichen Gesamtheit gut, wenn sie auch von ihrem Namensgeber die Texte übernahmen und modern vertonten. Kaum aber versuchten sie, eigene Texte im Stile von NOVALIS beizusteuern, dann ging das gehörig in die lyrische Unterhose.

„Flossenengel“ aus dem Jahr 1979 ist die musikalische Antithese zum Namen der Band geworden, welcher sich auf den wohl berühmtesten deutschen Romantiker Friedrich Freiherr von Hardenberg (alias NOVALIS - 1772-1801) bezieht, der nicht nur wundervolle Gedichte verfasste, sondern auch das typische Symbol der Romantiker erschuf, die blaue Blume, die symbolisch für die nächtliche Tageszeit (blau) und die Natur (Blume) steht, dem Grundsatz der Romantik!

Leider aber hat dieser lyrische Vorzeigeromantiker bei dem Konzeptalbum „Flossenengel“ nicht ein einziges klitzekleines Zeilchen mehr beigesteuert, sodass am Ende folgender Eindruck bleibt:
Ein miserabler lyrischer Text von FRED MÜHLBÖCK trifft auf wenig romantische, dafür ungewöhnlich hart rockende Musik!
Romantik?
Das war einmal – jetzt gibt’s Greenpeace- und Tierschutz-Betroffenheitslyrik samt erhobenem Zeigefinger.
Und um die Peinlichkeit der Texte ein wenig zu kaschieren, spendete man gleich mal für jede verkaufte Platte und jede Konzertkarte, die NOVALIS-Jünger erwarben, eine Mark an eine im Tierschutz agierende Vereinigung.
Gut für die Tiere, aber nicht für die Qualität der Texte.

Unser „Flossenengel“ also ist ein Wal, der bei NOVALIS auf den Namen Atlanto hört und deshalb bestimmt auch Ohren hat. Denn bei Mühlböck wird dieser Wal als ein Fisch mit Kiemen und Schuppen dargestellt, egal ob die einfachsten biologischen Grundlagen schon im frühen Kindheitsalter uns lehrten, dass der Wal ein Säugetier ist, das keine Schuppen und Kiemen hat.

Nun könnte man behaupten, die romantisch angehauchten Musiker hätten in all ihrer künstlerischen Freiheit hier vielleicht einfach nur irgendeinen Fisch gemeint, doch das funktioniert schon deshalb nicht, weil das Album von originalen Wal-Gesängen am Anfang und Ende eingerahmt ist. Atlanto ist ein Wal, genauso wie Arielle eine Meerjungfrau ist, und deshalb kein schuppiger Kiemenfisch. Bei NOVALIS wird dieser, die Freiheit liebende, Wal von einem Fischer gefangen, der ihm nicht nur seiner Freiheit beraubt, sondern auch noch an einen Zoo verkauft, wo er dem säkularen Publikum zur Schau gestellt und mit „Keksen und Kippen“ gefüttert wird. Doch unser anfangs böser Fischer beweist sein großes Herz und befreit den „Fisch“ aus seinem „Sklavenzoo“, um ihm wieder dem offenen Meer zu übergeben. Der Fischer lehrt uns letztendlich am Beispiel von Atlanto irgendwie, dass „Ob Tier, ob Mensch, ob Baum“ alle ihre Freiheit als höchstes Gut benötigen – alles, was diese Freiheit gefährdet, aber zerstörerisch und un“mensch/wal“ich zugleich ist.

Mit einem sehr schönen, für NOVALIS ganz typischen Instrumental, inklusive Walgesängen, beginnt das Album und „Atlanto“ ist dem Hörer sofort zutiefst sympathisch.

Leider aber bleibt die Musik nicht instrumental.

Schon der bescheuerte Titel „Im Brunnen der Erde“ (Was bitte soll das sein – eine Metapher für's Meer?) stellt uns den „seltsamen Riesenfisch mit seinem Schuppenkleid“ vor und in „seiner Strömung wiegen sich Algen hin und her“ - auch hier ist die Musik noch ganz NOVALIS-typisch mit vielen Keyboardflächen und feinen Melodien, dafür aber textlichen Peinlichkeiten versehen.

Seine „Brennende Freiheit“ nimmt dann NOVALIS-untypisch gehörig an Fahrt auf, bis Atlanto von E-Gitarren-Klängen im „Netz“ des Fischers gefangen wird und „tagelang gnadenlos“ um seine Freiheit kämpft. Eine Freiheit, die hart rockende Gitarren und treibendes Schlagzeug untermalen.
Atmosphärische Keyboardkaskaden und akustische Gitarren weisen uns auf Atlantos Niederlage hin, welche sogar mit einem Schifferklavier den typischen Seefahrer-Sound akustisch untermalt.

Regelrecht unpassend wirkt dann der „Walzer für einen verlorenen Traum“, denn hier gibt’s nicht eine einzige Walzermelodie zu hören, nur ein seltsames Flötenspiel und schlecht abgestimmte Tastenarbeit. Ein wirklich mieses, nichtssagendes Instrumental. Da würde ich mich als Wal“Fisch“ freiwillig gefangen nehmen lassen, nur um nicht weiteren akustischen Belästigungen dieser Art ausgeliefert sein zu müssen.

Aggressiv und anklagend donnert dann die MÜHLBÖCK-Stimme den unfreiwillig komischen „Kippen-und-Kekse“-Text des „Sklavenzoos“ heraus, der den Fischer zur Einsicht bringt, dass „der Glauben des Tieres an die Herren des Lichtes ist zerbrochen am Dock der Tyrannei“ (Solchen lyrischen Erguss muss man erst einmal hinbekommen!) - das „quälende Gewissen“ des Fischers verleitet ihn dann endlich, den imaginären „Fisch“, der eigentlich ein Säugetier ist, wieder zu befreien, nachdem er die balladenartige, unglücksschwangere und ein schlechtes Gewissen verbreitende Stimme von Atlanto auf „Alle wollen leben“ vernommen hat.

Schön, dass mir nunmehr auch die Erkenntnis kommt, dass Atlanto nicht nur Schuppen, Kiemen und Ohren hat, sondern auch noch sprechen kann, um mir mitzuteilen, dass „alle leben wollen“!
Bei dieser Botschaft muss unser, seine Kinder nicht nur lebend gebärende, sondern auch säugende „Fisch“ ziemlich verstimmt sein, was natürlich die sich langsam steigernde und immer mehr an Fahrt aufnehmende Musik beweist.

Dann endlich wird mit akustischem Piano Atlantos „Rückkehr“ verwirklicht, die mit theatralischem MÜHLBÖCK-Sing-Sang über die „Reue des Fischers“ berichtet.

Und ich bereue nicht eine einzige Zeile an dieser Kritik – lyrischer Schrott trifft auf ansprechende, interessante, für NOVALIS ungewohnt harte Musik, die man in eine Schublade stecken sollte, die es noch gar nicht gibt: Romantik-Prog-Rock, der Walen hilft und die deutsche Lyrik schändet!

Die Musik dieses Albums wäre eine glatte 12-, die Texte höchstens eine 2-Punkte-Angelegenheit. Und jeder, der zumindest rechnen kann, egal, ob er in der Meereskunde bewandert ist oder nicht, kommt dann bestimmt auf den gleichen Durchschnittswert, den diese Kritik beendet!

FAZIT: Den musikalischen Wechsel hin zu rockigeren Klängen kann man NOVALIS sicherlich nicht zum Vorwurf machen. Er ist sogar recht reizvoll und unerwartet – die Textqualität aber und die völlig fehlerhaften inhaltlichen Aussagen, die der Sänger FRED MÜHLBÖCK in sicher bemüht guter Absicht zu Papier brachte, spotten jeder Beschreibung!

PS:
WESTERNHAGEN sang auf seinem letzten Album so schön: „Und die Moral von der Geschichte – du bist noch lang' kein Poet, schreibst du auch Gedichte!“ Wahrscheinlich kam ihm die Idee zu diesen Zeilen beim Hören von NOVALIS' „Flossenengel“!

Warnendes PS:
Es gibt tatsächlich eine Zusammenstellung mit NOVALIS-Titeln aus dem CASTLE-Hause "Blue Chip", die den Titel "Flossenengel" trägt. Ich frage mich, was sich die Idioten von Castle Communications bei dieser irreführenden Aktion gedacht haben?! Die ersten fünf Titel des Albums entsprechen dann tatsächlich auch dem "echten" Flossenengel-Album, die folgenden neun Titel sind anderen Alben entnommen, wobei die wahren Klassiker, wie "Wer Schmetterlinge lachen hört" oder frühe Aufnahmen, komplett fehlen. Also Hände weg von diesem akustischen Käse!

Thoralf Koß - Chefredakteur (Info) (Review 6648x gelesen, veröffentlicht am )

Unser Wertungssystem:
  • 1-3 Punkte: Grottenschlecht - Finger weg
  • 4-6 Punkte: Streckenweise anhörbar, Kaufempfehlung nur für eingefleischte Fans
  • 7-9 Punkte: Einige Lichtblicke, eher überdurchschnittlich, das gewisse Etwas fehlt
  • 10-12 Punkte: Wirklich gutes Album, es gibt keine großen Kritikpunkte
  • 13-14 Punkte: Einmalig gutes Album mit Zeug zum Klassiker, ragt deutlich aus der Masse
  • 15 Punkte: Absolutes Meisterwerk - so was gibt´s höchstens einmal im Jahr
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Wertung: 7 von 15 Punkten [?]
7 Punkte
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Tracklist:
  • Atlanto
  • Im Brunnen der Erde
  • Brennende Freiheit
  • Im Netz
  • Flossenengel
  • Walzer für einen verlorenen Traum
  • Sklavenzoo
  • Alle wollen leben
  • Rückkehr
  • Ob Tier, ob Mensch, ob Baum

Besetzung:

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Interviews:
  • keine Interviews
Kommentare
triboc
gepostet am: 11.05.2019

obwohl ich Novalis eigentlich mag kann ich dieser Kritik Wort für Wort, Zeile für Zeile nur zustimmen.
Was hier die Wertung angeht: ist 1 nun das Schlechteste oder das Beste? Meine Wertung ist jedenfalls identisch mit der hier gelesenen Kritik.
Wäre schön, wenn man erfahren könnte ob die mail mitveröffentlicht wird
Thoralf Koß [musikreviews.de]
gepostet am: 12.05.2019

Grüß dich Triboc - unser Wertungssystem richtet sich nach dem Punktesystem der Abiturstufe - also 15 Punkte = ausgezeichnet; 1 Punkt = totaler Schrott. Eine Mail habe ich von dir aber bisher nicht erhalten, nur diesen Kommentar. Meine Mailadresse findest du im Impressum auf der rechten Seite unserer Website.
triboc
gepostet am: 12.05.2019

User-Wertung:
2 Punkte

:-) natürlich erwähne ich keine Mailaddy wenn ich nicht weiß, ob sie veröffentlicht zu sehen ist oder nicht. Jetzt weiß ichs. Nach wie vor Danke für diese ausgefeilte Kritik
Michael
gepostet am: 14.01.2023

User-Wertung:
12 Punkte

Einfach nur schöne Erinnerungen.
(-1 bedeutet, ich gebe keine Wertung ab)
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