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Novalis: Augenblicke (1980) (Review)

Artist:

Novalis

Novalis: Augenblicke (1980)
Album:

Augenblicke (1980)

Medium: CD
Stil:

Radiotauglicher Krautrock, der eine musikalische Legende zu Grabe trägt

Label: MIG-Music
Spieldauer: 35:51
Erschienen: 08.06.2012
Website: [Link]

Die Zeiten, als wir die Schmetterlinge bei NOVALIS noch lachen hörten, waren spätestens mit „Flossenengel“ und dem Nachfolger „Augenblicke“ vorbei. NOVALIS verabschiedeten sich immer mehr von der verträumten Romantik und kamen unweigerlich in der musikalischen Gegenwart an. Doch auch der modernere Zeitgeist, der „Augenblicke“ innewohnt, verströmte in seiner geschickten Kombination aus instrumentalen Titeln und mit Gesang „verfeinerten“ Songs eine den Hörer in seinen schönsten Momenten gefangennehmende Ausstrahlung. Die politische „Rettet-die-Wale-Botschaft“ von „Flossenengel“ war verflogen, dafür aber wurde jetzt verstärkt auf intimere, persönlichere Botschaften und Kindheitserinnerungen gesetzt. Sowas schreibe ich nunmehr aus der Sicht eines alten 48-jährigen Sackes, den allerdings gerade mit diesem Album auch seine Kindheitserinnerungen verbinden.

Also Vorhang auf und einen Blick zurück – die Zeitmaschine auf „- 30 (Jahre)“ gestellt. Und da sehe ich es wieder vor mir – dieses schwarz-weiße Cover, auf dem sich zwei Katzen, eine schwarze und eine weiße, belauern. Doch die schwarze hat pinkfarben leuchtende Augen, die, wenn man die Innenhülle herauszieht, erst grün, dann schwarz, dann blau werden. Ach wie geil war das damals, dieses ausgestanzte LP-Katzen-Augen-Cover!

„Augenblicke“ - das war meine erste NOVALIS-Platte, die ich mir in der DDR für 100 Ostmark besorgt hatte.
„Augenblicke“ - das war meine erste echte NOVALIS-Enttäuschung, weil ich auf solch wundervolle Longtracks, wie „Wer Schmetterlinge lachen hört“, „Es färbte sich die Wiese grün“ oder „Sommerabend“, hoffte, doch stattdessen nur 9 Songs mit einer Laufzeit von 3 bis 5 Minuten geboten bekam.
„Augenblicke“ - das war für mich ein jämmerlicher Fehlkauf, den ich lange Zeit bereute und dann irgendwann sogar unter Wert weitervertickte.
„Augenblicke“ - das war für mich ein „Es war einmal“, das ich aus heutiger Sicht und mit dreißigjährigem Abstand doch mit etwas anderen Augen betrachte und anderen Ohren höre (und von dem ich mir die LP-Version in ihrem Original mit den ausgestanzten Augen der Katze längst wiederbesorgt habe)!

Und nicht nur mir scheint es so zu gehen, denn HARTWIG BIEREICHEL, dem NOVALIS-Schlagzeuger, scheint ganz ähnlich zu empfinden, wie ich aus einem Interview von „RockTimes“ erfahren durfte, in dem er darauf verweist, dass im Gegensatz zu „Flossenengel“ der Nachfolger „Augenblicke“ persönlichere und intimere Titel enthielt. Außerdem stellt er fest: „Ich habe die Instrumentals von Lutz (Rahn – der Keyboarder! T.K.) immer sehr gemocht und mit 'Danmark' und 'Mit den Zugvögeln' sind zwei absolute Hammerwerke auf der Scheibe ...“

In diesem Falle kann man Biereichel nicht widersprechen. Die beiden Instrumentals, die bei der LP-Version die Album-A-Seite eröffnen und abschließen, sind die absoluten Highlights auf „Augenblicke“. Und vielleicht wäre diese NOVALIS-Scheibe, die die 80er-Jahre-Ära von NOVALIS einleitete, auch etwas ganz Großes geworden, wenn die Band entweder auf den Gesang von FRED MÜHLBÖCK oder zumindest auf seinen Einsatz als Lyriker verzichtet hätte. FRED MÜHLBÖCK ist ein (stellenweise) begnadeter (Kopfstimmen-)Sänger, aber zugleich ein jämmerlicher Texter. Ich frage mich jedes Mal, warum das der Rest der Band nicht bemerkte – oder bemerken wollte?!

„Ich hab' noch nicht gelernt zu lieben“ und „Magie einer Nacht“ sind der Beweis dafür, mit wie viel Peinlichkeit sich die musikalischen Romantik-Anbeter in die 80er-Jahre-Abgründe radioliebäugelnder Musik(un)kultur begaben. Schlagerhafte Pop-Rock-Melodien treffen auf schlagerhafte Peinlichkeits-Texte – das darf doch einfach nicht wahr sein. Und im Nachhinein wurde mir bewusst, dass wohl genau diese beiden Titel mir den Reiz dieser Platte zu DDR-Zeiten gehörig versauten!

Aber nicht nur mir ollem Ossi schien das so zu ergehen – ein anderer „Zonen-Kritiker“ und Bruder im „Rezi-Geiste“, HOLGER GRÜTZNER, stellte in einer Kritik zu „Vielleicht bist Du ein Clown“ (Eine der stärksten Alben der Band überhaupt. Dagegen kann man „Flossenengel“ locker im Haschisch-Pfeifchen rauchen!) fest: „Es wäre auch tausendmal besser gewesen, z.B. Chamisso- oder Hesse-Gedichte zu verrocken, anstatt, wie später gescheh'n, mit so textlichen Totgeburten wie „Magie einer Nacht“ oder „Ich hab' noch nicht gelernt zu lieben“ eine weitere im Ansatz gute Platte zu versau'n.“

Darum will ich mich ganz schnell den wirklich guten Ansätzen von „Augenblicke“ zuwenden – denn derer gibt es immerhin zwei, auch wenn ich das als Zonen-Kind Anfang der 80er Jahre nicht wahrhaben wollte.

„Danmark“ ist die wundervolle instrumentale Eröffnung eines weniger wundervollen Albums. Bereits die ersten Töne wecken Erinnerungen an den „Geigenspieler“ von „Vielleicht bist Du ein Clown“. Hier hat NOVALIS-Keyboarder LUTZ RAHN ganze Arbeit geleistet und gezeigt, wie reizvoll seine Band noch klingen kann, bis dann FRED MÜHLBÖCK den Radio-Hit-Hammer rausholt und um Verzeihung bittet, weil er noch nicht gelernt zu lieben hat. Eigentlich sollte er besser bei den bis dahin NOVALIS verfallenen Fans um Verzeihung bitten, weil er sich textlich und musikalisch der 80er-Jahre-Musik-Oberflächlichkeit anbiedert, die dann in der Neuen Deutschen Welle ihren größtenteils gruseligen Höhepunkt findet.

„Cassandra“ macht als recht rockiges Instrumental zum Glück noch einmal Boden gut, wobei besonders die Flöte einen starken Reiz ausstrahlt. „Weiter so! Weiter so!“, will man rufen und die Hoffnung auf ein doch wieder „typisches“ NOVALIS-Werk kommt auf.

Mit „Ahhhh-Ha-Ahhh-Haa-Ha“ bläst einem dann angeblich der „Herbstwind“ um die Ohren (und alle Hoffnung davon), der nichts Anderes als ein laues Lüftchen ist, voller Schmalzgesang, das einem zum Tempo(Doppeldeutigkeit ist beabsichtigt!)-Taschentuch greifen lässt: „Ahhhh-Ha-Ahhh-Haa-Ha... War alles nur ein böser Traum, doch die Wirklichkeit kann nicht träumen.“ Nein, und die Wirklichkeit kann solchen Schmalz aus dem Hause NOVALIS auch nur recht schwer ertragen, obwohl diese Nummer durchaus noch als Romantik-Elaborat durchgehen kann, selbst wenn der Versuch, mit der akustischen Gitarre (dem musikalischen „Highlight“ des Songs) noch einiges rauszureißen, am Ende scheitert.

Zum Glück ziehen dann aber wieder rein instrumental die „Zugvögel“ auf – Pianotupfer treffen auf breite Keyboardpassagen. Der Hörer hebt gemeinsam mit den Zugvögeln ab und schwebt himmlisch durch diesen Titel. Und nun wird einem bewusst, dass die einzige Hoffnung auf ein gutes NOVALIS-Album der 80er Jahre in den Instrumentaltiteln liegen kann. Doch leider stehen uns noch drei Sangeshymnen und mit „Sphinx“, ein diesmal von der E-Gitarre dominierte Komposition, der letzte, nicht sonderlich bemerkenswerte, Non-Vocal-Song bevor.

Dann gibt’s die nächste romantische Herz-Schmerz-Ballade an die mühlböckschen Kindheitserinnerungen, in denen er „Als kleiner Junge“ tagelang im Gras lag und die Freiheit der Natur in sich aufsog. Das ist der einzige „Augenblicke“-Text, der akzeptabel ist und ein ganz klein wenig den Hauch des Ur-Romantikers NOVALIS in sich aufsaugt, bis der nächste schaurige Hit-Hammer mit leichtem Disco-Feeling „Magie einer Nacht“ das böse nächtliche Großstadtleben anprangert.

Im Schmalz von „Begegnungen“ versinkt dann auch der letzte gute Eindruck von „Augenblicke“, der einem am Ende eher die AUGEN tränen lässt und tiefe, nicht sonderlich angenehme, EinBLICKE in die weitere Zukunft von NOVALIS vermittelt.

Trauriges FAZIT:
HARTWIG BIEREICHEL stellte im Zusammenhang mit „Augenblicke“ fest:
„Wir haben damals einfach gemerkt, dass die Phase der langen, improvisierten Titel für uns vorbei war. Wir hatten einfach Lust, prägnanter zu werden – und das hat seinen Niederschlag auf 'Augenblicke' gefunden: Kurze, in sich geschlossene, radiokompatible Stücke.“
Recht hat er!
Leider!!!

PS:
Übrigens enthält auch diese 2012er CD-Ausgabe, die sehr liebevoll von MIG-Music aufgearbeitet wurde, das ausgestanzte Katzen-Augen-Cover der LP in seiner kleineren Digi-Pack-Version. Allerdings sind im Gegensatz zur LP-Version diesmal die grünen Augen zu sehen – vielleicht eine Art politisches Signal!
Vielen Dank dafür!

Thoralf Koß - Chefredakteur (Info) (Review 5988x gelesen, veröffentlicht am )

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  • 15 Punkte: Absolutes Meisterwerk - so was gibt´s höchstens einmal im Jahr
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Wertung: 7 von 15 Punkten [?]
7 Punkte
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Tracklist:
  • Danmark
  • Ich hab' noch nicht gelernt zu lieben
  • Cassandra
  • Herbstwind
  • Mit den Zugvögeln
  • Sphinx
  • Als kleiner Junge
  • Magie einer Nacht
  • Begegnungen

Besetzung:

Alle Reviews dieser Band:

Interviews:
  • keine Interviews
Kommentare
Wellenreiter
gepostet am: 05.07.2012

User-Wertung:
9 Punkte

Hallo Thoralf, ich habe aktuell eine Augenblicke vom I-Net-Dealer mit dem A erworben und diese hatte wie die LP rote Augen ... ich habe daher mal geschaut, also es gehen sowohl rote als auch grüne Augen, je nach dem wie herum das Booklet eingesteckt wurde. Ich hab dann bei der alten LP von Ahorn nachgeschaut, da ist das tatsächlich auch so, es gehen sowohl rote, als auch grüne Augen.
Thoralf Koß [musikreviews.de]
gepostet am: 05.07.2012

Hallo Wellenreiter, du hast Recht, aber ich auch ;-)

Die CD ist mit ihrer Innenhülle genauso gestaltet wie die LP. Und die Vorderseite ist bei beiden die Text-Einlage. Aber die Farbgebung auf der Textbeilage wurde bei der CD wahrscheinlich vertauscht, sodass bei der CD die Augen grün, aber nicht rot wie bei der LP sind.

Eine ganz geschickte Verkaufsstrategie ;-)
Wille
gepostet am: 23.08.2012

Hallo Wellenreiter, Hallo Thoralf,
die Farbstreifen im Booklet wurden, wie im Original, so angelegt, dass, je nachdem wie herum man das Booklet einschiebt, die Augen entweder grün oder magenta durchscheinen. Ich habe beim Konfektionieren im Presswerk darum gebeten, die Auflage gemischt zu bestücken, sodaß nun im Handel Cover mit sowohl grünen als auch roten Augen stehen ;-)
Wille, MIG-Music
Thoralf Koß [musikreviews.de]
gepostet am: 23.08.2012

Hallo Wille,

vielen Dank für die Aufklärung.
Aber habt ihr von MIG (Hochachtung dafür, was für verborgene Musikschätze ihr wiederentdeckt und veröffentlicht!) auch vor, "Banished Bridge" von NOVALIS zu veröffentlichen. Aus meiner Sicht wäre das eine wirklich tolle Sache!

Viele neugierige Grüße von Thoralf
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