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Das Kapital & Royal Symphonic Wind Orchestra Vooruit: Eisler Explosion (Review)
Artist: | Das Kapital & Royal Symphonic Wind Orchestra Vooruit |
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Album: | Eisler Explosion |
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Medium: | CD/Download | |
Stil: | Symphonischer Jazz-Rock |
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Label: | Label Bleu/Brokensilence | |
Spieldauer: | 72:16 | |
Erschienen: | 28.10.2016 | |
Website: | [Link] |
DAS KAPITAL, wer kennt es nicht, dem noch im Sozialismus mit der strammen Ideologie-Keule die wichtigsten Sätze dieses Werks über die Vision eines (nie umsetzbaren) Kommunismus und den Niedergang des Kapitalismus eingebläut wurden?
KARL MARX war der Verfasser – der so schöne Sätze, wie: „Ein Gespenst geht um in Europa – das Gespenst des Kommunismus!“ prägte, das sich dann am Ende aber doch nur als ein Zombie herausstellte, dem man wohl gleich in der ersten „epochalen“ Staffel von The Walking Dead den Kopf abgeschlagen hätte. Und dann gibt‘s da noch mein Marx-Lieblingszitat, von dem ich im völligen Gegensatz zu all den Kommunismus-Utopien wahrhaft begeistert bin: „Die Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüt einer herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände ist. Sie ist das Opium des Volkes.“
Warum aber bitte, werden sich jetzt viele fragen, beginnt ein Musik-Kritiker seine Musik-Kritik mit dem KAPITAL und MARX und irgendwelchen kommunistischen Zitaten?
Vielleicht liegt es ja daran, dass auf dem Cover des zu besprechenden Albums Genosse Honecker – ja, genau der, der erst die DDR regierte und in den Ruin trieb, um sich dann mit seiner Frau, der Bildungsungeheuer-Ministerin Margot, nach Chile abzusetzen – zu sehen ist, wie er sich mit zwei Schall-Schalen die Ohren, wohl bei einem Bomben-Testlauf, zuhält.
Oder liegt es daran, dass das Album den Titel „Eisler Explosion“ (Ah ja, es muss wohl wirklich eine Bombe gewesen sein!) trägt?
Ganz egal. Lassen wir die Vergangenheit ruhen und wenden uns der Musik von DAS KAPITAL zu, einem „trans“europäischen Jazz-Trio aus deutschem Saxofonisten, dänischem Gitarristen und französischem Schlagzeuger.
Wenn sich aber dieses KAPITAL über HANNS EISLER hermacht, ist es schon als Jazz-Trio schwer beeindruckend. Mit einem 78köpfigen Symphonie-Orchester im Rücken aber ist es fast ein unglaubliches Unikum, das einen in den Wahnsinn treibt. In einen faszinierenden Musik-Wahnsinn, bei dem auch ein ZAPPA den Dirigentenstab hätte führen können!
Bei „Eisler‘s Hand“ fühlen wir uns anfangs gleich mal in die „200 Motels“ versetzt, welche kurz mal in die DDR verlegt werden, weil immer wieder das von BERT BRECHT geschriebene und HANNS EISLER komponierten „Solidaritätslied“ auftaucht, mal als Jazz-Improv, mal als klassisches Stück, mal als E-Gitarren-Rock und dann gar Tanz-Nummer im Samba-Stil. Diese 16 Minuten sind das pure Vergnügen, besonders für diejenigen, die man früher mit diesem „Vorwärts und nie vergessen“-Käse im Musikunterricht quälte. „Eisler‘s Hand“ ist unter diesem Blickwinkel die pure kommunistische Blasphemie – und damit ein wahrer Genuss.
„Sud“ wartet dann mit einem ausgiebigen Schlagzeug-Solo samt improvisierten Saxofon-“Störgeräuschen“ auf.
„Hollywood“ ist dagegen die Kombination aus smoothem Saxofon-Jazz und klassischem Orchester fast im Stile eines GLENN MILLER, nur dass hier eben keine Posaune, sondern das Saxofon den ersten Ton vorgibt.
Bedrückend, melancholisch und finster mit getragenem Moll-Jazz und einer immer wieder auftauchenden Pauke wird es, wenn dann die nächsten 14 Minuten lang DAS KAPITAL samt bombastischem Orchester sich musikalisch dem Selbstmord-Thema zuwendet, das in der „Elegie 1939“ endet, dem Jahr als sich der Massenmord durch die hitlerdeutschen Schlächterhand etablierte. Nach sieben Minuten wird dann aus dieser bedrohlichen Stimmung eine völlig frei improvisierte. Das passt zu einer Welt, die mehr und mehr aus den Fugen geriet. Und dieser Freistil setzt sich auf „Est“ ausgiebig fort, nur dass diesmal eine E-Gitarre die Oberhand gewinnt und sich eine regelrechte Schlacht mit dem Tenor-Saxofon liefert, bis das Orchester dann mit flotten Rhythmen beide zusammenführt.
DAS KAPITAL verabschiedet sich nicht etwa mit einer bombastischen Explosion aus ihrer „Eisler Explosion“, sondern mit – na da kommt bestimmt niemand drauf – einer Ballade, und zwar der BRECHTschen „Ballade von der Billigung der Welt“, die mit einer feinen zärtlichen Melodie beginnt, dann urplötzlich in einen Marschrhythmus übergeht, um am Ende nach E-Gitarren-Quieken frei jazzend zu enden. Vier Minuten Musik, die noch einmal in ihrer Art das gesamte Album zusammenfassen, genauso wie es die letzte 30. Strophe des Brecht-Gedichts mit den vorangegangenen 29 tut:
Da Niedrigkeit und Not mir nicht gefällt
Fehlt meiner Kunst in dieser Zeit der Schwung
Doch zu dem Schmutze eurer schmutzigen Welt
Gehört – ich weiß es – meine Billigung
Ja, das hat der gute BERT 1932 geschrieben – doch dummerweise ist es auch heute noch top-aktuell!
DAS KAPITAL aber sollte glücklicherweise auch top-aktuell sein, denn was einem in den 72 symphonischen (Free-)Jazz-Rock-Minuten geboten wird, ist allererste Güteklasse! Und dieser letzte Satz reicht völlig als FAZIT!
- 1-3 Punkte: Grottenschlecht - Finger weg
- 4-6 Punkte: Streckenweise anhörbar, Kaufempfehlung nur für eingefleischte Fans
- 7-9 Punkte: Einige Lichtblicke, eher überdurchschnittlich, das gewisse Etwas fehlt
- 10-12 Punkte: Wirklich gutes Album, es gibt keine großen Kritikpunkte
- 13-14 Punkte: Einmalig gutes Album mit Zeug zum Klassiker, ragt deutlich aus der Masse
- 15 Punkte: Absolutes Meisterwerk - so was gibt´s höchstens einmal im Jahr
- Eisler‘s Hand
- Sud
- Ouest
- Bankenlied
- Hollywood
- Über den Selbstmord / Elegie 1939
- Est
- Karl
- Ballade
- Gitarre - Hasse Poulsen
- Schlagzeug - Edward Perraud
- Sonstige - Daniel Erdmann (Saxofone), 78köpfiges Symphonieorchester
- Eisler Explosion (2016) - 13/15 Punkten
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