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Orange Utan: Katastrophil (Review)
Artist: | Orange Utan |
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Album: | Katastrophil |
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Medium: | CD/Download/Limitiert/LP farbig/farbig | |
Stil: | Progressive- und Kraut-Rock, Stoner und Alternative, RIO, Avantgarde, Metal, Punk |
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Label: | Eigenvertrieb | |
Spieldauer: | 42:31 | |
Erschienen: | 24.11.2018 | |
Website: | [Link] |
„Mein aktives Interesse an Musik begann (erst) mit ca. 14 Jahren, als ich mir die alte Akustikgitarre meines Vaters schnappte und herausfinden wollte, was man damit so anstellen kann. Überhaupt prägten mich in diesen Jahren sehr (und nachhaltig) die Bands, die mein Vater seit den 70ern anhörte: Progressive Rock und Art Rock vom Schlage Pink Floyd, King Crimson, Led Zeppelin, Genesis.“ (Sören Müller, Bassist von ORANGE UTAN in einer E-Mail an den Kritiker)
Es ist immer wieder eine wunderbare Erfahrung als Musikfreund, aber auch Elternteil, wenn man freudig feststellen darf, dass sich die Musik-Gene und -Leidenschaften auf die eigenen Kinder übertragen. So wird wohl hoffentlich auch in vielen, vielen Jahren nicht die Musik aussterben, die eine so immens wichtige Rolle in den Sechziger- und Siebziger-Jahren spielte und fast etwas lapidar unter dem großen, von den schnelllebigen Mainstream-Radiostationen längst vergessenen bzw. verdrängten Begriff „Progressive Rock“ zusammengefasst wird. Nicht diese gegenwärtige Scheiß-Radio-Kultur, sondern familiäre und freundschaftliche sowie freigeistig-komplexe Wünsche setzen dieses Erbe fort, das uns so viele Musiker, von denen nach und nach leider immer mehr den Löffel abzugeben scheinen, schenkten.
ORANGE UTAN jedenfalls sind eine deutsche Entsprechung dessen, was wir noch immer ehrfurchtsvoll als progressiv bezeichnen. Musik also, mit der man nicht mehr die schnelle Mark machen, aber durchaus Anerkennung und vielleicht auch, wenn wir uns etwas mehr zurückbesinnen, wieder Ruhm erlangen kann. Im Grunde liegt es nur an uns, ob wir auch weiterhin zulassen, Musik, welche früher ein ganzes Weltbild wirkungsvoll prägte, als Sparte verkommen zu lassen, nur weil gerade die öffentlich-rechtlichen, von uns finanzierten Medien sich auf kleingeistig-kurzatmigen Musikkäse festlegen, damit uns deren Moderatoren mit gezwungenem, banalem Lustigsein den ganzen Tag über begleiten und nerven. Geistig-“ohraler“ Dünschiss, den wir uns selbst eingebrockt haben und der uns aus den Boxen Tag für Tag müffelnd entgegenknattert! Das ist wirklich echt „Katastrophil“, womit wir schon beim zweiten Album von ORANGE UTAN wären, das garantiert nicht den Anspruch darauf stellt, perfekt oder angepasst zu sein.
Nicht nur der Albumtitel kommt mit einem Neologismus (Wortneuschöpfung) daher, auch die Musik trägt etwas Neologistisches in sich, denn sie spielt und experimentiert mit den unterschiedlichsten Stilrichtungen, lässt selbst Avantgardistisches nicht außen vor, um so zu dem ungewöhnlichen Konzept, das dem Album seinen roten Faden und zugleich das weite Manegen-Spielfeld eines Zirkus einräumt, sehr viel Raum. Stilistisch festlegen lässt sich das junge progressive Quartett dabei nicht, sondern reitet mal auf Pferden, dann auf Elefanten und Eseln, während die Tiger zwar gefährlich erscheinen, aber am Ende doch durch den brennenden Reif springen. Und immer wieder tauchen dabei die Clowns auf, die einerseits von Stephen Kings „Es“ entliehen sein könnten, andererseits aber einfach nur die puren Spaßmacher mit dem traurigen Gesicht sind, welche verängstigt die Akrobaten in schwindelerregender Höhe beobachten, während ein eiskalter Direktor statt der Tiere und Menschen, für die er verantwortlich ist, nur seine Macht und seinen Profit sieht. Der große und kräftige Orang(e) Utan aber, verliert nie das Große und Ganze – nennen wir es einfach mal Progressive-Rockige – aus dem Blickfeld.
So scheinbar schwer all das Orange-Utansche auch zu beschreiben ist, immer bleiben ein paar Musik-Eckpunkte in Hirn und Ohren haften, bei denen THE MARS VOLTA auf FRIPP-Gitarre und HIRSCH EFFEKT treffen, um sich ordentlich auszutoben. Stellenweise schizophren anmutend überspitzt und dann wieder in progressiven Nostalgie-Gewässern schwimmend, dass Altes auf Neues und Nostalgisches auf Modernes trifft. Der pure Zirkus – und um den geht’s in kafkaesker Parabel-Manier schließlich auch.
Zugleich spiegelt sich das „Schizophrene“ des Albums besonders auch in dem Konzept wider, das uns in eine Zirkuswelt entführt, die vielleicht äußerlich als unterhaltsam und spannend wahrgenommen wird, aber im Inneren der pure Albtraum einer verfaulenden Gesellschaft ist, die sich in unerbittlichen Machtkämpfen aus Wahn, Selbstzweifel, Abscheu und Zynismus bewegt. Die Welt – oder beschränken wir uns einfach mal auf unser Land – als ein Zirkus, in dem ein Geist herrscht, dem man statt einem „Heilig“ die Vorsilbe „Un“ hinzufügen sollte. Das „Todesrad“, samt HENDRIX-Gitarre-Ausflügen, hat längst volle Fahrt aufgenommen!
Wie wichtig ORANGE UTAN ihr Text-Konzept in Einheit mit dem musikalischen Wirrwarr ist, sieht man besonders bei der nicht nur gestalterisch hervorragend umgesetzten LP, die in transparentem Vinyl daherkommt, sondern auch an dem LP-großen 12-seitigen Booklet, das neben beeindruckenden Bleistift-Zeichnungen auch mit allen Texten aufwartet.
An dem punk-affinen, extrovertierten Gesangsstil von Sandro Gäbler, welcher immer wieder Richtung Sprech- sowie Schreigesang abschweift und damit an die sogenannten „anderen Bands“ zu DDR-Zeiten, wie HERBST IN PEKING, FEELING B oder DIE SKEPTIKER, erinnert, werden sich sicherlich die Geister scheiden, denn genau die Art zu singen in Kombination mit den vielen progressiven Rockelementen hinter ORANGE UTAN erscheint ziemlich widersprüchlich. Denn wenn wir uns erinnern, dann war es gerade der Punk, der sich als Totengräber des „aufgeblasenen, bombastischen“ Progressive Rock verstand, und ein Johnny Rotten, der sich als die große Sexpistole mit seinem „I Hate Pink Floyd“-T-Shirt in aller Öffentlichkeit einen abspritzte.
Demgegenüber tauchen im Verlauf des gesamten Albums immer wieder KING CRIMSON-Gedenk-Riffs auf, die wie eine späte Rache für die alberne Kriegserklärung des geradlinig gestrickten Punks gegen den progressiven Freiheitsgedanken klingen.
Weltmusikalisch überrascht uns dann das Instrumental „Säbeltanz“, zugleich gelungener Abschluss der LP-A-Seite, der auf die konzeptionelle Fortsetzung nach dem Wenden der Platte verdammt neugierig macht und mit dem „bösen“, hier bereits gewürdigten Song „Todesrad“ beginnt, weswegen wohl auch das Ende dieser langsam viel zu lang werdenden Review – die hoffentlich der eine oder andere neugierig gewordene Leser und freigeistige Musikhörer bis zum Ende durchgehalten hat – mit einem Zitat aus der Mail des Bassisten Müller, der vielleicht gerade seines Allerweltsnamens und seines Vaters wegen sich für diese außergewöhnliche Musikrichtung entschieden hat, enden soll: „Ich erinnere mich daran, intensiv die 'Wish You Were Here' und 'Dark Side of the Moon' in meinem Zimmer anzuhören. Den ersten Bass kaufte ich ca. mit 16 - Schulfreunde überredeten mich dazu, weil die Stelle des Bassisten in ihrer Band vakant war. Schnell lernte ich das Instrument lieben und übte u.a. Stücke wie 'Child in Time' oder 'Space Truckin' von Deep Purple. Mit diesem Hintergrund begann ich dann auch schon bald, den Progressive Rock & Art Rock der Neuzeit zu entdecken: über einen Sampler im Eclipsed-Magazin stiegen mein Vater und ich bei Porcupine Tree ein - erst die floydigen Frühwerke, dann aber das grandiose, krachende 'In Absentia' von 2002. 2003 (als ich 16 war) wurden mein Vater und ich auf die Konzerte im Bergkeller Reichenbach aufmerksam und ich erinnere mich noch gut an erste Konzerte von R.P.W.L., Ritual, Anekdoten...“
Wer wissen möchte, wie die Musik eines jungen Bassisten und seiner Band klingt, die sich übrigens bei einem MARS VOLTA-Konzert geflasht über den Weg liefen, der darf auf das Konzeptalbum „Katastrophil“ mehr als gespannt sein und sollte noch dazu bei der wunderbar gestalteten, streng limitierten Vinyl-Variante zuschlagen. So klingt Musik voller Leidenschaft, die keine Anspruch auf Perfektion erhebt, sich aber alle Freiheiten herausnimmt… Echt progressiv eben…
FAZIT: Eine junge deutsche Band mit dem mutigen Versuch, progressive Rockmusik mit Avantgarde, Punk und deutsch gesungen-geschrien-gesprochenen Texten zu verbinden, die anhand einer Zirkus-Parabel die Verwerfungen innerhalb einer Gesellschaft schmerzhaft zur Schau stellen. ORANGE UTAN stecken viel leidenschaftliche Liebe in ihr Album „Katastrophil“, das in seiner streng limitierten, transparenten Vinyl-Variante, der ausgezeichneten Gestaltung und dem 12seitigen Booklet eine außergewöhnliche Wirkung entfaltet.
- 1-3 Punkte: Grottenschlecht - Finger weg
- 4-6 Punkte: Streckenweise anhörbar, Kaufempfehlung nur für eingefleischte Fans
- 7-9 Punkte: Einige Lichtblicke, eher überdurchschnittlich, das gewisse Etwas fehlt
- 10-12 Punkte: Wirklich gutes Album, es gibt keine großen Kritikpunkte
- 13-14 Punkte: Einmalig gutes Album mit Zeug zum Klassiker, ragt deutlich aus der Masse
- 15 Punkte: Absolutes Meisterwerk - so was gibt´s höchstens einmal im Jahr
- Seite A (21:26):
- * Eintritt * / Gevatter (4:23)
- Herr Direktor (5:37)
- Clown Boris (4:28)
- Akrobat (3:56)
- Säbeltanz (3:02)
- Seite B (21:05):
- Todesrad (3:43)
- Bonnies Traum (11:05)
- Epilog (5:04)
- Abgang (1:13)
- Bass - Sören Müller
- Gesang - Sandro Gäbler
- Gitarre - Burkhard Naumann
- Schlagzeug - Christian Kupsch
- Katastrophil (2018) - 11/15 Punkten
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