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Suicide: Surrender: A Collection (Review)
Artist: | Suicide |
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Album: | Surrender: A Collection |
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Medium: | CD/Download/Do-LP | |
Stil: | No Wave, Punk, Electronic, Noise, Psyche |
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Label: | Mute/BMG | |
Spieldauer: | 81:56 | |
Erschienen: | 25.03.2022 | |
Website: | [Link] |
Warum man sich als Band unbedingt einen dermaßen selbstzerstörerischen Namen wie SUICIDE (Selbstmord) wählen musste, ist natürlich das große Geheimnis von ALAN VEGA & MARTY REV, beides wohl selber keine Selbstmord-Kandidaten, dafür aber begnadete Musiker, deren Publikum hoffentlich nicht vor Begeisterung der Absicht hinter deren Bandnamen nacheifert.
Gibt's für sowas eigentlich Erhebungen? Wohl besser nicht...
Dass dann eine Zusammenstellung mit ihren besten Songs – herausgegeben auf einer gerade durch ihre Einfachheit grandios gestalteten Doppel-LP – auch noch den Titel „Surrender“ (Kapitulation) trägt und auf blutrotem Vinyl veröffentlicht wird, sagt noch mehr über das etwas perfide erscheinende Grundverständnis von SUICIDE, an dem sich sicher so einige Horden von Psychologen nur zu gerne abarbeiten würden, aus.
Doch zum Glück setzt man sich als Musikkritiker ja nicht vorrangig mit der Psyche von Musikern, sondern dem Produkt ihrer Psyche auseinander: der Musik. Und die ist bei dem selbstmörderischen Duo großartig, wie man auf der ebenso großartig remasterten „Surrender“-Zusammenstellung, die das über 40jährige Schaffen von Vega & Marty Rev umreißt, hören kann. Leider darf ALAN VEGA diese extrem liebevoll gestaltete Zusammenstellung der besten SUICIDE-Songs auf einer weißen, verdächtig an das 'Weiße Album' der BEATLES erinnernden Doppel-LP, in dem das einzig Farbige die beiden blutroten Vinyl-Scheiben sind, samt riesigem, 6-LP-Hüllen-großem Poster und sechsseitigem LP-großen Booklet nicht mehr miterleben, da er im Alter von 78 Jahren, nachdem er bereits 2012 einen Schlaganfall erlitten hatte, im Jahr 2016 verstarb.
In den Siebzigerjahren gehörten die Beiden noch als musikalische Jungsporne zu den völlig neue Klangwelten auslotende und den aus der Mode geratenden Punks den musikalischen Wave-Stinkefinger zeigenden Reformern, die später solchen namhaften Bands wie DEPECHE MODE oder SOFT CELL und THE JESUS AND MARY CHAIN als Vorbild dienen sollten. SUICIDE wurden so, besonders ihrer beiden ideengebenden Musik-Charismatiker wegen, eine der einflussreichsten Proto-Punk-Bands, vor denen vom Punk über Synthi-Electronics bis zum Psyche-Rock keine noch so abwegige Stilrichtung sicher war.
Sie selber bezeichneten ihre avantgardistischen Punk-Electro-Klangwelten als 'No Wave' und legten genau den Sound vor, welchen später SONIC YOUTH so richtig bekannt machen sollte und den auch die SWANS und BRIAN ENO in ihren experimentellen Phasen sehr gerne aufgriffen. No Wave verarschte im Grunde die New-Wave-Hysterie, die sich an relativ festen Pop-Strukturen orientierte, während SUICIDE sich an keinerlei Vorgaben gebunden fühlten. Mal konnte man nach dieser Musik tanzen, dann wiederum in Ekstase geraten oder irgendwie einfach nur abheben – oder (Hoffentlich nicht!) seinen SUICIDE planen… Es war einfach alles möglich.
Schon allein dass diese Sammlung von 16 SUICIDE-Songs nach einem der untypischsten Songs – einer schmachtvollen Ballade – benannt ist, die sogar im Frühstücks-Radio sicher locker ein wiederholtes Airplay erreichen könnte, ist ein hintergründiger Joke.
Genauso wie der bitterböse, wortwörtlich mörderische Song „Dachau, Disney, Disco“ (der wahrscheinlich heutzutage jede Menge von Zwangsmoralisten auf den Plan rufen würde) so definitiv als frei-experimentierende Noise-Attacke komplett ungeeignet für jede Form von Diskothek ist. In diesem Sinne könnte man wirklich jeden einzelnen Song interpretieren oder zu verstehen versuchen.
Hört man dann auch noch genauer auf die Texte, wird einem der bitterböse schwarz-britische Humor dieses amerikanischen Duos, das ähnlich grenzenlos agiert wie ein ZAPPA, erst recht bewusst. Nimmt man sich daraufhin auch noch die Zeit, den umfangreichen Begleittext des Booklets, verfasst von Henry Rollins, zu lesen, dann wird zudem große Lust auf das Entdecken von SUICIDE geweckt, da viele sicher mit dieser nie wirklich erfolgreichen Band noch gar nichts anfangen können – oder sogar etwas abgeschreckt vom Bandnamen waren.
„Surrender“ umreißt die wichtigsten SUICIDE-Stationen und natürlich alle Alben, von denen die Songs stammen, als da wären:
*1977: 'Suicide'
*1980: 'Suicide – Alan Vega & Martin Rev
*1988: 'A Way Of Life'
*1992: 'Why Be Blue'
*2002: 'American Supreme'
Der später deutlich berühmtere Musiker HENRY ROLLINS stellt im Booklet zudem diesbezüglich klar: „Die Zusammenstellung der Songs ist weder eine 'Best Of' noch eine endgültige Kompilation, welche man kennen muss. Vielmehr unternimmt sie den Versuch einer Einführung in das Schaffen der Band, die hoffentlich dazu anregt, alle Alben von SUICIDE genauer zu erkunden.“
Der absolute Hammer an dem Doppel-Album ist allerdings neben dem wahrhaft gelungenen Remaster – gerade bei solcher oft rau und garstig wirkenden, sich zwischen rockigen Rhythmen und elektronischen Experimenten bewegenden Musik erweist sich dies als wirklich schwierig – die Tatsache, dass sich auf der letzten LP-Seite zwei SUICIDE-Raritäten verstecken: „Girl“, ein bis dato noch nie veröffentlichter Song, der von herrlich geilen Sexualfantasien und -geräuschen lebt, und die Ursprungsversion von „Frankie Teardrop“, die es auf eine satte Spielzeit von beinahe einer Viertelstunde bringt – und genau das, was für THE DOORS „The End“ war, für SUICIDE wohl „Frankie Teardrop“ ist. Einmal nur hören – und schon wird wohl jedem klar, wieviel Wahres in dieser letzten Feststellung steckt.
FAZIT: Die schönste und beste Form des Selbstmords ist ausschließlich die musikalische. So oder ähnlich müssen sich das ALAN VEGA & MARTY REV wohl vorgestellt haben, als sie Anfang der 1970er-Jahre ihre Band SUICIDE gründeten und mit ihrem 'No Wave' – einer Kombination aus Punk, Psyche und Electronics – zur mörderischen Mission gegen den New Wave antraten und damit, trotz anfänglicher bis dauerhafter Erfolglosigkeit, absolut stilprägend für solche Bands wie NEW ORDER, DEPECHE MODE, SOFT CELL, BRONSKI BEAT und viele andere progressive Electro-Pop-Bands wurden. Mit „Surrender: A Collection“ erscheint nun in Form einer ausgezeichnet gestalteten, mit Poster und dickem Booklet versehenen, Doppel-LP – ganz in Weiß an das wohl wichtigste und experimentellste Album der BEATLES gemahnend – mit zwei blutroten Vinyls in deren Inneren, eine Zusammenstellung der wichtigsten SUICIDE-Songs aus den Jahren 1977 bis 2002. Ein herrliches Sammlerstück für alle, denen schon immer der New Wave suspekt war – hier werden die wichtigsten und (vielleicht auch des provokativen Bandnamens wegen) trotzdem recht unbekannten Vertreter der Gegenströmung namens 'No Wave', zu denen beispielsweise auch BRIAN ENO zählte, wieder richtig in Szene gerückt. Entdecker-Alarm!
- 1-3 Punkte: Grottenschlecht - Finger weg
- 4-6 Punkte: Streckenweise anhörbar, Kaufempfehlung nur für eingefleischte Fans
- 7-9 Punkte: Einige Lichtblicke, eher überdurchschnittlich, das gewisse Etwas fehlt
- 10-12 Punkte: Wirklich gutes Album, es gibt keine großen Kritikpunkte
- 13-14 Punkte: Einmalig gutes Album mit Zeug zum Klassiker, ragt deutlich aus der Masse
- 15 Punkte: Absolutes Meisterwerk - so was gibt´s höchstens einmal im Jahr
- Seite A (20:38):
- Dominic Christ (6:33)
- Diamonds, Fur Coat, Champagne (3:17)
- Harlem (6:34)
- Rocket USA (4:14)
- Seite B (22:00):
- Cheree (3:39)
- Dream Baby Dream (6:20)
- Touch Me (4:21)
- Ghost Rider (2:30)
- Mr. Ray (5:10)
- Seite C (18:02):
- Surrender (3:46)
- Why Be Blue? (4:33)
- Wrong Decisions (4:27)
- Dachau, Disney, Disco (5:16)
- Seite D (21:16):
- Radiation (3:04)
- Girl – Unreleased Version (4:49)
- Frankie Teardrop – First Version (13:23)
- Gesang - Alan Vega
- Keys - Martin Rev
- Surrender: A Collection (2022)
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