Musikreviews.de bei Facebook Musikreviews.de bei Twitter

Partner

Statistiken

Hotel Rimini: Allein unter Möbeln (Review)

Artist:

Hotel Rimini

Hotel Rimini: Allein unter Möbeln
Album:

Allein unter Möbeln

Medium: CD/LP/Download
Stil:

Indie Pop, Kammermusikalische (deutschsprachige) Liedermacherkunst

Label: Eigenproduktion
Spieldauer: 46:09
Erschienen: 27.10.2023
Website: [Link]

Lasst uns ganz schnell einchecken ins HOTEL RIMINI, denn hier begegnen uns kleine Mädchen (wohl ein Kinderbild der Band-Geigerin und Orgelspielerin) mit großem, sogar echten Hasen auf dem Arm (Cover), genauso wie altmodische Möbel, zwischen denen man sich allein fühlt, und ganz große deutschsprachige Lieder voller Poesie und mal andächtiger, dann wieder leidenschaftlicher (und immer intellektuell-verspielter) Schönheit, die sich wortspielend durch die schönsten Kammer-Pop-Melodien bewegen, die man sich vorstellen kann. Noch dazu werden wir mir jeder Menge Retro-Charme überhäuft.

Dieses HOTEL RIMINI lädt einen nicht nur zum Verweilen ein, sondern auch zum Wohlfühlen und dauerhaften Bleiben sowie zum Schwelgen in Erinnerungen, in denen man gerne auch mal die 'gelähmten Sekunden' zählt, während eine Ameise sagt „Immerhin“, um dann ins Meer zu pinkeln („Novemberflucht“) und sogar „'Der Schrei' von Munch“ stumm bleibt.

Einchecken ist im HOTEL RIMINI einfach (Also einfach nur LP auf den Plattenteller legen und zuhören), das Auschecken allerdings fällt schwer, wie am Ende eines gelungenen Urlaubs – man will einfach nicht mehr gehen oder im Falle von „Allein unter Möbeln“ aufhören zuzuhören.

Dabei fängt der (Urlaub) bzw. die (LP) doch so gewagt und ungewohnt an – mit einem vierminutigen zeitlupenartigen Instrumental, sodass man glaubt, sich in ein LAMBCHOP-Album verirrt zu haben. Genau diese amerikanische Band um den singenden Melancholiker Kurt Wagner wird einem noch öfters wegen der reichhaltig musikmöblierten Dreiviertelstunde von „Allein unter Möbeln“ in den Sinn kommen.

Überdeutlich kommen einem aber noch andere in den Sinn, wie ANNENMAYKANTEREIT (besonders des rau-knarzigen Gesangs wegen) und ELEMENT OF CRIME sowie eine Prise von KETTCAR plus M. WALKING ON THE WATER (nur aus musikalischer Sicht, denn schließlich singen die ja englisch, aber auch deren Texte sind richtig gut). All die vereinen sich als Brüder und Schwestern im Musik-Geiste im Westflügel des HOTEL RIMINI, in dem sie natürlich keine Luxus-Suite gebucht haben, sondern eine kleine Kammer (Daher wohl der Begriff 'Kammer'-Orchester, denn hier haben sich bereits mit Cello, Violine, Kontrabass und Waldhorn sowie Cavaquinho, eine brasilianischen Ukulele, niedergelassen) voller Bücher (für den Intellekt und die poetischen Texte) und einer guten Musikanlage (für den richtig guten Klang dieser LP).
Mehr braucht es wirklich nicht, um „Allein unter Möbeln“ zu genießen, was speziell auch an den einerseits verkopften, andererseits ironischen und ganz besonders vor Wortspielereien der Extraklasse überbordenden Texten, die man garantiert nach nur einem Hördurchgang nicht begriffen, verstanden oder partizipiert hat, liegt. Nur bitte deswegen nicht bei der freien Journalistin Aida Baghernejagd nachfragen. Denn die findet die Texte scheiße, wie sie uns am 27. Oktober im Rahmen von 'Soundcheck' bei radio1 wissen ließ und diesem Album das Prädikat 'Niete' verpasste. Ja, da kann man eben auch völlig anderer, entgegengesetzter Meinung sein. Und das schreibt tatsächlich ein (anderer) Germanist und Kritiker, der übrigens schon in seinen eingemauerten Zeiten das Interpretieren von Gedichten hasste und beim Studium sowie seinem eigenen Unterricht verabscheute, da ihm das Verstehen und Fühlen wichtiger ist. Und genau das gelingt HOTEL RIMINI

Nun verlassen wir aber noch kurz die Zone West, um uns in die Ost-Zone bzw. den Ostflügel von HOTEL RIMINI zu begeben, denn den betritt man ebenfalls gerne, bei all dem gesinnungstrunkenen Augenzwinkern, welches nicht umsonst in dieser Art durchaus auch Ost-Nostalgisches in sich birgt. Denn den bereits aufgestellten Vergleichen West darf man auch gerne ein paar passende Ost-Vergleiche hinzufügen, womit man beim „Who is who“ der Ost-Liedermacher-Szene angelangt ist und auf solche Größen wie GUNDERMANN und GERHARD SCHÖNE sowie HANS-ECKARDT WENZEL oder PENSION VOLKMANN kommt.
Natürlich sind gerade diese Ostvergleiche – speziell auch der Texte wegen – zwingend notwendig. Schließlich kommen HOTEL RIMINI nicht etwa aus Italien (Wo sie sich laut unglaubwürdiger Band-Anekdote in einem Hotel kennengelernt haben, womit auch der Name hinter diesem Sextett geklärt wäre!), sondern aus Leipzig, der Stadt, von der 1989 die Friedliche Revolution ausging.

Leider dreht sich der Song „Novemberflucht“ nicht um die Mauerfall-Zeit, was echt gepasst hätte, sondern viel mehr um die November-Depression, der wir ja gerade alle in diesem Monat entgegensteuern. Aber er enthält zugleich die herrlichsten, verrückt und gleichermaßen genial wirkenden Sprachverdrehungen: „Mein Meerschein ist verschwunden / Und sucht in der Stadt nach Meer / Und ich such nicht mehr das Weite / Sondern schau stattdessen Fern- / Zügen in den Süden nach und gern“. Und zum Schluss gleich noch eine Kostprobe, die auch durch den herrlich rauchigen Gesang von Julius Forster neben dem Text bleibende Wirkung hinterlässt: „Das, was man hat, ist das, / Was dem, was man will, gern weicht / Ein Ziel ist nur ein Ziel bis / Man's erreicht.“

Ihr habt das Ziel erreicht – liebe Leipziger Musikangestellte aus dem HOTEL RIMINI. Hoffentlich habt ihr auch was davon! Und wer euch nicht versteht, der kann ja gerne in ein anderes Hotel einziehen – ein moderneres, mit W-Lan und allem anderen luxuriösen Schnickschnack, der einem auf „Allein unter Möbeln“ musikalisch wie textlich zum Glück in keiner Sekunde geboten wird. Dafür aber „Jubel, Trubel, Eitelkeit“ oder „Kalter Kaffee“ und „Schwedische Gardinen“.
Wem das nicht reicht, der gehe zurück auf Los und im Notfall doch besser ins Gefängnis…

FAZIT: „Ich wär' so gerne fremdbestimmt, ein Kind, das man zum Zähneputzen zwingt“, singen HOTEL RIMINI auf „Allein unter Möbeln“ aus voller, rauer Kehle – und man fragt sich erst: 'Wie meinen die denn das?', und dann: 'Meinen die das wirklich ernst?'. Aber klar doch! Wenn diese Band aus Leipzig, die mit Streich- wie Blasinstrumenten und retrolastigem Rock-Instrumentarium (Orgel, Casio, Synthesizer) sowie einem Sänger, der sich stimmlich irgendwo zwischen Henning May (AnnenMayKantereit) und Gerhard Gundermann bewegt, ein Debüt-Album raushauen, das einen in seiner mutigen musikalischen Indie-Kammer-Pop-Ausrichtung und den unglaublich einfallsreichen wie wortspielverliebten Texten verblüfft, dann haben die Musiker im Grunde alles richtig gemacht. Selbst wenn das die Mainstream-Medien wahrscheinlich nicht ganz so sehen, bleibt eins aber felsenfest wie eine Sandburg bestehen: „Allein unter Möbeln“ ist zwar keine LP (die übrigens auch in einem fein im 70er-Jahre-Stil gestalteten Klappcover samt mit allen Texten bedruckter LP-Innenhülle daherkommt), welche den breiten Massengeschmack für kurze Zeit und ein entsprechendes Radio-Airplay befriedigt, dafür aber eine schwarze Doppelrille, die durchaus das Zeug für die Ewigkeit hat. Genaues Zuhören, textliches Um-die-Ecke-denken und musikalischer Freigeist sind dafür jedoch zwingende Voraussetzung.

Thoralf Koß - Chefredakteur (Info) (Review 1735x gelesen, veröffentlicht am )

Unser Wertungssystem:
  • 1-3 Punkte: Grottenschlecht - Finger weg
  • 4-6 Punkte: Streckenweise anhörbar, Kaufempfehlung nur für eingefleischte Fans
  • 7-9 Punkte: Einige Lichtblicke, eher überdurchschnittlich, das gewisse Etwas fehlt
  • 10-12 Punkte: Wirklich gutes Album, es gibt keine großen Kritikpunkte
  • 13-14 Punkte: Einmalig gutes Album mit Zeug zum Klassiker, ragt deutlich aus der Masse
  • 15 Punkte: Absolutes Meisterwerk - so was gibt´s höchstens einmal im Jahr
[Schliessen]
Wertung: 13 von 15 Punkten [?]
13 Punkte
Kommentar schreiben
Tracklist:
  • Seite A (23:15):
  • Prolog (Fernverkehr) (4:01)
  • Gefallen (3:21)
  • Schwedische Gardinen (4:39)
  • Arbeit und Struktur (4:09)
  • Allein unter Möbeln (4:07)
  • Jubel Trubel Eitelkeit (2:58)
  • Seite B (22:54):
  • Interlude I (Trabant) (0:52)
  • Novemberflucht (2:39)
  • Granola (3:41)
  • Gespenster (5:08)
  • Interlude II (Nachtbus) (0:55)
  • Kalter Kaffee (5:18)
  • Hilde (4:21)

Besetzung:

Alle Reviews dieser Band:

Interviews:
  • keine Interviews
(-1 bedeutet, ich gebe keine Wertung ab)
Benachrichtige mich per Mail bei weiteren Kommentaren zu diesem Album.
Deine Mailadresse
(optional)

Hinweis: Diese Adresse wird nur für Benachrichtigungen bei neuen Kommentaren zu diesem Album benutzt. Sie wird nicht an Dritte weitergegeben und nicht veröffentlicht. Dieser Service ist jederzeit abbestellbar.

Captcha-Frage Was kommt aus dem Wasserhahn?

Grob persönlich beleidigende Kommentare werden gelöscht!