Musikreviews.de bei Facebook Musikreviews.de bei Twitter

Partner

Statistiken

Selina Martin: Time Spent Swimming (Review)

Artist:

Selina Martin

Selina Martin: Time Spent Swimming
Album:

Time Spent Swimming

Medium: CD/LP/Download
Stil:

Art Pop, Electronics, Avantgarde

Label: Selma Records/Outside Music
Spieldauer: 35:10
Erschienen: 25.11.2022
Website: [Link]

Als erstes sollte man, wenn man die Nadel auf das (unbedingt empfehlenswerte) rotgesprenkelte gelbe Vinyl von „Time Spent Swimming“ setzt, solche Begriffe wie 'konventionell, ausgewogen, normal, melodiös, entspannend' vergessen und gleich aus seinen Lauschern streichen. Besonders wenn diese bisher vorrangig auf ausgelutschte Radiomucke justiert waren. Denn SELINA MARTIN ist keine verschmuste Musikerin, die allerwelts Freundin sein will, sondern eine verrückte Experimentiererin, die nur so vor Ideen übersprudelt und dabei mitten zwischen solchen 'Klangweltenreisenden' wie LAURIE ANDERSON, ANNE CLARK und BRIAN ENO wandelt, aber auch mit einer KATE BUSH oder AMANDA PALMER und BJÖRK sowie den TALKING HEADS liebäugelt.

Es ist also Vorsicht geboten bei der kanadischen Musikerin, die einem kaum die Chance lässt, sie irgendwo einzuordnen bei all diesen Breaks, Beats, Field-Recordings, Akkord- und Stimmungswechseln.

Gerade das Album-Cover offeriert einem eher verträumte Musik zwischen Folk und Art Pop, aber nicht solche gewagten Experimente, die von Samples, den kuriosesten Instrumenten sowie Kokosnuss-Geklapper, Vogelzwitschern, Froschgequake, singenden Sägen, aber auch Orgeln, fetten Bässen, Schlagzeug und vielem mehr sowie der eindringlichen weiblichen Stimme, die natürlich ebenfalls der einen oder anderen Verfremdung unterworfen wird, geprägt sind.

Da tanzt SELINA MARTIN beispielsweise in ihrem Video zum Corona-Song nach wilden Rhythmen und mit ungewöhnlichen Bewegungen durch einen einsamen, leeren Vergnügungspark, der einen mehr gruseln als erfreuen lässt. Wobei noch dazu sicher viele entzückt sein werden, die das grandiose Album „My Life In The Bush Of Ghosts“ von BRIAN ENO & DAVID BYRNE ihr eigen nennen, denn genau an dieses kleine experimentelle Meisterwerk höchster Sample-Kunst kommt auch „Quarantine“ heran.

Aber es gibt auch verträumte Momente samt wunderschöner Melodien, die sich bei „If You Were A River“ in einer faszinierenden Ballade vollenden, in der man wie im besungenen Fluss dahinfließt, während einen das Vibraphon und die singende Säge begleitet.

Doch egal, wie die Musik auch klingen mag, wie die Rhythmen auch gestaltet sind – in den Texten geht es um Trennungen, Einsamkeit und Verluste, was sich in Martins Grundeinstellung zementiert, welche sie zur Kunst hat: „Alle Kunst drückt in irgendeiner Form das Alleinsein aus. Umgekehrt offenbart der Akt des Kunstmachens ein wesentliches Bedürfnis nach Verbindung.“ Genau diese Zerrissenheit spiegelt sich durchgängig auch auf „Time Spent Swimming“ wider – nie weiß der Hörer, in welche Richtung sich die Musik entwickelt und ist jedesmal überrascht, aber oft auch etwas verunsichert, wenn er beispielsweise spätestens bei „So Lo“ den Eindruck gewinnt, sich in ein Sumpfgebiet oder eine Art Indianer-Reservat zu begeben, bei dem echte Vögel und Frösche einen gemeinsamen Sample-Gesang mit der 'Musik-Squaw' Selina anstimmen, während man doch gerade noch vom großen Gewässer träumte, das einem so ähnlich wie das Bild auf dem Cover erschien.

FAZIT: Wer auf Ohrwürmer und durchschaubaren Pop mit weiblich angepasster Stimme steht, ist auf „Time Spent Swimming“ der multi-experimentellen Kanadischen Musikerin SELINA MARTIN falsch aufgehoben. Denn sie wagt es, ihre Musik zwischen Art Pop und Elektro-Post-Rock sowie wahrer, einem ENO alle Ehre machender Sample-Kunst zu verorten, die dem Martin-Grundsatz in höchster Weise genügt, der da lautet: „Ich glaube auch, dass man Risiken eingehen muss, um Kunst zu machen. Man muss seine Umgebung und seine Psyche erforschen, man muss tief denken und fühlen, während man sucht...“ Noch dazu kommt diese Kunst als Gesamtwerk ganz besonders intensiv auf dem rotmarmorierten, gelben Vinyl zur Geltung, das sich hinter dem so himmelblau gestalteten LP-Cover als wahrer Gegensatz zu erkennen gibt – genauso gegensätzlich wie das, was auf diesem Album alles passiert (und genauso farbenfroh).

Thoralf Koß - Chefredakteur (Info) (Review 2056x gelesen, veröffentlicht am )

Unser Wertungssystem:
  • 1-3 Punkte: Grottenschlecht - Finger weg
  • 4-6 Punkte: Streckenweise anhörbar, Kaufempfehlung nur für eingefleischte Fans
  • 7-9 Punkte: Einige Lichtblicke, eher überdurchschnittlich, das gewisse Etwas fehlt
  • 10-12 Punkte: Wirklich gutes Album, es gibt keine großen Kritikpunkte
  • 13-14 Punkte: Einmalig gutes Album mit Zeug zum Klassiker, ragt deutlich aus der Masse
  • 15 Punkte: Absolutes Meisterwerk - so was gibt´s höchstens einmal im Jahr
[Schliessen]
Wertung: 12 von 15 Punkten [?]
12 Punkte
Kommentar schreiben
Tracklist:
  • Seite A (18:17):
  • Tangier (3:45)
  • Two Storeys / The Ground (3:12)
  • Something Wide Awake (4:57)
  • Quarantine (3:05)
  • So Lo (3:18)
  • Seite B (16:53):
  • Your Face Goes Long (4:32)
  • Eurydice (3:14)
  • If You Were A River (3:03)
  • Hun-oo (0:22)
  • Smile (2:05)
  • Leopard-Skin Vespa (3:37)

Besetzung:

Alle Reviews dieser Band:

Interviews:
  • keine Interviews
Kommentare
Tom
gepostet am: 07.01.2023

User-Wertung:
15 Punkte

Wunderbar beschrieben, danke. gekauft und endlos gespielt!
(-1 bedeutet, ich gebe keine Wertung ab)
Benachrichtige mich per Mail bei weiteren Kommentaren zu diesem Album.
Deine Mailadresse
(optional)

Hinweis: Diese Adresse wird nur für Benachrichtigungen bei neuen Kommentaren zu diesem Album benutzt. Sie wird nicht an Dritte weitergegeben und nicht veröffentlicht. Dieser Service ist jederzeit abbestellbar.

Captcha-Frage Wobei handelt es sich nicht um ein Getränk: Kaffee, Tee, Bier, Schnitzel

Grob persönlich beleidigende Kommentare werden gelöscht!