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Interview mit RIVERSIDE (23.11.2018)
Nach dem Tod ihres Gitarristen Piotr Grudzinski melden sich Riverside 2018 mit dem Album "Wasteland" tiefgründig wie selten zurück. Im Rahmen des Konzerts in der Oberhausener Turbinenhalle spricht Mastermind Mariusz Duda über die Enstehungsgeschichte des Albums, die Kraft der Erinnerung und den Blick nach vorn.
Mariusz, wie fühlt es sich an wieder auf Tour zu sein und auf der Bühne zu stehen?
Es ist wirklich großartig, insbesondere wie sich diese Tour anfühlt wie eine Rückkehr in die Vergangenheit, als wir uns gut gefühlt haben. Die letztjährige Tour war geprägt von Trauer und Erinnerungen und es gab Momente, in denen es sehr hart war, auf der Bühne zu stehen. Jetzt, nach dem neuen Album, sind wir mit Riverside dahin zurückgegangen, wo wir hingehören – damit sind wir sehr glücklich und freuen uns darauf, wieder live zu spielen.
Ich kann mir gut vorstellen, wie schwierig die letzte Tour gelaufen sein muss. An welchem Punkt warst du persönlich angelangt, als du mit dem Schreiben des neuen Albums begonnen hast, auf dem du das Geschehene verarbeitest?
Um ehrlich zu sein ist „Wasteland“ wieder eine Art Soloalbum für mich. Ich war eineinhalb Jahre lang im Studio, um für mein Solo-Projekt Lunatic Soul aufzunehmen. Nach „Fractured“, dem ersten Album meiner neuesten Trilogie, wenn man so will, habe ich direkt das nächste Album begonnen. Das neue Riverside-Album habe ich immer wieder verschoben, weil mir eine Idee fehlte, in welche Richtung es gehen sollte. Aber nach zwei elektronisch geprägten Alben mit Lunatic Soul habe ich festgestellt, dass ich mit Riverside zu einem organischen Sound zurückkehren wollte, besonders nach dem Experiment von „Eye of the Soundscape“ und einigen anderen Dingen in der Vergangenheit. Als ich diese Idee hatte, bin ich einfach ein wenig länger im Studio geblieben und habe fast alle Songs geschrieben. Michal [Lapaj] kam dazu und half mir, einige Dinge fertig zu stellen – das war’s, wir hatten das Album. Es war nicht so, dass die ganze Band im Studio gemeinsam alles Mögliche ausprobiert hat – ich war einfach im Flow und wollte aufgrund der Lunatic Soul-Alben etwas anderes machen. Das war die Perspektive, die ich für die Arbeit an „Wasteland“ eingenommen habe.
Es war spannend, weil ich nach allem was passiert ist realisiert habe, dass Piotr [Grudzinski] nicht mehr bei mir ist; dass ich gewissermaßen auf mich allein gestellt bin. Deshalb habe ich – wie bei Lunatic Soul auch – zur Gitarre gegriffen. Ich habe das meiste selbst eingespielt und für ein paar Details Maciej [Meller] und Mateusz [Owczarek] dazu gebeten – das war’s.
Bei der Veröffentlichung eures letzten Albums hast du gesagt, dass „Eye of the Soundscape“ nicht das nächste musikalische Kapitel von Riverside sei. Das Album war eher auf die Vergangenheit ausgerichtet und enthielt auch die letzten Aufnahmen von Piotr – was sind die Veränderungen, mit denen „Wasteland“ jetzt den nächsten Abschnitt von Riverside beginnt?
Naja, “Eye of the Soundscape” war quasi nur ein Album für zwischendurch und die Idee einer nächsten Riverside-Platte entstand schon, als Piotr noch bei uns war. Von einem künstlerischen Standpunkt habe ich mit Piotrs Tod die Möglichkeit gesehen, etwas zu verändern. Wir haben den David Gilmour-Stil in unseren Gitarren verloren, also sind wir fertig mit Pink Floyd. Wenn wir aber mit Pink Floyd fertig sind, müssen wir etwas finden, das allein unseres ist. Wir haben auf eine andere Art von Melodien zurückgegriffen und ich habe ein paar Lösungen gesucht, Dinge anders zu machen. Tieferer Gesang, andere Drums, merkwürdige Gitarren-Effekte, die wie ein verzerrter Bass klingen – all diese Dinge haben zu der Überzeugung geführt, dass ich etwas wirklich Originelles erreichen kann.
Das wichtigste aber war, sich von der Elektronik zu lösen. „Wasteland“ ist ein Album über einen Neuanfang, weshalb die Akustikgitarre das Hauptinstrument sein sollte.
Also hast du das meiste wieder auf der Akustik-Gitarre geschrieben?
Ich habe ja auch schon „Anno Domini High Definition“ auf der Akustikgitarre geschrieben, das macht für mich keinen Unterschied. Bei „ADHD“ haben wir hinterher mit der Band alles verzerrt gespielt – dieses Mal habe ich sehr viel mehr von den ursprünglichen Demos beibehalten.
“Wasteland” ist vermutlich eins der persönlichsten und emotionalsten Alben, die ich kenne - es ist ein bisschen so, als würde ein Autor, dessen Romane man liebt, plötzlich eine Autobiographie schreiben. Wie fühlt es sich für dich an, mit einem so persönlichen Album über den Umgang mit deiner Trauer in die Öffentlichkeit und auf die Bühne zu gehen?
Live zu spielen ist etwas anderes als zu komponieren oder im Studio zu sein, würde ich sagen. Für mich gibt es immer eine Dreiteilung von Kreativität: Der erste und emotionalste Teil passiert dann, wenn ich die Akustikgitarre nehme und versuche das zu spielen, was ich in diesem Moment fühle – für mich alleine oder zusammen mit den Anderen, das ist egal.
Der zweite Teil ist das Recording, wobei die grundlegenden Emotionen langsam verblassen. Darum ist der erste Teil immer so wichtig für mich: Ich versuche emotionale Dinge einzufangen und warte nur darauf, sie irgendwann wieder loszuwerden. Dabei gibt es nur ein paar Ideen, die wirklich von Dauer sind – das bedeutet, dass sie kraftvoll genug sind, sie im Studio fortzuführen. Im Studio verwandle ich mich in jemanden, der in diesem Moment nur das Album produziert. Ich muss mich immer daran erinnern, dass ich jetzt gerade nicht kreiere, obwohl ich das Bisherige nehme und versuche, es so klingen zu lassen, wie ich es ursprünglich wollte.
Der dritte Teil – live zu spielen – ist jetzt gerade wie ins Kino zu gehen und den Film in 3D zu sehen. Der emotionale Aspekt hängt von deiner Stimmung ab; davon, wie du dich gerade fühlst. Auf dieser Tour versuchen wir mit Riverside eine große Show zu bieten, also ist es manchmal nicht möglich, genau das Feeling zu haben, als würdest du mit dem Album allein in deinem dunklen Zimmer sitzen.
Für „Wasteland“ haben wir in Polen ein paar Songs in akustischen Versionen gespielt – das könnte noch etwas für die Zukunft sein. Jetzt gerade denke ich, dass unsere emotionale Vergangenheit dich auf vielen Ebenen ansprechen kann, wenn du sie mit dem Inhalt von „Wasteland“ verbindest: Wenn du auf die emotionale Seite achtest, bekommst du eher die Emotionen mit. Wenn du kommst, um die Lichtshow und den kräftigen Sound zu sehen, bekommst du genau das. Ich versuche in unseren Shows immer, möglichst viele Schichten zu schaffen.
Die post-apokalytische Geschichte auf „Wasteland” berührt mit Religion und Politik auch sehr reale aktuelle Themen. Wie viel ist tatsächlich Fiktion und wie viel Kritik an Aktuellem sind auf dem Album enthalten?
Ich versuche immer, aus einer eher psychologischen oder soziologischen Perspektive zu schreiben. In diesem speziellen Fall wollte ich sagen, dass Dinge wie politische Konflikte oder das Ausnutzen von Religion tatsächlich das Ende der Welt bedeuten könnten. Die Religion selbst ist ja nicht schuld, richtig? Es sind die Leute, die sie für ihre eigenen Zwecke nutzen und damit Schlechtes tun. Ich dachte, das sei eine sehr schöne Einleitung für das Album.
In erster Linie ist “Wasteland” aber wie ein Soundtrack zu einem Roadmovie. Es fing damit an, dass ich darüber nachdachte, eine Geschichte über den Anfang und das Ende zu schreiben; über den einsamen Helden, der einfach durch die Einöde läuft. Ich wollte das Ganze im Prinzip wie ein Video-Rollenspiel aufziehen. Dann aber dachte ich: mit der melancholischen Musik, die wir spielen, ist der Raum für deine eigenen Interpretationen wichtiger als konkret zu sagen „Hier hat es begonnen, dann ging er in die Stadt und fand den alten Mann, später dann den Quell der Erkenntnis, …“ – das wollte ich vermeiden, also sind es im Prinzip nur ein paar gesammelte Songs darüber, irgendwo allein zu sein, wo du überleben musst.
Vielleicht ist das nur der Anfang oder die Einleitung für, ich kann es gar nicht sagen, eine nächste Trilogie oder so etwas – das werden wir sehen. Für den Moment denke ich, dass es so erst mal genug war.
Interessant an der Geschichte finde ich vor allem den Kontrast zwischen Zerstörung und Verzweiflung auf der einen Seite und der Hoffnung auf der anderen. „Guardian Angel“ oder Zeilen wie „We’ll survive intact again“ aus „The Night before“ – was ist für dich die Hauptbotschaft des Albums?
“Wasteland” ist kein Album über das Ende der Welt; es ist ein Album vom Überleben nach dem Ende der Welt. Das ist meine Botschaft, beeinflusst von den Ereignissen rund um die Band. Wir haben einen Freund verloren, wir hätten die Band fast beendet, haben aber überlebt und touren mit einem neuen Album. Wir schauen nach vorne. Einige Leute waren der Meinung, dass wir Riverside hätten beenden sollen, vielleicht unter einem anderen Namen weitermachen. Das wollte ich nicht tun. Ich habe immer die Hauptlast getragen und aus dieser Sicht hat sich nichts geändert. Wir haben eine sehr wichtige Stimme verloren, nicht aber den ganzen Kern von Riverside.
Das Album dreht sich also nicht um die Vergangenheit, es geht um die Zukunft. Wir stehen in der Einöde und suchen etwas, bauen das Haus gewissermaßen wieder auf – das ist die Botschaft. Ich habe bemerkt, dass diese Botschaft die letzte Dekade von Riverside geprägt hat, denn bei allem gibt es immer ein Licht am Ende des Tunnels. „Shrine of New Generation Slaves“ hatte „Coda“, „Love, Fear and the Time Machine“ hatte „Found“, auch auf Lunatic Souls „Fractured“ gab es „Moving On“. Den Menschen ein “Mach dir keine Sorgen, das wird schon” an die Hand zu geben ist besser als einfach zu sagen “Wir sind am Arsch”. Auch jetzt, wo wir ein bisschen am Arsch sind, müssen wir eine Lösung finden, dem zu entkommen.
Es gibt zwei Songs, über die ich gerne sprechen würde. Der erste ist „River down below“, vielleicht der am eindeutigsten Piotr gewidmete Song auf dem Album.
Ja, der Song handelt in erster Linie von Erinnerungen. Es geht darum, sich an jemanden zu erinnern, den wir verloren haben. In Polen gibt es einen Feiertag, an dem wir Kerzen an den Gräbern geliebter Verstorbener niederlegen. Es sollte aber nicht nur an diesem Tag so sein, es sollte die ganze Zeit über so sein. Dadurch, dass wir jetzt wieder live spielen, überlebt die Erinnerung an Piotr immer noch, überall. Ich denke, das schlimmste ist, wenn du jemanden vergisst – „River down below“ handelt davon, sich zu erinnern und bezieht sich auf Piotr.
Viel mehr an sein Leben erinnern als seinen Abschied zu verarbeiten?
Genau, es geht um die Erinnerung und darum, sie zu behalten – niemals zu vergessen. Das ist auch ein Beispiel für meine neue Ausrichtung beim Schreiben von Lyrics; sie sind jetzt symbolischer als vorher. In der Vergangenheit hätte ich vielleicht eher etwas geschrieben, das eine konkrete Verbindung zu uns hat. Dieses Mal gibt es eine Geschichte von jemandem, der sich in einem Baum das Leben genommen hat, weil er es vermutlich nicht ausgehalten hat, nach dem Untergang der Welt völlig allein zu sein. Jemand anders kommt vorbei, findet ihn und wird von geisterhaften Stimmen gebeten, ihn zum Fluss zu bringen.
Ein anderer Song, der heraussticht, ist “The Struggle for Survival”. An welchem Punkt des Schreibens hast du dich entschieden, dass so ein massiver Instrumentaltrack gut in die Mitte des Albums passen würde?
Während des Schreibens habe ich darüber nachgedacht, dieses Mal etwas Instrumentales reinzubringen. Ich lande immer wieder bei Instrumentalparts, die mir das Feeling von Filmmusik ermöglichen. Beim Komponieren brauchte ich das irgendwie, zwei längere Songs irgendwo in der Mitte und irgendwo am Ende des Albums – der klassische Riverside-Ansatz.
Welche Ideen hast du, wie dieses neue Kapitel der Band weitergehen könnte?
Ich werde das Bisherige auf jeden Fall weiter verfolgen, „Wasteland“ als Arbeitstitel nehmen und weiterführen. Wir haben etwas Interessantes gefunden, das wir entwickeln wollen. Außerdem inspiriert mich das Touren sehr: wir haben eine schöne Kombination alter und neuer Songs. Ich glaube, dass es ein großer Einfluss für eine neue Riverside-Platte sein wird, diese Art von Mischung auf einem neuen Album zu schaffen.
Die Geschichte von “Wasteland” wird also eine Fortsetzung finden?
Ja – ich bin noch nicht sicher, ob das nächste Album der zweite Teil einer neuen Trilogie sein wird; auf irgendeine Weise wird er aber mit dem spacigen Charakter unserer Musik in Verbindung stehen. Ich werde diese melancholische Reise, wenn man so will, weiterführen und mich wieder verstärkt auf die Melodien konzentrieren – das konnten wir schon immer am besten.
- Riverside - Out of Myself (2004)
- Riverside - Second Life Syndrome (2005)
- Riverside - Voices In My Head (EP) (2006)
- Riverside - Rapid Eye Movement (2007)
- Riverside - Anno Domini High Defintion (2009)
- Riverside - Memories In My Head (2011)
- Riverside - Shrine Of New Generation Slaves (2013)
- Riverside - Love, Fear And The Time Machine (2015)
- Riverside - Wasteland (2018)
- Riverside - Lost 'n' Found Live in Tilburg (2020)
- Riverside - Out of Myself (Re-Release) (2021)
- Riverside - ID.Entity (2023)