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Interview mit Nucleus Torn (26.02.2008)
Das Schweizer Ensemble NUCLEUS TORN schert sich nicht um Trends und Musik, die zuvor schon von tausend anderen Musikern aufgenommen wurde. Wie kaum eine andere Band verpacken NUCLEUS TORN ihre musikalischen Visionen in eine spannende Synthese aus moderner Klassik, Folk, Metal und Avantgarde, die in der aktuellen Musikszene einzigartig ist. Kreativkopf Fredy Schnyder nimmt sich an einem Freitagabend Zeit und stellt sich am Telefon unseren Fragen.
Hallo Fredy, dein Label sagte zu mir, dass du grad viel um die Ohren hättest und deswegen die Interviews am liebsten per Telefon machst. Woran liegt das? Hast du so viel zu tun mit dem „Knell“ Nachfolger „Andromeda Awaiting“?
Das hat eigentlich mehr mit meinem Studium zu tun. Ich habe grad gestern die letzten Abschlussprüfungen in meinem Nebenfach gehabt und muss mich jetzt schon in wenigen Stunden an die Abschlussarbeit meines Hauptfaches setzen.
Mit Musik hat deine knapp bemessene Zeit also momentan nichts zu tun?
Mit der Musik geht es parallel dazu weiter, die ganze Promotion für „Knell“ läuft ja auf Hochtouren. Dann habe ich auch einige Bestellungen bekommen, die rausmüssen … aber du hast Recht, mit Musik machen, mit Musik schreiben hat das grad relativ wenig zu tun.
Wessen Todesglocken läuten eigentlich auf „Knell“?
Das ist etwas, das ich dir gar nicht so beantworten kann. Es muss ja auch gar nicht um eine reale Person gehen, es geht eher um etwas Fiktives. Und ob es überhaupt die Todesglocken einer Person sind, das ist dann noch einmal eine andere Frage. Es geht eher um diese apokalyptische Stimmung, die das Album ja auf jeden Fall hat. Man kann das Album als Ganzes als eine Art von „Weltenbrand“ sehen, obwohl es natürlich auch um fiktive Charaktere geht, die in der Musik vorkommen.
Kommen wir nochmal auf das Vorgängerwerk „Nihil“ zu sprechen, das ja auch nicht grad leichteste Kost war, aber doch über ein paar eingängige Passagen verfügte, die auch eher „unbedarfte“ Hörer ansprechen könnten. Derartige Passagen sind auf „Knell“ eher rar gesät. Glaubst du, dass euer neues Album verstanden und angenommen wird? Oder ist dir das egal?
Das ist eine gute Frage. Ich ging von Anfang an davon aus, dass „Knell“ – viel stärker noch als „Nihil“ – auf ganz extreme Reaktionen stoßen wird. Das war auch eines der Ziele beim Schreiben des Albums. Bei „Nihil“ hatte ich im Nachhinein schon fast den Eindruck, dass ich im Prozess des Fertigstellens des Albums fast zu sehr einen Bogen gespannt habe zwischen den ruhigen Stellen und den wüsten, harschen Passagen, so dass beim Hören eine Art Fluss entsteht, dem man gut folgen kann, den man gut hören kann. Bei „Knell“ wollte ich diese Brüche, diese Diskontinuitäten, diese Dissonanzen in der musikalischen Struktur so stark betonen, dass der musikalische Fluss zum Teil reißt, so dass man beim Hören schon an die Grenzen des Erträglichen stößt. Der Hörer muss also für sich entscheiden: Kann ich das für mich noch zusammenhalten, gefällt mir das noch, will ich das überhaupt noch hören. Ich wollte eigentlich, dass am Ende nur noch zwei Reaktionen übrig bleiben: Völlige Begeisterung oder völlige Ablehnung.
Nun hast du grad von „ertragen können“ gesprochen. Viele denken jetzt sicherlich, warum sie Musik denn „ertragen“ können müssen. Man hört Musik doch zum Spaß und nicht, um sich irgendeine Form der Selbstkasteiung aufzuerlegen.
Hm, wieder eine sehr gute Frage. Ich finde, dass Kunst unter anderem auch den Auftrag hat, unangenehme Dinge spürbar zu machen und auszulösen. Man kann das als eine Art von Katharsis bezeichnen. Ich finde in keiner Weise, dass Kunst nur den Auftrag hat, schön zu sein und zu unterhalten. Unterhaltungsmusik und Populärmusik, die hat diesen Auftrag, dabei geht es ja auch primär um kommerzielle Ziele. Ich persönlich will aber Emotionen, ein Erlebnis vermitteln. Und so etwas kann nicht immer nur „schön“ im eigentlichen Sinne sein.
Wo ist denn für dich persönlich die Grenze zwischen Kunst und pseudoanspruchsvollen Gehabe? In manchen Fällen ist das schwer auseinander zu halten, wie ich finde.
Ich würde sogar weiter gehen und sagen, dass diese Unterscheidung fast unmöglich ist. Das hat alles stark mit ästhetischen und geschmacklichen Vorstellungen zu tun.
Glaubst du also, dass alles nur Geschmackssache ist oder gibt es auch ein paar objektive Größen, an denen man Kunst festmachen kann.
So etwas gibt es ganz sicher. Ich setze dabei immer die Maßstäbe an, die ich als klassischer Musiker kennengelernt habe. Seit fast 25 Jahren beschäftige ich mich intensiv mit klassischer Musik, bin auf drei bis vier Instrumenten wirklich gut ausgebildet und spiele auf einem professionellen Niveau. Ich weiß also, was es braucht, um klassische Musik gut zum Klingen zu bringen. Ich erkenne es, wenn jemand einfach nicht spielen kann, das kann man dann ganz objektiv sehen. Da kann jemand noch so eine große Klappe haben, da falle ich sicher nicht drauf herein. Aber auf der anderen Seite: Was will schon die Spielqualität aussagen, wenn die Atmosphäre einer Musik einfach unglaublich ist? Ich persönlich habe zum Beispiel ein Faible für Black Metal. Da gibt es viele Menschen, die nicht gut musizieren können, aber was dort geschaffen wird, das hat einfach eine unglaubliche Stimmungsqualität. Es gibt auch viel Dilettantisches, aber es gibt auch Vieles, da spürt man einfach in jeder Sekunde, dass dort Herzblut und auch Talent drin steckt.
Lass uns noch einmal zu „Knell“ zurückkehren. Für mein Empfinden ist es so, dass grad die ruhigen Passagen die bedrückenden sind, während die lauten, harschen Passagen etwas Befreiendes an sich haben. Ist das nur individuell mein Verständnis des Albums oder siehst du das genauso?
„Knell“ lebt davon, dass jeder Hörer etwas anderes in das Album hineininterpretiert. Das ist auch eine Grundlage meines Kompositionsprozesses, in dem ich versuche, nicht alles klar zu machen. Ich möchte keine vorgegebenen Emotionen beim Hörer hervorrufen. Es muss halt jeder Hörer für sich selbst sehen, was er daraus für einen Sinn zieht. Ich persönlich sehe das ganze Album als eine sehr, sehr düstere und dunkle Angelegenheit, egal ob es die lauten oder die ruhigen Passagen sind. Es gibt ein bis zwei Lichtblicke, bei denen die Sonne ein bisschen zwischen den dunklen Wolken am Himmel hindurch scheint. Diese Momente genieße ich dann umso mehr, weil sie einfach eine Wirkung entfalten, die sie in einem schöneren, harmonischen Kontext gar nicht entfalten könnten.
Eure Musik muss man sich regelrecht erarbeiten, wie es bei komplexerer Musik eigentlich immer der Fall ist. Nach meiner Erfahrung ist aber kaum jemand dazu bereit, etwas zu investieren, sich etwas zu erarbeiten, das nicht nur vom Offensichtlichen lebt. Dabei ist es ganz egal, ob es sich um Musik, Literatur oder Film handelt.
Der Einfluss der postmodernen Literatur auf NUCLEUS TORN ist gewaltig. Indem ich quasi den Hörer zwinge, zu sehen, wo für ihn selbst der Sinn meiner Musik liegt, nehme ich die Abstraktionsfähigkeit des Hörers für gegeben hin. Und ich beruhe darauf, wenn das jemand nicht investieren will oder kann … dann ist es geschehen, diese Personen werden wahrscheinlich nie etwas mit NUCLEUS TORN anfangen können. Das nehme ich bewusst in Kauf, und es geht mir auch um eine andere Art von Hörerschicht. Es gibt ja Menschen, die, genau wie ich, auf der Suche sind nach Musik, die mehr fordert.
Und warum soll eigentlich nur ein Jazzmusiker oder Komponist, der moderne klassische Musik schreibt, darauf vertrauen können, dass der Hörer Zeit und Energie investiert in sein Werk. Solche Musiker gibt es genauso in der Progressive Rock Szene, genauso in der Metal Szene, genauso in der Gothic oder Folk Szene. Ich persönlich finde es sehr bedenklich, wie sehr die Unterhaltungsmusik von der E-Musik getrennt wird.
Das finde ich auch sehr schade, denn es gibt viele Musiker, die es verstehen, diese beiden vermeintlich getrennten Welten miteinander zu vereinen.
Ich glaube, das hat ganz stark soziale Gründe. Leider sind gewisse Arten von Musik selbst heute noch eine Art von Statuslegitimation. Ich gehe sehr oft auf klassische Konzerte, gehe aber auch sehr gern auf ein Metal oder ein Folk Konzert. Die meisten Leute würden so etwas nicht tun. Metal Fans gehen vielleicht mal auf ein klassisches Konzert, wenn der „Lord Of The Rings“ Soundtrack gespielt wird. Und umgekehrt würden die „Klassikleute“ nie, aber wirklich nie auf ein Metal Konzert gehen. Wozu diese Exklusivität. Ich persönlich finde, dass jede Form von Musik, wenn sie gut gemacht ist, wenn sie ernsthaft gemacht ist, genau die gleiche Kapazität hat, Emotionen auszudrücken und Stimmungen zu erzeugen. In der Literatur sind interessanterweise die Grenzen zwischen reiner Unterhaltung und anspruchsvolleren Werken fließender.
Für mich ist eure Musik wie eine Wanderung durch verschiedenste, oftmals nebelverhangene Landschaftsformen, bei denen man nie weiß, was sich hinter der nächsten Biegung verbergen mag. Inwiefern könntest du mit dieser Wahrnehmung meinerseits übereinstimmen? Welche Wanderungen, egal ob im wörtlichen oder übertragenen Sinn, gehen durch deinen Kopf, wenn du die Musik von NUCLEUS TORN hörst?
Das Bild einer Wanderung ist eines der wichtigsten für mich. Ich beschreibe die Inhalte von NUCLEUS TORN als eine Selbsterfahrung, als eine Suche nach dem eigenen Unterbewusstsein. Und interessanterweise hat das auch für mich den Charakter einer Wanderung. Bei „Nihil“ weiß ich gar nicht mehr so recht, was für Bilder da in meinem Kopf entstehen, das bewegt sich eher auf einer Stimmungsebene, die sich gar nicht mehr auf Bilder reduzieren lässt. Aber bei „Knell“ ist der Fall ganz klar. Es ist wirklich eine Wanderung durch völlig fremde Landschaften. Was die Musik in mir auslöst, das ist immer eine Art von Geben und von Nehmen. Man verändert sich, während man so ein Werk schreibt und aufnimmt. Die eigene Wahrnehmung von Musik und von Kunst ist nicht fix, sie wandelt sich regelmäßig und wenn man das nächste Instrument einspielt, hat sich die ursprüngliche Vision schon wieder verändert.
Musik, wie du sie schreibst, kann etwas auf einer gefühlsmäßigen Ebene ausdrücken, das sich nicht in Worte fassen lässt, die Musik spricht quasi nur für sich und drückt Empfindungen aus, die man auf anderer Ebene gar nicht vermitteln kann.
Genau das ist das Ziel! Wenn wir jetzt zu poststrukturalistischen Theorien kommen: Eine Grundannahme der Postmoderne ist, dass man nur Dinge denken kann, die man auch in Sprache fassen kann. Wenn etwas in der Sprache nicht existiert, können wir es nicht denken. Aber es gibt ja noch eine andere Ebene, das ist die Ebene der Gefühle. Und genau da braucht man die Musik, um etwas auf dieser Ebene kommunizierbar zu machen. Und als Musiker hat man das Privileg, so etwas versuchen zu können.
In einem Interview mit dem großartigen Mørkeskye Magazin hast du mal gesagt, das Internet wäre eine Art von Segen für die Musikszene.
Dazu stehe ich nachwievor. Progressive Rock war einfach tot. Der Progressive Rock konnte sich mit dem Internet neu als Szene und Musikstil etablieren. Menschen konnten sich über 1000 Kilometer hinweg finden und über diese Musik sprechen. Der Erfolg von Bands wie Änglagård oder Anekdoten hat genauso viel mit dem Internet zu tun, wie mit den neuen Progressive Rock Festivals in den Vereinigten Staaten.
Eure Alben sind bisher bei Prophecy erschienen, das ein sehr außergewöhnliches Label ist, aber doch ganz klar einen Metal Background hat. Glaubst du manchmal, dass eure Musik deswegen Menschen verborgen bleiben wird, die nicht wissen, dass solcherlei Musik auf einem eher metal-lastigen Label erscheint?
Ich glaube, Prophecy hat gerade die Stärke, dass sie versuchen, aus einem engen stilistischen Rahmen auszubrechen. Sie nehmen Bands unter Vertrag, die letztlich weder Rock, noch Gothic, noch Folk sind. Prophecy ist wahrscheinlich das einzige Label, das uns gleichzeitig den Zugang zum Metal Markt, zum Neo Folk Markt garantieren kann und uns gleichzeig eine gute Promotion in der Progressive Rock Szene ermöglicht.
Traurig ist, dass Labels, die im Klassik- oder Jazzbereich tätig sind, nur in diesem Bereich tätig sind. Da kommen wir mit unserer Musik wahrscheinlich sowieso nie rein. Die Erfahrung zeigt leider: Sobald Musik auch nur über eine gewisse rockmusikalische Komponente verfügt, ist sie in diesen beiden Hörerschichten schlicht nicht mehr akzeptabel. Das ist völlig traurig. Alle Leute, die ich kenne aus dem klassischen Bereich, wenn die sich mal eine Weile mit NUCLEUS TORN auseinander setzen und sich vielleicht auch mit den extremen Gitarren abfinden, die merken dann sehr wohl, was da abgeht!
Gib doch bitte am Ende den Lesern noch ein Schlusswort mit auf den Weg, damit nach dem Lesen dieses Interviews ein paar mehr Menschen in die Musik von NUCLEUS TORN hinein hören werden.
Wenn es Menschen gibt, die irgendwie den Eindruck haben, dass sich in fast jeder Musikszene die Musiker, die Künstler, die Bands oder die Labels im Kreis drehen, dass einfach zu wenig experimentiert wird, dass zu wenig geschaut wird: „Wie kann man Grenzen niederbrechen“, wenn es Leute gibt, die diesen Eindruck mit mir teilen, die sollten in NUCLEUS TORN einmal hinein hören.
Ein gutes Schlusswort. Ich danke dir vielmals für das Gespräch und vielleicht hören wir uns ja wieder, wenn „Andromeda Awaiting“ in den Läden steht.
Vielen Dank für das Gespräch und alles Gute!
- Nucleus Torn - Nihil (2006)
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