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Amphi Festival 2011 - Samstag - Köln, Tanzbrunnen - 16.07.2011
Was sind die beliebtesten Accessoires bei einem Open Air Festival im Unsommer 2011? Klar, Regenschirm und Plastikponcho. Das gilt - zumindest teilweise - auch für das Amphi Festival 2011, das wie gewoht im Tanzbrunnen in Köln stattfindet. Zu allem Überfluss macht das Wetter auch das genaue Gegenteil von dem, was man tags zuvor noch in der Vorhersage gelesen hat. So soll der Samstag trocken bleiben, während es am Sonntag öfter mal regnen soll. Der Regen kommt allerdings schon am späten Samstag nachmittag, verzieht sich aber freundlicherweise am frühen Sonntag nachmittag. Da auch die Temperaturen am gesamten Wochenende kaum über die 20°C-Marke zu klettern gedenken, sind die Outfits der Amphi-Besucher in diesem Jahr fast schon unerwartet hochgeschlossen - oder liegt es doch daran, das nicht mehr das Auffallen um jeden Preis, bevorzugt durch das Zeigen von viel nackter Haut, zählt? Gut, sexy Aufmachungen gibt es hier und da natürlich immer noch zu sehen - so soll es auch sein - aber allgemein hat man den Eindruck, dass die Übertreibungen der letzten Jahre zurück gegangen sind. Die Neon-Fraktion wird zwar immer bunter, doch ist auch hier die Quantität eher rückläufig. Eine Galerie mit Impressionen vom Festivalgelände und den Besuchern gibt es >>> hier <<<.
Kommen wir zum Festival selbst, das mit einer Neuerung aufwartet, die gut angenommen wird, nämlich das Café im Staatenhaus, das fast immer gut gefüllt ist und so wahrscheinlich auch im nächsten Jahr wieder angeboten wird. Ansonsten bleibt alles beim Alten, sprich, das weitestgehend teure Essen ist seinen Preis meist kaum wert, füllt aber immerhin den Magen, bei den Auftritten auf der Hauptbühne und im Staatenhaus gibt es immer mal wieder ungünstige Überschneidungen, ansonsten gibt es aber nichts zu mosern. Das Publikum, die Veranstalter und die Location sind in jeder Hinsicht aufeinander eingespielt - kein Wunder, dass auch 2011 wieder das "Ausverkauft"-Schild an der Kasse prangt.
Samstag mittag, 12 Uhr - es geht los. Und zwar mit [X]-RX. Das auf der Bühne als Duo agierende Projekt des Kölners Pascal Beniesch hat sich schwer technoiden Industrial-Klängen verschrieben und so bezeichnet man den Sound selber als "Industrial Rave". Mit Kunstblut beschmiert und mit feschen Frisuren fegen Pascal und sein Mitstreiter über die Bühne und brüllen ihre Texte ins Publikum, das im Falle der Neonbunten schnell mit der körperlichen Ertüchtigung anfängt. Zwischendurch geht es immer mal wieder an den Techniktisch, um ein bisschen an den Sounds zu drehen. Sieben Songs geben die beiden Jungs zum Besten, das aber ausgerechnet der größte Hit "Die Sexualkiste der Hölle" außen vor bleibt, verwundert doch ein wenig. Solide Eröffnung ohne größeren Überraschungseffekt.
Der erwartet einen kurz danach im Staatenhaus, wo KLANGSTABIL sich die Ehre geben. Das aus Boris May und Maurizio Blanco bestehende Duo gehört zwar nicht zu den bekanntesten Bands des Electro/Industrial-Gewerbes, liefert aber eine der beeindruckendsten Performances des ganzen Wochenendes ab. Nachdem zunächst für drei Songs Maurizio den Gesang übernimmt, gibt er das Mikrofon für den Rest des Auftritts an Boris ab, der barfuß und mit rutschender Hose eine überaus emotionale Darbietung zeigt. Er scheint die meist aggressiv gesungenen Texte nicht nur zu singen, sondern aus- und durchzuleben, was für jede Menge Authentizität sorgt. Zwar lassen auch die beiden mit "Vertraut" ihren größten Hit missen, das ändert aber nichts daran, dass es ein Genuss ist, ihnen beizuwohnen.
Zurück zur Hauptbühne, auf der MELOTRON sich ein Stelldichein geben. Um die Synthiepopper war es zuletzt recht ruhig, das letzte Album "Propaganda" liegt immerhin schon vier Jahre zurück, trotzdem ist es vor der Bühne gut gefüllt. Leider ist der Sound deutlich zu gesangslastig und da Sänger Andy Krüger anscheinend auch nicht seinen allerbesten Tag erwischt hat und nicht alle Töne genau trifft, will der Funke nicht so recht überspringen. Zwar spornt der Frontmann mit der Glitzerschminke um die Augen das Publikum immer wieder an, insgesamt ist der Auftritt aber eine leichte Enttäuschung, woran auch die Hits "Das Herz", "Vaterland", "Menschenfresser" und das abschließende "Brüder" nicht viel ändern können.
Sollte irgendjemand der Meinung sein, dass Future Pop im Jahre 2011 an Bedeutung verloren hat, so wird der- oder diejenige bei FROZEN PLASMA eines Besseren belehrt, denn das Staatenhaus ist rammelvoll, als Vasi Vallis und Felix Marc die Bühne entern. Die von Anfang an gute Stimmung steigert sich nochmal so richtig ab dem fünften Song, denn "Hypocrite" ist ein waschechter Clubhit gewesen. Und schlau wie man ist, feuert man mit "Irony", "Murderous Trap" und vor allem den beiden Smashern "Warmongers" und "Tanz die Revolution" in der Folge nur noch Hochkaräter ab, die entsprechend frenetisch bejubelt werden, so dass man den Auftritt als vollen Erfolg verbuchen kann.
Parallel zum Programm auf den beiden Hauptbühnen gibt es im Theater eine weitere Bühne, auf der eher ruhigere Tagesordnungspunkte zu finden sind. Nach einer Buchvorstellung von Annie Bertram und Vorträgen zum Thema "C64 Pornographic-Art" und dem Dauergast Dr. Mark Benecke stehen die Neofolker ROME auf der Bühne, um ein akustisches Set darzubieten. Das Theater ist zu diesem Zweck bestuhlt, was einerseits dafür sorgt, dass man sich ein bisschen entspannen kann – andererseits bekommt man nach einer halben Stunde dann doch Hummeln im Hintern, denn man will ja doch mitbekommen, was draussen so los ist. Ein paar Songs von ROME müssen aber dann doch gehört werden und die werden vom zahlreich versammelten Publikum stürmisch beklatscht. Die warme Stimme von Jerome Reuter zaubert eine stimmungsvolle Atmosphäre, in der es auch zwei brandneue Songs zu hören gibt.
Wer an der frischen Luft entspannen will, dem bietet sich der Beachclub am Rheinufer an, hier sorgen zahlreiche Liegen und Himmelbetten auf Sand für Urlaubsatmosphäre. Blöd nur, dass die Sonne nicht mitspielt, denn während der Verfasser dieser Zeilen sich dort im Gespräch mit einer lieben Bekannten von den Strapazen des bisherigen Programms erholt und im Hintergrund TANZWUT "Wir sind wie das Meer" skandieren, fallen die ersten Regentropfen vom grauen Himmel. Es sollen nicht die einzigen bleiben.
Um kurz vor 19 Uhr bitten DIE KRUPPS zum Tanz und haben sich dafür ein hübsches Best Of-Set zurecht gelegt. Wer befürchtet, dass man nach der letzten Veröffentlichung auf eine Gitarre auf der Bühne verzichten würde, sieht sich zum Glück getäuscht und so brechen Hits wie "Isolation", "Crossfire", "To The Hilt", "Fatherland" und "Bloodsuckers" mit der ihnen gebührenden Härte über das Publikum herein. Gut, an der Gitarre Lee Altus zu sehen, wäre zwar noch schöner, aber Marcel Zürcher macht seinen Job ebenfalls ganz ordentlich. Zwischendurch trommelt der souveräne und agile Frontmann Jürgen Engler bei "Amboss" passend auf den Metallrohren, die vor ihm aufgebaut sind, während die EBM-Fans sich über ganz alte Klassiker wie "Germaniac" und natürlich "Wahre Arbeit – wahrer Lohn" freuen. Neuere Songs wie "Beyond" und das oldschoolige "Als wären wir für immer" dürfen natürlich auch nicht fehlen und so darf man sich daran erfreuen, eine echte Legende live zu sehen, auch wenn der Regen immer stärker wird.
Da inzwischen aber die Zeit der unschönen Überschneidungen gekommen ist, geht es zeitig ins Staatenhaus, um SUICIDE COMMANDO zu sehen. Die Möglichkeit hatte man in den letzten Jahren desöfteren und so bietet die Show keine Überraschungen. Die altbekannten Videos flimmern über die Leinwand im Hintergrund, Fronter Johan van Roy gibt den manischen Berserker und die Songs sind natürlich über jeglichen Zweifel erhaben. Ohne jetzt respektlos gegenüber anderen Bands des Genres klingen zu wollen, aber an SUICIDE COMMANDO kommt einfach keiner ran. Angefangen beim schleppenden "Severed Head" treibt van Roy danch die Schlagzahl mit "Hate Me" sofort nach oben, stellt fest, dass der Tod jeden Schmerz heilt und skandiert "Dein Herz, meine Gier". Danach sorgt "God Is In The Rain" für melancholische Stimmung, die von "Cause Of Death: Suicide" umgehend zerfetzt wird. Liebend gerne würde man an diesem Ort verbleiben, um die sechs weiteren Songs zu genießen, doch damit liefe man akut Gefahr, den Anfang von DEINE LAKAIEN und zu verpassen. Das will man ja irgendwie auch nicht.
Inzwischen wurde ein riesiger Flügel auf die Bühne gebracht, an dem Ernst Horn Platz nimmt, neben sich ein paar analoge Synthesizer, hinter sich moderneres Equipment. Ebenfalls mit auf der Bühne stehen Geigerin Yvonne "Ivee Leon" Fechner, die Background Vocals beisteuert sowie Cellist Tobias "B. Deutung" Unterberg, die beide rege miteinander interagieren. Das Hauptaugenmerk liegt jedoch, wie nicht anders zu erwarten, auf dem charismatischen Sänger Alexander Veljanov, der wegen einer Erkältung einen dicken Schal trägt. Seine stimmliche Leistung ist dadurch aber zum Glück nicht beeinträchtigt und auch seine tolle Gestik und Mimik kommen voll zur Geltung. Aufgrund des Regens stehen die Zuschauer dichtgedrängt unter den schützenden Pilzen, die den Platz überspannen und lauschen der Musik eher andächtig, als dass sie ausgelassen feiern. Die Setlist beinhaltet Songs aus allen Phasen der Band und besonders die Darbietungen von "Return" und "Reincarnation" sind ganz großes Gänsehautkino. Zur großen Freude des Schreibers wird im Zugabenblock sogar "Fighting The Green" gespielt, hier merkt man Veljanov die gesundheitliche Beeinträchigung aber ein bisschen an. Zum Abschluss darf natürlich "Love Me To The End" nicht fehlen, da man aber den strikten Curfew von 22 Uhr damit überschreitet, wird die Lautstärke pünktlich heruntergefahren. Ein etwas unwürdiges Ende eines trotzdem sehr sehr schönen Auftritts, nach dem es in viel zu dünner Bekleidung im strömenden Regen zum Bahnhof geht, während im Staatenhaus HOCICO noch zugange sind.