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Trans-Siberian Orchestra - Mainz, Phönix-Halle - 20.03.2011
Zum ersten Mal tritt das TRANS-SIBERIAN ORCHESTRA in Europa auf, nachdem man in den USA jedes Jahr riesige Hallen füllt und sogar zwei Line-Ups parallel reisen lässt, um die Nachfrage zu befriedigen. Hierzulande begegnet man dem Projekt um die SAVATAGE-Köpfe Paul O'Neill und Jon Oliva ja immer noch ein wenig skeptisch. Zwar ist die "Christmas-Trilogy" lange abgeschlossen und man hat bereits zwei Alben mit anderen Themen veröffenlicht, aufgrund der alljährlichen Winter-Tourneen wird das TRANS-SIBERIAN ORCHESTRA jedoch oft auf Weihnachtskitsch reduziert. Da war es sicherlich genau die richtige Gelegenheit nach Europa zu kommen, nachdem man in den USA erstmals Konzerte ohne Weihnachtsbezug spielte. Angeboten hätte sich eigentlich das aktuelle Konzeptalbum "Night Castle", stattdessen steht aber "Beethoven's Last Night" im Mittelpunkt, das bereits vor über 10 Jahren veröffenlicht wurde. Vielleicht schien bei der an "Faust" erinnernden Geschichte um Beethovens Todesnacht, in der er mit dem Teufel um seine zehnte Symphonie ringt, der Bezug zur "alten Welt" größer?
Recht große Hallen hat man für den ersten Testlauf in Europa angemietet, und der Mut scheint belohnt worden zu sein, auch in Mainz war die Phönix-Halle gut gefüllt. Ein gemischtes Publikum konnte man beobachten, da gab es gleichermaßen typische Theater- und Musical-Besucher wie auch den durchschnittlichen (bei dieser Gelegenheit oft etwas eleganteren) Headbanger, für den sicherlich die Bestuhlung ungewohnt sein mochte. Auf jedem Platz gab es ein dickes Heft mit allen Texten und der ausführlichen Geschichte des Albums komplett in Deutsch, ein nettes Souvenir.
Das folgende Konzert erinnerte dementsprechend oft eher an eine Mischung aus Theater und Musical: Der Hauptteil bestand aus der chronologischen Aufführung von "Beethoven's Last Night" (abzüglich einiger gestrichener Nummern), eindrucksvoll unterstützt von einer imposanten Licht- und Laser-Show sowie großen Feuerwänden. An einigen Stellen wurde man im wahrsten Sinne des Wortes "geblendet". Zwischen den Songs erzählte ein Sprecher die Geschichte weiter, und großflächige Projektionen untermalten zudem die jeweiligen Abschnitte mit passenden Szenen, mal mit gezeichneten Bildern und Animationen, mal mit Realfilm-Videos (u.a. Ausschnitte aus "Ludwig van B." mit Gary Oldman). Insgesamt sicherlich nicht vergleichbar mit den gigantischen Shows, die das TRANS-SIBERIAN ORCHESTRA in den USA auffahren kann, aber in Anbetracht der Hallengröße sehr beachtlich und mehr, als man von manchen Musicals kennt.
Mit einer normalen Rock- oder Metal-Show war der Aufwand natürlich sowieso nicht vergleichbar, allein schon bezüglich der "Band": Neben der praktisch kompletten SAVATAGE-Instrumentalfraktion (Chris Caffery, Al Pitrelli, Johnny Lee Middleton und Jeff Plate) waren zwei Keyboarder, ein Solo-Violinist und mehrere Streicher dauerhaft im Einsatz, stellenweise kam sogar noch eine dritte Gitarre hinzu. Die verschiedenen Charaktere der Geschichte übernahmen vier männliche Leadsänger (u.a. Jeff Scott Soto) und zwei Frauen. Letztere sorgten zudem mit zwei Kolleginnen für Backgroundchöre, und alle vier tanzten bei längeren Instrumentalpassagen synchrone Choreographien über die Bühne.
Leider wirkte der ganze "Beethoven's Last Night"-Block trotz der aufwändigen Show etwas statisch und wenig lebendig. Das lag vor allem an den ständigen Unterbrechungen durch den Erzähler, der mir persönlich ziemlich auf die Nerven ging. Bryan Hicks mag eine tolle Stimme haben, aber er brüllte stellenweise so laut ins Mikro, dass man ihn nur schwer verstand. Ein bisschen Abstand wäre hilfreich gewesen, zumal man ihn wahrscheinlich auch ohne Verstärkung im ganzen Saal gehört hätte. Der Fluss wurde ständig unterbrochen, manchmal kam die Band nur für wenige Minuten auf die Bühne, bevor wieder das Licht ausging und eine längere Sprechpassage folgte. Aber auch der fehlende Raum für Improvisationen, Spontanität oder Interaktion mit dem Publikum sorgten dafür, dass man sich eher wie bei einer Theateraufführung oder gar beim Schauen einer DVD fühlte, zumal Sound und "Bild" eben auch sehr perfekt waren. Bei den genau auf die Musik abgestimmten Projektionen, den tollen Lichteffekten und atmosphärischen Feuerspielen, fühlte man sich aber durchaus das ein ums andere Mal in die Story hineingezogen, jedoch immer mit einer gewissen Distanz.
Mir persönlich fiel zudem Al Pitrelli negativ auf. Hatte man ihn aus SAVATAGE-Tagen noch als sympathisches Multi-Talent und Teamplayer in Erinnerung, der nicht nur gefühlvolle Soli spielte, sondern auch mal zum Klavier wechselte und für Background-Vocals sorgte, ist er bei TRANS-SIBERIAN ORCHESTRA leider zum "Music Director" aufgestiegen. Er stolzierte die meiste Zeit mit einer übertrieben routinierten, manchmal fast gelangweilten Arroganz über die Bühne und hatte bis auf seine Soli nur wenig herausfordernde Parts zu absolvieren (was er sich auch deutlich anmerken ließ). Stattdessen spielte er sich immer wieder als Leiter und Dirigent auf, indem er den anderen Musikern ihre Einsätze vorgab, was in den meisten Fällen völlig überflüssig gewesen wäre (wozu hat man schließlich einen Drummer?). Und immer wieder verteilte er fast gönnerhaft Lob an seine "Begleitmusiker", die im Gegensatz zu ihm deutlich engagierter wirkten.
Als man dann endlich den letzten Satz des Erzählers überstanden hatte, wurde die ganze Show sofort deutlich lebendiger und mitreißender. Es wurden einige Stücke vom letzten Album "Night Castle" dargeboten, u.a. "The Mountain" und "Another Way You Can Die", deren Ursprünge auf SAVATAGE-Songs zurückgehen. Mit der geplanten, richtigen SAVATAGE-Reunion als Zugabe wurde es leider nichts, da Jon Oliva wegen eines Krankheitsfalls in seiner Familie nicht mitreisen konnte. Stattdessen kam tatsächlich Paul O'Neill selbst auf die Bühne, um zur Akustikgitarre zu greifen und "Sleep" zu spielen. Der Kopf des Projekts und langjährige Produzent, Texter und Komponist durfte dann bei einem Medley (u.a. "Help!" von den BEATLES) noch ein wenig Rockstar spielen. Der sich immer hinter einer Sonnenbrille versteckende, zottelige Alt-Rocker/Hippie wirkte irgendwie ganz drollig. Man muss sich schließlich vor Augen halten, dass der Mann womöglich mehrfacher Millionär ist. Vielleicht auch ein Zeichen der Bodenständigkeit, so kündigte die Band sogar während der Show an, dass man nachher gerne in der Lobby die Zuschauer treffen würde. Musikalisch war das Medley dagegen verzichtbar und wirkte eher wie eine Notlösung, die man eingeschoben hatte, um die eigentlich geplanten SAVATAGE-Nummern zu ersetzen.
Zum Schluss gab es noch eine schön kraftvolle Version von "Carmina Burana" (ebenfalls auf "Night Castle" enthalten), sowie endlich ansatzweise SAVATAGE für die lang ausharrenden Fans: Der Klassiker "Chance" riss schließlich alle von den Stühlen. Zwar war auch Zak Stevens nicht anwesend, aber Andrew Ross brachte eine tolle Leistung als Ersatzmann, und natürlich passte die bombastische Inszenierung inklusive Streicher und Chor perfekt zu diesem Titel.
Trotzdem blieb bei mir persönlich ein bisschen Wehmut und ein gewisser Zwiespalt: Während man einerseits froh ist, so eine tolle Version von "Chance" hören zu können und somit wenigstens einen SAVATAGE-Ersatz zu haben, muss man doch feststellen, dass der Band zu ihrer Hochzeit ohne zusätzliche Keyboarder, Streicher und Chöre (quasi mit einem Drittel der Besetzung) eine vielleicht nicht so klinisch perfekte, aber wesentlich lebendigere Version dieses Tracks live gelang. Vielleicht muss sich das TRANS-SIBERIAN ORCHESTRA doch von dieser Verbindung lösen, denn trotz aller Gemeinsamkeiten und Überschneidungen bei den Kompositionen und Studioalben ist dieses Projekt gerade in der Live-Situation nicht SAVATAGE, und das meine ich völlig wertfrei. Stattdessen haben wir es hier mit einer Art "Rock-Theater" zu tun, bei der historische und fantastische Geschichten mit Hilfe einer Mischung aus Rock, Musical und Klassik sowie einer imposanten Show dargestellt werden. Und in dieser Sparte, auf diesem Niveau und mit diesem Aufwand ist das TRANS-SIBERIAN ORCHESTRA quasi konkurrenzlos. Wenn es gelingt, dieses "Rock-Theater" zu etablieren, völlig losgelöst von SAVATAGE, dann kann man sich auch hier eine eigene Nische schaffen. Dies war ein erster Schritt, jetzt gilt es durch immer wiederkehrende Auftritte in Europa Überzeugungsarbeit zu leisten.
Setlist:
Overture
Midnight
Fate
What Good This Deafness
Mephistopheles
What Is Eternal
Mozart & Madness
Vienna
Mozart
The Dreams Of Candlelight
Requiem (The Fifth)
The Dark
Für Elise
After The Fall
A Last Illusion
This Is Who You Are
Beethoven
Misery
Who Is This Child
A Final Dream
--------------
Toccata
The Mountain
Sleep/Medley
Another Way You Can Die
Carmina Burana
Chance
Line-Up:
Al Pitrelli (Gitarre)
Chris Caffery (Gitarre)
Johnny Lee Middleton (Bass)
Jeff Plate (Drums)
Vitalij Kuprij (Keyboards)
Mee Eun Kim (Keyboards)
Roddy Chong (Geige)
Bryan Hicks (Erzähler)
Chloe Lowery (Gesang)
Natalya Rose Piette (Gesang)
Angelica Marie Allen (Gesang)
Georgia Napolitano (Gesang)
Kayla Rose Mary Reeves (Gesang)
Rob Evan (Gesang)
Jeff Scott Soto (Gesang)
Andrew M. Ross (Gesang, Gitarre)
John Brink (Gesang)