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Winterfylleth, Fen, Necronautical - Rockpalast Bochum - 24.09.2017
Englischer Black Metal in gleich drei Variationen kann am Wahlabend des 24. September 2017 offenbar nur wenige Hörer in den Bochumer Rockpalast locken. Die Bands ärgert das weniger als manchen Besucher, und sie belohnen das handverlesene Publikum mit einem gelungenen Konzertabend in nahezu familiärer Runde.
Den Auftakt macht das Quartett NECRONAUTICAL aus dem englischen Nordwesten, das sich nicht nur traditionell herausgeputzt hat, sondern auch redlich bemüht, jeden Einzelnen im Rockpalast mit seiner Musik zu bewegen. Frontmann Naut nimmt mit den wenigen Gestalten vor der Bühne Augenkontakt auf, wenn er nicht gerade den Zombie mimt (was er recht gut beherrscht). Während die Jungs einige trotz ihrer Länge vergleichsweise eingängige Songs zum Besten geben, ertappe ich mich dabei, angesichts der von Kerzen illuminierten Bühne "typisch Cacophonous" zu denken, denn dieses völlig überholte Erscheinungsbild erinnert ein bisschen an Abyssos (r.i.p.), deren hochmelodische Musik vom englischen Label einst mit einem billigen Vampir-Image kaschiert wurde. Auch NECRONAUTICAL hätten derlei Mummenschanz im Grunde nicht nötig. Ihr Black Metal geht beim ersten Hören gut ins Ohr, und für Abwechslung sorgt vor allem Basser Anchorite, der gegen Ende des Gigs mit epischem Klargesang überrascht. Angesichts der undankbaren Umstände schlägt sich die Band tapfer.
Als FEN die Bühne betreten, finden sich davor immerhin rund 40 Gäste ein. Und die werden für ihre Anreise mit einem Auftritt belohnt, der sich gewaschen hat: Einen Song braucht das Trio, um sich warmzuspielen, und allen voran Frank alias The Watcher strotzt vor unbändigem Willen, (musikalisch) die Sau rauszulassen. Kurz vor dem Gig hatte er sich eine kleine Schnittwunde an der rechten Hand zugezogen, doch nach wenigen Minuten sitzt jeder Griff, und FEN spielen sich in einen Rausch. Bereits vor über vier Jahren haben die Engländer im Vorprogramm von Agalloch ihr Potential angedeutet, nun kommt es zur Entfaltung: Es ist eine Ohren- und Augenweide, wie Grungyn seinem Bass klangliche Nuancen vom feinfühligen Anschmiegen an einzelne Töne bis hin zum brachialen Gewitter entlockt. Ich könnte ihm dabei wohl stundenlang zuhören und -gucken.
Als ich Frank später darauf anspreche, dass prophetische Zeilen wie "All will fail / all will sink / all will drown / all will fade with time" heuer eben nicht nur den musikalischen "Winter" ankündigen, sondern mir am Ende eines politisch bedeutsamen Tages einen doppelten Schauer über den Rücken jagen, wird deutlich, dass auch träumerisch-weltabgewandter Black Metal nur eine zeitweise Flucht erlaubt. Diese vollzieht das Trio mit immenser Spielfreude und Kraft, sodass die Übergänge von purer Raserei hin zu elegischen Partien traumwandlerisch gelingen. Zwischendurch erläutert The Watcher die Wahl seines zerschlissenen Cradle of Filth Shirts zum Outfit des Abends: Er habe die Band mit seinem Bruder vor 21 Jahren zum ersten Mal live gesehen und heute wäre es an Bands wie ihnen und den Tour-Partnern, den englischen Black Metal in die Welt zu tragen. In punkto Leidenschaft können es FEN mit den jungen Cradle of Filth zweifelsohne aufnehmen, es wäre ihnen jedoch zu gönnen, dass mehr Hörer die musikalisch faszinierenden Landschaften hinter den vermeintlich tristen Nebelschwaden entdecken. Nach dem Headliner-würdigen Auftritt zeigt sich die Band zufrieden und freut sich über jeden einzelnen Zuspruch, sei es vom weit angereisten Die-Hard-Fan, wie auch von soeben neu gewonnenen Hörern. Die Merchandise-Preise (20 Euro für eine Doppel-LP, 30 für einen Hoodie, 2 für einen Patch) dürften an der untersten Grenze des wirtschaftlich Vernünftigen liegen. Vorbildhaft verrückt…?
Ähnliches gilt auch für WINTERFYLLETH, die es nicht gerade leicht haben, auf dem hohen Level anzuknüpfen. Die Gitarren klingen nicht wirklich differenziert aus dem vom Schlagzeug dominierten Klangbild heraus, und wo bei FEN noch dynamische Kontraste Farbe ins Spiel brachten, herrscht bei der Gruppe aus Manchester vor allem eine massive Düsternis. Verwundern kann das angesichts des aktuellen Albums "The Dark Hereafter" kaum, und das ebenfalls gut eingespielte Quartett gibt sich auf seiner Geburtstagstour kämpferisch. Ähnlich wie bei Enslaved wird der organische Charakter der Musik deutlich: Alte und neue Lieder wirken trotz der unverkennbaren Weiterentwicklung wie aus einem Guss, und ein Song mit einem Pracht-Refrain wie "Defending The Realm" lässt keine Zweifel daran aufkommen, dass WINTERFYLLETH ihren Heritage Black Metal gegen allzu moderne Einflüsse auch in Zukunft verteidigen werden. Hier wird gefeiert, was Forefather leider wohl nie auf die Bühne bringen werden: Pagan Black Metal, der durch und durch englisch, und vor allem beim Chorgesang von Chris, Dan und Nick zum Niederknien ist.
Es ist schade, dass insgesamt nur rund 50 Hörer erleben, wie "The Ghost Of Heritage" aus der Schatzkiste gezogen und vom Rost befreit wird. Wenn die Söhne Albions noch ein bis zwei Jahrzehnte durchhalten, werden sie wahrscheinlich die Anerkennung der Metal-Welt bekommen, die sie für ihre sympathisch eigensinnigen Hymnen verdienen, welche sie in naher Zukunft auf eine Weise präsentieren werden, wie ich es mir seit der schönen „One And All, Together For Home“ Compilation erträumt habe. Und Winter hin, Winter her – jetzt ist erstmal Herbst, also Zeit für gemütliche Klänge!