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Ash Ra Tempel: Join Inn (1972 / Remastert 2011) (Review)

Artist:

Ash Ra Tempel

Ash Ra Tempel: Join Inn (1972 / Remastert 2011)
Album:

Join Inn (1972 / Remastert 2011)

Medium: CD
Stil:

Musikalische Reise durch die Höhen und Tiefen des (Unter)BewusstSEINS

Label: MG.ART
Spieldauer: 43:33
Erschienen: 16.12.2011
Website: [Link]

Wer sich auf dieses Album einlässt, der sollte sich zurücklehnen, den Raum verdunkeln und zusätzlich noch die Augen schließen, weil sich nun alle Sinne nur noch auf die Ohren konzentrieren dürfen!
Wer früher mal kiffte und sich nicht verlogen dafür heute schämt, der sollte genau jetzt darüber nachdenken, ob er nicht noch irgendwo versteckt einen Joint rumliegen hat, diesen suchen und wissen: heute ist es Zeit dafür.
Wer gerne einen Schluck trinkt, ohne sich gleich ins Koma saufen zu müssen, der stelle sich eine Flasche Wein bereit, kein Bier, das passt gerade nicht.

„Lass dich fallen.
Fallen ins Endlose.“
(Textauszug aus „Sehnsucht“)

Genau das ist die Devise, um eingelassen zu werden ins „Join Inn“ von ASH RA TEMPEL.

Musikalischer Kopf von ASH RA TEMPEL ist unzweifelhaft MANUEL GÖTTSCHING, der Gitarrist mit schwer minimalistischem Hang bis hin zum ausgeprägten Perfektionismus, der aus heutiger Sicht unzweifelhaft als eine Legende bezeichnet werden muss. Göttsching zeigt sich zugleich auch für das Remastering dieses psychedelischen Ausnahmetrips verspielter Improvisationskunst verantwortlich und hat sicherlich nicht umsonst darauf verzichtet, den beiden Songs, in ihrer 19– und 25-minütigen Schönheit, übertriebene Höhen aufzuhalsen, sondern bewusst den tiefen, basslastigen Tönen die Dominanz zu überlassen.

Ein Zufall war es, der dieses Album 1972 überhaupt entstehen ließ und sogar ein kleines Wunder, das damit einherging. KLAUS SCHULZE, Gründungsmitglied von ASH RA TEMPEL, der bereits nach dem ersten schwer psychedelischen Album „Ash Ra Tempel“ die Segel wieder gestrichen hatte, kehrte kurzfristig und überraschend bei Album Nummer 4, Join Inn, wieder hinter sein Schlagzeug (!!!) und die Tasten zurück. Allerdings diesmal ausschließlich als „Special Guest“ neben MANUEL GÖTTSCHING, HARTMUT ENKE und ROSI MÜLLER. Auch das Album-Cover zeigt unmissverständlich, dass Schulze nicht mehr dazugehört, da er nur als Foto eingefügt ist. Und auch die Rückseite schmeichelt dem Ash-Ra-Tempel-Abtrünnigen nicht sonderlich mit diesem von was auch immer getrübten und etwas schizophren erscheinenden, ins Leere gerichteten Blick. Als Betrachter hat man den Eindruck, dass die persönliche Chemie nicht mehr stimmt – der Hörer des Album allerdings, gewinnt einen gänzlich anderen Eindruck. Wie aber kam es dazu?

Die Musiker von ASH RA TEMPEL und KLAUS SCHULZE führte das Schicksal zusammen, denn sie hatten sich zufällig getroffen, um die Musik zu „Tarot“ von WALTER WEGMÜLLER einzuspielen. Doch in diesem Zusammenhang erkannte man nach einem feuchtfröhlichen Abend, dass da noch irgendwelche musikalische Energie in ihnen schlummerte, die rauswollte – und man ließ diese Energie tatsächlich raus, damit sie ins „Join Inn“ einkehren konnte.

1972 war das kreativste Jahr in der langen Geschichte von ASH RA TEMPEL. Drei Alben entstanden in diesem Jahr, wovon „Join Inn“ das letzte war – komplett ungeplant – am Ende aber ein Meisterwerk ganz großer Improvisationskunst, das wohl in der deutschen Musikgeschichte zu einer der un- und außergewöhnlichsten Ausnahmeerscheinungen zählt und in keinem „musikalischen Geschichtsbuch“ fehlen darf! „Join Inn“ und ganz besonders ASH RA TEMPEL sind ein Ab- und Vorbild dieser Zeit und Musik, die man fälschlicherweise wohl Krautrock nennt, für die aber aus meiner Sicht JULIAN COPE, nicht nur hervorragender Musiker, sondern auch begnadeter Krautrock-Experte, eine viel überzeugendere Begrifflichkeit schuf: „Ash Ra Tempel waren die aufregendste, inspirierteste und durchgeknallteste kosmische Rock’n’Roll-Band ganz Deutschlands.“

„Freak'N'Roll“ ist das von Gitarre und Bass geprägte Improvisationsstück, auf dem Klaus Schulze zusätzlich Schlagzeug sowie Keys spielt und den Wunsch wach werden lässt, dass er doch besser ein paar ermüdende Elektronik-Alben weniger hätte schaffen und dafür stärker die Felle bearbeiten sollen. Denn Schulze hat's drauf und die Drumsticks im Griff, auch wenn er das selber gar nicht wahrhaben will. Unfassbar! Diese unzähligen Elektronikalben, die uns Schulze bis heute beschert hat – als oberster Recycle-Künster, der aus jedem Tastendrückerchen einen Longplayer zu kreieren versteht, der (s)einer o(h)ral-masturbierenden Fangemeinde zum elektronischen Fraß vorgeworfen wird, während der „kleine Billy Cobham“ in ihm jämmerlich dem Verkümmern preisgegeben wurde. Schade, schade! „Freak'N'Roll“, dieses gitarrendominierte (HENDRIX? SANTANA? UFO? BLACK SABBATH?), mit einem brummenden Bass treibende sowie flächigen Keyboards untermalte und von punktgenauem Schlagzeug begleitete Improvisationsstück ist das beste Beispiel dafür! Ein Lehrstück für Musiker, die erfahren wollen, welche Dimension sich hinter dem Begriff „Improvisation“ verbirgt, genauso aber auch dafür, was ein Schulze auf dem nichtelektronischen Sektor alles hätte erreichen, anstatt auf dem ausschließlich elektronischen zerstören können.

„Ach, ich dachte, wir waren im Paradies.
Wir waren wie Kinder.
Wir fassen uns an
und tanzen auf dem feuchten Rasen.
Sieh mich an.“

Allein die Zusammenfassung der durch die ehemalige Göttsching-Freundin ROSI MÜLLER mit kindlicher Stimme gesprochenen Textzeilen des zweiten „Join Inn“-Songs „Jenseits“ vermittelt vielleicht ein wenig die musikalische Aura hinter dem Song. Meditative Psychedelic, die ganz tief bis in die letzten Hirnwindungen des Hörers dringt. So, als würden wir in die finstersten psychedelischen Abgründe geführt, durch die uns bereits PINK FLOYD mit solchen Titeln wie „Careful With That Axe, Eugene“, „The Piper At The Gates Of Dawn“ oder „A Saucerful Of Secrets“ waten ließen oder TANGERINE DREAM den „Alpha Centauri“ für uns geöffnet hatten. „Sehnsucht“ ist genau das, was sich hinter diesem Titel verbirgt – Sehnsucht nach der musikalischen Erleuchtung auf der Reise durch ein von den unterschiedlichsten Stimulanzen inspiriertes Gehirn, das zu verstehen versucht, welche neuen Musik-Strukturen da auf es einprasseln.

FAZIT:

„Manchmal - ist es so unglaublich schön
Nimm mich mit!
Ganz weit weg
Hörst du!“
(Sehnsucht)

Willkommen auf einer Reise, die 1972 begann und hoffentlich niemals enden wird. „Aufregende, inspirierte, durchgeknallte, kosmische Musik“, die weltweit ihresgleichen sucht. Bewerten kann man so etwas nicht – nur bewundern!

Thoralf Koß - Chefredakteur (Info) (Review 8064x gelesen, veröffentlicht am )

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  • 13-14 Punkte: Einmalig gutes Album mit Zeug zum Klassiker, ragt deutlich aus der Masse
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Tracklist:
  • Freak'N'Roll
  • Jenseits

Besetzung:

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