Mensch, ist denn schon wieder Weihnachten?

Die Zeit also, die angeblich alle Augen leuchten und die Herzen weit werden lässt, ist wieder angebrochen.
Eine Zeit, welche sich aber auch immer mehr zu dem entwickelt, was vor vielen Jahren ein KONSTANTIN WECKER so bewegend und ohne jeglichen Pathos besang:

„Es ist wieder so weit, es weihnachtet sehr.
Die Dekorateure arbeiten schwer
und große Kinderaugen gaffen
verzückt auf die neusten Spielzeugwaffen.“

Kinder, wie die Zeit vergeht und plötzlich sitzt man als Kritiker zwischen den Boxen, die die Welt bedeuten, und lässt sich von weihnachtlicher Musik berieseln. Allerdings nicht von den wohl bekannten deutschen Kult-Liedern, die einen dann ab Anfang Dezember den „ohralen Horror“ bescheren, wenn sie einen in jedem öffentlichen Gebäude bis zum Erbrechen verfolgen und erst die Ohren und dann den Geist zukleistern. Ja, es ist eben Weihnachten - die Geschenkorgien warten, doch davor stehen unvermeidlich die akustischen Belästigungen.

Gut zu wissen, dass es auch immer wieder überraschend anders klingende Weihnachtslieder gibt, die tatsächlich neben ihrem pathetischen Charakter - den müssen nun mal alle Weihnachtslieder haben - nicht gleich auch einen peinlichen Charakter präsentieren. Solche Lieder findet man selten.

Einige davon entdecken wir zum Glück auch auf „An Americana Christmas“, selbst wenn das Weihnachtsliedchen „Must Be Santa“ von einem der bekanntesten Musikvertreter, einer echten Legende, darauf - nämlich BOB DYLAN - zugleich der größte Rohrkrepierer des Albums ist. Das hat, bis auf den Text, musikalisch mit Weihnachten so viel zu tun wie DSDS mit innovativer Musik.
RONNIE FAUSS dagegen macht zwei Titel später olle Dylan dann vor, wie ein wirklich gutes amerikanisches Weihnachtslied mit Anspruch klingen kann: etwas getragener Blues sowie Country und einem Text, der darüber erzählt, wie es sich anfühlt, im Knast hinter Gittern Weihnachten zu feiern.
Da könnte sich der ehemalige Weltverbesserer Dylan wirklich eine dicke Scheibe von abschneiden!
Noch schwerer aber ist zu verstehen, dass „Everybody Deserves A Merry Christmas“, genauso wie die Titel von DWIGHT YOAKAM und JOHN PRINE, es nicht auf die Vinyl-Ausgabe dieser amerikanischen musikalischen Weihnachtsbescherung geschafft haben, während deutlich schwächere Nummern die Ehre der schwarzen Vinyl-Rille zugesprochen bekamen.

Das eigentlich Besondere an „An Americana Christmas“ aber ist, dass wir es hier nicht etwa nur mit einer Zusammenstellung älterer Americana-Weihnachtslieder zu tun haben, sondern für dieses Album sechs brandneue Songs aufgenommen wurden, die es allesamt verdient haben, diese Collection zu bereichern: ROBERT ELLIS, VALERIE JUNE, LUTHER DICKINSON, CORB LUND, NIKKI LANE und das holländische Duo THE COMMON LINNETS.

Absoluter Höhepunkt (Ist das ein Wunder?) ist aber „The Gifts They Gave“ von JOHNNY CASH. Wenn dieser viel zu früh verstorbene Sänger nur seine Stimme erhebt, dann schweigen nicht nur die Wälder.
Nein, dann glaubt man tatsächlich an den Weihnachtsmann!

FAZIT: „An Americana Christmas“ ist eine gute Alternative, um sich auf seine ganz persönliche Weise mit Weihnachtsliedern der besonderen Art gegen die Weihnachtslieder der ausgelatschten Art, vor denen wir uns in nächster Zeit kaum noch retten können, wenn wir auf die Straße treten, zu wehren.