Partner
Services
Statistiken
Wir
The Drums: Jonny (Review)
Artist: | The Drums |
|
Album: | Jonny |
|
Medium: | CD/Download/Do-LP | |
Stil: | Indie-Pop und -Rock, Singer/Songwriter |
|
Label: | ANTI-/Indigo | |
Spieldauer: | 52:10 | |
Erschienen: | 13.10.2023 | |
Website: | [Link] |
Liebe Freundinnen und Freunde, Nudistinnen und Nudisten und alle Nicht-Nudis, lasst uns mal über Sexismus sprechen und welcher Aufschrei wohl durch die (Musik-)Welt gegangen wäre, wenn dieses freizügige Cover statt eines nackten Mannes (Ist das wirklich der Kopf von THE DRUMS Jonny Pierce?) eine nackte Frau in dieser Position oder denen der anderen noch im Album zu entdeckenden Bilder (betend auf einem Bürostuhl, liegend auf einer Klaviatur, sitzend auf einer Bettkante) zu sehen gewesen wäre!
Und dann betet der Mann doch tatsächlich noch auf dem Frontcover – so nach dem Motto: 'Hosen runter zum Gebet' oder 'Bisher waren meine Gebete immer für den Arsch'.
Kommt da auch noch Blasphemie mit dazu – oder ist das die vollkommene Hingabe zum Glaubensbekenntnis?
Fragen über Fragen, schon bevor man überhaupt die „Jonny“-Doppel-LP im Gatefold-Cover mit zwei kristallklaren Vinyl-LP's im Inneren sowie allen darin abgedruckten Texten seinem Plattenspieler anvertraut hat.
Man muss sich also auf dieses extrem intime, voller nackter (übrigens zehn Jahre zurückliegender) Selbstportraits wie Traumata versehene Album intensiv einlassen – dann findet man zu allem rund um „Jonny“ auch eindeutige Antworten.
Natürlich sind bei solchem Cover die 'Parental Advisory' zwingend notwendig, die sich bewusst nicht nur auf die Texte, sondern auch alle anderen Darstellungen innerhalb dieser ungewöhnlichen Doppel-LP mit den zwei transparenten Vinyl-Scheiben und besagten Schwarz-Weiß-Bildern beziehen. Ein Hoch darum auf alle kleinbürgerliche Bigotterie und verlogene Moral-Apostelei – und natürlich ein ehrlich gemeintes 'Hoch' auf den männlichen Mut (auch wenn man zu keinem Zeitpunkt 'des Mannes bestes Stück' sieht) zu solch einem Cover, das natürlich jede Menge 'nackte' Musik und provokante Texte mit sich bringt.
Nach dieser optischen Provokation wundert einen dann schon, dass nachdem die erste LP auf dem Plattenteller rotiert, die Musik regelrecht harmlos dagegen klingt. Dream- und Indie-Pop mit schönen Harmonien und Melodien. Da lächeln einen immer wieder THE WAKE oder die HOUSEMARTINS an, eine wunderschöne Brit-Pop-Band der romantischen und ruhigeren Sorte eben. Aber deren Texte waren dagegen ungewohnt sozial- und allgemein-kritisch. Gleiches gilt eben auch für dieses „Jonny“-Album der amerikanischen Indie-Pop/Rock-Band THE DRUMS.
Immer wieder trifft hier der Indie-Pop auf Melancholie, Hoffnung auf Trauer, Erinnerung auf Abrechnung. Die Songs dienen dabei wie ein Transporter der Gefühle, die größtenteils von Schmerz geprägt sind. Untermalt von Gitarren und Hall, modularen Synthies und Drumcomputern – und natürlich der einprägsamen, warmen Stimme des Sängers.
Besonders die Texte, welche eine Rückbesinnung auf Pierces Kindheit und Teenagerzeit sind, haben es neben dem Cover gehörig in sich, denn sie sprechen ein in Amerika wie anderswo sehr unbeliebtes Thema an – die Einflüsse einer Sekten-ähnlichen Erziehung auf die eigene Persönlichkeit. Ein Erziehung wie sie Jonathan Pierce wohl ähnlich erlebt haben musste, denn deshalb kehrte er während der Abwesenheit seiner Eltern (die zu dem Zeitpunkt in der Kirche waren) in sein Elternhaus zurück und machte Fotos von sich selbst in diesen Räumen, die noch immer eine intensive Erinnerung an seine Kindheit weckten, in der er sicher „Jonny“ (wie auf dem Albumtitel) genannt wurde und das mit dem erschreckenden letzten Song „I Used To Want To Die“ endet, in dem er immer wieder wiederholt, dass er früher unbedingt sterben wollte, zum Glück aber zu dem hoffnungsvollen Schluss gelangt: „But now I don't want to die“.
Zuvor aber wird Pierce bereits auf der Single-Auskopplung „I Want It All“ mehr als deutlich, indem er feststellt: „Das Lied entstand aus der Sehnsucht und dem Schmerz einer lieblosen Kindheit. Erst in den letzten Jahren habe ich wirklich begonnen zu verstehen, was mir als Junge passiert ist und was mir geholfen hat.“
Die letzte LP-Seite enthält nur Wellenrauschen und am Ende verhallten, sphärischen, wortlosen Gesang, so als würde er durch ein Nebelhorn erklingen. Selbst das passt bei diesem am Ende doch ziemlich verstörenden Album bestens ins Gesamtbild von „Jonny“.
FAZIT: Das sechste Album von THE DRUMS „Jonny“ erscheint auf den ersten Blick (aufs Cover) wie die pure Provokation – da kniet das einzig verbliebene Bandmitglied Jonathan Pierce, zu dessen Solo-Projekt diese Doppel-LP auf transparentem Vinyl geworden ist, nackt betend vor einem Bürostuhl seines Vaters in seinem ehemaligen Elternhaus. Musikalisch aber erscheint das Album harmonisch, mitunter melancholisch und maßgeblich vom Indie-Pop britischer Art geprägt zu sein. Doch auch die Texte sind dermaßen intim und mitunter erschütternd, dass erst ein genaueres Hinhören die gesamte Absicht hinter diesem Album auch dem Hörer offenbart, das Pierce mit eigenen Worten in dieser Form zum Ausdruck bringt: „Als ich 'Jonny' fertigstellte, hörte ich es mir an und hörte, wie sich meine Seele in mir spiegelte. Sie ist niederschmetternd und triumphierend, sie ist verloren und gefunden, sie ist verwirrt und sicher, sie ist weise und töricht. […] Und da meine Religion der Humanismus ist, wird das Album für mich zu einem heiligen Ort der Anbetung. Jedes Gefühl ist eine andere Kirchenbank, jeder Song eine Hymne an das menschliche Herz.“ Dann sollten wir also auch unser Herz für „Jonny“ öffnen – es lohnt sich, so bedrückend uns auch vieles hinter diesem musikalischen Humanismus-Gebet eines in seiner Kindheit schwer gelittenen Musikers erscheint, der dieses Album wie eine Beichte an sich selbst und eine Abrechnung an seine Eltern versteht.
- 1-3 Punkte: Grottenschlecht - Finger weg
- 4-6 Punkte: Streckenweise anhörbar, Kaufempfehlung nur für eingefleischte Fans
- 7-9 Punkte: Einige Lichtblicke, eher überdurchschnittlich, das gewisse Etwas fehlt
- 10-12 Punkte: Wirklich gutes Album, es gibt keine großen Kritikpunkte
- 13-14 Punkte: Einmalig gutes Album mit Zeug zum Klassiker, ragt deutlich aus der Masse
- 15 Punkte: Absolutes Meisterwerk - so was gibt´s höchstens einmal im Jahr
- Seite A (15:22):
- I Want It All (4:56)
- Isolette (2:35)
- I'm Still Scaved (2:14)
- Betterm (3:49)
- Harms (1:48)
- Seite B (9:33):
- Little Jonny (1:25)
- Plastic Envelope (3:18)
- Protect Him Alaways (0:54)
- Be Gentle (3:56)
- Seite C (12:33):
- Dying (feat. Rico Nasty) (3:40)
- Green Grass (3:58)
- Obvious (3:55)
- Seite D (14:42):
- The Flowers (4:22)
- Teach My Body (4:36)
- Pool God (4:41)
- I Used To Want To Die (1:03)
- Gesang - Jonathan Pierce, Rico Nasty
- Gitarre - Jonathan Pierce
- Keys - Jonathan Pierce
- Sonstige - Jonathan Pierce (Drummachine)
- Abysmal Thoughts (2017) - 11/15 Punkten
- Brutalism (2019) - 11/15 Punkten
- Jonny (2023) - 11/15 Punkten
-
keine Interviews