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BaBa ZuLa: Istanbul Sokaklari (Review)
Artist: | BaBa ZuLa |
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Album: | Istanbul Sokaklari |
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Medium: | CD/LP/Download | |
Stil: | Porgressive- und Psyche-Rock, Weltmusik |
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Label: | Glitterbeat Records | |
Spieldauer: | 41:54 | |
Erschienen: | 08.11.2024 | |
Website: | [Link] |
„Wir umarmen die Vergangenheit und die türkische Tradition. Aber das ist nicht genug. Wir leben im 21. Jahrhundert und wir haben die ganze Welt um uns herum.“ (Osman Murat Ertel von BABA ZULA)
Wer es noch nicht wissen sollte, der erfährt es jetzt: In der Türkei gibt es eine interessante (sehr krautig veranlagte) Psyche-Rock-Szene, die zwischen 'Zeitgenössisch und Experimentell sowie Traditionell', spannende (oft leider viel zu wenig beachtete) Musik herausbringt. Einer ihrer unangefochtenen wichtigen Vertreter trägt den Namen BABA ZULA...
...und hat gerade mit „Istanbul Sokaklari“ ein ungemein spannendes Album veröffentlicht – natürlich in ihrer türkischen Muttersprache. Doch das ist völlig egal (auch weil der LP ein Einleger mit allen türkischen Texten und deren englischer Übersetzung beiliegt). Denn diese Musik spricht in erster Linie für sich und die türkische Musikkultur, auch weil sie beispielsweise maßgeblich von ihrem Saz(Langhalslaute)-Spieler und Bandleader Osman Murat Ertel lebt. Genauso wie von jeder Menge Field Recordings (also natürliche Aufnahmen von Geräuschen), sodass wir auf dem Album-Opener ihrer aktuellen LP mit einer alten Aufnahme eines Bahnsprechers, der die Abfahrt eines Zuges von Istanbul nach München ankündigt, begrüßt werden, während dazu die Saz erklingt.
Diese Fieldrecordings spielen das gesamte Album über eine bedeutsame Rolle und gehen bis in Ertels Kindheit und seine Leidenschaft für das Aufnehmen von Alltagsgeräuschen zurück. Hierbei greift der Bandleader auf sein eigenes, langjähriges Interesse am Aufnehmen von Alltagsgeräuschen zurück, das bis hin zu den Experimenten in seiner Kindheit mit dem Tonbandgerät seines Vaters reicht. Zusätzlich inspirierte ihn die Arbeit von Korkmaz Cakar, einem berühmten Produzenten türkischer Hörspiele: „Er war ein Meister der atmosphärischen Vertonung dieser Hörspiele. Ich habe sie mir immer angehört und mich viele Jahre später mit ihm angefreundet. Für das Album verwende ich eine Mischung aus meinen eigenen Aufnahmen und einigen seiner Aufnahmen, die in der Umgebung von Istanbul entstanden, beginnend in den 50er Jahren bis hinein in die Gegenwart.“
Auf „Istanbul Sokaklari“ vereinen BABA ZULA ihre türkischen Traditionen und Klänge mit der progressiv ausgerichteten Musik der Moderne, in denen knackige Beats, jede Menge Percussion, elektronische Spielereien und Pop- wie Rock-Rhythmen miteinander vereint und zu einem außergewöhnlich brodelnden Musikgemisch gebraut werden. Ein Gemisch, das vom Hörer so einiges abverlangt. Denn ein Gewöhnlich und Typisch – das können und wollen Andere, aber nicht BABA ZULA, die bei „Istanbul Sokaklari“ eben auf das genaue Gegenteil setzen: Ungewöhnliches und Untypisches. Lässt man sich hierauf ein, so wird man mit diesem Album belohnt, das besonders als LP im Gatefoldcover mit seiner faszinierenden Comic-Stil-Gestaltung begeistert und verblüfft, aber auch einen fantastischen Stereo-Klang aufweist und durch die vielen Geräuscheffekte, die regelrecht aus den Boxen purzeln, besticht.
Wie ist das gemeint?
Ganz einfach: Schon in den ersten Minuten von „Istanbul Sokaklari“ wird ein türkisches Feuerwerk aus Saz und wilden Rhythmen wie Percussion-Einlagen, türkischen Gesängen sowie Alltagsgeräuschen entfacht, das auch vom Klang her allerhöchste Ansprüche erfüllt und seine absolute Steigerung in dem gut 11 Minuten langen „Yok Haddi Yok Hesab? (No Limit No Calculation)“ findet!
Die Band selber beschreibt „Istanbul Sokaklari“ völlig zutreffend für das deutschrockig geschulte, aber bei dieser Musik vielleicht gar überforderte Ohr, als „pulsierende, hypnotische Tracks, angetrieben von türkischer Perkussion, glitzernder Elektronik, tiefen Bässen, elektrischer Saz und männlichem/weiblichem Doppelgesang“.
'Unbedingt empfehlenswert!' kann man als Kritiker da nur sagen.
Aber auch an beißender Kritik sparen BABA ZULA nicht, wenn sie sich in „Yok Haddi Yok Hesab?“ die Hyperinflation und die zunehmende Schnelllebigkeit der Welt vornehmen und diese nicht nur kritisch hinterfragen, sondern offen angreifen, wozu Ertel selber feststellt: „Der Tag dreht sich nicht an der Börse, sondern der Moment ist wichtig... Nicht das Geld zählt, der Ruhm wandelt im Himmel der Tapferen. Wir sehen und spüren die Ungerechtigkeit immer stärker. Aber selbst unter größtem Druck regt sich der Widerstand, der so lebenswichtig ist und uns den Mut gibt, ein sinnvolles Leben weiterzuführen.“
In diesen Momenten grenzt es schon an eine Frechheit, wenn der 'Rolling Stone' in seiner aktuellen Ausgabe im Rahmen seiner Review zu diesen zeitkritischen Türken tatsächlich etwas von „nah am Verschwörungsgeschwurbel“ schreibt.
Leute, habt ihr und eure überhebliche musikalische wie textliche Deutungshoheit sie noch alle in eurem 'Schwachkopf Professional'?
Denn BABA ZULA lassen sich von einem kritischen Blick auf ihre Regierung leiten – oh je, da gilt man ja beispielsweise in Deutschland schon fast als Nazi und kann sich auf die nächste Hausdurchsuchung einstellen. Nur gibt die Band hierzu selber ein ganz klares, komplett schwurbelfreies Statement ab, was dem RS die pure Schamröte ins Gesicht treiben sollte: „Wir brauchen diese Art von politischem Album mehr denn je. Wir wollen Faschisten und Neonazis mit unserer Musik bekämpfen. Alle zusammen müssen wir kämpfen. Dann können wir sie auch besiegen.“
Und alle Regierungen – egal ob in Deutschland oder der Türkei – die für sich eine Art von religiösem Anbetungsgehorsam verlangen und fast jede Form von Kritik verbieten, müssen eben mit den Mitteln von Kunst und Kritik genauso bekämpft werden wie bei Wahlen, in denen man genauestens überlegt, wem man seine Stimme gibt oder ob man diese überhaupt noch vergeben kann. BABA ZULA jedenfalls beziehen klar Position, während ein woker Musikjournalismus einfach mal ungebeten aufheult.
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Und BABA ZULA können sogar noch einen Zacken schärfer, wenn sie „Arsiz Saksagan“ anstimmen, einen offen regierungsfeindlichen Song, der von einem Gefühl der Wut über die Ungerechtigkeiten des globalen Kapitalismus getragen wird, wozu Ertel eindeutig klarstellt: „Die wilde Gier, allen Lebewesen jede Zelle auszusaugen durch die mächtigen herrschenden Klassenminderheiten, um so schneller reicher zu werden, ist überall auf der Welt und sie steigt und steigt. Die Preise für Lebensmittel und die bösen Machenschaften der Regierungen und Konzerne nehmen zu. Genauso wie die Massen-Medien, die blenden, um kritische Journalisten zum Schweigen zu bringen. Wir unterstützen mit unserer Musik all die Menschen, die eingesperrt werden, nur weil sie sich wehren.“
Das alles kann man übrigens ohne Probleme in dem sehr schönen LP-Einleger nachlesen, in dem nicht nur alle Texte im Original, sondern auch in der englischen Übersetzung zu finden sind. Man braucht sich tatsächlich nur die Mühe zu machen, diese Texte auch zu lesen, um die hehre wie kritische und beeindruckende Absicht hinter diesem extrem gelungenen, progressiven, türkisch-traditionellen (von Taksims geprägten) sowie modernen Beats und Dubs angereicherten und immer auf der Saz basierenden Weltmusik-Album zu verstehen. Man muss es nur wollen, obwohl es doch so viel einfacher ist, das „Schwurbel“-Wort in den Ring zu werfen und damit kleingeistig selbst im Musik-Bereich Tabula Rasa zu betreiben.
FAZIT: Wenn die Türken in ihrer Musikkultur den Krautrock einführen wollten, dann müsste dieser ganz genauso wie auf „Istanbul Sokaklari“ von BABA ZULA klingen! Denn hier vereint die seit genau 30 Jahren aktive – und den Krautrockfreund beispielsweise an CAN erinnernde – Band ihre türkischen Traditionen + Field Recordings (aufgenommene Alltagsklänge aus Vergangenheit und Gegenwart) und Sounds mit der progressiv ausgerichteten Musik der Moderne, in denen knackige Beats, jede Menge Percussion, elektronische Spielereien und Pop- wie Rock-Rhythmen dargeboten und zu einem außergewöhnlich brodelnden Musikgemisch vereint werden, dem noch dazu zeit- und regierungskritische (türkische) Texte den gehörig 'aufsässigen' Pfeffer verleihen. Ein Meisterwerk des türkischen Prog-Psyche-Kraut-Undsonstwas-Rock, das sich über eine Vielzahl von progressiven Musikveröffentlichungen dieses langsam zu Ende gehenden Jahres erhebt und dort deutliche Leuchtspuren hinterlässt.
- 1-3 Punkte: Grottenschlecht - Finger weg
- 4-6 Punkte: Streckenweise anhörbar, Kaufempfehlung nur für eingefleischte Fans
- 7-9 Punkte: Einige Lichtblicke, eher überdurchschnittlich, das gewisse Etwas fehlt
- 10-12 Punkte: Wirklich gutes Album, es gibt keine großen Kritikpunkte
- 13-14 Punkte: Einmalig gutes Album mit Zeug zum Klassiker, ragt deutlich aus der Masse
- 15 Punkte: Absolutes Meisterwerk - so was gibt´s höchstens einmal im Jahr
- Seite A (22:49):
- Istanbul Express Divan Taksim (2:45)
- Ars?z Saksagan (Cheeky Magpie) (6:15)
- Carsi Pazar Baglama Taksimi (2:32)
- Yok Haddi Yok Hesab? (No Limit No Calculation) (11:17)
- Seite B (19:05):
- Bosphorus Cura Taksim (3:31)
- Pisi Pisi Halayi (3:26)
- Yapraklar?n Aras?ndan (In Between The Leaves) (8:33)
- Güzel Bahce Taksimi (Beautiful Garden Taksim) (3:35)
- Bass - Olcay Bozkurt, Veys Colak
- Gesang - Esma Ertel, Osman Murat Ertel
- Gitarre - Veys Colak
- Keys - Osman Murat Ertel
- Schlagzeug - Mehmet Levent
- Sonstige - Osman Murat Ertel (Saz, Baglama, Field Recordings, Cura, Tzouras), Mehmet Levent (Löffel, Machines, Effekte, Becken), Ümit Adakale (Darbuka, Def, Dümbek, Bendir), Korkmaz Cakar (Field Recordings)
- Istanbul Sokaklari (2024) - 13/15 Punkten
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