Partner
Services
Statistiken
Wir
Leyla McCalla: Sun Without The Heat (Review)
Artist: | Leyla McCalla |
|
Album: | Sun Without The Heat |
|
Medium: | CD/LP/Download | |
Stil: | Folk, Singer-Songwriter, Afropop, Latin, Gospel, Jazz, Soul, Americana |
|
Label: | Anti- | |
Spieldauer: | 39:55 | |
Erschienen: | 12.04.2024 | |
Website: | [Link] |
Pop und Politik - eine ziemlich riskante Mixtur. Wenn ein Musiker nur tagesaktuelle Diskurs-Themen aufruft, erweist sich die Botschaft meist schon nach kurzer Zeit als veraltet. Falls das Engagement zu allgemein bleibt, wird daraus am Ende nur gutgemeintes Bla-Bla. Hinzu kommt, dass Künstler die politische Weisheit nicht zwangsläufig mit Löffeln gegessen haben müssen - im schlimmsten Fall ist eine Karikatur wie der notorische Trump-Unterstützer Kid Rock oder ein Pro-Brexit-Eigentor wie bei Roger Daltrey von The Who das peinliche Ergebnis. Man kann Politik im Pop aber auch ganz anders machen: zeitloser, fundierter, klüger. So wie LEYLA MCCALLA.
Ihr neues Album setzt eine Reihe von gesellschaftspolitisch, feministisch und antirassistisch geprägten Solo-Werken fort, deren Relevanz schon seit dem Debüt "Vari-Colored Songs: A Tribute to Langston Hughes" (2014) unbestritten ist. Mit ihrer neuen Scheibe "Sun Without The Heat" erreicht LEYLA MCCALLA einen künstlerischen Höhepunkt - und man muss wohl kein Prophet sein, um der einstigen Cellistin der Bluegrass-Folk-Band The Carolina Chocolate Drops nun eine große Karriere zumindest in den heimischen USA vorauszusagen.
Die frühere Band-Kollegin Rhiannon Giddens und ihre andere Mitstreiterin beim Female-Roots-Projekt Our Native Daughters, Allison Russell, haben gerade erst bei den Grammys 2024 mit Nominierungen und Award-Triumphen für aktuelle Alben beeindruckt - da kommt auch LEYLA MCCALLA mit einer großartigen Platte daher. Auf "Sun Without The Heat" mischt die 38-jährige, in New York City als Tochter haitianischer Emigranten geborene Sängerin Afropop, Folk, Blues, Gospel, Tropicalismo und Soul-Jazz virtuos mit den karibischen Sounds ihrer Vorfahren. Dazu spielt die als "Single-Mom" in New Orleans lebende Songwriterin brillant Cello, Tenor-Banjo und Gitarre. Angesichts der Qualität dieser 40 Minuten Musik würde man sich nicht wundern, wenn McCalla demnächst selbst auf der Shortlist für den wichtigsten Musikpreis der Welt stände.
Schon mit ihren früheren Solo-Alben und der Frauen-Quartett-Platte "Songs Of Our Native Daughters" (2019) tat sich LEYLA MCCALLA nicht nur als Musikerin hervor, sondern auch als Aktivistin für die Belange schwarzer Menschen. Sie schöpfe ihre Inspiration unter anderem "aus den Schriften der schwarzen feministischen afrofuturistischen Denkerinnen Octavia Butler und Adrienne Maree Brown", teilt ihr Label Anti- zum aktuellen Album mit. "Wie diese Autorinnen sucht McCalla im Songwriting nach Wegen, um Glaube und Hoffnung zu stärken, das Gemeinschaftsdenken zu fördern und die persönliche Transformation zu katalysieren."
Es geht also diesmal in den Texten auch viel um eigene Verwandlungen. So erzählt McCALLA in ihrer fabelhaften Single "Tree" von einer Frau, die das Meer überblickt und zum Baum wird, weil sie daran zweifelt, jemals geliebt werden zu können. Das sanft beginnende Lied wandelt sich nach der Hälfte zu einem wütenden psychedelischen Ausbruch der Gitarre von Nahum Zdybel und des jazzigen Schlagzeugs von Shawn Myers (ohnehin sollte man sich bei den Liedern trotz aller Schönheit nie zu früh in Sicherheit wiegen). "Songwriting ist eine Methode, um die Geschichten zu erzählen, die erzählt werden müssen", sagt LEYLA MCCALLA. "Manchmal sind es schmerzhafte Geschichten, die erzählt werden müssen."
Der Titelsong wiederum hat Allgemeingültiges im Fokus: "Sun Without The Heat" ist eine literarische Anspielung auf die Rede des schwarzen Ex-Sklaven und Menschenrechtsaktivisten Frederick Douglass (1818-1895) aus dem Jahr 1857, die er vor einer überwiegend weißen Gruppe von Sklaverei-Gegnern hielt: "Ihr wollt die Ernte ohne den Pflug / Ihr wollt den Regen ohne den Donner / Ihr wollt den Ozean ohne das Tosen seiner Wasser" - Douglass' kritische Aussage, dass Befreiung und Gleichberechtigung nicht möglich seien, wenn man sich nicht ernsthaft zur Veränderung verpflichte, schwingen bei LEYLA MCCALLA mit. "Wir alle wollen die Wärme der Sonne, aber nicht jeder will die Hitze spüren. Man muss beides haben", sagt sie.
Es ist also ein ambitioniertes Programm, das auch "Sun Without The Heat" wieder prägt - und dennoch sind diese Lieder nicht schwer zugänglich oder verkopft, sondern wunderbar lässig und lebensfroh arrangiert. "Tree" und später "Tower" sind nur zwei Musterbeispiele für die Klasse von McCALLA und ihrer kleinen Band - starke Melodien, fantastischer Gesang, instrumentale Kunst zum Niederknien. Mit "So I'll Go" schenkt uns die hochtalentierte Künstlerin einen jazzig-bluesigen Track, der ebenso gut von Billie Holiday oder Aretha Franklin stammen könnte. Und die intensive Piano/Cello-Ballade "I Want To Believe" ganz am Ende dieser meisterlichen Platte treibt endgültig Tränen in die Augen.
LEYLA McCALLA eröffnet mit dem Lied "Small Towns" auch den Tribute-Sampler "My Black Country: The Songs Of Alice Randall“, auf den bei dieser Gelegenheit ebenfalls hingewiesen sei. Die am selben Tag wie "Sun Without The Heat" erschienene Kompilation (Oh Boy Records/Thirty Tigers; VÖ 12. April 2024) feiert den Beitrag schwarzer Frauen für Country und Folk (angesichts des aktuellen Nummer-eins-Hits von Beyoncé derzeit ein großes Thema im Pop). Auch die bereits erwähnten Americana-Stars Rhiannon Giddens und Alison Russell sind auf dem Album vertreten. Seit mehr als vier Jahrzehnten ist die Bestsellerautorin ("The Wind Done Gone") und Pädagogin Alice Randall eine der wenigen schwarzen Songschreiberinnen in Nashville. Die Tribute-Platte erscheint in Verbindung mit ihren Memoiren kurz vor dem 65. Geburtstag. "My Black Country..." ist damit eine intellektuell gleichwertige Ergänzung zum formidablen McCALLA-Soloalbum.
FAZIT: Mit dem triumphalen "Sun Without The Heat" gesellt sich LEYLA MCCALLA wohl endgültig zu den großen Americana-Künstlerinnen der Gegenwart. Aufregende, schöne Musik und kluge, engagierte Texte verschmelzen zu einer perfekten Einheit. Ja, so kann man das machen mit der Verbindung von Pop und Politik.
- 1-3 Punkte: Grottenschlecht - Finger weg
- 4-6 Punkte: Streckenweise anhörbar, Kaufempfehlung nur für eingefleischte Fans
- 7-9 Punkte: Einige Lichtblicke, eher überdurchschnittlich, das gewisse Etwas fehlt
- 10-12 Punkte: Wirklich gutes Album, es gibt keine großen Kritikpunkte
- 13-14 Punkte: Einmalig gutes Album mit Zeug zum Klassiker, ragt deutlich aus der Masse
- 15 Punkte: Absolutes Meisterwerk - so was gibt´s höchstens einmal im Jahr
- Seite A:
- Open The Road
- Scaled To Survive
- Take Me Away
- So I'll Go
- Tree
- Seite B:
- Sun Without The Heat
- Tower
- Love We Had
- Give Yourself A Break
- I Want To Believe
- Bass - Pete Olynciv
- Gesang - Leyla McCalla
- Gitarre - Leyla McCalla, Nahum Zdybel
- Keys - Maryam Qudus, Pete Olynciv
- Schlagzeug - Shawn Myers
- Sonstige - Leyla McCalla (Cello, Banjo), Louis Michot (Fiddle), Maryam Qudus (Backing Vocals)
- Sun Without The Heat (2024) - 13/15 Punkten
-
keine Interviews