Partner
Services
Statistiken
Wir
Albertine Sarges: Girl Missing (Review)
Artist: | Albertine Sarges |
|
Album: | Girl Missing |
|
Medium: | LP/Download | |
Stil: | Indie-Pop, Psychedelia, Art-Pop, Singer/Songwriter |
|
Label: | Moshi Moshi | |
Spieldauer: | 43:17 | |
Erschienen: | 31.01.2025 | |
Website: | [Link] |
Dass „Girl Missing“ – das zweite Album der Berliner Musikerin ALBERTINE SARGES – erst ganze vier Jahre nach dem Debüt „The Sticky Fingers“ erscheint, hat viele relevante Gründe. So gehört ALBERTINE SARGES nicht zu der Sorte von Künstlern, die spontan aus dem Moment heraus agieren. Stattdessen legt sie viel Wert auf einen komplexen Prozess, mittels dessen sie ihre Ideen langsam und sorgfältig durchforstet, im Patchwork-Verfahren verdichtet, formt, verändert und zueinander in einen Kontext setzt, aus dem sich erst allmählich dann Songs herausschälen.
Die Songs auf diesem zweiten Album entstanden etwa in einem Zeitraum von insgesamt 20 Jahren und mussten demzufolge von ihr und ihrem musikalischen Partner SEBASTIAN EPPNER produktionstechnisch zusammengeführt werden, um – bei aller Vielschichtigkeit und Komplexität – ein einheitliches Sounddesign zu formen, denn ein „zufälliges Potpourri“ sollte unbedingt vermieden werden. Hierzu verwendeten die beiden unter anderem Field-Recordings mit verschiedenen kulturellen Referenzen, Samples und Interludien, welche die unterschiedlichen stilistischen Anliegen auf schlüssige Weise miteinander verbinden. Sicherlich förderlich mit Bezug auf das angesprochene kohärente Sounddesign war zudem die Entscheidung, das Material dann von MAX RIEGER von den NERVEN abmischen zu lassen.
Ein weiterer Grund für die lange Wartezeit bestand darin, dass die Musikerin zu den umtriebigsten Vertreterinnen ihrer Zunft zählt. Als langjährige Mitarbeiterin von KAT FRANKIE (zuletzt mit dem A-Capella-Projekt B O D I E S), der Elektronik-Spezialistin HOLLY HERNDON oder der 'punk-feministischen' CHRISTIANE RÖSINGER, aber auch mit ihrem zweiten Projekt OSTIA sowie ihren Arbeiten als Theater-Komponistin war ALBERTINE SARGES zwischenzeitlich nicht nur gut ausgelastet, sondern erhielt die Möglichkeit, ihre verschiedenen musikalischen Erfahrungen, die sie auf diese Weise sammeln konnte, gewinnbringend für ihr Solo-Projekt einbinden zu können, was die unglaubliche stilistische Bandbreite, die sich nun auf diesem zweiten Album offenbart, erklärt.
Das zeitigt dann so unterschiedliche Ansätze, wie z.B. dem mit einer gewissen Prog-Affinität unerbittlich marschierenden Titeltrack „Girl Missing“, aus dem aber plötzlich ein mitreißender Hippie-Refrain hervorbricht, die spirituelle Ambient-Vignette „Annie Said“, die mit Mellotron-Sounds angereicherte Folk-Swing Nummer „Reflection“ (ein älteres Stück, das sie mit 16 schrieb und von dem es eine faszinierende Live-Aufnahme gibt, bei der Sarges dem Takt einer Teppichklopferin zu folgen sucht), den eigenartigen Prog- und Westcoast-Flair des Tracks „Cocoon“ (ein Song über eine toxische Beziehung, der musikalisch von ihrer Faszination für die Woodstock-Ära inspiriert wurde), die psychedelische Jazz-Noir-Ballade „Paris“ oder die mit Flöten-Loops angereicherte, abschließende Kraut-Disco-Nummer „Diving“, welche mit der bemerkenswerten Zeile: „What do you call a fish with no i’s? You call them a fsh“ auffällt. ALBERTINE SARGES sagt, dass die jetzige Form der jeweiligen Aufnahmen sich erst in einem experimentellen Prozess in mehreren Stufen herausschälte. Das Ergebnis ist dann letztlich aber ein außerordentlich eigenständiger, eklektischer Stil – der sich eben nur nicht mehr kategorisieren lässt.
Musikalisch machte ALBERTINE SARGES als Solo-Künstlerin zunächst durch ihre spielfreudigen, mitreißenden Live-Shows auf sich aufmerksam, die beim Publikum stets den Eindruck hinterließen, einer lebenslustigen Jam-Party beigewohnt zu haben. Dieses Gefühl auf Konserve einzufangen, gelang nun auf dem neuen Album sehr viel besser als auf der im Vergleich noch etwas spröden und ausufernden Debüt-LP. Das liegt einerseits an dem zuvor geschilderten Produktionsprozess und andererseits dran, dass es Sarges immer wieder gelingt, aus dem weitestgehend rhythmisch angelegten Grundkorsett des Materials mit geradezu hymnisch angelegten melodischen Ideen auszubrechen und sich dabei als Sängerin wagemutig neuen Herausforderungen zu stellen. Hinzu kommt, dass das Material dezidiert organisch angelegt wurde und die elektronischen Elemente und produktionstechnischen Effekte stets songdienlich und sparsam eingesetzt wurden.
ALBERTINE SARGES erklärt zudem selber, worum es auf dem Album geht: Mit „Girl Missing“ ist nicht sie selbst gemeint, sondern eine Freundin, die plötzlich und unerklärlich aus ihrem Leben verschwand. „Girl Missing“ soll kein Trennungs-Album sein, aber auch kein „Nicht-Trennungs-Album“.
Deswegen begibt sich die Musikerin in philosophischer Hinsicht auf die Suche nach ihrer verlorenen Freundin – und findet dabei zu sich selbst und zur Liebe, welche momentan eben keinen festen Wohnsitz hat und bringt so zum Ausdruck, dass sie bei dieser Suche dann auf eigenen Füßen stehen muss, denn – wie sie in dem Track „Motherless Universe“ attestiert - hat das Universum uns zwar erschaffen, interessiert sich aber nicht weiter für uns und lässt uns in seiner Unendlichkeit alleine zurück.
FAZIT: Musiker, die sich dem Anything-Goes-Prinzip verpflichtet fühlen, laufen schnell Gefahr, sich im Wirrwarr der unendlichen Möglichkeiten zu verzetteln. Dieser Gefahr war sich auch ALBERTINE SARGES sicherlich bewusst, weswegen es eine gute Idee war, ihre vielfältigen musikalischen Ideen mit ihrem Partner SEBASTIAN EPPNER zu teilen und in Form zu bringen und die fertigen Songs abschließend von MAX RIEGER abmischen zu lassen. So wird „Girl Missing“ eben nicht zu einer chaotischen Collage, sondern zu einer kunterbunt mäandernden, vielschichtigen, experimentierfreudigen, aber am Ende völlig nachvollziehbaren (und nicht zuletzt tanzbaren) Indie-Pop-Songsammlung.
- 1-3 Punkte: Grottenschlecht - Finger weg
- 4-6 Punkte: Streckenweise anhörbar, Kaufempfehlung nur für eingefleischte Fans
- 7-9 Punkte: Einige Lichtblicke, eher überdurchschnittlich, das gewisse Etwas fehlt
- 10-12 Punkte: Wirklich gutes Album, es gibt keine großen Kritikpunkte
- 13-14 Punkte: Einmalig gutes Album mit Zeug zum Klassiker, ragt deutlich aus der Masse
- 15 Punkte: Absolutes Meisterwerk - so was gibt´s höchstens einmal im Jahr
- Girl Missing
- Motherless Universe
- I Love You Noodles
- Stand Near Your Fire
- Blue Lagoon
- Annie Said
- Rose Of Jericho
- Reflection
- Cocoon
- On My Mind
- Paris
- Diving
- Bass - Sebastian Eppner, Albertine Sarges
- Gesang - Albertine Sarges
- Gitarre - Sebastian Eppner, Albertine Sarges
- Schlagzeug - Robert Kretzschmar, Garagen Uwe, Marcel Römer
- Sonstige - Lisa Beyens (Flöte)
- Girl Missing (2025) - 11/15 Punkten
-
keine Interviews