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Sharon Van Etten & The Attachment Theory: Sharon Van Etten & The Attachment Theory (Review)

Artist:

Sharon Van Etten & The Attachment Theory

Sharon Van Etten & The Attachment Theory: Sharon Van Etten & The Attachment Theory
Album:

Sharon Van Etten & The Attachment Theory

Medium: CD/LP/Download
Stil:

Indie-Pop, Psychedelia, New Wave

Label: Jagjaguwar
Spieldauer: 45:55
Erschienen: 07.02.2025
Website: [Link]

Als sich SHARON VAN ETTEN mit ihrem 2020er-Album „Remind Me Tomorrow“ nach einem Umzug von New York nach Los Angeles dem Synthie-Pop-Medium zuwandte, erwischte sie damit ihre Hardcore-Fans aus der Indie-Rock-Fraktion zweifelsohne auf dem falschen Fuß, denn die rauen Gitarrenakkorde und die folkige Grundstimmung früherer Tage fanden sich hier nicht mehr. Dabei ging zuweilen unter, dass SHARON VAN ETTEN auf diesem Album mit ihre besten Songs unterbrachte. Für die Künstlerin selbst zahlte sich dieser Stilwechsel aus, denn ihr gelang zugleich, neue Fans hinzuzugewinnen. Wie ihre Kollegin MITSKI zuvor schon eindrucksvoll bewiesen hatte, kann der Wechsel zu poppigen, elektronischen Sounds für Indie-Künstler zu einem regelrechten Karriere-Booster werden.

Freilich: Darum ging es SHARON VAN ETTEN überhaupt nicht. Denn wie das nächste Album „We've Been Going About This All Wrong“ zeigte, betonte van Etten dann wieder die songwriterischen Aspekte ihres Tuns und arbeitete auch erneut mit elektrischen (und akustischen) Gitarren. Für das nun vorliegende, insgesamt siebte Album ließ sie all das hinter sich, drückte den Reset-Knopf und schlug mit der Gründung ihrer neuen Band THE ATTACHMENT THEORY zum wiederholten Male ein neues musikalisches Kapitel auf, indem sie ihre Musiker bat, sich mit eigenen Beiträgen an der Entstehung der Songs zu beteiligen und mit ihr zu jammen, sodass sie auf die bis dahin praktizierte totale Kontrolle verzichtete.
Hieraus ergaben sich völlig neue Möglichkeiten in Bezug auf die Song-Struktur, deren musikalisches Zentrum und sogar der Texte, woraus sich ein Flow ergab, den bislang noch keine ihrer Produktionen ausgezeichnet hatte. Bevor die Songs in Zusammenarbeit mit der Produzentin MARTA SALOGNI (u.a. BJÖRK, DEPECHE MODE oder PORRIDGE RADIO) im Londoner Studio 'The Church' eingespielt wurden, entstanden so die Grundgerüste der neuen Stücke in Probe-Sessions in der Kalifornischen Wüste, wo die Band zugleich ihren Live-Sound entwickelte, während die Zuhörer können über Video-Clips diesen Prozess nachvollziehen konnten.


SHARON VAN ETTEN selbst beschreibt die Zusammenhänge so, dass Drummer JORGE BALBI mit seinem variantenreichen Spiel das Fundament des Sounds von THE ATTACHMENT THEORY bildet, während die Gesangsbeiträge von Keyboarderin TEENY LIEBERSON neue klangliche Dimensionen und eine spirituelle Note ermöglichten. Der Bassistin DEVRA HOFF attestiert sie hingegen ein besonderes Gespür für melodische Aspekte. Die Produzentin MARTA SALOGNI nutzte die analogen Möglichkeiten des Studios (für das der derzeitige Besitzer PAUL EPWORTH ein 72-Spur Vintage-Nieve-Mischpult mit zwei Geräten aus den Abbey-Road-Studios und dem Pathe-Marconi-Studio zusammenbauen ließ), um den so erzeugten Live-Sound der Band in der Studio-Umgebung auf organische Weise einfangen zu können. Im Prinzip tat sie das, indem sie der Musikerin und ihrer Band alle Freiheiten ließ, den Sound zu bestimmen – inklusive aller Haken, Ösen und Warzen. Laut Van Etten war das ein entscheidender Unterschied zu den männlichen Produzenten, mit denen sie bis dahin zusammengearbeitet hatte und die sich oft als Korrektiv mit einer eigenen Vorstellung begriffen.


Das Ergebnis ist ebenso überraschend wie überzeugend.
Zwar gibt es auch auf diesem Album wieder jede Menge Synthesizer – aber nur wenig sonstige elektronische Elemente - zu hören. Dafür sorgt der Londoner Gitarrist ALEX REEVE (HEJIRA) mit seinen psychedelisch verfremdeten Gitarrenbeiträgen für zusätzliche atmosphärische Akzente. Auf diese Weise ergibt sich so ein faszinierender Klangmix aus Dreampop-, Shoegaze-, Psychedelia- und Krautrock-Elementen, der bei den einzelnen Songs Erinnerungen an die Gründerväter dieser Sound-Ästhetiken erweckt.

Überhaupt klingt das neue Werk auf diese Weise tatsächlich nicht besonders amerikanisch, sondern spielt geschickt mit dem Retro-New-Wave-Flair der britischen Indie-Szene der 80er.
„Indio“ kommt so etwa mit SIOUXSIE & THE BANSHEES- und MAGAZINE-Assoziationen daher, „I Can't Imagine (Why You Feel This Way)“ erinnert an die Fake-Funk-Szene der 80er, in „Fading Beauty“ lebt zusätzlich die prä-digitale, atmosphärische Klangwelt etwa von 10 CC wieder auf und „Trouble“ gemahnt mit den metallisch angelegten Akustik-Gitarren im Hintergrund gar an die Arbeiten der COCTEAU TWINS.


Der vielleicht größte Unterschied zum bisherigen Wirken von SHARON VAN ETTEN ist der vollständige Verzicht auf konventionelle Song-Formate und konsequente Narrative. Betätigte sie sich bislang als autotherapeutische, in Strophen und Refrainen denkende Geschichtenerzählerin, die in ihren Songs den Kampf mit ihren Dämonen schilderte und so die Verbindung zur gleichgesinnten Hörerschaft herstellte, so bestehen die neuen Lyrics weitestgehend aus assoziativen, plakativen Slogans, die sich auf hypnotische Weise über die Mantra-artige Wiederholung im Bewusstsein des Hörers festsetzen. Die Botschaft des jeweiligen Songs verdichtet sich so über diese Wiederholungen. Bestes Beispiel hierfür ist der Opener „Live Forever“, dessen Aussage sich auf die Zeilen „Who Wants To Live Forever?“ und „It Doesn't Matter“ beschränkt. In dem Track „Idiot Box“ wird schließlich die Feststellung „Ooh, when you find it’s just a dream“ insgesamt gleich zwölfmal mit der Zeile „Always Gets To Me“ verstärkt. Und in „Trouble“ ist es die Aussage „I Don't Want To Lose You – Not If Can Chose To“, die öfter wiederholt wird.

Sicherlich trägt das zu der angesprochenen spirituellen Wirkung bei. Die mit gewisser Unerbittlichkeit inszenierte, tranceartige Anlage von Tracks wie „Trouble“, „Southern Life (What Is Must Be Like)“ oder dem auf einer Mellotron-Klangwolke aufgesetzten „I Want You Here“ tut ein Übriges in dieser Hinsicht. Auf der anderen Seite gibt es den Track „Idiot Box“, der mit melodischen Aspekten und einem poppigen Refrain überrascht oder „Indio“, der einzige Track, der obendrein mit echten Rock-Reminiszenzen daherkommt. Tatsächlich stellt SHARON VAN ETTEN mit diesem Album erneut ihre Fähigkeiten als künstlerisches Chamäleon unter Beweis – nur dass sie es dieses Mal nicht alleine tut.

Erfindet sich SHARON VAN ETTEN damit aber tatsächlich selber neu? Nicht wirklich, denn insbesondere ihre gesanglichen Trademarks bleiben vollkommen erhalten, sodass sie mit diesem Projekt beweist, dass sie nicht stehen bleibt und ihren Elevinnen und Epigoninnen mal wieder einen Schritt voraus ist.


FAZIT: Mit dem selbstbetitelten Album „Sharon Van Etten & The Attachment Theory“ liefern SHARON VAN ETTEN und ihre Musiker eine überzeugende musikalische Visitenkarte als organisch agierende Band ab. Zugleich zeigt sich die Musikerin selbst von einer ganz neuen, kollaborativen Seite, wobei sie ihre kreativen Bemühungen als Musikerin tatsächlich nicht mehr alleine in den Dienst des Egos oder der Narrative ihres Materials, sondern in das Zusammenwirken mit ihren neuen Band-Musikern stellt.

Ullrich Maurer (Info) (Review 61x gelesen, veröffentlicht am )

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Wertung: 11 von 15 Punkten [?]
11 Punkte
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Tracklist:
  • Live Forever
  • Afterlife
  • Idiot Box
  • Trouble
  • Indio
  • I Can't Imagine (Why You Feel This Way)
  • Something Ain't Right
  • Southern Life (What Ist Must Be Like)
  • Fading Beauty
  • I Want You Here

Besetzung:

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