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Interview mit Gruenewald (07.08.2015)

Gruenewald

Mit "III" hat sich GRUENEWALD praktisch neu erfunden. Das Projekt von Christian Kolf eröffnet Räume, in denen sich flächige wie konkrete Klänge wahrlich frei entfalten können. Hoch atmosphärisch, düster und ergreifend laden die vier Kompositionen unaufdringlich dazu ein, die Seele weithin schweifen zu lassen. Und gleichwohl das gar nichts (mehr) mit Rock und Metal im weitesten Sinne zu tun hat, stimme ich dem Kollegen Schiffmann zu, der in seiner Rezension im vergangenen Dezember lobte: "Eines der zwingendsten Zeitgeister-Alben, wenn nicht sogar das bisherige Bravourstück des Labels beziehungsweise von Christian Kolf schlechthin." Ein Rückblick sollte sich also auch ein halbes Jahr später noch lohnen, ein Ausblick ohnehin...

Christian, Euer "neuestes" Album hat bereits einige Jahre auf dem Buckel, die Veröffentlichung liegt immerhin rund sieben Monate zurück. Wie fühlt es sich an, wenn Du auf diesen Zeitraum zurückblickst, und wie rühren Dich die Reaktionen der Hörer und Kritiker, von denen Du Wind bekommst?

Da fühle ich eher sowas wie: "Ich hätte gehofft, dass mehr abgegangen wäre." Das Album war schon eine wichtige Nummer für Rafael Calman und mich. Ich bin wirklich sehr stolz auf das, was wir da geschaffen haben, aber leider hatte kein Label Interesse an solch andersartiger Musik, deswegen kam es über unser eigenes Label Zeitgeister raus. Es war schwierig, mit unseren Kontakten "nicht-metallische" Zielgruppen anzusprechen, denn ich bin mir sicher, dass es eine Menge Menschen gibt, die mit dieser Musik was anfangen können, sie haben bloß noch nie davon gehört. Die Reaktionen waren immer gut. Da kann ich nicht meckern.

Ohren, Hirn und Bauch werfen die Namen Nostalgia, Amon Tobin und The Soundbyte in die Runde, wenn ich Eure Erforschung düster-sphärischer Klänge annäherungsweise zu beschreiben versuche. Welche Worte kommen Dir in den Sinn, wenn Du nicht gerade Kopfhörer und MP3-Player zur Hand hast?

Ich habe die Synthesizer-Flächen ungefähr um 2009 geschrieben. An einem Wintertag bin ich den Wald und bin ein paar Stunden durch den Schnee gelaufen und habe das Material gehört. Es war eine gute Zeit. Daran denke ich oft, wenn ich das Album höre. Alte Dead Can Dance waren ein musikalischer Einfluss und das Feeling, das ich als Jugendlicher hatte, als ich meine ersten Keyboard-Tracks mit einem Billig-Keyboard geschrieben habe. Winter, Natur, Kerzen, Wind, Nacht, Traurigkeit, Weltschmerz – das sind die Worte die mir in den Sinn kommen.

Apropos Kopfhörer: "III" sollte dringend damit ausgehorcht werden, oder?

Kann man, muss man aber nicht. Die Platte kann man auch richtig laut hören.

Der Anteil von Rafael Calman am grandiosen Gesamteindruck von "III" kann kaum hoch genug eingeschätzt werden, oder? Wie kam es zu der Zusammenarbeit, wird sie fortgesetzt und wie oft hast Du bei den Aufnahmen über sein ideenreiches und gefühlvolles Spiel gestaunt?

Die Zusammenarbeit kam zustande, weil wir alte Freunde sind. Ich wusste nicht wohin mit dem Material und hatte Rafael gefragt, ob er etwas Percussion dazu spielen könnte. Er hatte gerade eine schwere Zeit hinter sich und hat sich ziemlich in die Sache reinfallen lassen. Dafür bin ich dankbar. Und er war dankbar, dass ich die Zügel locker gelassen habe. Er konnte machen, was er wollte. Diese Platte ist gemeinsam entstanden. Ohne ihn wäre das was ganz anderes geworden. Wir haben Schlagzeug und Percussion an zwei bis drei Tagen aufgenommen, die Nächte durchgemacht, im Studio geschlafen. Rückblickend eine schöne und intensive Zeit, die für uns das Album umso besonderer macht.

Auf "III" spricht die Musik für sich, Cover und Booklet laden augenscheinlich zur Wanderung in Schottland oder Island ein. Hauptsache raus aus dem Hamsterrad des Alltags?

An sowas habe ich nie gedacht. Es geht da eher um Schwermut und den Trost, den man in der Einsamkeit in der Natur finden kann. Aber im Grunde genommen ist das ja das Gleiche wie "raus aus dem Hamsterrad des Alltags".

Die englische Pädagogin Teresa Belton beobachtet, dass es zahlreichen Kindern heute an Imaginationsfähigkeit, Kreativität und Phantasie mangelt, weil sie keine "leere Zeit" für sich haben, in der sie Tagträumereien nachhängen können. Wie erinnerst Du in dieser Hinsicht Deine eigene Kindheit und kannst Du dieses Thema mit GRUENEWALD in Verbindung setzen?

Das mit der leeren Zeit ist wichtig. Langweile haben, kein direkter Zugriff auf alles. Ich war immer ein Tagträumer. Ich komme vom Land und erinnere mich an Zeiten, wo ich einfach auf der Kellerbank stundenlang saß und in die Ferne gestarrt habe. Und heute habe ich das immer noch. Ich brauche eigentlich nicht viel, wenn ich draußen bin. Da gibt es genug zu sehen. Und wie ein Freund von mir mal so gut sagte, als wir an einem windigen Tag im Siebengebirge waren: Wind reicht als Beschäftigung. Aber jeder ist halt anders und jeder hat eine andere Geduld für Dinge. Aber da ich so ein Typ bin, mache ich auch so langweilige Musik.

Du bist vor allem als VALBORG-Gitarrist und -Schreihals bekannt, hast in den letzten Jahren zudem mit OWL den nach Grotte klingenden Doom / Death Metal transzendiert. Welche Funktion haben vor diesem Hintergrund Deine Basteleien mit GRUENEWALD?

Das weiß ich selbst nicht so richtig. Ich habe lange nichts für GRUENEWALD geschrieben. Metal funktioniert etwas einfacher. Ein Album wie "III" war sehr kosten- und zeitintensiv. Wenn, dann muss es von selbst kommen. Vielleicht mache ich aber wieder etwas weniger ambitionierte Musik wie auf der ersten und zweiten Platte. Ich weiß es noch nicht. GRUENEWALD ist auf jeden Fall noch nicht tot. Aber es wird nur etwas gemacht, wenn das Gefühl stimmt, wenn die Musik zu mir kommt. So war es bisher immer. Ich habe mit den GRUENEWALD Alben immer etwas in meinem Leben verarbeitet und abgeschlossen und so wird es auch bei einem nächsten Album sein. Aber ich habe letztens ein Lied geschrieben, was mich stark an GRUENEWALD erinnert hat. Ein gutes Lied, aber im Nachhinein ziemlich depressiv. Es war befreiend, aber wenn ich mir die Musik anhören, die ich da fabriziert habe, dann fange ich an, mich miserabel zu fühlen. Nichts, wonach ich mich momentan sehne.

Ich war kürzlich mal wieder in einer Höhle und habe mir ausgemalt, wie in solch unterirdischem Gewölbe diese oder jene Musik zur Geltung käme. Wäre das für Dich und GRUENEWALD spannend – und was schwebt Dir unter diesem Namen überhaupt noch vor?

Danke für diese Vorstellung. Ich würde das in der Tat gerne mal umsetzen. Aber wie schon oben gesagt. Ich habe VALBORG am Laufen, OWL läuft. Nebenbei Zeitgeister. Ich gehe arbeiten. Viel Zeit bleibt da nicht, um diese Musik idealistisch auf die Bühne zu bringen. Auch wenn ich es gerne möchte. Auf der anderen Seite, ich bin ja noch jung, es kann immer noch viel passieren.

Christian, herzlichen Dank für Deine Zeit und Eure Geister – mögen sie noch lange ihr Unwesen treiben und uns überraschen!

Danke Thor, für das Interview. Ich hoffe auch! Aber ich bin mir sicher, dass die Geister uns so schnell nicht verlassen werden.

Thor Joakimsson (Info)
Alle Reviews dieser Band:
  • Gruenewald - II (2009)
  • Gruenewald - III (2014)