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Interview mit OWL (07.09.2018)
Der Tod seines Mitmusikers René folgt Christian Kolf wie ein Schatten, wenn er sich in der Öffentlichkeit zu OWLs aktuellem Album äußert. Der herbe Schicksalsschlag beweist auf "Nights In Distortion" bezogen einmal mehr, dass das Leben selbst die beste Musik schreibt, so sehr ihre Schöpfer auch dafür leiden müssen. Ein beispiellos aufwühlendes Gespräch …
Du hast mir das Album schon vor fast zwei Jahren zum Hören gegeben, als es in seiner jetzigen Form schon so gut wie fertig war. Wieso hat es bis zur Veröffentlichung so lange gedauert - abgesehen von dem persönlichen Unglück natürlich?
Der Entstehungsprozess war etwas auslaugend. Es gab viele Komplikationen. Zum Beispiel hatten wir den Bass eingespielt, und mir sind alle aufgenommen Spuren verlorengegangen. Dann mussten wir alles noch einmal aufnehmen. Als die Platte dann fertig war, bin ich auf Label-Suche gegangen. Das hat auch etwas gedauert, bis glücklicherweise Temple Of Torturous Interesse zeigten. Ich habe ja schon bei Valborg mit ihnen gearbeitet, und das lief super. Sie meinten dann 2017, dass sie die Platte aus Budgetgründen erst 2018 veröffentlichen könnten. Da juckte es mir so in den Fingern, das Album einfach bei Bandcamp hochzuladen, weil ich die Sache einfach abschließen wollte. Ich habe aber auch aus freundschaftlichen Gründen gewartet - wegen René. Für ihn war es die erste richtige Veröffentlichung. Ich wüsste, er würde total ausrasten und vor Stolz platzen. Er hat viel für mich getan und mir drei wunderbare Instrumente gebaut, die ich heute spiele. Ich wollte ihm etwas zurückgeben. Er war auch derjenige, der mich in den Phasen, in denen mir die Lust verging, immer wieder angespornt hat. Als er dieses Jahr starb, hat dies das Album für mich in ein komplett anderes Licht gerückt. Ich habe damit etwas für mich sehr Persönliches, Wertvolles erschaffen, das ich in dieser Form nie wieder machen werde. Es handelt von einer großen Lebensveränderung und ist eben auch in der damit verbundenen Zeit entstanden. Als ich die Songs schrieb, war ich noch ein anderer Mensch. Früher hegte ich den romantisch naiven Wunsch, so ein Album anzugehen, aber jetzt, da es Realität gewordne ist, muss ich sagen: Ich bin nicht besonders scharf darauf, es zu wiederholen. Ich habe viel dadurch gelernt, und in den letzten Jahren sind neue Stimmungen entstanden, aus denen ich musikalisch schöpfen kann. Wenn ich das Album höre, erinnere ich mich sowohl an gute als auch schlechte Zeiten; vor allen Dingen vermisse ich René.
"Nights In Distortion", der Titel lässt mich einerseits an Schlaflosigkeit denken, andererseits eben an Schmerz oder verzerrte Wahrnehmung, den Beginn des im letzten Stück besungenen Wahnsinns vielleicht. Was genau meinst du damit, und wie hängt der Titel mit dem Cover zusammen, falls überhaupt?
Ich könnte jetzt großartig darüber reden, was ich mir für tolle Konzepte ausgedacht habe, aber letztendlich kam alles aus dem Bauch. Es wurde von Gefühlen gesteuert; viele Texte habe ich geschrieben, bevor überhaupt eine Note feststand. Als ich die Songs dann einsang, war ich nicht gut drauf, was aber wiederum dazu führte, dass mir auch alles egal war. Darum habe ich nicht nachgedacht, sondern nur das gemacht, wonach ich mich fühlte. Es ging darum, sich etwas von der Seele zu singen bzw. zuschreien. Während der Arbeit wusste ich nicht, ob die Platte je herauskommen würde. Ich habe sie als Werkzeug angesehen, und zu 'Madness Is The Glory Of This Life': Ich fand diesen Satz schön. Irgendwo las ich, er stamme von Shakespeare, doch verwendet habe ich ihn für mich, weil er ich ein bestimmtes Gefühl damit verbinde. Es sollte der letzte Song der Platte werden, einer von Liebe, Hass und Angst, ein Anti-Liebeslied.
Im Nachhinein kann man einiges auf dem Album auf Renés Tod beziehen, etwa das verzweifelte "you must live on" in 'Transparent Monument' oder das "sorrow is overwhelming" in 'Inanna In Isolation'. Das ist reiner Zufall, oder?
Alles Zufall, ich bin ein großer Fan des Zufalls. “You must live on” bezieht sich darauf, dass ich sagen wollte: Mach weiter. Es ist zwar räudig, aber nicht weiterzumachen steht außer Frage. Lass dich nicht von Gefühlen und der Zeit täuschen. Alles verändert sich, und es kommen bessere Zeiten. Den Text zu 'Transparent Monument' habe ich geschrieben, als mein Großvater noch lebte . Er war 93 und kam mit dem Tod seiner Frau, meiner Oma, kur vorher überhaupt nicht gut klar. Nach seinem Besuch bei mir zu Weihnachten habe ich ihn nach Hause gefahren, als er zu weinen anfing. Ein alter Mann, der alles gelebt hat, sah sich mit über 90 mit dem größten Verlust überhaut konfrontiert. Das Haus voller Erinnerungen – und er istwar nun ganz allein, eine erdrückende Vorstellung. Das hat mich ziemlich mitgenommen. Danach schrieb ich diesen Text. Am selben Tag, als er vor zwei Jahren starb, besuchte ich ihn noch. Er spuckte Blut und sagte halb lachend zu mir. “Was ist das alles ne Scheiße …”
In den letzten Jahren sind viele Menschen gestorben, die ich kannte. Man lernt, damit umzugehen, und akzeptiert, dass es einfach normal ist, ja zum Leben dazu gehört. Das ist zwar traurig, ängstigt mich aber nicht mehr. Es zeigt nur, wie brutal das Leben wirklich ist und wie gut es einem doch geht. Gerade im dunklen Metal wird viel gejammert. Ich habe eine Doku über 100-Jährige gesehen; Diese Menschen hatten schon wieder alles verloren, was wir im Begriff sind, uns aufzubauen. Sie waren auf der anderen Seite, und mich hat das zutiefst beeindruckt, weil sie eine Einstellung zum Leben haben, die wir nicht kennen. Es hat mich inspiriert. Wenn du Verlust und Schmerz akzeptierst, kannst du auch lange leben. Eine zeitlang habe ich mich gefragt, wie man das überhaupt aushalten soll - die ganzen Erinnerungen, die man im Leben sammelt. Man müsste doch vor Traurigkeit wahnsinnig werden, aber es geht doch. Man kann es lernen, es fordert viel Kraft; man muss loslassen. Die Vorbilder haben wir vor unserer Nase, aber man nimmt sie nicht wahr. Sprecht mit den Alten und hört ihnen zu. Meine andere Großmutter lebt noch, sie ist 93 und unermüdlich. Sie macht weiter, obwohl sie nicht mehr laufen kann, weshalb sie viel herumliegt. Ein paar Fotos im Zimmer, fernsehen … aber nicht schlecht drauf. Den Krieg erlebt, eine zweijährige Tochter verloren, Häuser gebaut, Kinder großgezogen …
"Existence is extinction" in 'We Are Made For Twilight' - Leben als stetiger Kampf oder ein Verweis darauf, dass alles letzten Endes vergeht?
Die bittere Realität einfach. Ein steter Kampf, der nie aufhört, aber das Leben geht genauso weiter, bis man eben stirbt. 'We Are Made For Twilight', dazu wurde ich eigentlich durch eine Reportage inspiriert. Es ging um das menschliche Auge, und behauptet wurde, dass wir eigentlich für das Zwielicht gemacht sind. Ich fand das eine schöne Umschreibung des Menschseins.
'Anamnesis' ist teils ein Appell zur Selbstzerstörung. Wieso - gerade bei dem Titel?
Kein Appell zur Selbstzerstörung, sondern eine Umschreibung der Dinge, wie sie manchmal eben den einen oder anderen sein können - all der Druck und das perfekte Bild, dem man gerechtwerden möchte, die Freiheit die einem fehlt, oder ganz global interpretiert: Eigentlich zerstören wir uns schlussendlich sowieso alle irgendwie. Es passiert, und man fragt nach dem Grund. Ich glaube einfach, dass es im Sinne der Natur liegt, aus Gründen der Evolution, denn ich kann mir vorstellen, dass es ziemlich egal ist ob es Menschen gibt oder nicht.
Der Text zu 'Abortion Of Empathy' liest sich kryptisch: Kontrollverlust einerseits, am Ende keine Aussicht auf Wiederkehr; magst du das erläutern, oder sollen das nur lose dahingeworfenen Assoziationen sein, auf die sich jeder selbst einen Reim machen darf?
Ich finde, der Text bringt ziemlich genau auf den Punkt, womit man sich in vielen Lebensituationen indentifizieren kann. Texte dürfen das Wirkliche von mir aus immer gern ein wenig übertreiben, und auch hier gilt: Es geht immer weiter. Man trifft Entscheidungen, die eine Rückkehr unmöglich machen, hat das Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren und fragt sich: Was habe ich da nur angerichtet?. “There is no return” - als Zeichen dafür, dies alles zu akzeptieren.
Wofür steht denn die Göttin Inanna bei euch symbolisch?
Im Zusammenhang mit dem Song 'Inanna in Isolation' ist es isolierte Liebe. Das kann eine falsche Abzweigung sein, die Verherrlichung eines unrealistischen Gefühls, das man in sich trägt, oder ein Zurückziehen in die Wertlosigkeit, die Verstümmlung der Wärme. Es geht da nicht nur um Mann und Frau, sondern auch um Nächstenliebe, die Liebe zu Tieren oder der Natur - zum Leben an sich, um isolierte Liebe als Grund des Rückzugs und der Verbitterung. Aus Angst ist man überzeugt davon, die Wahrheit zu kennen, oder kreiert eine subjektive Wahrheit.
Hattet ihr außer Sängerin Carline van Roos noch andere Gäste am Start?
Nein. Sie singt in 'We Are Made For Twilight'. Der Song ist 2014 als Hommage an das Doom- oder Gothic-Feeling der 90er zu schreiben: Tiamat zu “Wildhoney”-, My Dying Bride zu “Turn Loose The Swans”-Zeiten. Ich wollte schon lange weiblichen Gesang in einem Stück haben, und hierzu passte er dann. Carline hat auch den entsprechenden Background und verstand gleich, worauf ich abzielte. Ihre Stimme gibt mir ein Gefühl von Traurigkeit und Trost zugleich.
Wie sind die drei EPs, die 2014 und 2015 zwischengeschoben wurden, im Zusammenhang mit dem Album zu sehen?
Ich hatte die Songs von "Nights In Distortion" alle geschrieben und arbeitete erst dann an den EPs. Das Material darauf ist also viel jünger als die Stücke jenes Albums. Jede dieser Veröffentlichungen war ein Mittel zum Zweck; es ging nie darum, einfach nur mal eine EP zu machen, denn sie entstanden immer dann, wenn ich etwas loswerden musste. Wie gesagt, ich bin sehr ungeduldig, und Musik ist in erster Linie ein Werkzeug für mich, um mit meinem Alltag zurechtzukommen. "The Last Walk” verarbeitete eine Krankheit mit Todesfolge bei einem Bekannten, “Aeon Cult” war eine Reaktion auf totalen Stress, den ich während derselben Zeit hatte; ich war total geladen, die drei Songs wurden in drei Stunden geschrieben und rausgeballert. “Orion Fenix” war markierte einen Neuanfang, einen bewussten Abschluss einer dunklen Periode oder In-sich-Gehen, Zusammenreißen, sich Schütteln und nach vorne Blicken.
Welches Fazit kannst du jetzt nach der langen Entstehungszeit und angesichts der Umstände ziehen, unter denen "Nights In Distortion" enstand? Wie wird es mit Owl (und Zeitgeister) weitergehen?
Das alles zu machen hat sich gelohnt. Ich hoffe, dass ich ein paar Menschen mit der Musik berühren kann, dass man die wahren Emotionen hört und berührt wird, jemand anderem Kraft damit geben kann. Ich erlebe gerade, aus sehr dunklen Erfahrungen lässt sich doch etwas Positives ziehen, und bin am Ende des Tunnels angekommen, wobei ich viel gelernt habe. Beim nächsten Mal wird es nicht mehr so weh tun. Die Musik, die ich jetzt schreibe, ist anders. Ich würde sagen, ich habe den Kolf-Style verfeinert; er ist nicht mehr so nostalgisch geprägt. Ich war früher sehr stark von der Musik meiner Jugend beeinflusst. Mittlerweile zehre ich von einem Gefühl, das in den letzten Jahren entstanden ist. Ich kann es nicht beschreiben, doch es kommt hoch wenn ich komponiere. Ich bin darüber sehr glücklich, weil ich so angeödet war von der ganzen Nostalgie, die mich jahrelang gequält hat. Heute ist davon nicht mehr viel übrig, und ich schaue nach vorne. Was hinter mir liegt, interessiert mich weniger, weil es sowieso vorbei ist. Ich kann heute nicht mehr sagen, warum es mich immer so beschäftigt hat, denn nun empfinde ich es als langweilig und unnötig. Man wird ja älter und muss schauen, wie man zurandekommt. Ansonsten geht es immer weiter.
Ich arbeite gerade an drei Songs für ein Split-Tape mit der Band 0N0 aus der Slowakei, das wohl Ende des Jahres erscheint. Sie tendieren wieder etwas stärker in Richtung Death Metal: Blast Beats, Chaos. Ich wollte das einfach noch einmal machen. Tentakel von Todtgelichter hat die Drums engespielt, und darüber hinaus wird schon ein Nachfolger zu diesem Album geschrieben. Der OWL-Stil bleibt dabei erhalten, aber es dürfte dennoch anders klingen. Mehr kann ich nicht dazu sagen. Das Label Zeitgeister läuft auch weiter, wenn auch nicht mehr so aktiv in Sachen physikalischer Releases wie in den letzten Jahren. Man muss einfach immer überlegen wo man Geld investiert. Wir suchen uns mittlerweile lieber Partner für Kollaborationen, beispielsweise eben Temple Of Torturous, The Crawling Chaos Records oder Prophecy für Valborg. Als Deckmantel für unseren Clan, wird Zeitgeister allerdings bestehen bleiben. Wir wollen damit etwas aussagen: Das sind wir, das haben wir in der und der Lebenszeit erschaffen. Schluss ist noch lange nicht; es wird ein zweites Absolutum-Tape geben, und eine neue Valborg ist ebenfalls in der Mache. Man sollte meinen, dass uns bei all dem Geld, das wir schon hineingesteckt haben, und dem Stress, der dieser Musikwahnsinn mit sich bringt, die Lust vergeht, aber irgendwie bleibt unser Hunger ungebrochen. Wahrscheinlich liegt das auch daran, dass wie immer alles für uns selbst gemacht haben, weil sich abgesehen von ein paar wenigen Leuten niemand großartig dafür interessierte. Bei uns herrscht keine Enttäuschung. Ich sehe diese ganze Musik als großes Geschenk an.
Ein schönes Schlusswort. Noch etwas hinzuzufügen?
Danke an alle Leser. Schön dass ihr es bis hier geschafft habt, und besucht eure Oma mal wieder.
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- Owl - Owl (2011)
- Owl - You Are The Moon, I Am The Night (2013)
- Owl - Into The Absolute (2014)
- Owl - The Last Walk (2014)
- Owl - The Last Walk (2014)
- Owl - Aeon Cult (2015)
- Owl - Orion Fenix (2018)
- Owl - Nights In Distortion (2018)