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Interview mit Unexpect (27.09.2011)
Auf der Suche nach ungewöhnlicher, harter und progressiver Musik abseits des Mainstreams wird man bei den kanadischen Wahnsinnigen von UNEXPECT fündig. Nach dem spektakulären "In A Flesh Aquarium" in 2007 erschien im Mai diesen Jahres in Eigenregie das neue Album "Fables Of The Sleepless Empire", das noch virtuoser als sein Vorgänger geworden ist. Wir klopften bei Gitarrist und Bandkopf Syriak an, der ausführlich auf unsere Fragen antwortete.
Hallo Syriak. Wie geht’s und was machst du zur Zeit, außer diese Fragen zu beantworten?
Meine derzeitige Tätigkeit besteht neben dem Beantworten dieser Fragen darin, ein Mensch zu sein. Darin bin ich wohl ganz gut. Dessen bedarf es auch wenig bewusster Gedanken… weißt du… einfach da… Mensch sein. Funktioniert jedes Mal.
Außerdem gibt es gerade eine Stromknappheit, ausgelöst von den Ausläufern von Hurrikan "Irene". Ich bin also gerade vom Internet abgeschnitten und dadurch in ruhiger Stimmung, dieser entspannte Zustand, der mit dem Fehlen von Elektrizität einher geht. Ich mag das irgendwie… ein gute Abwechslung zum unaufhörlichen Summen der Stadt. Ich habe zwar einen Tinnitus und bin deshalb nie ohne irgendwelche Geräusche im Kopf, aber er ist definitiv eine Verbesserung.
Euer drittes Album ist seit Ende Mai auf dem Markt. Wie geht es dir dabei? Bist du glücklich, dass die Arbeit daran vorüber ist, bist du erleichtert oder noch aufgeregt, was die Leute wohl drüber denken?
Natürlich sind wir immer aufgeregt über die Reaktion der Leute auf unsere Musik. Wir haben an dieser Veröffentlichung sehr hart gearbeitet und sind deshalb auch sehr stolz drauf. Die Reaktionen sind bisher unglaublich und, wie es bei außergewöhnlicher Musik üblich ist, gibt beide Extreme bei den Reaktionen, entweder ein Bombardement des Lobes oder ein Scheißhaufen des Hasses. Wie auch immer, wir mögen beide Situationen, weil Musik dazu da ist, Emotionen und Gefühle zu provozieren… scheint ja zu klappen. Zu unserem Glück gibt es aber viel mehr Lob als Hass. Wir verstehen, dass unsere Musikmischung nicht jedermanns Sache ist und dass da immer viel auf einmal zu verdauen ist. Da ist auch noch ein Wachstumsfaktor vorhanden, je mehr man hört, desto mehr Neues und Feinheiten hört man. Es ist das Gegenteil von Fast Food- oder Fertig-Musik. Manche Leute essen schnell gerne und vergessen es wieder, wir bevorzugen es, uns Zeit für ein 5-Gänge-Menü in guter Gesellschaft zu nehmen und die verschiedenen kulturellen und musikalischen Geschmäcker der Welt zu erkunden.
Ihr habt das Album in Eigenregie veröffentlicht richtig? Wenn ja, warum? Euer vorheriges Album erschien ja über Ascendance Records und obwohl der Wikipedia-Eintrag behauptet, dass das neue Album auch darüber erschienen ist, sieht doch alles nach Eigenproduktion aus. Also, was ist Stand der Dinge bezüglich einer Plattenfirma?
Es ist definitiv eine Eigenproduktion. Wir wissen auch nicht genau, was passiert ist. Als die Promotion anfing, dachten wohl ein paar Leute, dass wir immer noch bei der Firma wären und haben diese Info auf ihrer Webseiten gepackt. Dann hat sich diese Fehlinformation überall im Netz verbreitet und da wir nicht immer über all sein können, vertrauen wir darauf, dass die Leute es letzten Endes doch noch auf ihren Seiten ändern.
Wir haben uns dazu entschlossen, unabhängig zu werden, um mehr Kontrolle und Transparenz über alle Belange der Band zu bekommen. Als wir einmal verstanden haben, wie die Mechanismen in dieser Industrie funktionieren, war es für uns logisch, diese Extraarbeit selber zu machen (und glaub mir, das ist echt harte Arbeit) und mit weniger Vermittlern zu agieren. Es ist schon schwer genug, mit solch eklektischer Musik überhaupt ein bisschen Geld zu verdienen und unabhängig zu sein, ermöglicht uns einen größeren Anteil am Profit als vorher. Wir haben nie auch nur einen Cent in die eigene Tasche gesteckt, seit wir die Band gegründet haben, es geht uns also nicht ums Geld, aber wenn wir letztendlich durch die Unabhängigkeit die Möglichkeit hätten, die Band am Leben zu erhalten, ohne draufzahlen zu müssen, wäre das schon eine gute Änderung.
Trotzdem möchten wir den Plattenfirmen, mit denen wir in der Vergangenheit gearbeitet haben, dafür danken, dass sie uns bekannt gemacht und gefördert haben, aber die Dinge ändern sich in der Industrie und ich denke, dass wir den richtigen Schritt für uns gegangen sind. Man weiß nie, was in der Zukunft passiert, aber zum jetzigen Zeitpunkt sind wir froh, dass wir es gemacht haben.
Kommen wir zum neuen Album selbst. Meiner Meinung nach enthält es mehr von allem, mehr klassische Einflüsse, mehr Elektronika, mehr Pop, aber auch mehr Breaks und Wendungen. Siehst du das auch so?
Da hast du sicherlich recht, aber das ist schwer zu sagen, wenn man so tief in die Musik eingetaucht ist, wie ich. Es ist nichtleicht für mich, einen objektiven Blick zu wahren. Die Musik, die wir erschaffen ist immer eine Summe der Erfahrungen und der Geschmäcker, die wir uns angeeignet habe, alle unsere Einflüsse summieren sich mit der Zeit auf. Tatsache ist, dass sich mehr als je zuvor alle Bandmitglieder in die Musik eingebracht haben und dass das Ergebnis deshalb voller und reichhaltiger geworden ist. Aus meiner Sicht der Dinge ist das Album fokussierter und strukturierter, als das vorherige, auch wenn es mehr Schichten und mehr Details zu hören gibt. Diese Quintessenz des Chaos, die wir benutzen, ist kontrollierter als je zuvor.
Hattet ihr denn ein bestimmtes Ziel vor Augen, als ihr mit der Arbeit an dem Album angefangen habt?
Tatsächlich war das einzige Ziel, das wir hatten, als ein Kollektiv gute Musik, die wir selber genießen, zu kreieren. Wir machen uns keinen detaillierten Plan oder so etwas, bevor wir mit dem Prozess anfangen. Wir nehmen einfach die Ideen, die uns zu dem Zeitpunkt in den Kopf kommen und arbeiten mit viel Feintuning und Präzision an ihnen.
Kannst Du genauer beschreiben, wie euer Songwriting normalerweise abläuft? Womit beginnt ein UNEXPECT Song und wer ist alles in den Prozess involviert?
Jeder Song ist im Hinblick auf das Songwriting anders. Meistens kommt jemand mit einer Hauptidee oder –struktur und dann arbeiten wir das gemeinsam in der Band aus. Manchmal hat ein Mitglied einen Großteil der Instrumentierung komponiert, manchmal fängt es einfach nur mit einer Gitarren- oder Klavierstruktur an, manchmal ist es Brainstorming für Ideen. Du siehst also, es ist für jeden Song eine andere Situation. Normalerweise kommt der Gesang erst am Ende und wird dann so sorgfältig komponiert, dass er von der Melodie und vom Rhythmus her zur Musik passt. Es ist wichtig festzuhalten, dass jeder in der Band beteiligt ist und dem fertigen Resultat seinen eigenen Anstrich gibt.
Und wie lange habt ihr an den neuen Songs gearbeitet, bis diese endgültigen Zustand erreicht haben?
Wir machen nicht zwingend erst einen Song fertig, bevor wir zum nächsten übergehen, meist sind sie alle gleichzeitig in der Entstehung, bis sie letztlich im Studio aufgenommen werden. Wir veränderen auch oft noch Teile der Songs, wenn wir im Studio sind, weil wir immer noch neue Möglichkeiten entdecken, den Songs noch ein bisschen mehr Würze zu verpassen. Wir sind unheilbare Perfektionisten.
Wie oft probt ihr? Ich stelle mir vor, dass es viel Zeit zum Üben und gemeinsamen proben braucht, um die Musik, die ihr spielt, zu erschaffen.
Im Moment proben wir noch nicht genug für unseren Geschmack. Wenn man so viele Leute in der Band hat, ist es schwierig, Proben mit der ganzen Band zu koordinieren. Es ist also gut, dass jeder sein jeweiliges Instrument eh schon gut beherrscht und dass wir so viel Bühnenerfahrung haben, dass unsere Chemie auf ein Level gehoben wurde, dass wir nicht so viel proben müssen. Wir komponieren viel zu Hause, entweder allein oder in kleinen Teams, Treffen mit der kompletten Band finden also nicht so häufig statt.
Ich hatte den Eindruck, dass ihr Leïlindel mehr Platz innerhalb der Songs eingeräumt habt und dass ihre Gesangslinien noch besser geworden sind, als auf dem Vorgängeralbum. Habt ihr daran in besonderem Maße gearbeitet?
Ja, Leïlindel und ich stark daran gearbeitet, Gesangslinien zu entwerfen, die in jeder Hinsicht zur Musik passen und ein einprägsames Ambiente zu schaffen. Wir haben fast alle Gesangsarrangements zusammen ausgearbeitet. Es war eine natürliche und logische Entwicklung, dass sie auf dem Album gesanglich präsenter sein würde. Und da sie ein abwechslungsreiches Spektrum hat, ist es großartig, mit ihr zu komponieren und mit verschiedenen Stilen und Strukturen zu experimentieren. Sie ist zudem eine gute Schreierin, was sie auch oft auf dem Album zeigt.
Was sind denn eure Einflüsse, wenn ihr die Musik für UNEXPECT erschafft? Seid ihr überhaupt von etwas beeinflusst oder entsteht diese Musik ohne äußere Einflüsse?
Wie jeder andere auch werden wir schon von dem, was wir selber hören, beeinflusst. Wir nehmen jeder für sich verschiedene musikalische Stile auf und zensieren uns selber nicht, wenn es darum geht, herum zu experimentieren und neue Dinge auszuprobieren. Ich denke nicht, dass es möglich ist, etwas ganz ohne äußere Einflüsse zu erschaffen. Als Menschen sind wir alle die Summe unserer Erfahrungen und Vorlieben und das färbt natürlich auf alles ab, dass aus den eigenen Gedanken kommt. Ich denke dabei aber nicht an bestimmte Einflüsse, weil es zuviel Musik in unseren Leben gibt, die Auswirkungen hat.
Was kannst du zu den Texten sagen? Folgen sie einem bestimmten zentralen Thema? Welche Themen bevorzugt ihr für eure Texte und wer schreibt sie?
Ich war immer schon der Haupttexter in der Band, habe aber kein zentrales Konzept für die Texte. Sie sind alle dadurch verbunden, dass sie fast alle mit metaphorischen Bildern über gewisse Themen gefüllt sind und dass ich hin und wieder auch Surrealismus einbringe. Jeder Song hat ein eigenes Thema, das ein einzelnes Mikroversum erschafft und literalisch das Ökosystem ist, das zur Musik passt. Der theatralische Aspekt in den Texten und die geschichten-ähnliche Struktur der Songs sollen als kleine Theaterstücke gesehen werden, auch wenn es da keine Zeitachse gibt. Es gibt also Raum zur Interpretation und das ist auch so gewollt. Ich möchte nicht, dass die Leute einen genauen Blick auf mein Schreiben haben. Deshalb gibt es eine freiwillige Verschleierung und eine unklare Art zu schreiben, die jeden zu seinem eigenen Verständnis bringt. Ich mache das lieber so, als die Sachen direkt und klar anzusprechen. Es gibt schon genug Leute, die das so machen und außerdem macht es mir und den Lesern der Texte so mehr Spaß.
Zum Bespiel ist "Unfed Pendulum" eine metaphorische Fabel über eine Imagination in Ermangelung von Inspiration. Ein Geist, der seine kreativen Säfte verliert. In diesem Fall ist das Pendel der in Frage gestellte Geist. Daran wird deutlich, dass ich die Angewohnheit habe, die Personifizierung als literarisches Werkzeug zu missbrauchen. Ich liebe es, Dingen oder Fähigkeiten (wie der Vernunft) Leben oder eine Persönlichkeit zu geben und sie sich selbst ausdrücken zu lassen. Das werden viele Leute sicher als Kauderwelsch abtun, aber in die Texte fließen viele Gedanken und Doppeldeutigkeiten ein. Wenn einmal der Schlüssel zum Verständnis eines Songs gegeben ist, ist es sicherlich einfacher, die untergründigen Bedeutungen bestimmter Passagen zu erfassen. Natürlich ist die Hauptidee, dass man Spaß daran hat, die Texte zu lesen und sei es nur, weil man die Bilder amüsant findet oder weil man die tiefere Bedeutung davon erkennt. Hin und wieder ist es schwieriger, dem zu folgen, weil der Surrealismus in seiner reinsten Form verwendet wird. Zufälliges Chaos, geboren aus dem Unbewussten… irgendwann überarbeitet, um es in das lexikalische Thema des Songs einzupassen, aber weil es absichtlich mit der abstrakten Symbolik, die eine Bedeutung hat, gemischt wird, fällt es nicht schwer, den roten Faden zu verlieren. Ich könnte dazu noch viel mehr erzählen, aber das lasse ich besser, bevor die Leser noch die Aufmerksamkeit verlieren.
Dann frage ich halt noch weiter. Was ist denn das "schlaflose Kaiserreich", von dem du im Albumtitel sprichst?
Das kann man als Parallele zum Universum, in dem wir leben, sehen. Dieser Planet, der 24 Stunden lang konstant aktiv ist. Die menschliche Gesellschaft auf dem Globus und ihr unnachgiebiges Streben nach Produktivität. Die Quintessenz und Verkörperung der Kräfte, die hinter den Kulissen alles kontrollieren. Das stets wachende Imperium. Die Songs auf dem Album sollen also als lebendige Fabeln gesehen werden, kleine mentale Oasen der Ruhe und imaginäre Reisen um die Ruhezeiten in unserem Alltag zu genießen. Und nein, ich bin nicht schizoid.
Coverartwork wurde von jemandem namens Mario Sanchez Nevado erstellt. Hat er dieses Bild extra für euch gemacht oder habt ihr eines seiner fertigen Bilder verwendet?
Das ist ein Bild, dass er schon gemacht hatte, aber es hat uns sofort umgehauen, als wir es gesehen haben. Es steckt eine gewisse zerbrechliche Ausgeglichenheit und Symmetrie darin, wenn man es sich aber genauer anschaut, scheint das Wesen aus Chaos gemacht zu sein. Das passt einfach zu unserer Musik. Und die Tatsache, dass es in helleren Farben gestaltet ist und dadurch eine Art inneren Frieden auslöst sind beide in Kontrast zu den wilderen Parts unseres Album und passen zu den ruhigeren Abschnitten.
Ich habe euch damals auf der Progressive Nation Tour mit DREAM THEATER, OPETH und BIGELF in Düsseldorf gesehen. Welche Erinnerungen hast du an diese Tour?
Natürlich unglaubliche Erinnerungen. Man spielt nicht oft jeden Tag vor tausenden von Leuten. Und die Tatsache, dass die Leute wirklich positiv auf uns reagiert haben, hat es zu einer genussvollen Erfahrung gemacht. Ich kann wirklich nur Gutes darüber berichten. Die Bands, die Crew, alle waren wirklich eine großartige Gesellschaft und haben uns in allen Belangen unterstützt. Wir danken Mike Portnoy immer noch dafür, dass er uns diese Möglichkeit eröffnet hat. Er ist ein Typ, der an Bands glaubt, von denen er meint, dass sie einen Unterschied machen und zögert nicht, sie zu unterstützen, auch wenn sie eher auf der unbekannten Seite der Industrie stehen. Das gab uns die Möglichkeit, fast jedes Land in Europa abzudecken, was wirklich cool für uns war.
Und wie ist es besonders in Deutschland gelaufen?
Wir hatten um die vier Shows in Deutschland und so wie ich es sehe, waren die Reaktionen wirklich gut. Die meisten Leute, die zu den Progressive Nation Konzerten gekommen sind, waren ziemlich aufgeschlossen und haben erkannt, dass die vier Bands im Line-up, auch wenn sie durch den progressiven Rahmen verbunden sind, sehr unterschiedlich waren.
Hat diese Tour denn die Verkäufe von "In A Flesh Aquarium" angekurbelt?
Wahrscheinlich, ich weiß zwar keine Zahlen, das dürfte aber logisch sein.
Wart ihr denn generell mit den Verkäufen des Albums zufrieden? Zumindest gab es dafür in Deutschland viele gute Kritiken in verschiedenen Online-Magazinen.
Darauf sind wir auch sehr stolz. Wir bekommen normalerweise recht gute Kritiken und wenn sie von Leuten kommen, die das ganze Jahr über viel Musik hören, ist es eine besondere Freude, sie zu lesen. Ich kann nicht sagen, dass ich alle deutschen Reviews gelesen hätte, weil wir auch nicht jedes einzelne kennen, aber schön zu hören, dass du ein paar davon gesehen hast und sie positiv waren.
Ist es nicht eigentlich sehr schwierig, eure Musik live zu spielen? Ich denke, dass es vor allem sehr schwierig ist, das alles auswendig zu spielen.
Unser Gedächtnis wurde durch das jahrelange Üben von komplex Musik gut trainiert, also ist das kein Problem mehr. Aber stimmt schon, es ist alles andere als ein gemütliches Picknick, unsere Songs live zu spielen. Weil wir seit Jahren gemeinsam spielen, sind alle gut aufeinander abgestimmt und können so ganz ungezwungen sein und uns selbst in den Shows gehen lassen und die Musik fühlen, statt sie nur zu interpretieren. Aber es hat einige Zeit gedauert, bis wir an diesen Punkt gekommen sind, das stimmt schon.
Was war denn die größte Show, die ihr bisher gespielt habt und welche waren die besten?
Das waren die Show in der Wembley Arena in London mit DREAM THEATER, das Heavy MTL Festival mit IRON MAIDEN in Montreal und ganz aktuell das Brutal Assault Festival in Tschechien. Letzteres war eine großartige Erfahrung, weil es das erste Mal war, dass wir nach der Prog Nation Tour in 2009 nach Europa gekommen sind. Es war schön zu sehen, dass unsere damalige Ausbreitung gute Früchte getragen hat.
Und gab es auch Shows, bei denen alles schief gelaufen ist?
Natürlich. Es gab da beispielsweise eine Show, bei der sich Leïlindel kurz bevor sie auf die Bühne gehen musste, den Hals verletzt hat. Da sie große Schmerzen hatte, musste sie die ganze Show über gerade stehen und konnte sich nicht bewegen. Dass sie die Show trotzdem durchgezogen hat, war wirklich ein Kunststück. Nach dem ersten Song ging Borboëns Geige dann auch noch kaputt und er hatte keinen Ersatz dabei, also ging er von der Bühne und hat sich aus dem Publikum angesehen, was von der Show (und der Band) noch übrig geblieben ist. Wenn man dann noch ein paar technische Problem zum Unbehagen, dass wir eh schon hatten, weil wir die Songs während der Show umarrangieren mussten, dazu kommen, hat man einen dieser Momente, den man am liebsten aus der Realität löschen würde.
Ok, dann zum Ende hin noch ein paar persönliche Fragen an dich. Zunächst: warum spielst du die Musik, die du spielst? Was magst du daran, was fasziniert dich?
Als ich ein Kind war, habe ich mit klassischer Musik auf dem Klavier angefangen, also waren Melodien immer ein großer Teil meines persönlichen Geschmacks. Als ich dann als Teenager den extremen Metal entdeckt habe, fing ich an Gitarre zu spielen und landete schließlich bei UNEXPECT, als ich 16 Jahre alt war. Wir fangen dann über die Jahre an, ganz natürlich mehr und mehr Einflüsse ohne jegliche Zensur in unsere Musik zu integrieren und wir mochten das Ergebnis, also haben wir damit einfach weiter gemacht. Ich liebe es, zu experimentieren und zu versuchen, Musik zu erschaffen, die nichts anderem ähnlich ist und damit an der Evolution der Musik teilzunehmen. Ich denke, es ist wichtiger Musik zu erschaffen, die über die Jahre Bestand hat statt zu spielen, was gerade in ist.
Welche Musik war für dich am einflussreichsten und welche Musik hörst du im Moment?
Ich bin zunächst mit klassischer Musik aufgewachsen, die ich in der Schule gelernt habe. Später habe ich dann mit Bands wie Led Zeppelin, Red Hot Chili Peppers und Pink Floyd angefangen. Und dann entdeckte ich den Metal mit Metallica, Megadeth, Slayer, Sepultura, Iron Maiden, Death usw. In den späten 90ern entdeckte ich europäische Bands wie Dark Tranquillity, At the Gates, Moonspell, Emperor, Dissection, In Flames und andere. Nach 2000, als ich anfing mich auch anderen musikalischen Richtungen zu öffnen, floss es weiter und weiter über die Jahre hinweg. Ein komplette Liste wäre wohl zu lang, aber diese Künstler schätze ich sehr: Tom Waits, Aphex Twin, Godspeed you Black Emperor, Mr Bungle, Radiohead, Mum, Amon Tobin, Dillinger Escape Plan, Buena Vista Social Club, Sikth, Opeth, Venetian Snares, The Mars Volta, die Liste kann ich kilometerlang weiterführen.
Und welche Musik ist Deiner Meinung nach zu schrecklich um sie zu hören?
Es gibt keine schreckliche Musik. Es gibt jedoch gute und schreckliche Musiker und Bands in jeder musikalischen Stilrichtung. Und selbst dann ist es immer noch eine Frage des persönlichen Geschmacks. Ich mag es nicht, das Negative zu betonen, also behalte ich meine Gedanken diesbezüglich für mich.
Mit welchen Musikern oder Künstlern würdest du gerne mal fachsimpeln?
Ich hätte liebend gerne das Gehirn von Salvador Dali ausgelesen. Es würde mir ebenfalls gefallen, an einem Origami-Wettbewerb mit Jim Morrison teilzunehmen. Und ein Tag Skifahren und hinterher einen heißen Kakao mit Ludwig van Beethoven wäre auch ein großer Spaß. Anscheinend hab ich etwas für tote Künstler übrig. Da es aber unmöglich ist, diese Dinge mit den toten Jungs zu machen, weiß ich sehr genau, dass ich das niemals erreichen werden. Man kann das also dahingehend interpretieren, dass ich sage, dass ich nichts mit irgendwem speziellen machen werde. Bin ich deshalb faul und unsozial? Hmmm… ich denke ich werde nächstes Mal, wenn ich das gefragt wird, lebende Menschen aussuchen. Die Öffentlichkeit soll ja kein falsche Bild von mir bekommen.
Und wer ist Deiner Meinung nach der großartigste Künstler aller Zeiten?
Ich schwanke zwischen Chuck Norris und Hieronymus Bosch. Aber wenn es zwischen beiden einen Kampf gäbe, um meine Wertschätzung zu gewinnen, wüssten wir alle, wer wem in den Arsch treten würde.
Wie definierst du den Begriff Kunst?
Ich denke, dass Kunst in allen ihrem Formen eine menschliche Gesellschaft definiert. Ohne Kunst wäre das Leben grau und geschmacklos. Für mich gibt es nicht nur Musiker, Maler, Bildhauer, Schriftsteller, Köche und so weiter, die Künstler genannt werden sollten. Manche Menschen in rationelleren Bereichen haben eine solche Virtuosität und andere Wege, Dinge zu sehen, dass es fast schon ein Level von Kunst überschreitet. Mathematiker, die durch abstrakte Formeln erschaffen, Wissenschaftler, die durch ihr eigenes Medium kreieren und das scheinbar Unmögliche entdecken. Alles in allem kann sich der Begriff Kunst auf einen großen Bereich der Ebenen des Lebens erstrecken. Kann etwas Unkörperliches Kunst sein? Ein intellektuelles Konzept? Die Bilder eines Kindes? Aufführungen? Ich denke, dass es an diesem Punkt nur eine Frage der Sichtweise ist und dass niemand für andere bestimmen kann, was als Kunst bezeichnet werden kann. Kunst ist die Zeugin der Geschichte.
Drei Alben für die einsame Insel?
Godspeed You Black Emperor – Lift Your Skinny Fists Like Antennas To Heaven
Radiohead – Kid A
Emperor – Anthems To The Welkin At Dusk
Und mit wem würdest du gerne mal im Fahrstuhl stecken bleiben?
Einer Armee von niedlichen Kätzchen. Oder mit Elisha Otis, dem Erfinder des Sicherheitsaufzuges, um ihn zu verhöhnen, weil seine Erfindung fehlerhaft ist.
Danke fürs Beantworten meiner Fragen und alles Gute für dich und die Band. Die letzten Worte gehören dir.
Danke dafür, dass wir diese Tribüne bekommen haben und unterstützt weiterhin freidenkende Musik. Tschüss und vielleicht sieht man sich auf Tour!
- Unexpect - In A Flesh Aquarium (2007)
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