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Interview mit Sodom (30.11.2010)
Anfang Oktober wurde im Club Helvete in Oberhausen das Buch "Kumpels in Kutten", das die Metalszene im Ruhrgebiet betrachtet, vorgestellt. An diesem Abend war auch Tom Angelripper vor Ort, der natürlich in maßgeblicher Bestandteil dieser Szene ist. Im ausführlichen Gespräch erzählt Tom jede Menge über das aktuelle neue Album "In War And Pieces" und über seine Leidenschaften Jagen und Postkarten sammeln. Tom ist jemand, der sein Herz auf der Zunge trägt und der so original Ruhrpott ist, wie es nur geht.
Hallo Tom. Lass uns erstmal über deine Band und euer neues Album "In War And Pieces" sprechen. Wie ist der Zustand von SODOM im Jahre 2010?
Wir sind natürlich ein bisschen älter geworden. Das bleibt ja nicht aus. Wenn ich aber jetzt auch auf das neue Album zu sprechen komme, würde ich sagen "besser wie eh und je". Wir sind gut aufeinander eingespielt. Natürlich ist das nach so vielen Jahren nicht alles einfacher. Wir sind am Start, aber wir waren ja auch nie weg, deshalb will ich das auch gar nicht überbewerten, ob wir ein neues Album haben oder nicht.
Was war eure Zielsetzung beim Album?
Unsere Ziesetzung war in erster Linie, wenn ich das mit dem Album davor vergleiche, dass wir einfach mal 'nen besseren Sound haben. Die letzte offizielle Sodom-Platte war ein tolles Album, tolle Songs, aber die Produktion hat ein bisschen gelitten, da hätte man mehr machen können. Dat wollten wir diesmal anders machen, wir wollten auf jeden Fall einen Produzenten haben, wir wollten eine außenstehende Meinung haben und jemand der uns dabei hilft, die Stärken und Schwächen zu erkennen und zu bearbeiten.
Wo siehst du denn selber Unterschiede zu den Vorgängeralben?
Gar nicht. Ich sehe überhaupt keinen großen Unterschied. Na gut, da ist immer ein gewisser Zeitgeist bei. Wir machen einfach unsere Songs wie eh und je im Proberaum, in Jam Sessions. Da kommen dann manchmal gute Sachen raus, manchmal weniger gute, die wir dann auch wegwerfen. Aber ich kann auch nicht ein Album mit dem anderen vergleichen. Das ist jetzt einfach ein neues Album und SODOM ist sowieso eine Band, immer schon gewesen, die auch gar nicht guckt, was andere machen, was jetzt gerade angesagt ist. Wir machen einfach unsere Musik wie wir Bock drauf haben. Wir sind ja auch selber Metalfans.
Das Album wurde mit Waldemar Sorychta aufgenommen. Warum war gerade euer erste Wahl bei der Produzentenfrage?
Erstmal weil der ortsnah ist. Wir kennen den ja schon seit ewigen Zeiten und ich hab ihn dieses Jahr auf dem Rock Hard Festival angesprochen und er hatte da sofort Interesse dran. Er ist ja auch erstmal ein guter Musiker, da kann man seine Meinung auch für voll nehmen. Ich weiß einfach, dass er gute Sachen macht und gute Ideen hat, ich finde ja auch seine Sachen geil. Er ist kein großer SODOM-Fan, ist er aber jetzt geworden nach der Platte. Das ist aber auch nicht wichtig. Wir sind hochzufrieden gewesen. Obwohl die Arbeit mit ihm schwierig ist. Er ist sehr penibel. Ich musste zum Beispiel jede Textzeile in zig Versionen singen, mal tief, mal wie Tom Araya, dann die alte Sodom-Stimme.
Warst du davon manchmal genervt?
Ja. Er hat mich schon an die Grenzen gebracht. Ich hab ihm dann aber auch voll vertraut und gesagt "Ok, ich mach dat". Aber ich hab ja auch selber als Sänger eine physische Grenze.
Wie lange wart ihr denn insgesamt im Studio?
Immer mal zwischendurch. Das Skurile ist, dass wir ja gar kein Studio hatten, wir haben das alles im Proberaum aufgenommen.
Also nicht im Woodhouse Studio in Hagen?
Nein, nein. Da hatten wir zwar angefragt, aber da hätten wir wohl doppelt so viel für die Produktion bezahlt. Mir ist geht es nicht so um die Technik, da muss kein großes Mischpult stehen. Mir geht es um den Mann, der das produziert. Heutzutage wird ja auch alles digital aufgenommen, da braucht man kein Riesenmischpult mehr.
Gab es irgendwelche besonderen Vorkommnisse bei den Aufnahmen?
Einmal hatte Waldemar ein BVB-Trikot an und ich ein Schalke-Trikot. Er ist totaler BVB-Fan und kann natürlich mit Schalke überhaupt nix anfangen, da geht der völlig steil drauf. Das war aber echt Zufall. Da haben wir noch ein Foto gemacht und sind dann Pizza essen gegangen und bisschen durch die Stadt gelaufen. Und auf einmal sagt er "Scheiße, Du hast ja ein Schalke-Trikot an". Und ich so "Ja und? Ist dat ein Problem oder wat?" Er dann so "Hier in dem Bereich von Dortmund kann das schon mal zum Problem werden, das Dich da welche doof anlabern oder so". Ich sag "Die können mich am Arsch lecken, ich steh da hinter und fertig". Aber mir ist da nichts passiert zum Glück. Er ist da auch sehr engstirnig und da kann auch nicht mit ihm diskutieren, das ist halt seine Mannschaft.
Es hat jetzt knapp vier Jahre bis zu einem neuen SODOM-Album gedauert? Warum so lange?
Das ist eine gute Frage. Die Band ist ja an sich in der Lage, jedes Jahr oder alle zwei Jahre ein neues Album zu machen. Das Problem war natürlich, wie wir alle wissen, das Insolvenzverfahren bei SPV, das hat alles verzögert. Ich war ja schon froh, dass wir überhaupt noch die DVD machen konnten, das war ja auch lange Zeit auf der Kippe. Die wollten halt einfach kein Geld mehr reinstecken und wenn man eine DVD macht, das kostet ja auch ein bisschen. Da muss dann auch die Plattenfirma für aufkommen, das kann man nicht auf meine Schultern abwälzen. Das wissen ja viele nicht, die Plattenfirma muss erst eine Option aussprechen und dann hat man grünes Licht, ein Album zu machen. Und das war nicht. Aber eine Band wie Sodom muss wie jede andere professionelle Band in der Lage sein, alle zwei Jahre ein neues Album zu veröffentlichen. Heutzutage ist das aber auch schwierig geworden, weil die Plattenfirmen immer weiter abwarten. Man muss das natürlich in beiderseitigem Einverständnis machen, aber letztendlich muss die Option ausgesprochen werden. Aber wir hatten ja trotzdem viel Arbeit mit der DVD und der " The Final Sign Of Evil". Ich bin ja auch jemand der in einer Pause nicht ruhig sitzen kann.
Hast Du auch mal überlegt, die Plattenfirma zu wechseln?
Natürlich. Das gab ja auch Probleme finanzieller Art. Aber SPV ist jetzt neu aufgestellt und ich hab mich auch lange mit dem Insolvenzverwalter unterhalten. Die wollen natürlich weitermachen, Insolvenz heißt ja auch nicht Stillstand. Viele Bands sind weg von SPV und der Geschäftsführer Manfred Schütz ist auch weg. Das ist jetzt eine neue Firma. Der Promoter macht aber einen guten Job, mit dem kann ich sehr gut arbeiten. Wir haben jetzt die Platte als Einzeloption unterschrieben. Nächstes Jahr können wir dann gucken, ob wir da weitermachen oder nicht. Aber die Chance haben sie verdient.
Aber solche Probleme sind doch für dich als Musiker total ätzend, oder?
Ja, natürlich, klar. Ich hab ja auch keinen Manager mehr und manage alles selber. Ich hab natürlich einen Anwalt als Berater dazu gezogen. Gerade bei den Verträgen muss man ja heutzutage aufpassen. Der hat mir ein bisschen dabei geholfen. Aber das gehört halt zum Musikbusiness dazu, das ist nicht nur Musik machen. Ich bin von morgens bis abends damit beschäftigt, die Arbeit zu machen.
Ok, kommen wir zum Album zurück. Ist es ein Konzeptalbum oder gibt es nur einen gewissen roten Faden?
Es hat einen roten Faden. Ich muss auch sagen, dass ich mich von den Texten her selber übertroffen habe. Für mich ist das Leben einfach die Inspiration, wenn ich den Fernseher anmache oder die Zeitung aufschlage. Was so alles abgeht, das ist unfassbar. Da schreibe ich dann halt drüber. Ob das jetzt über Krieg ist oder über Kinderschänder. Wir sind keine politische Band und wir können auch nichts ändern, aber ich als Sänger auf der Bühne kann es rausschreien, was mir nicht passt. Schön wär's natürlich, wenn man dadurch etwas ändern könnte. Aber es ist halt kein Kriegs-Konzeptalbum wie "M-16" zum Beispiel, das war da viel deutlicher. Jetzt geht es um alle schlimmen Sachen in der Welt, die sind für uns die Inspirationsquelle, auch wenn das nun mal schlimm ist. Das Cover ist natürlich ein bisschen oldschoolig geworden und ist ein bisschen an "Agent Orange" und "Persecution Mania" angelehnt, weil er die alten Platten auch sehr liebt. Ich bin damit sehr zufrieden, ist sehr chaotisch alles.
Würdest du irgendwelche Songs besonders heraus stellen wollen?
Nein. Von den Texten her ist jeder Song für mich gleichwertig. Das müssen letztendlich die Fans entscheiden, welcher Song stärker ist und welcher schwächer. Ich sag mal "In War And Pieces", "The Art Of Killing Poetry" und "Feigned Death Throes" sind natürlich Gassenhauer. Aber es kann nicht jeder Titel gleich gut sein. Ich finde, man kann das Album auch gut durchhören. Ich hab es selber auch schon durchgehört, was sich sonst nie mache. Dieses Mal hab ich mich aber auch selber mal damit befasst.
Das Album hat viele melodische Momente. War das ganz bewusst so geplant oder ergab sich das?
Vom Gesang her ist es ja sehr aggressiv und sehr ruppig. Aber Bernemann ist halt ein melodischer Gitarrist. Manchmal passt das halt auch besser. Wenn man zum Beispiel Slayer nimmt, die sind ne geile Band, aber die Solos sagen ja meist gar nichts. Da hab ich es dann doch lieber, wenn man die Solos ein bisschen ausarbeiten und ein bisschen Melodie reinbringt, was der Bernemann sehr gut macht. Es darf dann halt nur nicht an Härte verlieren, es muss immer noch der alte SODOM-Spirit drin bleiben. Wir wollen aber auch kein "Agent Orange Part 2" machen, was ja die Plattenfirma damals wollte. Aber das heißt ja dann auch nicht, dass man genauso viel verkauft wie damals. Die denken natürlich kommerziell. Aber ich find diese melodischen Passagen, die wir da drin haben, diese Flageoletttöne und die Overdubs-Gitarren hören sich sehr schön an, machen das Ding aber nicht unhärter. Hart ist sie auf jeden Fall.
Hatte "Hellfire" eigentlich den Arbeitstitel "Slayer-Song"?
Ich hab ja auch schon auf dem Album davor wie Tom Araya gesungen, ich kann ja wie er singen. Ich hab dieselbe Tonart, aber ich versuche auch daraus meinen eigenen Stil zu entwickeln. Natürlich bin ich auch ein Slayer-Fan, aber wenn man eine hohe Oktave singt, dann klingt das eben wie Tom Araya. Aber das ist völlig unbeabsichtigt und ich lasse mich da auch nicht beeinflussen. Deshalb haben wir ja auch immer wieder verschiedene Versionen gesungen, von "In War And Pieces" gibt es zum Beispiel auch eine Grunzversion. Man könnte jetzt nochmal einen Mix machen, wo das alles ganz anders klingt.
Eigentlich ist es total naheliegend, dass es einen SODOM-Song mit dem Titel "Knarrenheinz" gibt. Warum kommt der eigentlich jetzt erst?
Als wir den Titel im Proberaum gespielt haben, da hatte ich noch keinen Text. Dann hab ich halt immer "Knarrenheinz, Knarrenheinz" gesungen, das ist mir so eingefallen. Manchmal kommen halt so Ideen. Bei uns entsteht ja alles im Proberaum, das ist ja auch das schöne daran. Wir haben dann gesagt "Boah, is dat geil, lass dat doch so" und dann noch einen Text drauf geschrieben. Manchmal ist das ganz easy, manchmal auch skuril halt. Das ist jetzt natürlich kein "Ausgebombt" oder "Bombenhagel"-Nachfolger, aber wir hatten ja immer mal deutsche Titel drauf. Der ist jetzt von den Gitarren her sehr brachial. Es gibt eine Band, SACRILEGE aus den 80ern aus England, die kennt der Bernemann gar nicht, die hatten ähnliche Riffs.
Und worum geht es in "The Art Of Killing Poetry"?
Da habe ich mein eigenes Textschreiben fokussiert. Ob ich jetzt Film drehe oder einen Videoclip, ob ich einen Song mache oder einen Text schreibe, es geht ja immer um diese Sachen. Das ist ja auch alles eine gewisse Kunst, solche Themen aufzugreifen und lyrisch umzusetzen, ohne jetzt banal zu klingen. Ob ich jetzt über einen Massenmörder schreibe oder sonstige Sachen, man muss halt versuchen, das lyrisch umzumauern. Das kann natürlich auch ins Gegenteil verkehrt werden, dass es zu schön wird. Über all diese Sachen hab ich mir Gedanken gemacht, wie meine Texte so zusammenkommen und über welche Sachen ich schreibe. In dem Song geht es also über die Art und Weise, wie ich schon immer meine Texte geschrieben habe. Man kann es manchmal nicht in ein, zwei Sätzen erklären, sondern muss dann zwischen den Zeilen lesen.
Der folgende Abschnitt ist heute schon wieder überholt, denn SODOM haben sich von Drummer Bobby Schottkowski getrennt. Davon war aber im Oktober noch keine Rede.
Ihr habt seit gut 13 Jahren das gleiche Line-Up. Warum funktioniert das so gut und wird es diese Besetzung bis zum Ende von SODOM geben?
Man soll ja nie nie sagen, eine Garantie gibt es natürlich nie. Man weiß je nie was kommt. Wir sind schon auf einer Wellenlänge, auch wenn die anderen BVB-Fans sind und ich Schalke-Fan, aber da muss man dann schon mal außen vor lassen. Wir sind auch in einem Alter, wo man ein bisschen abgeklärter ist. Früher vor 20 Jahren hätte ich die wahrscheinlich schon längst rausgeschmissen. Man muss aber auch mal über gewisse Sachen hinwegsehen. Ich war früher sehr impulsiv, hab aber auch nie jemanden ohne Grund rausgeschmissen. Wie gesagt, eine Garantie gibt es nie, ich würde es aber nie drauf anlegen. Es kann ja alles mögliche passieren, es kann mal einer krank werden oder sonstige Sachen.
Würdest du sagen, dass du selbst kompromissbereiter geworden bist?
Ja, absolut. Man muss auch Kompromisse eingehen. Jeder hat halt so seine Ideen und Vorstellungen. Man muss ja nicht alles kaufen, ich muss nicht jedes Gitarrenriff, das der Bernemann mir anbietet auch begrüßen. Wenn ich jetzt etwas scheiße finde, sag ich ihm das auch. Das ist immer mit Kompromissen verbunden, das ganze Leben ist ja ein Kompromiss, das ist beim Musik machen genau dasselbe. Wir versuchen aber auch immer, zueinander zu finden, so dass alle sagen "okay, so kann man das machen".
Also sind SODOM eine demokratische Band?
Ich würde sagen, es ist ein bisschen eine demokratische Diktatur bei uns. Letztendlich hab ich halt doch die Entscheidung. Wie beim Cover zum Beispiel, das findet der eine dann halt schlechter, der andere besser. Wenn man jetzt drei verschiedene Meinungen hat, muss ja irgendwann auch mal was passieren. Und ich nehme mir schon das Recht heraus, gewisse Sachen auch alleine zu entscheiden. Aber natürlich auch nicht unvorbereitet, nicht ungefragt, wir sprechen da auch über alles.
Derzeit floriert die Thrash- und Oldschool-Szene. Deine Meinung dazu?
Es ist eine Ehre für mich, wenn die das so machen und sagen, dass sie von Kreator und Sodom beeinflusst sind, mit ihren Spandexhosen und den MG-Gurten. Aber ich finde auch, dass man diese Musik nicht wiederholen kann. Ich finde es ganz amüsant, wenn ich mir das anhöre, aber auf lange Sicht funktioniert das nicht, da bin ich mir sicher. Man kann die Musik der 80er nicht wiederholen, selbst wir können das nicht. Das waren die richtigen Platten zur richtigen Zeit, aber genau dieser Zeitgeist, dieser Spirit ist ja nicht mehr da. Aber ich finde es schon schön, dass die das so machen und sagen, dass sie so eine Musik wie früher machen. Eine junge Band sollte aber auch immer versuchen, etwas Eigenes zu entwickeln. Man kann sich ja von alten Bands beeinflussen lassen, wir sind ja auch von Motörhead, Venom und Tank beeinflusst gewesen, keine Frage, aber wir haben versucht, einen eigenen Stil zu kreieren und das ist sehr wichtig. Man kann jeder jungen Band nur sagen "Mann, versucht was eigenes zu machen". Ich bin schon stolz drauf, dass auch unser Name immer wieder auftaucht bei Interviews mit solchen Bands.
Würdest du diese Revival im Moment als Vorteil für SODOM sehen?
Ja. Ich merk zum Beispiel, dass eine ganz neue Generation von Thrashfans gekommen ist. Wenn ich mal die letzten Konzerte Revue passieren lasse, da stehen ganz viele junge Leute, auch Mädchen, so 15 Jahre alt. Und ich frag die dann "ja, warum hörst du denn uns?" Die sagen dann "wir lieben diese alten Sachen, wir hören uns kein Metalcore an oder Volbeat". Das hat ja alles seine Berechtigung, aber die lieben einfach diesen kultigen alten Sound, diese alten Bands. Ich bin da schon sehr froh, dass da diese neue Generation hoch kommt. Man hat ja schon im Jahre 2000 gesagt, dass es ein Thrash-Revival gibt, aber davon hab ich nix großartig gemerkt. SODOM waren aber auch immer unterwegs, wir haben nie resigniert. In den 90ern gab es mal einen Einbruch, viele Bands haben sich aufgelöst oder was anderes gemacht, aber wir haben das immer durchgezogen. Deshalb sehe ich das auch nicht unbedingt so, dass das alles wieder kommt.
Kann man eigentlich sagen, dass es der Metalszene im Moment finanziell wieder ein bisschen besser geht als vor ein, zwei Jahren? Geht es gar wieder bisschen aufwärts?
Ich glaube eher noch das Gegenteil. Die Plattenfirmen sind insolvent, die hohen Vorschüsse von früher gibt es nicht mehr. Momentan haben wir einen großen Boom mit Liveaktivitäten, es gibt ja sehr viele Festivals, obwohl das auch schon wieder zu viel ist. Wir sind ja jedes Wochenende auf irgendeinem Festival. Ich weiß manchmal nicht, wo die Reise hingeht. Auch im Livegeschäft wird es irgendwann den Einbruch geben, weil die Leute nicht mehr das Geld haben. Mittlerweile leben wir Musiker nur noch von den Liveaktivitäten, nicht von Plattenverkäufen oder den GEMA-Einnahmen. Das ist schon ein hartes Brot manchmal und das Leben dann schon mal schwierig, ich bin ja uns in der Band leider auch der einzige, der davon leben kann. Es würde nicht reichen, um alle drei damit glücklich zu machen. Aber wenn ich jetzt wieder arbeiten müsste, hätte keiner was davon. Ich hab mir das in den letzten 20, fast 30 Jahren so aufgebaut, aber es ist schon sehr hart als Musiker, davon zu leben.
Das Jahr 2010 ist für den Metal ein schlechtes Jahr, zumindest wenn man sich die Todesfälle anguckt. Mit der Zeit werden immer mehr von den "alten" Musikern das Zeitliche segnen. Was kommt denn dann?
Eine Band wie AC/DC wird es in der Größe nie wieder geben. Oder auch Motörhead. So einen Stellenwert kann eine Band heute nicht mehr erreichen. Ok, ich hab vorhin von Volbeat geredet, die waren mit Metallica auf Tour und werden inzwischen in einem Atemzug mit denen genannt, aber die werden aber auch niemals so groß wie AC/DC. Wenn die großen drei, vier oder fünf nicht mehr da sind, dann gibt es diese großen Bands auch einfach nicht mehr. Den Kulstatus, den diese Bands haben, kann heute keine Band mehr erreichen, egal, was für eine Musik die machen, das ist unabhängig davon.
Machst du dir denn selber Gedanken über deinen Lebensstil?
Ich denk da jeden Tag drüber nach. Krebs kann jeder mal kriegen oder einen Herzinfarkt und dann ist Ende. Da bin ich mir sehr drüber bewusst und meine Familie und meine Freundeskreis auch. Na gut, der Lemmy macht mir Mut, der lebt noch, aber der ist auch wirklich eine Ausnahmeerscheinung. Ich will es ihm aber auch nicht gleich machen, jeden Tag eine Pulle Whiskey saufen will ich auch nicht. Wenn man in mein Alter kommt, fast 50, ich bin ja 47, dann macht man sich halt schon seine Gedanken.
Ziehst du da auch die entsprechenden Konsequenzen?
Leider zu wenig. Ich rauche immer noch wie ein Schlot, trinke immer noch mein Bier. Ich versuche aber, mich vernünftig zu ernähren, ich hab auch so noch viel Ausgleich, als Jäger zum Beispiel. Aber die Zeit, sich um seinen eigenen Körper zu kümmern ist ja auch nicht da. Dafür sind wir auch einfach zuviel unterwegs. Das ist der Tribut, den man an dieses Leben bezahlt, jeder von uns.
Wenn man so lange aktiv ist wie du mit SODOM hat man ja schon unheimlich viel gesehen. Hat man da eigentlich noch Träume?
Ich will jetzt nicht sagen, dass man einfach nur funktioniert. Natürlich hab ich noch Ziele. Für mich ist jedes Konzert, das ich spiele und jede Platte, die ich aufnehme, so ein Ziel und da freue ich mich auch drauf. Ich kann mich auch gar nicht beklagen, ich hab ja viel erreicht. Wenn ich irgendwann aufhöre, kann ich sagen, ich hab wenigstens ein bisschen was gemacht und hab der Welt ein paar Platten hinterlassen. Ich kann jetzt aber nicht ein Ziel herausstellen, so nach dem Motto ich will so bekannt werden wie Maiden und AC/DC und Millionär werden. Man versucht immer, das bester draus zu machen, aber wenn es so weiterläuft wie jetzt, bin ich sehr zufrieden. Ich bin kein Mensch, der ein dickes Auto haben muss. Klar, ich hab ein Häuschen und ein Auto, ich muss aber nicht mehr haben zum Glücklich sein. Es gibt wichtigere Sachen als Reichtum.
Gibt es Orte, an denen du noch spielen möchtest?
Auf dem Kontinent Afrika waren wir noch nie und das wird glaube ich auch nicht funktionieren. Nächstes Jahr sind wir aber vielleicht auf dem Desert Rock in Dubai, das fänd ich ganz interessant. Aber wir haben ja eh nicht viel davon. Wir waren jetzt letztes Wochenende in Kanada und das war schön. Da waren wir in den Rocky Mountains und hatten einfach auch Zeit, etwas zu sehen. Aber ansonsten waren wir eigentlich schon überall.
Eure "Lords Of Depravity"-DVDs werden als Referenzwerke in Sachen Banddokumentation gesehen, Freut dich das?
Ja, klar. Ich selber hab auch noch keine DVD in dem Umfang gesehen. Ich würde mir aber auch wünschen, dass es so was mal gibt, vielleicht von Motörhead, das man wirklich mal deren Geschichte aufarbeitet. Das ist natürlich ein sehr schwieriges Unterfangen, da gab es ja zig verschiedene Plattenfirmen und der Lemmy wird natürlich auch nicht alles akribisch archiviert haben, da wäre es schwer an das ganze Material heranzukommen. Bei der ersten DVD wollten wir erst einfach nur ein Konzert und ein Interview aufnehmen. Der Ronny war aber der Meinung, dass wir auch ein bisschen Historie haben, die man aufarbeiten kann. Und da war die Idee geboren. Bis jetzt ist da aber keine Band nachgezogen und ich finde auch, dass wir das als erste Band mit so wenig Budget gemacht haben, wir sind ja nicht Maiden oder Rush, das ist eine ganz andere Baustelle. Die eigene Bandgeschichte so aufzuarbeiten, hat mir selber was gebracht und ich denke mal, dass die Fans da auch Interesse dran haben.
Also hat sich die Arbeit daran gelohnt.
Absolut. Ok, im nachhinein sagt man immer, dass man dies oder das hätte anders machen können. Aber ich denke mal, wir haben mit den zwei DVDs ein wirklich schönes Paket geschnürt.
Verkaufen die DVDs sich eigentlich gut?
Ja, doch. Für eine DVD ganz ordentlich. Mich wundert nur immer, dass sich so was nie so gut verkauft, wie eine Platte, vielleicht ein Drittel oder Viertel davon. Das wundert mich, weil ich doch als Fan einer Band so was auch kaufe. Die DVD ist ja auch für unter 20 € zu haben.
In Kürze erscheint das erste Album deines Projekts DIE KNAPPEN (ist inzwischen erschienen, Review hier). Was darf man davon erwarten?
Da soll man gar nicht viel erwarten, das soll man so nehmen wie es ist. Das sind alles ehemalige Kollegen, also ehemalig dem Bergbau zugehörige Kollegen. Für mich war das so anders, mit den Jungs zu proben, das sind ja alles Amateure. Ich kam mir vor wie in der Schulaula, wo wir damals Musik gemacht haben. Die ursprüngliche Idee war ja, für Schalke was zu machen, wir wollten da ein ganzes Meisterschaftsalbum machen, aber das wird in dieser Saison wohl auch schwierig werden. Da haben wir uns überlegt, dass wir einfach traditionelle Texte über unsere Heimat und den Bergbau nehmen und da was machen. Man kann das aber auch jetzt nicht mit Onkel Tom vergleichen, auch wenn ich da singe wie bei Onkel Tom.
Das Album ist also eine Art Tribut an den Bergbau?
Ja natürlich. Wir widmen das Album den Bergleuten, die arbeitslos geworden sind oder die da unten gestorben sind. Ich war ja selber 10 Jahre unter Tage und weiß, wie das ist und wovon ich rede. Das haben wir einfach musikalisch aufgearbeitet.
Vermisst du diese Zeit eigentlich?
Ja, ich beneide manchmal einen, der nachmittags von der Arbeit kommt, sich auf die Couch legt. Der hat jeden Monat seinen Scheck, hat jeden Monat seinen Lohn. Manchmal kann das auch schön sein. Aber ich hab mich ja 1989 für die andere Seite entschieden, ich wollte einfach diese Leben führen. Aber ich beneide manchmal auch einfach die, die ihr geregeltes Einkommen haben.
Hat diese Arbeit denn Spaß gemacht?
Nein, die Arbeit selber hat keinen Spaß gemacht, die war sehr hart und sehr rau. Was Spaß gemacht hat war das Familiäre unter den Kumpels. Man ist nach der Schicht zusammen in die Kneipe gegangen, der eine war für den anderen da. Das war schön. Sonntags morgens saß alles so vor den Häusern, Bier getrunken, dann kamen die Kohlen, die hat man zusammen geschippt, der eine hat dem anderen geholfen. Man wusste, man gehört dazu. Wenn ich morgens um fünf oder sechs anfange, fahr ich da runter und weiß, dass ich da meine Arbeit habe, mittags wieder hoch und da ein Bierchen getrunken. Das war einfach geil.
Was gibt es neues bei Onkel Tom?
Ich hab da ja eine neue Band, wobei die jetzt auch schon zwei Jahre alt ist. Ich hab die Band nach Essen gelegt und das sind alles Essener Musiker. Jeder von denen spielt auch in einer eigenen Band. Und Alex Kraft aus Heidelberg hab ich dazu noch behalten. Wir fangen nächsten Monat an aufzunehmen. Wir haben 20 neue Songs, das sprudelt nur so aus raus. Du kannst auch die Onkel Tom-Sachen, die wir jetzt machen, gar nicht mehr mit dem alten Zeug vergleichen. Das sind alles gute Musiker und das wollen wir auch mal beweisen. Ich denke mal, die kommt Mitte Februar raus.
Inwiefern warst du eigentlich an dem "Kumpels in Kutten"-Buch beteilgt?
Die haben mich ein paar Mal angerufen und haben ein langes Interview gemacht und wollten Fotos haben. Ich finde das Buch aber gigantisch, dass unsere Geschichte mal so aufgearbeitet wird. Ein paar Akteure sind ja auch hier, der Peppi, der Stoney. Die Idee finde ich Hammer und das Buch ist auch wirklich gut geworden.
Liest du denn selber?
Ich lese gar nicht viel, nur Fachliteratur über meine Hobbies. Ich bin ja auch Jäger. Ich bin aber nicht der große Leser.
Jäger, aha. Was ist denn das größte, was du je geschossen hast?
Das war ein Zwölfender Rothirsch. Den hab ich aber nicht frei gehabt. Einen Rothirsch muss man anmelden und so, der kam mir aber genau passend. Ich hab dann den Jagdpächter angerufen und gesagt "Da steht ein Hirsch" – "Knips den ab". Wir haben den dann geschossen und der wog bestimmt über 200 Kilo. Wir haben den dann so weit es geht zerlegt, ins Auto rein und nach Hause. Das Geweih hängt jetzt bei mir an der Wand. Normalerweise schieße ich aber Rehwild und Wildschweine, was man auch selber essen kann. Aber einmal im Leben muss jeder Jäger mal einen Rothirsch schießen. Der ist jetzt zwar mehr oder weniger gewildert, aber was solls.
Kochst Du dann auch selber?
Ja, ich kann generell sehr gut kochen.
Was ist deine Spezialität?
Mein Schweinebraten ist perfekt, meine Wirsingrouladen sind perfekt. Ich hab schon als Junggeselle immer gekocht, ich kann mich nicht aus Büchsen ernähren.
Essen bzw. das Ruhrgebiet war 2010 ja Kulturhauptstadt. Hat dich das gefreut oder ging dir das eher am Arsch vorbei?
Ich weiß ja gar nicht was passiert ist. Wo ist jetzt der Unterschied? Der Tross zieht irgendwann weiter zur nächsten Stadt und dann ist alles wie vorher. Ich finde, das viel zu wenig passiert ist. Man redet immer von Kulturförderung, dies und das. Das einzige, was ich erlebt hab, war hier in Essen das Essen Original, das ist aber eh jedes Jahr. Ich hab da echt nicht viel mitgekriegt.
Du hast also keine besonderen Veranstaltungen dazu besucht?
Nein. Ich hab ein WDR-Special zu dem Thema gemacht, die Sendung hieß "Schwarzes Gold". Aber was ist denn letztendlich passiert? Gar nichts, im Gegenteil, es ist sogar noch schlimmer geworden. Kindergärten werden zu gemacht, Jugendzentren zugemacht. Von den normalen Leuten hat keiner was davon gehabt.
Wie siehst du denn die sozio-kulturelle Entwicklung im Pott?
Im Prinzip läuft alles scheiße. Ich hab das ja gerade schon angesprochen mit Kindergärten und Jugendzentren. Die Zeche Carl macht zwar jetzt wieder mehr Konzerte, man macht aber für die Jugendlichen gar nichts. Ich seh das ja, ich hab ja auch zwei Kinder. Momentan sind die Zeiten bei uns im Ruhrgebiet echt hart, jeder ist sich selbst der nächste. Jeder versucht, was vom großen Kuchen abzukriegen, jeder versucht zu überleben. Aber da passiert nix. Und da ist es natürlich auch schade, dass der Bergbau nicht mehr aktiv ist, wo jeder sein Lohn und Brot hatte und die Wirtschaft besser drauf war. In Gelsenkirchen, aber auch in Duisburg oder wo auch immer, das ist alles grau in grau und es wird immer schlimmer. Die Leute sind depressiv und Alkoholiker. Fast alle, die ich kenne, sind Alkoholiker.
Von einer blühenden Dienstleistungs-Landschaft kann also keine Rede sein?
Na gut, ich kann abends mal ne Pizza beim Italiener bestellen, das ist doch wirklich alles.
Wo könnte man denn ansetzen?
Die Leute brauchen einfach Arbeit, Der Bergbau ist ja auch stark subventioniert worden, die hätten Leuten das Geld auch geben können und sagen „bleibt zu hause“, aber es gibt keine Arbeitsplätze mehr. Das ist auch unabhängig von der Regierung, ich weiß nicht, ob es unter der SPD besser wäre und ob sich da was ändern würde. Glaub ich eigentlich auch nicht dran.
Das Ruhrgebiet wurde im Juli vom Loveparade-Unglück erschüttert. Was sagst du dazu?
Ich war unterwegs, als ich das mitgekriegt habe. Das ist wieder diese Geldgeilheit, die momentan herrscht, dass sind die Leute schuld, die den Hals einfach nicht voll kriegen und immer noch mehr Leute reinlassen. Irgendeiner muss ja dafür verantwortlich sein. Jeder will sich nur die Taschen voll machen, ohne irgendwelche Rücksicht auf das Leben, das ist die Mentalität die die Menschen heute an den Tag legen. Wenn man mal ein bisschen runterfahren könnte, ein bisschen verzichten, dann wäre das nicht passiert. Ganz bitter ist das. Die Tochter eines Bekannten von mir ist da gestorben, die kam aus Gelsenkirchen. Meine Tochter wollte auch dahin, aber da hab ich gesagt „bleib mal lieber bei uns bei die ganzen Asis“. So eine Veranstaltung kann man sich doch klemmen, da kann man auch was sinnvolleres mit dem Geld machen.
Letzte Frage: Wieviel Postkarten von Gelsenkirchen hast Du eigentlich inzwischen?
Ich hab über 1000.
Gibt es darunter auch welche, die dir besonders am Herzen liegen?
Je älter eine Postkarte ist, desto wertvoller ist die für mich. Die älteste die ich habe ist von 1896. Das sind natürlich einige Schätzchen bei. Ich sammel ja heimatbezogen, nicht von Gelsenkirchen. Da ist keine einzige von Gelsenkirchen bei, ich sammel ja nur Buer, aus dem Bereich wo ich herkomme. Je kleiner so ein Ort wird, desto schwieriger ist es, an Karten zu kommen. In Buer hab ich wohl das größte Archiv, ich sammele ja auch Bücher, Stadtpläne und Fotos, alles was dazu gehört. Mich faszinieren diese alten Aufnahmen.
Wie kommt man da denn dran? Du hast doch sicher schon alles abgegrast...
Ich hab schon einiges abgegrast. Es gibt sogar Messen für Ansichtskarten. Ebay war immer eine Quelle. Es gibt ja auch viele Sammler, da gehen die Preise auch hoch. Die teuerste Karte, die ich gekauft habe war für 120 €. Ich wollte die einfach haben und da war noch ein anderer dran. Das ist für mich halt ein Ausgleich.
- Sodom - Final Sign of Evil (2007)
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