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Amphi Festival 2010 - Samstag - Köln, Tanzbrunnen - 24.07.2010
Schwarzer Karneval in Köln. Zum sechsten Mal findet das Amphi Festival statt und der Tanzbrunnen in Köln-Deutz ist an diesem Juli-Wochenende ausverkauft. 16.000 zumeist schwarzgewandte Gestalten finden sich auf dem schönen Gelände ein, um bei einem Musikprogramm der Sonderklasse zwei Tage zu feiern - und das meist bei strahlendem Sonnenschein und lockerer Bewölkung. Lediglich am späten Sonntagnachmittag fängt es doch noch an zu regnen, was die Stimmung aber nicht weiter trübt. Kein Wunder, denn Bands wie ASP und VNV NATION sind seit Jahren Garanten für mitreissende Shows. Besonders erfreulich ist, dass mit SKINNY PUPPY und FRONT LINE ASSEMBLY zwei kanadische Kultbands den Weg nach Köln gefunden haben, diese Bands sieht man nämlich nicht unbedingt jedes Jahr auf den Festivalbühnen. Ein wenig Kritik schwingt in dieser Aussage bewusst mit, denn gerade was die Headliner-Positionen angeht, trifft man auf deutschen Festivals oft auf die gleichen Bands, so dass man deren Programme inzwischen in- und auswendig kennt. Umso schöner, wenn mit ANNE CLARK, den Mexikanern RABIA SORDA oder den Horrorpunkern BLITZKID Acts mit von der Partie sind, die man vielleicht noch nie live gesehen hat. Nachdem im letzten Jahr die Rheinparkhalle geschlossen werden musste, weil der Putz von der Decke fiel, befindet sich die Indoor-Bühne auch in diesem Jahr wieder in der gleichen Halle, die renoviert wurde und nun den Namen Staatenhaus trägt.
An beiden Tagen wird es am späten Nachmittag recht voll auf dem Gelände und es zeigt sich, dass die Kapazitätsgrenzen für das Amphi Festival in dieser Location langsam aber sicher erreicht sind. Beengt fühlte man sich zwar nie, aber voller sollte es trotzdem nicht werden. Wie üblich wurde auch in diesem Jahr von vielen Besuchern einiges fürs Auge geboten. Sehen und gesehen werden dürfte für manche(n) das Motto sein, da bekommt man den Eindruck, dass die Musik für viele eher zweitrangig ist. Viel nackte Haut, fantasievolle Kostümierungen, die bekannten Mottolooks (Military, Cyber, BDSM, Romantik), Splatteroptik oder einfach nur Shirt und Rock bzw. Hose - da ist für jeden etwas bei. Und wer Leere im Kleiderschrank befürchtet, bekommt natürlich wieder zahlreiche Gelegenheiten, sich auf dem großen Markt neu einzudecken. Entspannung findet man im Beachclub oder im neuen großen Biergarten und wen der Hunger quält, der kann zwischen vielen verschiedenen (und meist leider recht teuren) Essensbuden wählen. Oder man diniert im Restaurant der Rheinterrasen. Angemessener erscheinen die Getränkepreise, 4 € für einen halben Liter Bier vom Fass ist kein Schnäppchen, aber vertretbar.
Zur Galerie mit den schönsten Impressionen vom Festival geht es hier entlang.
Den musikalischen Auftakt auf der Mainstage bestreitet der Gewinner des in diesem Jahr zum ersten Mal ausgerichteten New Talents-Wettbewerbs und das ist eine Band namens ZIN aus Leipzig. Mit elektronisch angehauchtem Indierock, der ein wenig an Placebo erinnert, gibt man eine ordentliche Visitenkarte ab und besonders der charismatische Frontmann Iven Cole zieht die Blicke des Publikums auf sich. Als nächstes sind die Berliner DIN [A] TOD an der Reihe und gäbe es einen Preis für das ulkigste Outfit, so hätte diesen Sänger Sven verdient, denn seine Optik mit kurzer Turnhose, Trainingsjacke, Nerd-Brille und türkiser Stratocaster-Gitarre ist schwer geschmacklos. Geschmackvoller dagegen der Sound, den er mit Partnerin Claudia macht, denn die Mischung aus Electroclash, Synthiepop und Wave geht gut ins Ohr. Im Staatenhaus geht es mit intelligentem Electro der Extraklasse weiter, denn DESTROID, die Band um ex-Haujobb-Frontmann Daniel Myer ist an der Reihe. Während man letztes Jahr beim Blackfield Festival lediglich mit einem Computer antrat, sind dieses Jahr gleich zwei Herren für die synthetischen Klänge zuständig, dazu gibt es echte Drums. So wird die Show mit Songs wie "Silent World", "Judgement Throne" und dem The Sisters Of Mercy-Cover "Lucretia My Reflection" musikalisch zum ersten Highlight an diesem Nachmittag, auch dank Myers agiler Bühnenshow.
Deutschlands beste Gothic Rock-Band heißt END OF GREEN und rockt an diesem Nachmittag gleich mal mit drei Gitarren los. Geschmackssicher präsentiert sich der dreadgelockte Gitarrist Sad Sir im Nachtmystium-Shirt und schüttelt seine Haare genauso fleißig, wie der zweite Klampfer Kirk Kerker. Neun Songs gibt die Band um den mit Grabesstimme singenden Frontmann Michelle Darkness zum Besten, darunter auch das brandneue "Goodnight Insomnia" sowie Hits à la "Killhoney", "Drink Myself To Sleep" und das alte "Nice Day To Die". Wo andere Gothic Rock-Bands weinerliches Geplänkel von sich geben, rocken END OF GREEN tight und druckvoll durch ihr Material, so muss das sein und so gefällt das richtig gut. Vor zwei Jahren war das schwedische Synthiepop-Duo ASHBURY HEIGHTS die Entdeckung des Festivals, 2010 sind sie die Enttäuschung. Die neue Sängerin Kari Berg hat bei weitem nicht die Ausstrahlung einer Yasmine Uhlin und wirkt darüberhinaus nicht sehr sympathisch. Livekeyboarder Johan Andersson hat zudem ein paar Probleme damit, nach dem ersten Song die richtigen Knöpfe für die nächste Nummer zu drücken und da man sich zunächst auf Songs des aktuellen Albums konzentriert, statt die Hits von "Three Cheers For The Newlydead" und "Morning Star In A Black Car" zu spielen, kann man auch musikalisch nicht überzeugen. Die neuen Songs zünden kaum und als dann zum Ende hin ein paar der älteren Stücke zum Tragen kommen, hat man diesen Auftritt schon längst abgehakt. Schade.
NACHTMAHR im Staatenhaus oder WELLE: ERDBALL auf der Hauptbühne ist die Frage, die sich hernach stellt. Letztere haben optisch mehr zu bieten und wie immer eine sehenswerte Bühnenshow auf Lager, überraschen aber mit zahlreichen Coverversionen in ihrem Set. Eröffnet wird mit "Die Roboter" (Kraftwerk) und im Laufe des Sets macht man noch Bekanntschaft mit Andreas Doraus "Fred vom Jupiter" und darf zu "Ein bisschen Frieden" (!!!) von Schlagertante Nicole schunkeln. Humor haben WELLE: ERDBALL offensichtlich genug. Eigene Stück wie "Schweben, Fliegen und Fallen" und "Starfighter F-104G" runden den höchst amüsanten Auftritt von Honey, A.L.F., Plastique und Frl. Venus ab. Die nächste Runde "Mainstage oder Staatenhaus" entscheiden FUNKER VOGT für sich, die im Vergleich zu den Kitschelektronikern BLUTENGEL mit ihren hymnischen Electronummern die bessere Alternative zu sein scheinen. Zwar wirkt die Bühne im Staatenhaus für die als Trio auftretenden Hamelner etwas zu groß, ist aber gut und stimmunsvoll ausgeleuchtet. Mit "Child Soldier" und "White Trash" legt man nach dem Intro kraftvoll los und lässt das brandneue "Arising Hero" folgen. Nach 35 Minuten und insgesamt zehn Tracks endet das Set standesgemäß mit dem "Gunman".
70 Minuten akustischen Ohrenschmaus gibt es dann mit ANNE CLARK auf der Hauptbühne. Die Grande Dame des Wave und ihre enorm talentierte Band intonieren die 16 Songs mit Cello, Piano, Gitarre, Keyboards und Drums äußerst gefühlvoll, rocken aber gleichzeitig mitunter ordentlich drauf los. Währenddessen steht Anne oft mit geschlossenen Augen am Mikrofon und lässt ihre Aura aufs Publikum ausstrahlen, das bei Hits wie "Our Darkness" und "Sleeper In Metropolis" ausgelassen tanzt. Ältere Songs wie "Abuse", "The Haunted Road", "Short Story" und "Echoes Remain Forever" wechseln sich mit aktuellen Stücke vom wunderbaren "The Smallest Acts Of Kindness"-Album ab und lassen den Auftritt zu einem Genuss werden. Als Headliner auf der Hauptbühne beglückt Steve Naghavi seine Krieger und Schlampen, wie auf den käuflich zu erwerbenden AND ONE-Shirts zu lesen ist und verbrät passend zu seinem Soldatenlook mit Deutschland-Fähnchen auf dem Arm gleich am Anfang die "Deutschmaschine". Kurios auch das Cover "Timekiller", im Original von PROJECT PITCHFORK, die eben diesen Song kurz vorher im Staatenhaus auf die Bühne gebracht haben. Aktiv und gutgelaunt feuert Steve das Publikum an und lässt "Love You To The End" vom "Bodypop"-Album folgen. Auf dem Weg ins Staatenhaus vernimmt man eine weitere Coverversion (was heute offenbar Trend war), nämlich den 80er-Megahit "The Sun Always Shines On TV" der Norweger A-Ha.
Auf der Hallenbühne laufen unterdessen die Aufbauten für das Highlight des Festivals, nämlich SKINNY PUPPY aus Kanada. Großes sei zu erwarten, denn auf dem belgischen Gothic Festival in Waregem eine Woche zuvor soll die Band um Nivek Ogre bereits mächtig abgeräumt haben. Die Bühne ist für den Auftritt stark verkleinert und besteht aus einem Drumset, einem mit weißen Tüchern verhangenen Käfig, ebenso dekorierten Keyboards, einer Videoleinwand und zahlreichen Beamern. Die stellen an diesem Abend die Lichtanlage dar und schaffen eine völlig surreale Atmosphäre, die Wirkung auf den Tüchern und auf dem Körper von Ogre ist absolut berauschend. Beim eröffnenden "Love In Vein" erscheint dieser dann mit einem Gehwagen und in völlig kranker Verkleidung auf der Bühne. Eine furchterregende Maske im Gesicht, auf dem Kopf ein riesiger Spitzhut, verbundene Hände und ein ebenso verhüllter Körper sowie zahlreiche Blutflecken machen das Outfit aus und in Verbindung mit der Lichtinstallation sowie der Musik fühlt man sich wie in einem Horrorfilm oder einem bösen Alptraum. Die Singles "Addiction" und "Dogshit" folgen und im Verlauf des 80-minütigen Sets kommt man sich immer mehr wie im Rausch vor. In ohrenbetäubender Lautstärke werden "Tormentor", "Pro-Test" und "Ugli" ins Publikum gedroschen, das dann bei "Assimilate" endgültig austickt. Erst zu den Zugaben erscheint Ogre ohne Maske auf der Bühne und kündigt den Übersong "Worlock" an. Mit "Brap" und "Shore Lined Poison" wird das entrückte Publikum dann in die kühle Kölner Nacht entlassen. Was für ein wahnwitzig guter Auftritt - es erscheint unmöglich, da noch einen drauf zu setzen.