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Sylvan: Artificial Paradise (Review)

Artist:

Sylvan

Sylvan: Artificial Paradise
Album:

Artificial Paradise

Medium: CD
Stil:

Neo-Prog

Label: Point Music
Spieldauer: 69:20 Min.
Erschienen: 07.10.2002
Website: [Link]

“Common sense tells us
that the things of the earth exist
only a little
and that true reality
is only in dreams.”

Der französische Schriftsteller Charles Baudelaire (1821 - 1867) ist Wegbereiter für das Konzept hinter der 2002er-Veröffentlichung “Artificial Paradise”. Damaligen Interviews zufolge wollen SYLVAN darin zwar kein Konzeptalbum verstanden wissen, doch der konzeptionelle Gleichschritt der einzelnen Songs ist unverkennbar: Depressionen, Schuldgefühle und von Weltschmerz geprägte Emotionen werden als Begleiterscheinungen einer künstlichen Welt beschrieben. Die Abkopplung der Menschheit von ihren anthropologischen Wurzeln gipfelt im Artwork, einer Kunsthand, die im Casino durch die Oberfläche eines Craps-Spieltischs ins Leere greift und dabei durch die grüne Schicht noch von der Luft, dem einzigen natürlichen Element in diesem Raum voller blinkender Lichter, getrennt wird. Der gesellschaftliche Zustand hängt für SYLVAN anno 2002 in einer Schwebe, die der emotionalen Ausrichtung des sogenannten “Neo-Progs” gleichermaßen entgegen kommt wie der spektrenreichen Stimme von Sänger Marco Glühmann.

Artificial Paradise” spielt folglich mit Stimmungen. Menschen haben mit ihren ungebetenen Gefühlen zu kämpfen, ob diese nun positiv oder negativ sein mögen, und so präsentieren sich auch die Songs. In fast gleichmäßiger Abwechslung geben sich düstere Komplexbalken mit Stahlpanzer knackenden Stadionballaden die Klinke in die Hand, um die alles entscheidende Frage zu stellen: Wie kommt es, dass ich die Gefühle habe, die ich habe? Die Antwort gibt der epische Titeltrack, noch bevor er überhaupt angestimmt wird: You’re living in an Artificial Paradise, buddy!

Musikalisch gelingt den Norddeutschen mit diesem Album eine Zäsur, die nicht nur durch die seit “Encounters” fortgeschrittene Produktionsqualität zu erklären ist. Sie hat sich über “X-Rayed” bis zum Klimax “Posthumous Silence” gehalten und SYLVAN zur Marke gemacht, bevor erst 2009 mit “Force of Gravity” ein Album erschien, das eine neue Ära einleitete (in der die Gemüter effektiv gespalten wurden ;) ).

Insbesondere die Nummern “Deep Inside”, “That’s Why it Hurts” und “Human Apologies” stehen für die kompositorische Wucht, die SYLVAN innewohnt. Die Refrains sind posthum betrachtet unverzichtbar geworden für das Genre und vereinen alles, was seinen Rahm ausmacht.

Das alte Prog-Klischee “Longtrack” verdient in Anbetracht der Platte allerdings gesonderte Beachtung: Mitnichten ist es der abschließende 20-Minüter, der hier Probleme macht. In voller Ausgewogenheit fungiert er als steuernder Kopf, der einen Schweif hinter sich herzieht. “Artificial Paradise” zu hören ist so, wie als Astronaut eine Sternschnuppe von hinten zu überholen; oder, das Gleiche als Taucher mit einer Leuchtqualle zu tun. Am Ende der Reise steht der Steuerungsorganismus, der die Funktion der vorab gesichteten Glieder verständlicher macht.
Eher sind es jene Glieder vor dem Kopfstück, denen eine Straffung gut getan hätte. Exemplarisch dafür steht das eingangs angesprochene “Human Apologies”, das gleich mit seinem wuchtigen Beginn einen Layer über das andere legt, um zu einem gänsehauterregenden Ergebnis zu kommen. In der Hälfte wandelt sich das Stück in ein zwar atmosphärisches, gleichwohl aber asynchrones Floyd-Gebilde mit Donnergrollen, dessen sanfter Ausklang an dieser Stelle zwischen zwei Balladenbrummern eher fehl am Platz wirkt, Stimmungswechsel hin oder her. Auch “Deep Inside” hätte einen schöneren Mittelteil verdient gehabt, denn der Wechsel in plötzliche Euphorie tut weh, nur eben nicht so, wie es vielleicht gedacht war.

Die Genrebezeichnung “Art Rock” indes bekommt in Anbetracht des Albumthemas einen ironischen Twist ab. Kunstfertigkeit und Künstlichkeit voneinander zu trennen, ist ein Gratwandel, der durch das Album aufgeworfen und von ihm hervorragend gemeistert wird. Auch wenn nicht jedes Spannungsspiel innerhalb der Songs funktioniert, Inhalt und Ausdruck gehen eine funktionierende Symbiose miteinander ein. Der etwa 50-prozentige Balladenanteil hätte zwar durchaus weniger Zuckermasse vertragen können, doch unabhängig von Gefallen und Nichtgefallen würden auch goldfarbene Honigmelodien wie die in “Around the World” selbst nach dunkelsten Düsterrock-Maßstäben immer noch authentisch klingen. Eine Kunstwelt anzuprangern, indem man sich des Kunstrocks bedient, ist nicht das Paradox, nach dem es scheint.

FAZIT: In den Details, besonders im Spannungsaufbau noch verbesserungs- und hier vor allem straffungswürdig, gelingt SYLVAN mit “Artificial Paradise” endgültig die Zeichnung eines spezifischen Stils. Es klingt wie ein Prototyp zu den runderen beiden Nachfolgern, obwohl das Problem des Nicht-auf-den-Punkt-Kommens sich auch bei “X-Rayed” noch gehalten hat. Dabei sind die Momente, in denen nichts mehr zu verbessern wäre, schon hier reich gesät; nur leider besteht ihre Peripherie noch zu oft aus Baustellen.

Sascha Ganser (Info) (Review 7128x gelesen, veröffentlicht am )

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Wertung: 11 von 15 Punkten [?]
11 Punkte
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Tracklist:
  • Deep Inside
  • That's Why It Hurts
  • Strange Emotion
  • Human Apologies
  • Timeless Traces
  • I Still Believe
  • Around the World
  • Souvenirs
  • Artificial Paradise

Besetzung:

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