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Meshuggah: Chaosphere (Review)

Artist:

Meshuggah

Meshuggah: Chaosphere
Album:

Chaosphere

Medium: CD
Stil:

Extreme Metal / Math Metal

Label: Nuclear Blast
Spieldauer: 47:27
Erschienen: 10.11.1998
Website: [Link]

Chaos – der Zustand totaler Unordnung. Aus ihm bilden sich Entitäten wie Sinnlosigkeit, Redundanz, Emotionslosigkeit und vollkommene Leere. Chaos ist das Bindeglied zwischen Allem und dem Nichts, denn es beschreibt einen Zustand der Dynamik, der aber, da er keinerlei Regeln untersteht, zu keinem Ziel führt. Chaos bewegt Teilchen planlos umher, ohne sie zu koordinieren.

MESHUGGAH haben einen verdammt überzeugenden Weg gefunden, das Chaos authentisch zu vertonen. Da sind natürlich offensichtlich Schnelligkeit, Effektübersteuerung und gnadenlose Brutalität, drei Charakteristika, für die "Chaosphere" berüchtigt ist und mit denen es aus der Diskografie heraussticht. Sie verbinden sich mit futuristisch geprägten Lyrics über Mensch-Maschine-Metamorphosen, die an Cronenberg-Filme erinnern. Die kurzen, attributiv gestalteten Sätze beinhalten zudem zahlreiche "Ich-Superioritäten", Beschreibungen von Entwicklungen des Selbst zu gottgleichen Überwesen, die dem Nihilismus von Clive Barkers "Hellraiser" nahe sind.

Was zunächst noch nach gängiger Science-Fiction-Ware klingt, vielleicht sogar nach Bad-Ass-Metal-Attitüde, erlangt durch die typisch mathematische Mechanik der Schweden seine besondere Identität: der repetitive Aufbau der Stücke und die sich nur in Nuancen erschließenden Unterschiede der einzelnen Partituren gibt der Vision ihr Gesicht. In der halsbrecherischen Geschwindigkeit des Openers "Concatenation" etwa liegt eine Kontrolle verborgen, die einen beängstigenden Kontrast ergibt zu der Ansammlung an schierem Krach – welcher perverse Gott würde sich in derart psychotische Klanggemälde einnisten? Wenn die jazzlastigen Soli auftauchen, repräsentieren sie durch scheinbare Willkür in der Tonabfolge die Unvorhersehbarkeit, die dem Titel alle Ehre macht, eingebettet freilich in durchstilisierte, vorausberechnete Riffabfolgen, die ebenso sehr einem Muster unterliegen wie die Gezeiten. Bezeichnend sind die Minuten 2:57 bis 3:21 von "New Millennium Cyanide Christ", die sich in ein ansonsten durchstrukturiertes Gebilde integrieren, das zeitweise aus vier Ebenen besteht: 1. einem abgehackten Rhythmusgrundton, 2. einer sirenenartigen Zwei-Noten-Abfolge, 3. einem ausgespielten und in die Länge gezogenen Anschlag, 4. Jens Kidmans monotonem Gebrüll. Alles sehr schön zu hören ab 1:03.

Dass nicht einmal die Drosselung des Tempos das Chaos durchbricht, beweist "Neurotica" – vielmehr bewirkt die plötzliche Veränderung des Tempos ein Gefühl des Davonlaufens und gleichzeitigen Auf-der-Stelle-Tretens, da der Nihilismus nicht einmal verschwindet, wenn man die Zeit hat, über ihn nachzudenken.

Zu wirklicher Meisterschaft entwickelt sich "Chaosphere" allerdings erst in den letzten Minuten. Dass ein Drittel der 16 Minuten von "Elastic" aus einem einzelnen verzerrten Ton besteht, wird gerne kritisiert; was aber danach geschieht, sucht in dramaturgischer Hinsicht seinesgleichen. Schicht über Schicht lagert sich das gesamte Album innerhalb von fünf Minuten übereinander, ein Layer über dem anderen, nahe am Rauschton eines Radios, das keinen Sender findet. Kidmans Gesang, die markanten Gitarrenpassagen aus "Concatenation", übereinandergestapelte, zu einem klebrigen Ballen verschmelzende Polyrhythmik und außer Kontrolle geratenes Schlagzeug pressen sich zu einem metallischen Kubus zusammen, in dessen Innerstem die rotierende Stacheldrahthölle losbricht. Man muss diese Minuten als Beobachter durchstehen, denn die Ich-Perspektive würde im absoluten Wahnsinn münden. Am Ende streift "Chaosphere" seine vielleicht noch gesellschaftskritisch gedachten Ansätze von sich und WIRD zu dem Chaos, das es postuliert.

FAZIT: Grenzen überschreitende, Fleisch und Metall gewordene Negativkonstruktion, die zuerst - mit der Philosophie kokettierend und gesellschaftliche Fragen erörternd - das Chaos diskutiert und in einem Grande Finale endgültig selbst zu ihm wird. Auch wenn das Gefühl nicht ausbleibt, dass fast jedes der acht Stücke Teile beinhaltet, die nicht essenziell sind, so liegt doch gerade darin der Kniff – eine Welt zu gestalten, die alles ist – und doch nichts.

Sascha Ganser (Info) (Review 7512x gelesen, veröffentlicht am )

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Wertung: 13 von 15 Punkten [?]
13 Punkte
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Tracklist:
  • Concatenation
  • New Millennium Cyanide Christ
  • Corridor Of Chameleons
  • Neurotica
  • The Mouth Licking What You've Bled
  • Sane
  • The Exquisite Machinery Of Torture
  • Elastic

Besetzung:

Alle Reviews dieser Band:

Interviews:
  • keine Interviews
Kommentare
Chris [musikreviews.de]
gepostet am: 23.12.2010

Sehr schönes Intie zur zweieinhalbtbesten Meshuggah-Scheibe! :)
Chris [musikreviews.de]
gepostet am: 23.12.2010

Schrob ich Intie? Ich brauch Kaffee.... Review mein nich natürlich... O_o
Nein...
gepostet am: 23.12.2010

...ich hab nix getrunken, aber ich kann heute offensichtlich nicht fehlerfrei Beiträge schreiben. Leute, Leute... *g*
Sascha G. [Musikreviews.de]
gepostet am: 23.12.2010

Nu mal langsam und schön durchatmen. ;)

Zweieinhalbtbeste bedeutet vermutlich, dass eine besser ist und eine andere genauso gut? Lass mich mal raten: besser ist Destroy, Erased, Improved... genauso gut Contradictions Collapse oder ObZen...?
Chris [musikreviews.de]
gepostet am: 23.12.2010

Genau, die D:E:I ist mein Favorit, und die CC meine Zweitliebste. Und die ObZen gleich nach der Chaosphere. :)
(-1 bedeutet, ich gebe keine Wertung ab)
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