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Meshuggah: The Violent Sleep Of Reason (Review)

Artist:

Meshuggah

Meshuggah: The Violent Sleep Of Reason
Album:

The Violent Sleep Of Reason

Medium: CD/LP/Download
Stil:

Math Metal / Extreme Metal

Label: Nuclear Blast
Spieldauer: 59:00
Erschienen: 07.10.2016
Website: [Link]

Ein Mann hängt über einem Tisch, ohnmächtig vom Schlaf, vor ihm niedergelegte Füllfederhalter und Papier. Eulen, Fledermäuse, eine Katze und ein Luchs haben sich aus der Dunkelheit genähert, Geschöpfe der Nacht, die durch die Träume des Schriftstellers angelockt wurden.

Soweit die Inspiration. MESHUGGAH banalisieren die berühmte Radierung Francisco de Goyas mit dem klangvollen wie mehrdeutigen Titel „El sueño de la razón produce monstruos“ („Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer“) vielleicht ein wenig: Schlicht vom „gewaltsamen Schlaf der Vernunft“ ist noch die Rede und der träumende Mann am Tisch ist inzwischen selbst zu einer Schreckgestalt geworden, der Plastik eines existenzialistischen Gottmenschen im Tiefschlaf nämlich, die dem Clive-Barker-Cosmos entsprungen sein könnte. Wie schon bei „Koloss“ ist wieder Keerych Luminokaya für das Artwork verantwortlich; eine Kontinuität, die sich nicht direkt erschließt, denn „The Violent Sleep Of Reason“ hat mit seinem hochgezüchteten Vorgänger ansonsten nicht mehr viel zu tun.

Nur wenige Kostproben der geröllartigen Tieftonriffs braucht es, um zu erkennen, dass eine Anknüpfung vor allem an das 18 Jahre alte „Chaosphere“ stattfindet. Das mag auch mit dem gewählten Konzept zusammenhängen: Die Schweden wenden ihre Interpretation von Goya lose auf das aktuelle Weltgeschehen an. Es geht um den (vernünftigen) Traum als Konzeptplan für die Verbesserung einer in Trümmern liegenden Wirklichkeit, also um die Bekämpfung des Terrorismus im Angesicht einer sich im Chaos verlierenden Weltordnung. Hinterfragt wird die menschliche Eigenheit, Ideale von absoluter Reinheit oft in einer Zerstörungskette münden zu lassen, welche MESHUGGAH nun mit rostroten Rasierklingen in Kettenstahl nachschnitzen. Die Extremformen des Jazz und Metal werden endlich wieder als Werkzeuge der Unordnung verstanden, wie schon einstmals 1998.

Das bedeutet natürlich, dass es wieder schwieriger geworden ist, sich im Soundbild zurechtzufinden, da die Atmosphäre mit wuchernder Elektrizität und wild umherschwingenden Splitterteilchen aufgeladen ist. Regelrechte Hymnen wie „Bleed“ von „ObZen“ oder „Break Those Bones Whose Sinews Gave It Motion“ von „Koloss“ und deren nachvollziehbare Abläufe sind passé; schon das hochpräzise „Clockworks“ samt puristischer Schlagzeugfunktionalität deutet zum Auftakt an, dass sich aus dem harmlosen „tz“ „tz“ „tz“ „tz“ von Haakes Becken binnen Sekunden jeder vorstellbare Alptraum schälen kann, weil Chaos ein Produkt der Kombination aus Ordnung und Zeit ist.

Wer musikalische Extreme immer noch zu schätzen weiß, erfreut sich deswegen über die surreal verzweigten Skalenläufe des Highlights „Ivory Tower“ ebenso sehr wie über die konsequente Monotonie der Grooves, aus denen sich mitunter seltsame Dehnungen und melodische Verkrüppelungen schälen, so wie beim Album-Vorreiter „Born In Dissonance“. Kidmans Stimme bleibt ein rauschendes, atonales Instrument, das schwarzen Schleim zwischen zusammengebissenen Zähnen hervorquellen lässt. Thordendals Jazz-Soli sprießen von unkirchlicher Dissonanz geprägt in alle erdenklichen Richtungen, derweil Hagström (Rhythmusgitarre), Lövgren (Bass) und Haake (Schlagzeug) für ungemein dichtes und unbehagliches Ambiente sorgen und so viele Astzweige kreuzen, dass der fahle Herbsthimmel zur tiefen Nacht wird.

Die organische Art und Weise, wie all dies zusammenläuft, muss hervorgehoben werden. Direkte Kontakte zwischen den Instrumenten werden zugelassen, unmittelbare Wechselwirkungen sind eher möglich als auf den letzten Alben. Binnen einer Stunde geschehen unglaublich viele, teilweise sich widersprechende Dinge. Der gewaltsame Schlaf besteht aus endlos vielen Traumfragmenten mit einer Legion von Themen, die im Songwriting-Prozess scheinbar willkürlich miteinander vernäht wurden und nun aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet werden, so dass alptraumhafte Grimassen aus ihnen entstehen. Ein kurzer Moment der Klarheit wird bloß im Ausklang von „Stifled“ gewährt, als Gitarre und Schlagzeug kurz verstummen und eine idyllische Ambient-Traumlandschaft offenlegen, bevor mit „Nostrum“ gleich die nächste Armada anrollt.

Die Extrem-Metal-Altmeister gehen dabei auch in fortgeschrittenem Alter gnadenlos vor, schicken immer eine noch größere Welle über den Ertrinkenden, um diesem ja nicht die Illusion zu lassen, er habe die Naturgewalten unter Kontrolle. Das gab es in dieser Form lange nicht mehr in der eigenen Diskografie. Die Brutalität ist unmittelbarer, weil sie überzeugend glauben macht, dass der illustrierte Horror tatsächlich existiert, so wie man in seinen Träumen auch keine Sekunde daran zweifelt, dass die Konstruktion um einen herum real ist. Und für diese Rückbesinnung auf alte Tugenden benötigt es nicht einmal eine Beschwörung des allseits beliebten Retro-Geistes; das Album klingt nicht so, weil man so klingen will wie früher, sondern es klingt so, weil man eben verdammt noch mal MESHUGGAH ist.

FAZIT: Hirnverknotung und -Spaltung in einer beispiellosen Abfertigung. Wenn die Bandmitglieder in Interviews von einer weniger perfektionistischen und non-digitalen Aufnahmeprozedur sprechen, meinen sie damit nicht, dass sie jetzt angefangen haben, schnoddrigen Garagenrock zu spielen. Sie beschreiben lediglich diese undurchdringliche, von Stacheldraht umgarnte Lebend-Dunstwolke, die „The Violent Sleep Of Reason“ ist. Monoton, aber technisch, komplex und unheimlich. Mit einfachen Strophe-Refrain-Mustern, aber ohne Alpha, ohne Omega. Möge man sie sich auf den Kopf setzen und erkennen, dass es MESHUGGAH trotz all der Imitatoren da draußen immer noch nur einmal gibt in diesem Universum.

Sascha Ganser (Info) (Review 6717x gelesen, veröffentlicht am )

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Wertung: 12 von 15 Punkten [?]
12 Punkte
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Tracklist:
  • Clockworks
  • Born In Dissonance
  • MonstroCity
  • By The Ton
  • Violent Sleep Of Reason
  • Ivory Tower
  • Stifled
  • Nostrum
  • Our Rage Won't Die
  • Into Decay

Besetzung:

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  • keine Interviews
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