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Steven Wilson: Grace For Drowning (Deluxe Edition) (Review)
Artist: | Steven Wilson |
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Album: | Grace For Drowning (Deluxe Edition) |
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Medium: | CD+Blu-ray | |
Stil: | Progressive Rock / Experimental |
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Label: | Kscope | |
Spieldauer: | 39:43 + 43:27 + 42:16 | |
Erschienen: | 30.09.2011 | |
Website: | [Link] |
Ist das die Veröffentlichungsstrategie der Zukunft? STEVEN WILSON konnte nicht umhin, via Facebook seine Freude über die hohen Chartseinstiege seines neuen Babys „Grace For Drowning“ auszudrücken. In Deutschland reichte es immerhin für Platz 22. Nicht, dass der Mainstream plötzlich geschmackssicher geworden wäre; viele Faktoren spielen hier zusammen, zum Beispiel die Preisgestaltung bei der Standard-Ausgabe: Knapp 10 Euro fragt man sich in der Regel für den Doppeldecker, der mp3-Download kostete bisweilen je nach Zeitpunkt und Anbieter sogar nur 5 Euro.
So kommt man in die Charts. Wie gehabt wurde aber auch diesmal wieder an das elitäre Rund gedacht: In insgesamt vier verschiedenen Ausführungen kann man „Grace For Drowning“ erwerben. Neben der Standardvariante gibt es eine Limited Edition im hochwertigen Digibook mit erweitertem Booklet, eine Blu-Ray sowie die hier besprochene Deluxe Edition im Buchformat, die praktisch alle weiteren Ausgaben in sich vereinigt und als 4-Disc-Set weit mehr als ein einfaches Album bietet, ein multimediales Gesamterlebnis nämlich.
Akustik, Optik und Haptik werden nebst Jäger- und Sammler-Gen befriedigt. Der Buchband versteht sich als Gesamtkunstwerk. Zwar wieder etwas kleiner als der gewaltige „The Incident“-Band von PORCUPINE TREE und auch ohne dessen Schuber, reicht die Aufmachung immer noch aus, um als Ausnahmeerscheinung auf dem Markt zu gelten. STEVEN WILSON folgt nicht nur mit seinem aktuellen Album, sondern auch bei dessen Verkauf dem Beispiel der goldenen 70er Jahre und versucht, sie für die Gegenwart und Zukunft attraktiv zu machen.
Denn das Blättern in dem 27 cm hohen, 28 cm breiten und 2 cm dicken Leinenband ist ebenso sehr eine Erfahrung wert wie das Einlegen der vier Datenträger. Auf 120 Seiten lässt Hof- und Hauskünstler Lasse Hoile seiner Kreativität freien Lauf und inszeniert surreale Bildcollagen von unheimlichen Orten und mumienhaften Gestalten in weißen Tüchern, die darin posieren.
Das Album ist einmal wie gehabt als Doppel-CD enthalten, außerdem auf einer auch separat erhältlichen Blu-Ray. Im günstigsten Fall spielt man diese mit 5.1 Surround Sound auf einer guten Anlage mit großem Flatscreen bei abgedunkeltem Zimmer ab; dann bekommt die Musik gleich eine weitere Dimension.
Dabei hinterlässt die Umsetzung der Blu-Ray leider einen etwas geteilten Eindruck, der bei der Menü-Bedienung beginnt. Die Tracks sind einzeln oder am Stück abspielbar, jedem sind dabei in gesonderten Menüs wahlweise Videos oder Fotobilder zugeordnet, die sich in Slideshows abspielen lassen. Ein entspannter Fluss kommt dabei aber leider kaum zustande, weil man ständig mit Auswahlelementen beschäftigt ist.
Weiterhin ist es nur aus wirtschaftlichen Erwägungen heraus erklärbar, dass lediglich vier Tracks (Remainder The Black Dog, Belle De Jour, Index, Track One) mit Videoclips bedacht wurden; künstlerisch ansprechender wäre es sicherlich gewesen, aus „Grace For Drowning“ einen 84-minütigen Kunstfilm zu machen. Die Foto-Slideshows wirken da mitunter wie faule Kompromisse, so toll die Motive auch aussehen mögen.
Was die Umsetzung der Videos betrifft, offenbart Lasse Hoile wie schon im Dokumentarfilm „Insurgentes“ seinen ästhetischen Hang zu Lynch, Aronofsky & Co. „Index“ strahlt mit den wächsernen Schaufensterpuppen den gleichen Grusel aus wie einst „House Of Wax“ mit Vincent Price und klammert sich an die bereits unter „Fear Of A Blank Planet“ erprobte Leere. „Remainder The Black Dog“ bleibt trotz stilistischer Spirenzchen aufgrund seiner narrativen Ansätze der konventionellste Beitrag, insofern er starke Charakterzüge eines gewöhnlichen Musikvideos trägt. „Track One“ ist mit der statischen Kamera und der Digicam-Optik sehr nah am aktuellen David Lynch dran (aber auch an alten Ingmar-Bergman-Filmen) und hebt die Vorzüge des großartigen Stücks mit geschickt platzierten Lichteffekten ausgezeichnet hervor. Wenn die Fackel entzündet wird, entfaltet sich der Zauber einer Theatervorstellung, bei der man Realität und Fiktion aufgrund der fiebrigen Beleuchtung kaum noch auseinander zu halten vermag. Das fragile „Belle De Jour“ wiederum bietet den metaphysischsten Beitrag, eine an Stummfilme erinnernde Ästhetik und subtilen Horror, der den Titel wie blanke Ironie aussehen lässt. Jeweils ist dabei natürlich STEVEN WILSON der Hauptdarsteller; leider ist er nicht auch noch Schauspieler von Beruf, so kann man ihm lediglich attestieren, sich vor der Kamera wacker zu schlagen, mehr wohl nicht.
Äußerst gelungen ist das Menüdesign. Zu grummelnden Drone-Sounds, die laut Facebook-Page zum Teil dem kommenden Album von BASS COMMUNION entnommen wurden, laufen körnige Videos mit Foto-Charakter: Wenn sich etwas bewegt, dann so langsam, dass man es kaum wahrnimmt. Wenn sich dann eine schwarze Gestalt vom Meer über die Dünen zum Fenster bewegt, aus dessen Perspektive man das Menü betrachtet, hat das schon eine beklemmende Wirkung.
Das Album als Kunstform aus seinem 79-Minuten-Stereo-CD-Dogma zu lösen und auf multimediale Weise zu erweitern, ist derweil keine wirklich neue Idee, aber eine, die Zukunftspotenzial zeigt. Parallelen zum aktuellen 3D-Trend in den Kinos eröffnen sich im positiven wie negativen Sinne: Kann man Musik auf längst bekannte Weise, aber mit den Mitteln der neuesten Technik aufwerten? Mit Sicherheit. Erübrigt sich der Wert konventioneller Veröffentlichungsformate? Bestimmt nicht; sonst läge immerhin auch bei „Grace For Drowning“ keine Notwendigkeit mehr vor, die CDs beizulegen; immerhin kann die Blu-Ray ebenso die Musik abspielen.
Mit 3:1 sind die CDs sogar in der Überzahl. CD 3 ist diesem Paket exklusiv vorbehalten und enthält weggefallene Tracks und Demoaufnahmen. Das eröffnende „Home In Negative“ war fleißigen Sammlern bereits von einem Gratis-Download bei Soundcloud bekannt – eine zarte Gitarrenballade mit Beatles-Harmonien. „Fluid Tap“ wäre mit seinem aggressiven Elektronik-Unterton vermutlich auf „Index“ gefolgt, hätte man es aufs Album gepackt. In „The Map“ steht der Beat dominant im Vordergrund und wird von Glockenspiel und Flöte (?) flankiert; eine beinahe schon meditative Angelegenheit. Dann folgen diverse Rohschnitte der „Raider“-Sessions und von „Remainder The Black Dog“. Interessant, die Entwicklung zu beobachten: Wäre „Grace For Drowning“ so erschienen, hätte man dem Album banale KING-CRIMSON-Abkupferei unterstellt. Was Wilson letztendlich veröffentlichte, zeigt deutliche CRIMSON-Inspiration, steht aber eigenständig da. Auf der Bonus-CD darf man diese Einflüsse nun ihrer unbearbeiteten, sehr dem Free Jazz verpflichteten Rohform begutachten.
FAZIT: STEVEN WILSON ist wohl doch mindestens so sehr Geschäftsmann wie Künstler. Verkaufsüberlegungen und der Wunsch, das eigene Werk so geschmackvoll wie irgend möglich veröffentlicht zu wissen, vereinen sich in der „Grace For Drowning Deluxe Edition“ auf beeindruckende Weise. Über den happigen Preis kann man sich streiten, zumal eine Sonderedition zwar erstmals über einen deutschen Online-Shop erhältlich war, dies für die Kosten aber leider keine Auswirkungen gehabt hat. Schnöde Geldmacherei ist das dennoch wohl kaum; dazu sind die alternativen Beschaffungsoptionen zu breit gesät. Den Etikettenschwindel „Deluxe Edition“ muss man eher bei anderen Veröffentlichungen suchen – diese hier hat den Namen durchaus verdient.
- 1-3 Punkte: Grottenschlecht - Finger weg
- 4-6 Punkte: Streckenweise anhörbar, Kaufempfehlung nur für eingefleischte Fans
- 7-9 Punkte: Einige Lichtblicke, eher überdurchschnittlich, das gewisse Etwas fehlt
- 10-12 Punkte: Wirklich gutes Album, es gibt keine großen Kritikpunkte
- 13-14 Punkte: Einmalig gutes Album mit Zeug zum Klassiker, ragt deutlich aus der Masse
- 15 Punkte: Absolutes Meisterwerk - so was gibt´s höchstens einmal im Jahr
- CD 1: DEFORM TO FOR A STAR
- Grace For Drowning
- Sectarian
- Deform To Form A Star
- No Part Of Me
- Postcard
- Raider Prelude
- Remainder The Black Dog
- CD 2: LIKE DUST I HAVE CLEARED FROM MY EYE
- Belle De Jour
- Index
- Track One
- Raider II
- Like Dust I Have Cleared From My Eyes
- CD 3: THE MAP
- Home In Negative
- Fluid Tap
- The Map
- Raider Acceleration
- Black Dog Throwbacks
- Raider II (Demo Version)
- BLU-RAY
- Grace For Drowning 5.1 Surround Sound Mix
- Videos zu "Remainder The Black Dog", "Belle De Jour", "Index", "Track One"
- Bildergalerien zu allen Songs
- Home In Negative (Bonus Track)
- Fluid Tap (Bonus Track)
- Bass - Steven Wilson, Tony Levin, Nick Beggs, Trey Gunn
- Gesang - Steven Wilson
- Gitarre - Steven Wilson, Markus Reuter, Trey Gunn, Steve Hackett, Mike Outram, Sand Snowman
- Keys - Steven Wilson
- Schlagzeug - Nic France, Pat Mastelotto, Steven Wilson
- Sonstige - Steven Wilson (Piano, Autoharp, Gong, Harmonium), Jordan Rudess (Piano), Theo Travis (Sax, Flöte, Klarinette), Ben Castle (Klarinette), Nick Beggs (Stick), London Session Orchestra (Streicher), Dave Stewart (Streicher, Chor), Dave Kerzner (Sound Design)
- Insurgentes (2009) - 12/15 Punkten
- Insurgentes (Film) (2010)
- Grace For Drowning (Deluxe Edition) (2011)
- Grace For Drowning (2011) - 15/15 Punkten
- get all you deserve (2012)
- The Raven That Refused To Sing (2013) - 11/15 Punkten
- Drive Home (2013)
- Hand. Cannot. Erase (2015) - 15/15 Punkten
- 4½ (EP) (2016)
- Transcience (2016)
- Home Invasion: In Concert at the Royal Albert Hall (2018)
- The Future Bites (2021) - 14/15 Punkten
- The Harmony Codex (2023) - 11/15 Punkten
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