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Steven Wilson: The Harmony Codex (Review)

Artist:

Steven Wilson

Steven Wilson: The Harmony Codex
Album:

The Harmony Codex

Medium: CD/LP/Download
Stil:

Progressive / Art Rock

Label: Virgin
Spieldauer: 64:05
Erschienen: 29.09.2023
Website: [Link]

Die Remix-Arbeit an klassischen Alben von unter anderem Tears for Fears, XTC oder Roxy Music hat STEVEN WILSON in den vergangenen Jahren nicht unberührt gelassen - oder anders gedeutet: Auf seinem siebten Soloalbum lebt der Porcupine-Tree-Kopf seine Liebe zum New Wave, Art Pop und avantgardistischen Post Punk der Achtziger recht ungeniert aus… mit wechselhaften Ergebnissen.

Wilson kehrt sich auf "The Harmony Codex" natürlich nicht komplett von der Musik ab, für die man ihn kennt; wenngleich das Album bis zu einem gewissen Grad einen Stilbruch markiert, wird es vor dem Hintergrund, dass sein Schöpfer derzeit in den Medien gegen alles und jeden in der Musikbranche wettert (die Prog-Szene, die ihn ja gar nicht kapiere, 15 Minuten Ruhm suchende Bands auf Bandcamp…), trotzdem heißer gekocht als gegessen.

Genaugenommen überzeugt die Platte immer dann, wenn der Mann einfach nur er selbst und zutiefst menschlich ist. Etwaige Ausflüge in Nu-Jazz-, oder Ambient-Gefilde (die im Grunde nichts Neues sind, wenn man sein gesamtes Schaffen rekapituliert) bleiben Zierrat, und Gesang, aufgeteilt unter verschiedenen Stimmen, spielt eine wichtige Rolle, wie es bei guten Songs meistens der Fall ist.

So gänzlich traditionell geht es in 'What Life Brings' zu, einem zurückgelehnten Leisetreter, den Wilson streckenweise im Duett mit Ninet Tayeb intoniert und mit eleganten Gitarrenleads veredelt. Das tieftraurige 'Rock Bottom' ist ähnlich gestrickt und bleibt letztendlich die ergreifendste Nummer des Albums; auch 'Economies Of Scale' und 'Time Is Running Out' sind abgesehen von ihren nervösen elektronischen Beats typisch Wilson, was die Melodieführung und melancholische Stimmung betrifft, und unterm Strich im Verhältnis zum Rest geradezu kommerziell, auch wenn man diese Gesten zu keinem Augenblick als Anbiederung deuten würde.

Das brodelnde 'Beautiful Scarecrow' tönt hingegen mit wenig Gesang und viel basslastiger Elektronik wie ein Soundtrack zu einem düsteren Blockbuster-Film und erhält in Form von 'Brutal Actual Facts' ein kompakteres Pendant. Ebenfalls auf der anderen Seite des kompositorischen Spektrums vernimmt man Ideenfetzen, die einfach ausgeblendet werden, um tonal, rhythmisch und klanglich neu woanders anzusetzen - beispielsweise im betont synthetischen 'Inclination', das sich letzten Endes zu einem Vokalstück mit Schreibmaschinen-Getacker nicht unähnlichem Stakkato-Groove zu dahingetupften Keyboard-Tönen mausert, oder während des fast elfminütigen und umgekehrt fast rockig erdigen 'Impossible Tightrope', das neben einem entrückten Chor auch zünftige Jam-Passagen mit wildem Saxofon enthält - as proggy as it gets, ob's dem Szene-Verächter selbst passt oder nicht.

Das Titelstück schwillt dementsprechend "schulmeisterlich" über fast zehn Minuten hinweg zu weiblichem Sprechgesang und repetitiven Keyboard-Arpeggien an und ab. Das abschließende 'Staircase' - wieder neuneinhalb Minuten schlägt in eine vergleichbare Kerbe und strotzt vor instrumentalem Einfallsreichtum (allein die verschlungenen Basslinien sind ein Hinhörer) und lässt die Platte nachgerade entspannt beziehungsweise verhalten positiv enden.

Die 2CD/Blu-ray-Edition des Albums enthält mit "Harmonic Distortion" eine 77-minütige Alternativ-Interpretation der Songs von den Manic Street Preachers, Roland Orzabal (Tears For Fears), Mikael Åkerfeldt (Opeth), Interpol, Meat Beat Manifesto, Faultline und Radiophonic Workshop. Dieses Material liegt nicht zur Besprechung vor.

FAZIT: Auf "The Harmony Codex" kann sich STEVEN WILSON in puncto verrückter Unberechenbarkeit beinahe mit Devin Townsend messen, auch wenn man ihn in diesem Leben vermutlich nicht mehr (im Gegensatz zu dem Kanadier) mit irgendwie humorvoller Musik aufwarten sehen wird. Auch deshalb ist die Platte mehr als jede der vorangegangenen Konzeptmusik respektive reine Klangkunst, die als Ganzes betrachtet werden und wirken muss. Potenzielle Wilson-"Hits" finden sich hier nicht. Dessen ungeachtet wirkt das Album viel mutiger als das letzte von Porcupine Tree, das sich nach anfänglicher Begeisterung schnell abnutzte; ob sich "The Harmony Codex" analog zu Wilsons Chuzpe als langlebig herausstellt, müssen wir abwarten, während wir weiter lauschen.

Aber vielleicht noch einmal zurück zu seinen mitunter anmaßenden Äußerungen in der Presse: Steven, du tust gut daran, nicht selbst an die Kultfigur zu glauben, zu der Fans (und Verächter) dich verklärt haben. Sei dir selbst wichtig, statt Geltung bei anderen zu heischen, indem du sie unnötigerweise vor den Kopf stößt.

Andreas Schiffmann (Info) (Review 5204x gelesen, veröffentlicht am )

Unser Wertungssystem:
  • 1-3 Punkte: Grottenschlecht - Finger weg
  • 4-6 Punkte: Streckenweise anhörbar, Kaufempfehlung nur für eingefleischte Fans
  • 7-9 Punkte: Einige Lichtblicke, eher überdurchschnittlich, das gewisse Etwas fehlt
  • 10-12 Punkte: Wirklich gutes Album, es gibt keine großen Kritikpunkte
  • 13-14 Punkte: Einmalig gutes Album mit Zeug zum Klassiker, ragt deutlich aus der Masse
  • 15 Punkte: Absolutes Meisterwerk - so was gibt´s höchstens einmal im Jahr
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Wertung: 11 von 15 Punkten [?]
11 Punkte
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Tracklist:
  • 1. Inclination
  • 2. What Life Brings
  • 3. Economies Of Scale
  • 4. Impossible Tightrope
  • 5. Rock Bottom
  • 6. Beautiful Scarecrow
  • 7. The Harmony Codex
  • 8. Time Is Running Out
  • 9. Actual Brutal Facts
  • 10. Staircase

Besetzung:

Alle Reviews dieser Band:

Interviews:
  • keine Interviews
Kommentare
Peter
gepostet am: 23.09.2023

Denke auch, dass sich Wilson irgendwann selbst verloren hat und selber nicht weiss wo er hin will. Irgendwie will er ein Popstar werden, merkt aber nicht, dass er dafür Jahrzente zu alt ist.
Andreas Beckmann
gepostet am: 29.09.2023

User-Wertung:
7 Punkte

Die Chance mit diesem Albumnamen an das herausragende Harmony Korine anzuknüpfen wurde vertan. Durch zu viele Stile hat sich ein insgesamt stilloses und belangloses Gedudel gebildet. Die letzten vier Tracks holen ein wenig was raus, sonst bleiben nur Sequenzen. Produziert ist das ganze Ding einwandfrei, aber im Gehörgang wird sich das nicht festsetzen.
Andreas Beckmann
gepostet am: 29.09.2023

User-Wertung:
7 Punkte

Die Chance mit diesem Albumnamen an das herausragende Harmony Korine anzuknüpfen wurde vertan. Durch zu viele Stile hat sich ein insgesamt stilloses und belangloses Gedudel gebildet. Die letzten vier Tracks holen ein wenig was raus, sonst bleiben nur Sequenzen. Produziert ist das ganze Ding einwandfrei, aber im Gehörgang wird sich das nicht festsetzen.
Andreas Beckmann
gepostet am: 29.09.2023

User-Wertung:
7 Punkte

Die Chance mit diesem Albumnamen an das herausragende Harmony Korine anzuknüpfen wurde vertan. Durch zu viele Stile hat sich ein insgesamt stilloses und belangloses Gedudel gebildet. Die letzten vier Tracks holen ein wenig was raus, sonst bleiben nur Sequenzen. Produziert ist das ganze Ding einwandfrei, aber im Gehörgang wird sich das nicht festsetzen.
J
gepostet am: 17.11.2023

Kann noch keien Wertung abgeben, denn man merkt, dass das Album Zeit braucht.

Ich denke nicht, dass man irgendwann prinzipiell zu alt ist um gute Popmusik zu machen, allenfalls Stimme und Aussehen könnten mit dem Alter zum Problem werden, aber davon ist Steven Wilson noch weit entfernt.

Ich denke auch, dass das aktuelle Album der Beweis ist, dass er gar kein Popstar werden will (das hätte man nach den letzten beiden Alben noch denken können).

Ich glaube aber schon, dass er aktuell klingende Musik machen will. Da war er in den 2000er Jahren mit PT nah dran, im Moment eher nicht so. Die letzten beiden Alben gehen aber in die richtige Richtung, vielleicht bringt er irgendwann sogar wieder ein Album, das den musikalischen Zeitgeist versteht und sich darin einfügt.
(-1 bedeutet, ich gebe keine Wertung ab)
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