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Kuhn Fu: IX Tantalos (Review)
Artist: | Kuhn Fu |
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Album: | IX Tantalos |
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Medium: | CD/Download/10"Vinyl/Vinyl-EP/LP+DL-Code | |
Stil: | Avantgard, Jazz, Progressive Rock, Funk |
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Label: | Berthold Records | |
Spieldauer: | 22:08 | |
Erschienen: | 23.06.2023 | |
Website: | [Link] |
Schon der erste Blick auf das Cover der neuen Mini-LP von KUHN FU verwundert garantiert jeden, der bereits von dem jazz-rockigen KUHN FU-Virus angesteckt ist, der sich permanent verbreitet und mutiert, weil die experimentellen Ideen eines Christian Kühn sich knackig genau dort breit machen, wo gerade nur die Lücken zwischen den Stühlen sind. Der Mann ist einfach nicht berechenbar. Und genau das macht KUHN FU zu etwas Besonderem, das durchaus bei vielen Jazz-(Rock-)Freunden zur 'ohralen Suchtgefahr' führen kann. Selbst Kritiker könnten davon angesteckt werden.
In Zeiten, in denen einem mit einer Laufzeit von gut 20 Minuten auf Vinyl die Scheiben schon als Longplayer verkauft werden, ist es durchaus bewundernswert, dass KUHN FU bei den gut 22 Minuten Laufzeit von „Tantalos“ nicht auf diese Vinyl-Karre mit aufspringen, sondern von Vinyl-Format und -Größe (10“) her eindeutig anzeigen, dass wir es hier mit einer EP bzw. Mini-LP zu tun haben.
Doch nicht nur die LP-Größe ist für die besonders breit mit Bläsern aufgestellte deutsche Band neu, auch das Cover weicht deutlich von den sonst sehr satirisch und oftmals grellbunt gestalteten Bildern der LP-Vorgänger ab.
Volle Absicht, wie mir Christian Achim Kühn persönlich bestätigte und gleich als Grund mit nannte, dass er bei dem diesmal großen Musik-Ensemble gerne ein figurativeres und von einer anderen Künstlerin gestaltetes Cover haben wollte: „Ich dachte mir, etwas Abwechslung schadet nicht, da die Musik diesmal auch etwas anders ausgefallen ist.“
Ganz genau! Das ist keine reine 'Jazz-Punk-Psychedelia' mehr – eine Bezeichnung, auf die Christian Kühn ja immer großen Wert legte – sondern Avantgarde-Prog-Rock-Funk-Jazz. Und zwar der allerersten Güteklasse, gänzlich in Perfektion dargeboten und produziert. Der Geiste eines ZAPPA vereint mit CAPTAIN BEEFHEART schwebt über jedem einzelnen Stück, um das sich mehr die Rock-Lianen ranken, auf denen sich eiskremliebende Krähen genauso wie heiße Ratten einnisten.
Aber im Falle des umtriebigen Gitarristen Kühn, der sich so gerne mit jeder Menge Bläser umgibt, sollte man auch – zumindest bei „Tantalos“ – ein wenig Ahnung von griechischer Mythologie haben. Denn auch bei diesem Hintergrund erklärt sich das Cover mit den beiden Händen, die sich kratzend zu befreien versuchen. Vielleicht hat der Eine oder die Andere ja schonmal etwas von den 'Tantalosqualen' gehört, die für unerträgliches, nie enden wollendes Leid (und Mordlust) stehen. Denn besagter Tantalos hatte sich – was einem auch in der heutigen Zeit noch immer nicht gut bekommt, wenn man trotz aller Beweise noch immer nicht tolerieren will, dass eine von katholischen Würdenträgern missbrauchte Musikerin beispielsweise in aller Öffentlichkeit völlig gerechtfertigt ein Papst-Bild zerreißt – mit den Göttern angelegt, weil er ihnen bei einem Gastmahl ausgerechnet ihre 'Götter-Nahrung' Nektar und Ambrosia klauen musste und noch dazu einen 'Goldenen Hund' mitgehen ließ und ohne deren Wissen ihnen später sogar seinen eigenen jüngste Sohn als Festmahl anbot. Der Fluch über ihn ließ daraufhin nicht lange auf sich warten und er und seine Nachfahren sollten in der eigenen Familie mordend und alles vernichtend ihr Heil suchen sowie dauerhafte Schuld auf sich laden. Klingt verdammt schrecklich – ganz im Gegenteil zur Musik auf „Tantalos“. Die ist aber zumindest so komplex und natürlich manchmal auch verstörend wie die Geschichte hinter dem Stammvater der Tantaliden, der diesem Album seinen Namen verlieh.
Genauso schaurig wie die Götter-Saga gestaltet sich dann auch der Titeltrack als Album-Opener. Ruhig, verhalten und harmonisch mit Gitarre und Trompete beginnend, während dann – ebenfalls noch die Harmonie wahrend – die weiteren Bläser einsetzen, bis es mit dem ersten Schlagzeugtakt und einem an FRIPP erinnernden Gitarrenriff deutlich druckvoller, aber immer noch die Harmonien haltend, wird. Das tantalossche Grauen in Form der ersten schrägen Takte deutet sich an, wird aber durch eine ausgiebiges Bass-Solo wieder zurückgefahren, bis dann das Saxofon freejazzig explodiert und der Fluch aller Götter eingeblasen wird. Nun wird’s tatsächlich schräg. Alle anderen Instrumente springen auf den improvisiert erscheinenden (aber trotzdem eindeutig durchkomponierten) Avantgarde-Trip der Extraklasse auf und durchbrechen die Schallmauer. Wahnsinn! So klingt wohl auch Mord und Totschlag – und zwar perfekt in Szene gesetzt, eine Szene, zu der ein Shakespeare mit seiner massenmordenden Weltuntergangsdramatik die Regie hätte führen können...
Und dass der so avantgardistisch und verrückt eingestellte Herr Kühn nicht nur Fu sondern auch (mindestens) bis 8 zählen kann (Was vielleicht auch daran liegt, dass ihn sage und schreibe genau acht Musiker auf diesem Mini-Album in Riesen-Besetzung begleiten!), während ihm dabei einerseits rockanarchische Klänge begleiten oder ihm ordentlich (rein instrumental) einer geblasen wird, beweist er dann mit dem letzten extrem schrägen, dafür aber (alle schräg eingestellten Musik-Zeitgenossen) umso mehr begeisternden (hoffentlich nicht schokoriegelwerbenden) „Kit Kat Kuhn“.
Ein Highlight für alle offenohrigen Schokoschnuten, die nach Musik suchen, welche gleichermaßen die Jazz- wie die Rock-Szene revolutionieren könnte.
Wer mit „Tantalos“ als Freund zappaesker Klangwelten von Rock bis Jazz und allem dazwischen nicht warm wird, der sollte sich verdammt vor dem Fluch der KUHN FU-Götter vorsehen…
FAZIT: Verdammt zu ewigen Qualen! Das ist jedenfalls der griechischen Mythologie nach Tantalos (lateinisch auch als Tantalus bekannt), weil er unbedingt die Götter bei einem Festmahl beklauen und dann zum traurig-bedrückenden Ausgleich ihnen auch noch seinen jüngsten Sohn als gut zubereiteten Leckerbissen unterzujubeln versuchte. Ein herrliches Thema für die Filme eines Peter Greenaway – aber eben auch die Musik der grandiosen Avantgard-Jazz-Progressive-Rock-Funk-Vereinigung KUHN FU unter Federführung von Christian Kühn, der es diesmal auf „IX Tantalos“ mit gleich neun Musikern – von denen zwei Drittel ausschließlich als Bläser aktiv sind – ganz groß angeht, auch wenn am Ende eine nur 'kleine' LP (10“-Vinyl) dabei herauskommt, deren musikalische Größe man gar nicht genug loben kann. Avantgarde-Prog-Rock-Funk-Jazz vom Feinsten – so dargeboten, dass es selbst einen ZAPPA auf seiner Wolke ziemlich durchschütteln müsste. Und wer sich schon aus nostalgischen Gründen und seiner Retro-Leidenschaft für die Mini-LP entscheidet, der bekommt gleich noch ein Kärtchen, das im großartigen Stil des sehr gelungenen LP-Covers gestaltet ist, samt DL-Code mit dazu. Genau so muss Musik klingen, die als Konzept ein qualvolles Thema zum Inhalt hat, aber für den Hörer der pure Genuss ist.
- 1-3 Punkte: Grottenschlecht - Finger weg
- 4-6 Punkte: Streckenweise anhörbar, Kaufempfehlung nur für eingefleischte Fans
- 7-9 Punkte: Einige Lichtblicke, eher überdurchschnittlich, das gewisse Etwas fehlt
- 10-12 Punkte: Wirklich gutes Album, es gibt keine großen Kritikpunkte
- 13-14 Punkte: Einmalig gutes Album mit Zeug zum Klassiker, ragt deutlich aus der Masse
- 15 Punkte: Absolutes Meisterwerk - so was gibt´s höchstens einmal im Jahr
- Seite A (11:23):
- Tantalos (8:30)
- Mustapha Bronco (2:53)
- Seite B (10:45):
- Slacker's Fanfare (1:57)
- Shattered (3:54)
- Kit Kat Kuhn (4:54)
- Bass - Esat Ekincioglu
- Gesang - Christian Achim Kühn
- Gitarre - Christian Achim Kühn
- Schlagzeug - George Hadow
- Sonstige - Kelly Odonohue (Trompete), Edith Steyer (Saxophon, Klarinette), John Dikeman, Sofia Salvo (Saxophone), Jason Liebert (Posaune, Sousaphone), Ziv Taubenfeld (Bass-Klarinette), Luca Marini (Percussion), Ignaz Schick (Turntables)
- Kuhnspiracy (2017) - 13/15 Punkten
- Chain The Snake (2019) - 12/15 Punkten
- Jazz Is Expensive / Live in Saalfelden (2022) - 10/15 Punkten
- IX Tantalos (2023) - 13/15 Punkten
- Katastrofik Kink Machine (2024) - 14/15 Punkten
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