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Interview mit SpiRitual (14.10.2006)
Stefan Hertrich war bis vor kurzem noch der Kopf der süddeutschen Gothic-Metaller Darkseed und stellt mit SpiRitual nun das Debüt seines Ethno-Metal Projektes vor, das er als Weiterführung des vor einigen Jahren angedachten Konzeptes von Betray My Secrets verstanden wissen will. Ein Gespräch über Musik, Kultur und Musikkultur.
„Pulse“ ist ein erstaunlich gleichförmiges Album geworden, obwohl durch die ethnischen Elemente ein breiter gefächerter Sound möglich wäre. Wolltest du die Songs bewusst homogen halten?
Die Integration exotischer Musikelemente kann schnell zu einem Wirrwarr führen, es sollte in erster Linie ein Metal-Album sein und kein wildes Ausleben fremdartiger Musikelemente. Es war sehr viel Arbeit, die ganze Sache homogen wirken zu lassen, da doch recht viele Flöten, ethnische Gesänge und Percussion eingebaut wurden. Dennoch habe ich mir den „Luxus“ gegönnt, nicht auf catchy Songstukturen zu achten, sondern auch mal verspielte Neun-Minuten-Songs zu machen, egal ob sie fürs Radio, für Sampler oder was auch immer geeignet sind. Ich habe mir die Herausforderung gestellt, einfache Songs zu machen, die dennoch nicht nach Schema F ablaufen und auch mal zwei Minuten lange Gitarrensolos beinhalten.
Andererseits sind die Titel überwiegend recht lang geraten, wobei sich die Abwechslung vornehmlich auf die Dynamik zwischen harschen Passagen mit deiner Stimme und dem weiblichen Gesang sowie die exotischen Instrumente beschränkt. Mir erscheint das zu wenig, zumal die Stimmung zwischen den Stücken nicht sonderlich variiert.
Ich gehöre nicht zu den Leuten, die zwanghaft versuchen, ein bis zwei Hits für Magazinsampler zu schreiben und den Rest des Albums so zu gestalten, dass die Magazine schreiben können ‚Das ist ja abwechslungsreich’, aber dem Fan nicht besonders viel geben. Ich weiß in etwa, welchen Stil und welche Stimmung die Fans von mir erwarten, und versuche, das in vielen Songs umzusetzen. Da ich etwa Balladen nicht mag, werde ich auch keine machen. Ich brauche auch keinen Producer, der an meinen Songs rumfeilt, um sie vielleicht massenkompatibler oder abwechslungsreicher zu machen - ja, das gibt es nicht nur im Pop, sondern auch im Metal bei den größeren Bands.
Als jemand, der die Gothic-Metal-Welle der Neunziger miterlebt hat. Wie bewertest du den Bedeutungswandel, den die Bezeichnung im Lauf der Jahre durchgemacht hat? War die Szene damals kreativer als die Bands, die heute unter diesem Banner firmieren? Ich finde auch, dass Darkseed ihren Höhepunkt schon recht früh in der Mitte des letzten Jahrzehntes hatten.
Ich fand die Neunziger super spannend, weil plötzlich so viele neue Dinge aufkamen: Keyboards, Frauengesang, und so. Alles war noch sehr übersichtlich; neue Releases hat man aufgesaugt, und die Bands ließen sich mehr oder weniger an einer Hand abzählen. Das war schon irgendwie toll. Ich vermisse heutzutage diese klare Struktur, es gibt einfach zu viel von allem. Das habe ich bei SpiRitual schmerzlich erfahren müssen. Ich habe ja zuerst versucht, das Album selbst zu releasen - aber keine Chance; du bekommst als nicht-etabliertes Label kaum Vertriebsmöglichkeiten, generell wurde das Album trotz super Bewertungen nicht wahrgenommen, weil es einfach zu viel gibt. SpiRitual war nur ein Bandname auf einer Liste mit 1000 anderen Bands. Glücklicherweise ändert sich das jetzt durch die gute Arbeit von Sensory Records.
Darkseed waren Mitte der Neunziger recht aktiv, das ist richtig. Mittlerweile konzentrieren sich die einzelnen Mitglieder aber eher auf andere Projekte. Darkseed hat uns allen viele Türen geöffnet, und interessanterweise ist das 2005er Album „Ultimate Darkness“ vor allem bei jungen amerikanischen Fans beliebter als alle Platten davor. Man muss allerdings weitergehen, und daher habe ich mich für einen Schwerpunkt auf SpiRitual und Shiva In Exile entschieden.
Wie bist du an Sensory gekommen, die eigentlich eher im Prog-Metal-Bereich bekannt sind. Scheinbar haben sie mit Sensory Dark eigens ein Sublabel für SpRitual gegründet.
Sensory sind zufällig auf die Website gestoßen - Löblich, dass es noch Labels gibt, die aktiv nach Bands suchen, anstatt sich nur ein paar eingesandte Bänder anzuhören. Dieses Label ist an allem interessiert, was anders klingt und nicht unbedingt kommerziellen Erfolg verspricht. Daher war dieses Label die richtige Entscheidung für mich, zumal es für europäische Bands schwer ist, in Amerika Fuß zu fassen. Sensory als amerikanische Plattenfirma hat mehr Möglichkeiten...Ist natürlich cool, dass ich der erste Release auf Sensory Dark bin.
Planst du weitere Alben in regelmäßiger Folge, und wird sich die Musik entwickeln? – ich persönlich finde, dass deine klare Stimme dem Material besser steht als die aggressive. Werdet ihr Livekonzerte spielen?
Vielleicht werde ich 2007 ein neues Album basteln, aber das werde ich wohl recht spontan entscheiden und vielleicht in der Tat mehr cleanen Gesang einbauen, wobei mir das Geschrei schon recht gut gefällt. Das Debüt ist recht orientalisch angehaucht, ich könnte mir beim nächsten Album einen indianischen Touch vorstellen. Konzerte sind nicht geplant - einfach zu viel technischer und personeller Aufwand, aber sag niemals nie…
Die Widmung im Booklet geht an einen nepalesischen Perkussionisten, dem du für seinen Beitrag zu Shiva In Exile dankst. Wieso hast du mit diesem Projekt eigentlich abgeschlossen, wenn SpiRitual eine ähnliche Richtung verfolgen? Das gilt gewissermaßen auch für Betray My Secrets.
Shiva in Exile läuft nach wie vor weiter. Nach einer dreijährigen Pause arbeite ich nun am zweiten Album. Die Richtung ist SpiRitual wirklich ähnlich, allerdings komplett ohne Gitarren und ohne Geschrei, also eher Ethno-Gothic als Ethno-Metal. Aus Betray My Secrets ist sozusagen SpiRitual geworden, daher gibt es nur noch SpiRitual und Shiva In Exile.
Ich zitiere ein Interview mit dir im Metal Hammer 4/97: „Mir ist klar, dass die Leute in meiner Musik etwas von mir wahrnehmen werden, und ich möchte, dass dieses Etwas meinen Vorstellungen über mich entspricht. Insofern bin ich schon eitel.“ – was also erfahren wir aus „Pulse“ über dich?
Wow, das ist ja lange her - Respekt, dass du das auftreiben konntest! Mit Sicherheit haben die Texte teils autobiographische Züge. Ich bin Musiker und mache noch andere Dinge freiberuflich, habe dadurch kein geregeltes Leben, aber ein erhöhtes Auf-die-Schnauze-fallen-Potential, weil immer wieder etwas nicht so läuft wie es soll. In so einem Leben gibt es wahnsinnig viele Ups and Downs. Dadurch konnte ich sehr viel Erfahrung sammeln: Wie geht man mit Niederlagen um? Wie sieht man Niederlagen im nachhinein, und waren sie rückwirkend betrachtet überhaupt so schlimm, wie man dachte? Wie kam es zu diesen Niederlagen? - Erstaunt stellte ich fest, dass viele Bücher in diesem Bereich genau auf das gleiche Ergebnis kommen wie ich. Ob es religiöse Bücher sind, Management-Motivationsbücher, Esoterik oder Psychologiekram: Erstens, wir fassen Niederlagen falsch auf. Das merkt man daran, dass man im Nachhinein oft darüber lachen kann. Sie sind kein Weltuntergang, so wie man es im Moment denkt. Wir tricksen uns da selbst mit dem Gehirn aus. Zweitens, durch Niederlagen öffnen sich immer neue Türen. Drittens, viele Niederlagen sind vorprogrammiert, weil wir zu viele Ängste haben und zu wenig im Leben riskieren und uns vor Entscheidungen drücken. Ich kann das in diesem Interview natürlich nicht ausführen, aber das sind grob die Eckpfeiler.
Du bist auch bei Darkseed musikalischer Strippenzieher. Warum möchtest du nicht alle deine Vorstellungen unter einem Bandnamen verwirklichen?
Ich bin kürzlich nach 14 Jahren bei Darkseed ausgestiegen, allerdings ohne viel Trara, weswegen es die wenigsten mitbekommen haben. Es war in der Tat einfach zu viel und zu verwirrend. Drei Bands, dazu noch zwei Ex-Bands - da musste einfach mehr Klarheit und mehr Fokus rein. Daher konzentriere ich mich jetzt voll und ganz auf SpiRitual und Shiva In Exile, wobei eventuell auch nicht-musikalisch nächstes Jahr etwas ansteht, aber mehr dazu, wenn’s so weit ist.
Inwieweit tragen deine jeweiligen Mitmusiker zu den Alben bei? Hast du eine organische Bandkonstellation je in Betracht gezogen, um die Musik durch die anderen Ideen und Blickwinkel farbiger zu gestalten? Verhindert die angesprochene Eitelkeit das?
Ich bin sehr interessiert an der Zusammenarbeit mit anderen Musikern. Das sieht man ja bei SpiRitual: mehr als zehn Gastmusiker haben mitgemacht, wofür ich sehr dankbar bin, da ich das alleine gar nicht geschafft hätte. Die Zusammenarbeit ist perfekt gelaufen, und mit Yana, der russischen Sängerin, schreibe ich mittlerweile sogar zusammen Songs für Shiva In Exile. Ein richtig festes Line-Up würde nur Sinn machen, wenn auch Konzerte anstehen würden, aber das kostet alles wahnsinnig viel Geld. Die Sängerin lebt in Russland - wie will man da proben und Musiker finden, die ganz bestimmte Instrumente spielen können und sich in den Tourbus setzen würden, natürlich mehr oder weniger ohne Bezahlung? Da sehe ich im Moment kaum Möglichkeiten. Sicherlich wäre ein festes Line-Up der Abwechslung in den Songs dienlich, aber da wären wir wieder bei einer der vorherigen Fragen, ob das für den Fan wirklich sein muss. Bei „Pulse“ waren es hauptsächlich Instrumental- und Gesangseinlagen, die ich in die Songs integriert habe. Vielleicht gibt es in Zukunft aber eine intensivere Zusammenarbeit mit anderen Musikern.
Wie passen die recht positiven Texte zur überwiegend dunklen Musik?
Ob die Musik dunkel ist oder nicht, liegt im Auge und Ohr des Betrachters und Hörers. Ein New-Age-Sandalenträger wird das Album als absolut dunkel bezeichnen, ein Grindcore-Fan wird sagen, das Album sei viel zu fröhlich. Es gibt düstere Momente, aber auch sehr erlösende, beispielsweise im Videoclip-Song „Pulse“. Die Musik ist energetisch und impulsiv - Das ist mir wichtig. Ob sie einen dunklen oder hellen Touch hat, ist nebensächlich. Die Energie zählt, und die Texte können Hoffnung geben. Musik kann eine Flucht aus der Realität sein, aber auch eine Hilfe in der Realität. SpiRitual kann beides sein. Ethno-Metal als Flucht, die Texte als Hilfe – ganz wie man mag.
Denkst du wirklich, dass Musik einen Menschen verändern kann, wie du es in der Multimedia-Sektion der CD ansprichst? Was sollte „Pulse“ im Hörer bewegen - außer der im Booklet angedeuteten „aggression with a smile“?
Nicht Musik an sich, aber die vermittelte Stimmung. Das können auch PC-Spiele sein, Literatur oder Filme. Optimismus hat man nicht immer einfach so; das muss man lernen, und es muss sich festsetzen. So etwas geht nicht, wenn man immer nur ein negatives Umfeld hat, da man dann in einem Denkmuster stecken bleibt. Ich habe in den letzten Jahren so viele Leute verschiedenen Alters und aus unterschiedlichen Kulturkreisen kennen gelernt, die diesen Optimismus haben und über sich hinausgewachsen sind, egal in welcher verzweifelten Lage sie waren. Ich habe daraus viel für mein eigenes Leben gelernt und diese Ansichten irgendwie aufgenommen. Trotzdem spiele ich gerne düstere Adventures oder höre mir manchmal den übelsten Darkwave an, aber ich will nicht nur in diesem Muster leben und denken. Diese Menschen haben mir gezeigt, dass die Welt so ist, wie man sie selbst sieht. Sie ist nicht gut oder schlecht. Es kommt auf die Brille an, durch die wir die Welt betrachten, und dadurch kann man viel Potential in allen möglichen Dingen entdecken. Diese Erfahrungen waren mir wichtig, und ich will sie in den Texten von „Pulse“ vermitteln - daher „aggression with a smile“.
Du sagst auch, dass „negative“ Musik einen schlechten Einfluss auf Menschen haben kann, besonders solche, die durch negative Lebenserfahrungen ohnehin vorbelastet sind. Das erinnert mich an die Argumente derer, die harte Musik als Teufelswerk verdammen. Woran machst du das fest und glaubst du nicht eher, dass es mehr braucht, um eine Person an den Abgrund zu bewegen als nur die Musik?
Es gibt da interessante Forschungen. Man hat Wasser unterm Mikroskop beobachtet und die Wasserkristalle mit Musik und auch Worten beschallt. Je nach der vermittelten Emotion verändern die Kristalle ihr Aussehen, und „negativ klingende Musik/Worte“ kommen da nicht so gut weg. Es gibt dazu interessante Bücher vom Japaner Dr. Masaru Emoto. Die gleichen Versuche gibt es ja auch bei Pflanzen usw. Insofern bin ich mir sicher, dass zum Beispiel positive Musik den Menschen anders beeinflusst als düstere. Natürlich drückt düstere Musik die Emotionen mancher Hörer besser aus, und manchen Leuten gefallen einfach melancholische Sachen besser als fröhliche Sachen. Ich schließe mich da mit ein. Was allerdings bei einer – sagen wir 5 Stunden pro Tag - Beschallung mit düsteren Stimmungsbildern genau mit der Psyche passiert, mit den Energien in und um uns etc. nehmen wir gar nicht wahr. Wir nehmen sowieso viel zu wenig wahr; die Aura von Menschen ist beispielsweise Fakt, und ich kenne mehrere Leute, die sie sehen können, aber keiner beschäftigt sich damit – weder die Schule, noch die Medien.
Teufelswerk kann man das absolut nicht nennen, denn beide Seiten – Musiker und Fan – finden es ja gut, was sie machen und hören! Es wird niemand verführt oder was auch immer. Beide Seiten haben Spaß dabei, können sich dadurch ausdrücken und fühlen sich wohl, also ist’s für mich voll okay. Macht ja auch keinen Sinn, Klassik zu hören, wenn es einem nicht gefällt, oder Volksmusik
Im Übrigen sage ich in meinem Multimediatext ja nicht nur Schlechtes über düstere Musik. Der Metal kommt in dem Text sogar sehr gut weg, weil diese Musikart – da beziehe ich mich auf die vorhin angesprochenen Neunziger – sehr viel Eigeninitiative erlebt hat und vielen Menschen Erfüllung odereine Aufgabe gebracht hat und das sicherlich immer noch tut.
Andreas Schiffmann
(Info)