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Interview mit Avantasia (20.03.2013)

Avantasia

Sonntagmorgen, 4.05 Uhr. Das Interview mit Tobias Sammet beginnt. Und obwohl er schon 17 Interviews hintereinander gegeben hat, ist er immer noch gut gelaunt und redefreudig. Anlass ist die Listening Session zu "The Mystery Of Time", dem sechsten Album seines Metal-Oper-Projekts AVANTASIA. Dazu luden Nuclear Blast Musikjournalisten aus ganz Europa ein und jeder bekam seinen Interviewslot. Und selbst als Vorletzter hat man keinen Nachteil, wie die ungekürzten Aufzeichnungen des Gesprächs im Wortlaut belegen. Das nennt man dann wohl professionelle Souveränität.

Hallo Tobi. Warum gibt es eigentlich ein neues AVANTASIA-Album?

Das ist eine sehr berechtigte Frage. Äääh…

Ich war damals auf eurer Show in Wacken, die ja die letzte sein sollte…

Das war auch so gedacht.

Und warum gibt es trotzdem ein neues Album?

Ganz einfach, weil ich gemerkt habe, dass mir das fehlt. Das hat sich relativ schnell herauskristallisiert, wobei ich das dann nicht direkt als AVANTASIA gesehen habe. Ich hab einfach wie andere Leute, wenn sie Abstand von etwas gewinnen müssen, vom Alltag, von der Routine oder wenn sie einfach nur ihrem Hobby nachgehen wollen oder nachdenken müssen, dann gehen die in den Wald oder wenn es ganz schlimm kommt und sie beruflichen Stress haben dann zwei Monate nach Tibet, um sich selbst zu finden. Ich will dann einfach kreativ sein. So im Herbst 2011 hab ich nach der EDGUY-Tour angefangen, so einfach so für mich im stillen Kämmerlein Ideen zusammenzutragen, da hab ich das aber noch gar nicht konkretisiert. Gute Songideen funktionieren ja für alles, was man macht, für EDGUY und auch für AVANTASIA oder auch für was ganz anderes. Das ist erst mal frei von irgendwelchen konkreten Plänen gewesen. Dann hab ich irgendwann, als wir Anfang 2012 mit EDGUY in England auf Tour waren, angefangen, die Geschichte zu schreiben. Einfach so eine Geschichte, so wie ich auch damals angefangen habe, die erste Avantasia zu machen. Und irgendwann, ehe ich mich versehen hatte, hab ich gedacht, du bist eigentlich wieder mittendrin, so was zu machen. Und das hat sich auch richtig und gut angefühlt.

Ich weiß auch, warum ich damals gesagt habe, dass das fertig war, ich hab das wirklich auch geglaubt. Im Nachhinein, als es von mir abgefallen war, als wir Wacken dann gespielt haben und diese ganze Verantwortung von meinen Schultern fiel, wenn man das mal ein bisschen pathetisch sagen will… ach, ich rede so viele Sachen auf einmal, ich rede erst mal fertig. Ich war dann plötzlich wieder mittendrin und habe gesagt, AVANTASIA zu machen, das wieder zu machen. Das Einzige, wo ich ein bisschen ein komisches Gefühl bei hatte, war, dass ich den Leuten vorher erzählt hatte, ich hör auf. Wie erzähl ich den Leuten jetzt, dass ich doch nicht aufhöre? Ach, ich erzähl es erst mal gar nicht. Deswegen hab ich das lange für mich behalten. Aber es ist ein ganz großer Unterschied ob du irgendwas machst, was jeder erwartet oder ob du einfach nur für dich Musik machst, jederzeit im Prinzip die Reißleine ziehen kannst, wenn du willst, weil keiner etwas erwartet. Ich hab dann irgendwann gedacht, dass du dich nicht dafür entschuldigen musst, dass du das machst. Wenn ich da Bock drauf habe, ist das ja meine Sache.

Ich glaube, ich hatte das vorher so gesagt, weil ich wirklich dachte, dass es für lange Zeit erst mal vorbei ist. Erstens ist es administrativ totaler Wahnsinn, mit AVANTASIA eine Tour zu machen, weil du alle Leute unter einen Hut bringen musst. Und dass das nicht so ohne weiteres klappt, das wusste ich, diese Erfahrung hatte ich vorher schon gemacht. Dass es jetzt so schnell doch wieder klappen würde, das ist einfach ein Zufall. Michi Kiske wird nicht touren, weil Kai mit GAMMA RAY unterwegs ist, Bob Catley hat gerade eine MAGNUM-Tour gemacht, die werden irgendwann im Herbst an einem neuen Album arbeiten, der wird auch nicht touren, Sascha sowieso nicht. Als feststand, dass es eine neue Platte gibt, haben alle gesagt "Lass uns das doch wieder machen". Und damals, als ich gesagt habe, dass ich das nicht mehr mache, ist der ganze Stress von mir abgefallen, den ich im Vorfeld gar nicht so als Stress empfunden habe, aber dann im Nachhinein, wenn du merkst, dass alles wieder gut gegangen ist – du stehst vor 80.000 Leuten auf der Bühne, größer kann man ja gar nicht abtreten – da dachte ich, dass ich mich jetzt 100%ig auf EDGUY konzentriere – was ich ja auch gemacht habe – aber als dieses Kind dann geschaukelt war, da dachte ich "Und was machst du jetzt?". Und dann fühlte es sich einfach wieder ganz natürlich an.

Aber diese Last nimmst du ja jetzt wieder auf dich mit dem ganzen organisatorischen Kram.

Das ist ja immer dieses Verführerische. In dem Moment, wo man damit anfängt, ist alles nur Spaß, da ist das keine Last. Ich geh einfach irgendwie in meinen Keller und bastele im stillen Kämmerlein an Songs. Jetzt ist es zu spät. Jetzt geht es wieder los und jetzt wird mir auch wieder bewusst, dass man das doch nicht im Spazierengehen macht. Die ganzen Arbeiten am Album waren relativ easy, das ist kein Stress. Ich muss mit niemandem Rücksprache halten, ich kann alles selbst entscheiden, ganz kurze Dienstwege. Das ist kein Riesenproblem. Natürlich wird es jetzt wieder mehr Arbeit werden.

Hast du jetzt mehr Erfahrung mit den Toursachen und kannst damit jetzt besser umgehen, ist es einfacher, jetzt so eine Tour mit den Leuten auf die Beine zu stellen?

Tobias Sammet, AvantasiaIch glaube, dass man vielleicht ein bisschen gelassener wird. Ein bisschen zu organisieren gibt es da schon, klar. Wir wollen drei Stunden spielen, wir wollen den Leuten was bieten und uns selbst auch was bieten, weil wir wissen, wie rar die Möglichkeiten sind, so was zu machen und zu wiederholen. Ich werde mich zwar nicht hinstellen und sagen, dass wir das nie wieder machen, aber ich kann mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass wir in der Konstellation, in der wir losfahren, wahrscheinlich nicht mehr so einen Zeitraum finden, in dem alle können und so wird es das in der Form auch nicht mehr geben. Das ist alles nicht so einfach wiederholbar.

Wer fährt mit?

In der Band Felix Bohnke natürlich, Sascha Paeth, Olli Hartmann und Miro, als Sänger Amanda Somerville, Olli sowieso auch, klar, Bob Catley, Michi Kiske, Eric Martin und noch eine Person, ein Mann, da kann ich aber noch nichts zu sagen, weil das noch nicht in trockenen Tüchern ist.

Was bedeutet dieses AVANTASIA-Ding für dich, ist das eine Liebe, die nie vergeht? Eine Art Sucht oder eine Krankheit, von der du nicht geheilt werden kannst?

Krankheit klingt schon negativ. Man muss sich das so vorstellen: Es ist ein wahnsinniger Luxus. Ich mach im Leben schon eh fast nur, worauf ich Bock habe, auch mit EDGUY, das ist ja schon ein Traum. Und wenn du dann von so einer Tour zurückkommst und dich dann auch noch so kreativ ausleben kannst, dass du Songs schreibt und dir überlegst, wer da singen könnte, wer würde da gut passen und mit den Leuten arbeitest, die dich selbst total beeinflusst haben, das ist einfach was ganz Großes. Du bist einfach dein eigener Herr in allen Dingen, du schreibst einen Song und sagst "Den muss Michi Kiske" singen und dann fragst du einfach Michi Kiske. Und dann schreibst du einen Song uns sagst "Och, Biff wäre auch cool" und dann singt Biff da. Und dann sagst du "Ich möchte ein Konzeptalbum machen, das eine verrückte Story hat" und dann schreibst du die Story einfach. Du fängst mit einem weißen Blatt Papier an und danach gibt es keine Grenzen mehr. Und das hast du auch mit keiner Band. Es hat Vorteile, dass du mit fünf eingespielten Leuten Musik machst, das möchte ich auch absolut nicht missen, aber es ist natürlich auch wahnsinnig geil, dass du diesen Luxus hast, mit einem weißen Blatt Papier anzufangen und das dann alles Drumherum aus dem Boden zu stampfen und aufzubauen, wie du das selber haben willst. Das macht schon unheimlich viel Spaß.

Du hast gerade den Michael Kiske erwähnt. Warum muss er eigentlich immer die schnellen und relativ einfachen Songs singen?

Einfach sind die jetzt nicht…

Gut, aber die sind meist eingängiger und nicht so komplex, wie andere Songs, sondern eher so "straight-forward"-Nummern, die einem vielleicht deshalb einfacher vorkommen.

So habe ich das noch nie gesehen. Dass er diese Songs so singt, das liegt einfach einfach an meiner Vorliebe. Ich bin damals durch "Keeper Of The Seven Keys" zum Metal gekommen, durch "Eagle Fly Free". Da war mir klar, so muss so etwas klingen und nicht anders. AVANTASISA hat damit angefangen, dass ich mir meine eigenen Träume verwirklicht habe und die Songs geschrieben habe, die ich gerne hören möchte. Vielleicht ist das ja auch das Geheimnis des Erfolgs. Das sind Sachen, die ich gerne hören möchte und das ist, was ich beim Michi gerne hören möchte. Und bei mir macht der das auch anstandslos. Das ist toll. (lacht) Wir verstehen uns aber auch sehr gut, wir sind ja befreundet und ich finde es cool, dass er diese Sachen dann auch so geil umsetzt. Er ist halt einfach auf diesem Gebiet, ob er das hören möchte oder nicht, einfach eine Granate.

Das ist dann auch der Grund, warum Eric Martin, so eine Art Balladenfachmann, auch die Ballade auf dem neuen Album gesungen hat, oder?

Ich glaube, der kann alles singen, aber diese Ballade passte halt gut zu ihm. Er ist ein tierischer Sänger, der ist ein Weltklasse-Sänger, der Kerl. Als ich bei der Ballade seine Vocals das erste Mal gehört habe, habe ich auch gedacht, dass er wirklich ein Jahrhundert-Sänger ist, da gibt es nicht viele von diesem Format und diesem Kaliber, mit so viel Soul. Das muss man schon ganz neidlos anerkennen. Ich glaube aber, dass er auch jeden Rocksong so veredeln würde. Aber irgendwie habe ich ihn bei der Ballade in dieser Rolle gehört.

Wie kommt man auf ihn? Man weiß zwar, dass er ein geiler Sänger ist, aber MR. BIG sind ja nicht mehr ganz so groß und vielleicht hätte es auch andere Leute gegeben, die diesen Song gut hätten singen können. Dass du Eric Martin ausgesucht hast, ist schon eine kleine Überraschung.

Unter Sängern hat er auf jeden Fall einen tierischen Ruf. Eric Martin ist eben ein guter Sänger und das wissen auch alle Sänger. Den hat man schon auf dem Schirm als ganz außergewöhnlichen Sänger. Ich fand auch die letzte Scheibe von MR. BIG gut, diese "What if", die war ein ganz hervorragendes Comebackalbum und ich hab sie auch auf der letzten Tour gesehen. Letztes Jahr hatten wir auf der EDGUY-Tour einen Dayoff in Prag und wir haben gehört, dass an diesem Tag MR. BIG in der Stadt spielen und da bin ich hingefahren. Ohne irgendwelche Sachen im Hinterkopf, ohne Pläne. Dann war Eric aber krank und die Band hat zu dritt gespielt und die haben alle gesungen. Ich hab sie dann hinterher alle getroffen und hab auch noch eine DVD organisiert und hab gesagt "Hier, gebt die mal bitte Eric, kann er sich ja mal angucken". Ich hatte mir gedacht, dass man ja vielleicht irgendwann was machen könnte. Ich weiß nicht, ob er die DVD jemals gekriegt hat, aber ich habe ihn bzw. seine Managerin dann letztes Jahr mal angeschrieben und gefragt, ob er sich das vorstellen könnte und die hat "ja" gesagt. Ich fand, dass das gar nicht so weit weg war.

Ich glaube, man hat die Band oder den Sänger als Fan weniger auf dem Schirm, als man es vielleicht als Musiker hat. Er singt ja auch nicht sonderlich spektakulär, sonderlich hoch oder so, sondern einfach nur gut.

Vielleicht schon. Aber er ist wie gesagt eine echte Ausnahme, wie die ganze Band. Er hat früher aber auch extrem hoch gesungen, das fällt nur bei solchen Stimmen – das ist bei Dio ähnlich, der singt auch ziemlich hoch – oft nicht auf. Bei Geoff Tate früher hat man gemerkt, der singt hoch, aber es gibt auch Sänger, da merkt man das gar nicht so richtig, die singen das so vor sich hin und erst wenn man dann mitsingt, denkt man so "Alter Vatter, das ist aber doch schon ganz schön hoch". Und das war bei Eric Martin auch so.

Ich fand es erstaunlich, dass du auf dem neuen Album einen anderen Weg gegangen bist. Jorn Lande ist nicht mehr dabei, André Matos ist nicht dabei. War das beabsichtigt, neue Stimmen einzubringen, um der ganzen Sache auch ein bisschen frischen Wind zu geben?

Nee, aber das ist ein positiver Nebeneffekt. Es war so, dass ich Jorn letztes Jahr im Sommer gefragt habe und er gesagt hat, dass er in Zukunft weniger Zeit haben wird, weil er andere Pläne hat. Er hätte mir die Platte eingesungen, hat aber schon früh signalisiert, dass er aber bei der Tour nicht dabei ist. Ich habe mir dann gesagt, dass wir einmal komplett über Los gehen und das auch mal als Schnitt nutzen. Es hat ja AVANTASIA auch immer ausgemacht, dass immer auch etwas Unberechenbares und Neues passiert ist und dementsprechend dachte ich, dass das vielleicht auch ein Wink ist. Ich bin ja ein bisschen abergläubisch oder auch gläubig, dass gewisse Dinge einfach passieren, wie sie passieren müssen und dass vieles auch Bestimmung ist und nichts aus Zufall passiert, sondern so kommt, wie es kommen muss und deshalb sehe ich solche Sachen auch als Wink mit dem Zaunpfahl an. Und dann muss man auch mal sagen "Ok, dann machen wir jetzt was ganz anderes". Ich bereue es auch nicht, weil ich denke, dass es wirklich gut geworden ist, so wie es ist. Die Leute, die jetzt dabei sind, sind auch ganz hervorragend und es hat dadurch einfach eine neue Farbe.

Aber wenn du ihn schon gefragt hast, wirst du ihn ja auch für bestimmte Songs im Kopf gehabt haben. Sind das dann die Songs oder Passagen, wo jetzt Joe Lynn Turner singt? Oder musstest du dann umbauen?

Ich muss dazu sagen, dass ich schon so früh gefragt habe, wo es da noch gar nicht so weit war, das war im Prozess noch ein ganzes Stück weiter vorne.

Hattest du beim neuen Album den Wunsch, etwas anders zu machen oder grundsätzlich nur, die Sache weiterzuführen?

Avantasia "The Mystery Of Time" CoverEinfach nur weiterzuführen und gar nicht nach links und rechts gucken. Und auch gar nicht versuchen, das bewusst in eine Richtung zu trimmen, sondern einfach die Sache so zu machen, wie ich sie für richtig halte. Ich wollte einfach ohne Geschnörkel – also natürlich schon mit Geschnörkel – aber einfach nur eine Rockoper oder eine Metaloper machen. Ich finde den Begriff egal, da kann man keine Trennlinie ziehen. Ich wollte ein in sich schlüssiges Album machen und alles andere kam dann von alleine. Ich wollte mir einfach möglichst wenig Gedanken drüber machen. Wenn man schon so ein Hobby macht, dann will man sich dabei ja nicht auch noch den Kopf zerbrechen. Auch egal, ob das jetzt dem modernen Zeitgeist entspricht. Was mir ganz wichtig war, ich wollte ein organisches Album machen, auch wenn das gar nicht dem Zeitgeist entspricht. Ich wollte einfach, dass das echt klingt, ich wollte, dass da ein Schlagzeug drauf ist, das wie ein Schlagzeug klingt. Deshalb hab ich mir auch mit dem Russell einen ultradynamischen Schlagzeuger gesucht. Wir sind in ein relativ teures Studio gegangen, um die Drums aufzunehmen, weil wir einfach einen echten, fetten, aber eben auch organischen Sound haben wollten. Also nicht alles hinterher mit dem Kompressor plattmachen und dann noch ein paar Samples drauf, so dass du nichts mehr vom echten Signal hörst und Hauptsache es schindet in den ersten 20 Sekunden Eindruck. Viele Leute halten das, was einem heutzutage als Drums verkauft wird, ja wirklich für einen echten Drumsound und sagen, dass das richtig fett ist. Das sind so Macho-Drums und das hat überhaupt nichts mit Drums zu tun zum Teil. Hauptsache, es ist alles platt gemacht und das wollte ich halt nicht.

Wobei es da ja auch ganz klar den Trend zu den Retro-, Vintage, wie-auch-immer-Sounds gibt, wo neben den Gitarren die Drums ultranatürlich klingen. In die Richtung hast du aber nicht geschielt, oder?

Nee, das ist auch nicht so meine Baustelle. Wir haben andersrum angefangen, wir haben früher gesagt, wir wollen so klingen wie STRATOVARIUS, die haben so schön powervolle Drums. Das war zu dieser Zeit auch ein Novum, das war geil, so einen Sound damals zu haben. Aber irgendwann hab ich mir gedacht, dass das zwar alles wunderschön klingt, aber wenn ich im Proberaum stehe, klingt ein Schlagzeug einfach gar nicht so. Dann haben wir versucht, das Ganze ein bisschen echter, authentischer zu machen, aber dabei nicht um jeden Preis dem Analogwahn zu verfallen und alles auf Teufel komm raus möglichst krumm und schief und so aufzunehmen, wie man vor 30 Jahren aufgenommen hat. Das bringt ja auch nichts, weil die Bands vor 30 Jahren es ja auch nicht so gemacht haben, weil sie sich bewusst dafür entschieden haben, sondern die haben einfach ihre Möglichkeiten ausgeschöpft. Genauso sollte man heute seine Möglichkeiten ausschöpfen. Das heißt nicht, dass man alles zu Tode editiert und man jeden Ton perfekt gerade rückt, aber das heißt ja auch nicht, dass man sagt, wir spielen das jetzt nur dreimal, weil danach das Band durchgenudelt ist und wir es lieber so sein lassen. Dann kann man es auch sieben Mal einspielen und sagen, dass es jetzt richtig geil ist. Ich wollte einfach einen echten Sound haben, dass das darauf einfach echt ist und einfach geil klingt. Das ist natürlich auch Geschmackssache. Ich sag auch nicht, das eine ist richtiger, als das andere, aber ich wollte es so. Und deshalb auch das echte Orchester. Viele Leute werden keinen Unterschied hören, aber ich höre den Unterschied.

Doch, das hört man sofort. Wenn man viele Alben kennt, auf denen Orchestersounds drauf sind, finde ich, hört man das sofort.

Sascha war überrascht. Sascha hat auch schon viel mit echten Streichern und so gearbeitet und viel mit Miro, der wirklich geile Sachen aus der Konserve macht. Er hat aber hinterher gesagt, dass er das nicht gedacht hätte. Er hat vorher noch gedacht "Naja, wenn du es unbedingt machen willst. Das Geld kannste dir auch sparen". Aber ich wollte es unbedingt machen, für mich. Und dann hat Miro die ganzen Scores für das Orchester geschrieben und als es aufgenommen war, hat Sascha gesagt "Es tut mir leid, ich muss meine Meinung revidieren, das bringt total viel". Das bringt dem ganzen Sound extreme Tiefe.

Das war bei der letzten BLIND GUARDIAN ja auch schon so, die haben da den ersten und letzten Song mit echtem Orchester aufgenommen. Hast du die Sachen gehört und da gemerkt, dass das noch geiler mit echtem Orchester klingt?

Nee, ich kenne die Platte ehrlich gesagt nicht. Aber wir haben ja auch schon mit EDGUY auf der "Hellfire Club" mit einem echten Orchester gearbeitet und das fand ich damals schon sehr gut. Wir haben jetzt viele ruhige Orchestermomente und da fällt es extrem auf, gerade, wenn nicht so viel im Hintergrund passiert. Wenn da jetzt eine Band Vollalarm mit acht Gitarrenspuren in ICE-Lautstärke macht und das Schlagzeug ohne Ende ballert, dann wird es schon schwieriger, da die Unterschiede festzustellen. Aber wenn es eine sehr offene Produktion ist und viele Dinge alleine stehen oder oft Passagen sind, wo das Orchester sich entfalten kann und im Hintergrund nicht so ein Lautstärketeppich abgeht, dann hörst du den Unterschied. Ich dachte halt, wenn irgendwo ein echtes Orchester zugehört, dann zu AVANTASIA und deshalb habe ich das einfach gemacht.

Was hat der Felix dazu gesagt, dass er das Album nicht eingespielt hat?

Ich glaube, er fand das gar nicht so schlimm. Es ist ja relativ naheliegend, dass ich nicht den gleichen Drummer nehme. Live finde ich das super, aber im Studio wäre es sehr auffällig, weil der Felix einen sehr eigenen Stil hat und es wäre vom Drumming sehr nah an EDGUY herangerückt und das wollte ich. Ich wollte einfach einen Schlagzeuger, der vielleicht sogar aus einem anderen Genre kommt. Eric Singer wäre die naheliegendste Wahl gewesen, aber der war mit KISS auf dieser Sommertour mit MÖTLEY CRÜE. Dann hätte ich noch Alex Holzwarth fragen können, der aber auch eher aus dem klassischen Metalbereich kommt. Ich wollte aber einen Schlagzeuger haben, der klassischen Metal trommeln kann, aber eigentlich aus einem anderen Background kommt. Ich hatte Russell mal auf irgendeinem Konzert, wo wir mit URIAH HEEP gespielt haben, gesehen. Ich hab da am Bühnenrand gestanden und mir die ganze Show angeguckt, statt mich selbst fertig zu machen und stand da und war einfach nur begeistert von diesem Typen, der auf dieses arme Schlagzeug mit einer Dynamik und einer Wucht eingedroschen hat, dass ich gesagt habe, wenn ich irgendwann mal einen Schlagzeuger brauche, dann frag ich den.

Würdest du sagen, dass "The Mystery Of Time" alles vereint, was AVANTASIA bislang ausgemacht hat?

Tobias Sammet, AvantasiaJa, würde ich so sagen und hab ich heute auch schon öfter gehört. Es hat viele Elemente von den alten Sachen, die aber jetzt natürlich ein bisschen eleganter umgesetzt sind oder eben so, wie man es als 35-jähriger umsetzt und nicht wie damals als 21-jähriger. Aber das kann ich schon so unterstreichen, auch wenn das nicht die Intention war. Irgendwie ist das so in der DNA drin.

Was steckt hinter dem Konzept?

Das Konzept ist ein bisschen schwierig zu erklären.

Es geht um Zeit. In gewisser Art und Weise.

Ja, auch das. Wenn man es in ein paar Worten beschreiben will: Ich habe versucht, eine Geschichte zu schreiben, die einfach die Grundlage bildet für Gedankengänge, die ich habe und die ich in die einzelnen Songs packen kann. Um einfach Fragen in den Raum zu werfen und Gedanken, die Interpretationsspielraum lassen und den Hörer vielleicht zum Nachdenken bringen, wenn er das denn will. Ansonsten wollte ich einfach nur schöne Stimmungen schaffen, Stimmungen, die sich visualisieren, dass man gleich Bilder im Kopf hat. Die eigentliche Geschichte geht darum, dass ein agnostischer Wissenschaftlicher registriert, dass die Leute um ihn herum immer weniger Zeit haben und dass sie die Zeit als immer schneller vergehend wahrnehmen. Er hat das Gefühl, dass das vielleicht mit System passieren könnte, dass irgendetwas danach trachtet, dass Leute davon weggebracht werden sollen, die Zeit aufzubringen, sich um essenzielle Dinge und essenzielle Fragen an das Leben und ihre eigene Existenz  zu befassen. Er macht sich dann auf die Suche nach den Ursachen dafür und begegnet auf diesem Weg, der in gewisser Weise einen Lebensweg darstellt, mit diversen Gedanken und Charakteren konfrontiert und im Endeffekt setzt er sich in dieser Geschichte immer mehr mit den beiden Gegensätzen von Wissenschaft und Spiritualität im Zusammenhang mit Zeit und der Rolle, die die Zeit dabei spielt, auseinander und diese beiden Gegensätze nähern sich dann im Laufe der Zeit etwas an. Im Prinzip stellt er für sich fest, dass diese beiden Dinge zusammengehören und das ist so ein bisschen in ein Kriminalmärchen verpackt, das im viktorianischen England spielt. Die Geschichte wird auch noch weitergehen, es wird irgendwann ein zweiter Teil folgen. Aber am Ende diesen Teils der Geschichte ist der agnostische Wissenschaftler an einem Punkt angekommen, an dem er die Nichtexistenz einer höheren Kraft, man könnte es Gott nennen, ausschließt. Was ihn eigentlich nicht mehr zum Agnostiker macht. Wenn man ganz weit greifen will, könnte man sagen, dass es eine spirituelle Läuterungsschau ist, es zeigt so den Weg von diesem Typen auf und da kann man unheimlich viele interessante Aspekte und Gedanken hineinlegen. Das klingt ein bisschen abgespact, aber für mich macht das alles Sinn.

Und wie weit hat das eigene Älterwerden da mit reingespielt?

Gar nicht. Da hab ich wirklich kein Problem mit. Ich find das wunderschön, denn wenn ich nicht mehr älter werde, bin ich ja zumindest körperlich tot. Ich muss aber schon sagen, dass ich viele Sachen früher romantischer fand, vielleicht hat es insofern mit reingespielt, aber jetzt nicht insofern, dass man sich jetzt plötzlich mit der Endlichkeit des Seins auseinandersetzt, das mache ich eh schon immer. Natürlich spielt da auch mit rein, dass man ab und zu mal denkt: Was ist los wenn ich mal nicht mehr bin? Was mache ich, wenn ich diese Daseinsform hier irgendwann mal aufgeben muss, was kommt dann, wie geht das weiter? Ist unser Gehirn überhaupt dafür gemacht zu beurteilen, ob es irgendwie Gott gibt oder nicht oder sich anzumaßen, das ausschließen zu wollen oder überhaupt sich anzumaßen, das begreifen zu wollen. Das führt jetzt um die Uhrzeit wahrscheinlich auch zu weit, aber damit hat das eher zu tun, mit vielen solchen Gedanken. Ich setze mich auch mit dem Sterben auseinander in der Geschichte, aber das ist nicht das Zentrum der Sache und hat nichts damit zu tun, dass ich jetzt sage, dass ich jetzt auch ein Alter habe, wo ich mir langsam mal Gedanken machen sollte.

Andreas Schulz (Info)
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