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Interview mit Klaus Schulze (30.12.2008)

Klaus Schulze

Der Pionier der elektronischen Musik, Urgestein KLAUS SCHULZE, veröffentlichte unter SPV/Synthetic Symphony am 28.11.08 seine Live-DVD „Rheingold – Live At The Loreley“. Der Meister höchstpersönlich gab mir am Abend des 2.12. bereitwillig Auskunft über das Konzert, den Entstehungsprozess der DVD und die Sache mit der „Sensibilität für Musik“. Das Gefühl mit einem Musikprofessor zu reden, hatte ich glücklicherweise nicht. Dafür war Klaus Schulze natürlich wie immer sehr offen und gesprächsbereit…

Sie sind ja vor kurzem mit den Aufnahmen zu „Rheingold“ fertig geworden. Wie finden sie nun im Rückblick das Konzert? Wie war die Atmosphäre im Publikum?

Klaus Schulze - RheingoldDie Stimmung, was im Publikum passiert ist, die bekommt man ja erst mal gar nicht mit. Ich konnte damals auch nicht genau sagen, wie das musikalisch so gewesen war. Jetzt, wo ich die DVD sehe, kann ich aber sagen, dass das Konzert doch sehr gut geworden ist. Aber wenn man dann zu oft die DVD anschaut und das so auseinandergefuselt wird bei den Schnitten, fängt es an zu nerven. Man geht dann doch sehr analytisch ran, obwohl das eigentlich etwas sehr Emotionales ist. Das geht dann in eine verwaltungstechnische Aufgabe hinein, das ist doch nichts für mich.

Das eigentliche, künstlerische Material verliert dann natürlich dadurch seinen Wert, weil es irgendwann zum Arbeitsprojekt verkommt.

Das, was man dann erschaffen hat, wird zur Routine, das wird für mich natürlich irgendwann langweilig.

Die DVD wurde ja unter anderem im 5.1-Sound abgemischt. Inwiefern wirkt dadurch ihre Musik anders, welche Absicht steckt dahinter?


Eine DVD in der heutigen Zeit muss natürlich 5.1 haben. Aber als wir dann bei Peter Gabriel im Real World-Studio waren, da haben wir eben gemerkt, dass es dadurch transparenter wird, wenn man es in mehreren Punkten im Raum verteilen kann. In Stereo hast du bloß die Front. So aber kannst du sagen, der Chor oder die Streicher kommen von hinten, oder eine Sequenz läuft von hinten nach vorne. Aber auf der anderen Seite wusste ich natürlich nicht, ob sich der Aufwand wirklich lohnt, 5.1. zu machen. Es gibt aber anscheinend mehr Leute, als ich dachte, die sich das zu Hause über 5.1 anhören.

Es hat dann doch etwas Besonderes, da ihre Musik ja eine gewisse Räumlichkeit besitzt.

Natürlich, insofern bietet sich das dann an. Aber meine Musik wirkt auch dann räumlich, wenn sie in Stereo kommt, da hab ich so meine Tricks, damit das „in die Tiefe“ geht. Aber Surround ist dann doch noch mal eine Stufe höher. Ich habe aber mein Studio bisher noch nicht auf Surround umgestellt.

Das hat man ja schon bei der DVD gesehen, im Making-Of haben Sie bereits darüber geredet.

Ich konnte sie ja bisher zu Hause nicht in Surround anhören, ich habe immer noch keine Anlage dafür. Meine Frau hat jetzt bei ihrem Fernseher so eine Billiganlage bekommen. Aber da hab ich mir gesagt, dass ich mir es da nicht anhöre, auf so kleinen Boxen, so groß wie eine Zigarettenschachtel.

Sie scheinen ja auch sehr von Lisa Gerrard begeistert zu sein. Was macht diese Frau so besonders, dass sie gerade mit ihnen, Herr Schulze, singen durfte?


Sie ist ja nun auch sehr berühmt. Ich war früher großer Fan von DEAD CAN DANCE. Dann hatte ich mal den Film „Gladiator“ gesehen, da hat sie die Filmmusik mit Hans Zimmer zusammen gemacht. Ich habe mir gedacht, ich kontakte sie einfach mal, ob wir was zusammen machen. Als sie dann von ihrer Welttournee aus Russland zurückgekommen ist, da hat sie gesagt, sie käme einfach mal bei mir vorbei. Wir haben dann spontan im Studio probiert, was uns dann sehr gefallen hat. Als dann das Angebot für Konzerte kam, haben wir natürlich gleich zugestimmt. Mittlerweile haben wir ja auch in Lisa Gerrard (Dead Can Dance)Berlin und Warschau Konzerte gegeben, die werden immer besser.
Weißt du was bei der Frau so toll ist? Sie hat ihre eigene, unverständliche Sprache. Das ist für meine Musik natürlich super, weil ich eigentlich Texte hasse, da sie von der Musik ablenken. Lisa, sie ist für mich so etwas wie ein Instrument. Wenn du dir ihre letzte Soloplatte „Silvertree“ anhörst, wirst du auch das Gefühl haben, sie hat mit mir zusammen gespielt, weil das einfach so ähnlich ist. Wir müssen keine Kompromisse eingehen, jeder macht sein Ding und es passt einfach zusammen.

Da fällt mir eine interessante Parallele ein. Sie haben ja erwähnt, Lisa Gerrard habe in ihrem Gesang eine eigene „Sprache“ entwickelt. Bei SIGUR ROS ist dies der gleiche Fall. Auf ihrem Album „( )“ verwendet der Sänger eine uns nicht bekannte Sprache. Die Stimme wird auch hier mehr als Instrument verwendet.

Genau. Du hast immer diese Assoziation „da singt ein Mensch“, aber du hast keinen Text, dem du folgen musst, sondern du kannst mit deiner Phantasie den Inhalt in die Stimme legen. Für viele Leute, die dann nur unterhalten werden wollen, ist das natürlich langweilig.

Ein etwas anderes Thema: Sie gelten ja unter anderem mit Größen wie TANGERINE DREAM oder KRAFTWERK als Wegbereiter der Trance- und Technobewegung. Würden Sie sich als Pionier dieser Bewegung sehen?

Eigentlich weniger. Wir haben zwar zu der Zeit angefangen, elektronische Musik zu machen, wo es sie noch gar nicht gab – wir haben sie ja theoretisch „erfunden“ – aber die Technomusik von heute beruft sich zwar bedingt auf uns, ist aber eher im Nachhinein entstanden. Die haben das mal gehört, vielleicht auch mal als Intro hergenommen, aber haben sich dann in eine ganz andere Richtung entwickelt. Ich denke, die Techno/Trancebewegung hat uns mehr als „Trigger“ gehabt. Ansonsten lief diese Bewegung eigentlich parallel zu der unseren.

Weil wir gerade dabei sind, da Techno und ähnliches oft als „Unterhaltungsmusik“ gewertet wird: Es gibt ja diese Kategorien U- und E-Musik („Unterhaltungs-„ und „Ernste Musik“). Ihre Musik ist aber doch eher eine Gratwanderung. Würden Sie sich eher als U- oder als E-Musiker sehen?

Auf jeden Fall als E-Musiker, so bin ich ja bei der GEMA auch geführt.

Sie haben also dieser Einteilung nichts einzuwenden, wie viele andere Musiker und Künstler, die oft behaupten, diese Kategorien wären Unsinn?

Das hat einen anderen Grund. Rein vom Ästhetischen her ist es ja wirklich egal, was aber wichtig ist, dass die E-Musik höher dotiert ist. Das heißt, du bekommst mehr GEMA dadurch. E-Musik wird nicht so oft im Radio gespielt. Und da finde ich das dann schon sehr sinnvoll, dass Randgruppen wie wir eigentlich ein bisschen mehr bekommen, während Leute, wie Britney Spears, die zwanzigmal am Tag gespielt werden, weniger bekommen. Bei denen macht es dann die Menge.

Das ist eigentlich Quantität gegen Qualität…

Wenn du so sagen willst, ja. Aber das ist nicht grundsätzlich so, es gibt auch super Singles im Pop-Bereich. Darum finde ich das sehr sinnvoll, dass die GEMA versucht mit ihrer U- und E-Musik einen gesunden Ausgleich zu finden.

Es gibt ja leider auch radikale Klassikanhänger, die behaupten, alles was nicht Klassik ist – und damit U-Musik – ist schlecht. Natürlich muss man aufpassen, dass man einen gesunden Ausgleich erhält.

Es gibt ja auch diese Puristen in der Elektronik, die sagen, alles was digital ist, ist scheiße, alles was analog ist, ist gut. Für jede Klangart gibt es ein bestimmtes Instrument. Man sollte da nicht so puristisch sein. Warum soll man sich dann gewisse Dinge ersparen, nur weil das Gerät digital ist? Das ist alles ein Tunneldenken, da halt ich nicht viel von. Lässt sich aber einfach nicht vermeiden.

Zurzeit erlebt ja auch die deutsche Musikszene einen großen Aufschwung. Bands wie ICH&ICH, ROSENTOLZ oder JULI gewinnen ja immer mehr an Popularität. Wie sehen Sie als „Veteran“ gewissermaßen, diese Entwicklung? Worin sehen Sie diesen Popularitätsschub begründet?

Ich glaube einfach, weil sich die Leute daran gewöhnt haben, deutsche Musik zu hören. Das ist ja eigentlich nur ein Revival der neuen Deutschen Welle, die Anfang der Achtziger stattfand, zum Beispiel IDEAL – die habe ich ja damals auch produziert – und jetzt gibt es eben wieder diesen Schwung zum deutschen Text hin, das passiert eben alle 10, 20 Jahre mal. Die deutsche Musik ist ja auch besser geworden in der Qualität. In den 60er, 70er oder 80er Jahren war das alles im Prinzip nur eine Kopie der englischen und amerikanischen Musik.

Man achtet eben inzwischen mehr auf Originalität und Eigenständigkeit.


Genau, sie haben sich auch ein bisschen gelöst. Man muss heute in Deutschland nicht zum hundertsten Mal die BEATLES oder ROLLING STONES nachspielen, um Erfolg zu haben, sondern man kann auch mit eigener Musik Erfolg haben.

Auf jeden Fall. Eine etwas andere Frage: Herr Schulze, versuchen Sie doch mal bitte ihre Musik mit nur einem Wort zu beschreiben!

„Planante“.

Wie bitte?

Ja… ,wie bitte, das ist französisch uKlaus Schulzend heißt „schwebend“.

(Dem Interviewer fielen an diese
r Stelle wieder seine fünf Jahre Französischunterricht ein [Anm. d. Aut.]) Ahh, „schwebend“… und warum würden Sie ihre Musik als „schwebend“ bezeichnen?

Ja, weil sie einfach nie so konkret festzumachen ist. Gut, wir haben Sequenzer, die sind zwar rhythmisch, aber die „fliegen“ ja auch irgendwie. So richtiges Techno-Schlagzeug, bei dem die Musik am Boden „festgenagelt“ wird, gibt es nicht, es ist diffuser. Und da haben die Franzosen in den 70ern unsere Musik schon damals als „planante“ bezeichnet, was ich sehr gut fand. Die Anderen haben es als „kosmische Musik“ bezeichnet, einfach grausig.
Alles, was man erst mal nicht so konkret erklären kann, ist gleich „Science Fiction“ oder „Weltraum“…

Viele andere Psychedelic Rock und Progressive-Bands haben das gleiche Problem, dass sie gleich als „spacig“ oder „Weltraummusik“ bezeichnet werden.

Genau, das ist die Mentalität. Ich komme auf die Bühne mit rein elektronischen Klangerzeugern und alle haben gesagt, es ist Sci-Fi. Jedes Instrument hat seine Zeit und in unserer Zeit wurde eben nicht mit Klavier sondern mit Synthies gespielt. Es wurde zwar die elektronische Musik benutzt, wenn Weltraumbilder projiziert wurden, z.B. in der Spacenight. Es spricht sich aber irgendwann rum und dann ist es ein fester Begriff.

Sie haben vorhin von „kosmische Musik“ gesprochen. Das erinnert mich an das Interview mit Steven Wilson (Frontman von PORCUPINE TREE [Anm. d. Aut.]), welches ebenfalls auf der DVD zu sehen ist. Wie fanden sie Wilson – der ja doch irgendwo ein Vertreter des neuen Progressive Rock ist – als Gesprächspartner?

Ja, sehr angenehm. Du hast ja erfahren, dass er auch ein Schulze-Fan ist, was man im ersten Augenblick bei seiner Musik gar nicht vermutet. Was ich aber an ihm gut finde, ist einerseits diese Vielseitigkeit und andererseits diese Sensibilität für Musik. Für mich ist es gar nicht so wichtig, ob nun einer Heavy Metal, Jazz oder Klassik spielt. Wenn ein Musiker eine gewisse Sensibilität besitzt, dann ist seine Musik auch kompatibel mit anderen Stilen. Es ist egal, ob du gewisse Dinge mit Musik, Malerei oder Bildhauerei ausdrückst. Das ist der Punkt, wo du eine universelle Kunst entdeckst.

Das ist diese Offenheit…


… es mag verschieden sein, aber diese innere Intention, die ist dann eigentlich schon die gleiche. Wird aber immer für etwas anderes gehalten.

Ja, es ist dieses Schubladendenken. Es gehört im Prinzip auch eine Offenheit gegenüber anderen Musikstilen dazu, glaube ich.

Richtig, aber wenn du sensibel bist, hast du die Offenheit automatisch und erkennst dann auch, wie diese oder jene Musik gemeint ist. Man drückt es eben dann bloß anders aus. Es gibt natürlich dann auch Leute, bei denen es dann gar nicht funktioniert, aber man kann natürlich daran zweifeln, ob das ein guter Musiker ist.

Lisa Gerrard (Dead Can Dance)Lisa Gerrard hat die Musik einmal als ein Heiligtum bezeichnet. Wie stehen sie zu dieser Aussage?

Man muss aufpassen, dass man das jetzt nicht mit Kirche oder Religion in Verbindung bringt.

Wir gehen ja jetzt allgemein von etwas Spirituellem aus…

Das hat damit auch nichts zu tun. Musik ist eigentlich eine ernsthafte Sache, bei der man Verantwortung übernehmen muss. Du kannst damit Menschen manipulieren, glücklich oder krank machen.

Aber auch hier braucht man wieder eine Sensibilität für die Musik.

Das ist grundsätzlich so. Aber bei einem Großteil der heutigen Unterhaltungsmusik ist überhaupt keine Sensibilität mehr gefordert. Es darf nicht anstrengend sein, es muss immer unkompliziert sein, denn alles was anstrengend ist, ist nicht unterhaltsam.

Sehen sie hier auch den großen Unterschied zur Musikszene in den 70er Jahren? Damals war es ja anders, damals haben ja auch Bands wie GENESIS oder YES große Erfolge gefeiert. Heute wäre das undenkbar.

In den 70ern waren die Leute noch viel mehr auf das Erleben von Musik und nicht auf das Unterhalten durch Musik programmiert. Und außerdem waren die 68er Jahre auch so was wie ein Aufbruch in neue Dimensionen, d.h. dadurch konnten auch so Bands wie PINK FLOYD oder GENESIS (mit Peter Gabriel), kommerziell erfolgreich sein ohne gleich kommerziell an sich zu sein. Heute muss man eben wirklich kommerziell sein, wie in „Deutschland sucht den Superstar“.
Die Leute haben teilweise auch BLACK SABBATH und PINK FLOYD gleichzeitig gehört, obwohl das heute ein absolut konträres Publikum wäre. Das war aber damals nie so abgegrenzt. Das eine ging so ins andere über. Heute ist die Musik genormt…

Wenn man sich jetzt aber Bands, die vorwiegend im Internet promotet werden, anhört, scheint auch hier alles ineinander überzugehen, speziell in der Undergroundszene scheint eine Verwischung der Genregrenzen stattzufinden. Im Radio ist es kaum mehr denkbar.

Das ist auch einer der wenigen Vorteile des Internets, dass eben solche Bands, die normalerweise nie an die Öffentlichkeit kommen, auch mal eine Chance erhalten. Aber wegen des Internets gehen auch die Umsätze der Plattenfirmen zurück, da die Leute im Internet viel direkter und vielfältiger bedient werden. Gut, noch ersetzt es die Schallplatte nicht. Aber es wird alles viel offener, weil du zwischen all diesen Sachen schnell hin- und herzappen kannst. Du kannst ja heute nicht einfach 10 CDs kaufen um zu schauen, was es alles so gibt.

Das merke ich selber, wenn ich auf der Suche nach neuer Musik bin. Das Internet ist dabei einfach eine große Hilfe. Man möchte sich einen Überblick verschaffen.

Früher war das ja auch noch anders, da konntest du dir im Plattenladen eine LP mal kurz anhören, was heute nicht mehr geht. Deswegen wird das Internet die großen Firmen irgendwann ablösen. Die Anzahl der Leute, die sich Musik vom Internet holen, steigt ja pro Jahr, während die Umsätze der Plattenfirmen sinken.

Herr Schulze, welche Band würden Sie jetzt – abseits der elektronischen Szene – als ihre persönliche Lieblingsband bezeichnen? Speziell aus den 70ern…

Da gibt’s eine ganze Menge. SPOOKY TOOTH waren zum Beispiel eine wichtige Band, HAWKWIND auch, BLACK SABBATH in Originalbesetzung, PINK FLOYD, GENESIS - aber nur mit Peter Gabriel. Aktuelle Bands höre ich eigentlich kaum mehr, SCHILLER finde ich wie gesagt ganz poppig und ein paar Sachen von ALPHAVILLE.

Irgendwann muss man die Prioritäten einfach setzen.

Wenn du mit deiner Musik ewig lange beschäftigt bist, hat man irgendwann einen ausgeprägten Sinn für Ästhetik entwickelt, die man auf andere Musik überträgt und dann fällt natürlich einiges raus. Das heißt ja nicht, dass es heute keine gute Musik mehr gibt, nur höre ich sowas nicht mehr.

Das war ein sehr angenehmes Interview! Noch eine kurze Abschlussfrage: Was möchten Sie ihren Fans und den Lesern auf Musikreviews.de noch mit auf den Weg geben?

Ich fand es auch sehr angenehm. Also, man soll sich auf jeden Fall eine gewisse Sensibilität beim Konsumieren von Musik bewahren und tolerant sein gegenüber anderen Musikstilen. Und sie sollen sich natürlich wohl fühlen in der Welt!

Danke, Herr Schulze!

Benjamin Feiner (Info)
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