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Klaus Schulze: Cyborg (1973) (Review)

Artist:

Klaus Schulze

Klaus Schulze: Cyborg (1973)
Album:

Cyborg (1973)

Medium: Do-CD
Stil:

Elektronische Musik der Berliner Schule

Label: MIG-Music GmbH
Spieldauer: 147:46
Erschienen: 26.02.2016
Website: [Link]

Wenn es ein Album von KLAUS SCHULZE gibt, das man einem nach innerer Ruhe suchenden Zeitgenossen auch zu Zwecken der Meditation empfehlen sollte, dann ist es eindeutig sein zweites Meisterwerk „Cyborg“ aus dem Jahr 1973, welches gleich als Doppel-Album erschien und so neben „Zeit“ (1972) – einem „Cyborg“ von der Atmosphäre her recht ähnlichem Album - von TANGERINE DREAM mit zu den ersten Doppel-Alben der elektronischen Vinyl-Ära zählte.
Ein elektronisches Meditationsalbum?
Ja, man könnte es so bezeichnen, aber nein, das wäre einfach nicht ausreichend.
Denn statt Monotonie gilt es, sich auf „Cyborg“ eine Klangwelt zu erschließen, die ausnahmslos bei einem oberflächlichen Hören monoton wirkt. Wer sich aber unter Kopfhörern oder in einem gänzlich abgedunkelten Raum ausschließlich auf Schulzes Zweitwerk einlässt, der wird sein wahres Wunder erleben und sich in den unterschiedlichsten Gefühlswelten seiner eigenen Seele wiederfinden – von bedrohlichen bis hin zu beruhigenden oder entspannten und aufregenden Emotionen bohren sich die Töne über unsere Ohren mitten hinein in unser Gehirn und verlangen jeder einzelnen Synapse so einiges ab!

Im Sommer 1974 stellte das „Zero“-Magazin einen ungemein gelungenen Doppel-Vergleich auf, der die Charakteristik von „Cyborg“ auf faszinierende Weise widerspiegelt:
„Die Musik ist am ehesten mit einem sehr ruhig und langsam dahingleitenden Fluss zu vergleichen, dessen Wellen sich in Wirbeln überlagern, einander überschlagen und wieder zerlaufen.
Ein anderes Bild: eine weite, unendlich weite Hochebene, auf der metallische Pflanzen wachsen und einander Hochfrequenz-Impulse zusenden... Eine Musik, die äußerlich monoton, gleichförmig ist, und innerlich vielschichtig; elektronische Meditation. Vor allem hört man nicht nur mit den Ohren, sondern mit dem ganzen Körper. Da sind Synthesizer-Geräusche dabei, die im Rückgrat hinauf- und hinuntersausen.“

„Cyborg“ ist ein außergewöhnliches Album, das bereits seine erste seltsame Synthese in der Cover-Gestaltung findet. Einerseits gibt es - auf der von Urs Amann gestalteten Variante - das einem Alien ähnelnde Cyborg-Wesen hinter einem verfinsterten Nachthimmel zu sehen, an dessen linker Oberseite noch ein düsterer Planet zu erkennen ist. Andererseits die Foto-Variante, auf der ein „hell erleuchteter“ Schulze hinter leuchtend rotem Grund, ins Licht blickend, das sich zugleich auf seinem Gesicht widerspiegelt, zu sehen ist.
Eine Art von Yin und Yang der elektronischen Musik, dargestellt auf zwei Covern, die uns genau das ankündigen, was uns auf „Cyborg“ erwartet: Analoge elektronische, verspielte, auf- und abschwellende, sich häufig wiederholende, regelrecht berauschende, kosmische Orgel-Synthie-Sphärenklänge wie aus einer anderen Welt, die auf klassische, stark verfremdete Orchesterklänge treffen und eine ungeahnte, gänzlich unglaubliche Beziehung miteinander eingehen. Sie fusionieren zu einer Einheit aus Maschinen-Cyborg und irdischen Lebewesen zu einer Mensch-Machine-Zwittergestalt noch bevor KRAFTWERK, die zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal auf der „Autobahn“ unterwegs waren, darüber nur nachzudenken begannen.

Auch die Ausführungen von KLAUS SCHULZE, die in der mal wieder hervorragend gestalteten MIG-Ausgabe in dickem Digipak mit Bonus-Titel und 20seitigen Booklet (basierend auf der 2006er Revisited-Ausgabe von InsideOut) zu finden sind, geben die letzten, sehr interessanten Hinweise zu diesem Album, das zu den absoluten Pflicht-Alben eines Sammlers von elektronischer Musik und eines Klaus-Schulze-Musikliebhabers sowieso gehören sollte:
„Auf ‚Cyborg‘ habe ich wie schon auf ‚Irrlicht‘ Orchester-Tapes benutzt. […] Diesmal hatte ich aber richtig gute Bänder von dem Orchester, darum klang alles schon ein bisschen besser als auf ‚Irrlicht‘. […] Das Band habe ich dann zerschnipselt und in Portionen wie ein Gewürz über die vier LP-Seiten verstreut.“

Auch erfahren wir, wie schwierige es anno 1973 war, mit dieser Musik Geld zu verdienen und die Musiker permanent klamm waren, was sich erst ab 1975 langsam änderte. Bis dahin jedenfalls teilte Schulze noch gemeinsam mit CONRAD SCHNITZLER Telegramme für die Deutsche Bundespost aus, während der kreative Elektronik-Geist von ASHRA TEMPEL, MANUEL GÖTTSCHING, sich als Taxifahrer sein Geld verdiente und EDGAR FROESE von TANGERINE DREAM als gelernter Grafiker die Busse der Berliner Verkehrsbetriebe anmalte.

Auch wie es zum Titel des Albums kam, erfahren wir nun endlich aus erster Hand:
„Als ‚Cyborg‘ herauskam, stand in der deutschen Presse, das sei nun wirklich ‚kosmische‘ Musik. Bei dem Begriff wird mir heute noch fast schlecht, denn er erinnert doch sehr an ‚Perry Rhodan‘. Der Titel ‚Cyborg‘ bezog sich zwar auf einen Buchtitel des Science-Fiction-Autors Frank Herbert; also hätte man vielleicht sagen können, es ist Science-Fiction-Musik.“

Als einen zusätzlichen, gänzlich unabdingbaren Kaufanreiz finden wir auf der „Cyborg“-Neuausgabe einen der längsten Bonustracks, noch dazu live, dieser Reihe, der vier Jahre nach „Cyborg“ - also zu der Zeit von den beiden „Body Love“-LPs und dem „Mirage“-Album - entstand.
Das über 50minutige „But Beautiful“ ist (mal wieder Schulze im Originalton) „eine Aufnahme von 1977 aus meinem Konzert in der St.-Michael-Kathedrale in Brüssel. Ein toller Gig, heute würde man ‚Event‘ dazu sagen. Die Kirche war so überfüllt, dass sie alle Türen aufmachten, damit die Leute, die draußen standen, mithören konnten. Rings um die Kirche standen zuerst Polizisten, die dann aber abzogen, als sie merkten, dass es ein friedlicher Event ist. Ich fand es sensationell, dass so viele Leute diese Art von Musik – die ja noch ganz neu war – hören wollten. Sicher hätten wir die Aufnahme schon damals veröffentlichen können, aber an Live-Alben haben wir überhaupt nicht gedacht. Ich habe mir solche Aufnahmen höchstens noch mal angehört, um zu sehen, was ich im Konzert vielleicht hätte besser machen können. Es war nicht wie heute, wo man zu Konzerten eine Crew mitnimmt, die alles aufnimmt, um eine DVD daraus zu machen. Im Nachhinein bin ich froh, dass Müller [Klaus Schulzes Verleger Klaus D.] die Aufnahme archiviert hat. Denn das Konzert in Brüssel war wirklich super.“

Und so geht sie zuende, die „Cyborg“-Geschichte um ein elektronisches „Pionier“-Werk KLAUS SCHULZEs aus dem Jahr 1973, das damals Geschichte geschrieben hat und bis heute und in alle Zukunft garantiert als historisches, richtungsweisendes Meisterwerk elektronischer Musik seinen festen Platz finden wird.
Ein Album, an dem man – im Sinne eines FAZITs - als Hörer elektronischer Musik einfach nicht vorbeikommt. Schon gar nicht, wenn man diese liebevoll im Digipak gestaltete sowie 20seitigem Booklet versehene und mit einer über fünfzigminütigen Live-Aufnahme aus der Brüsseler St. Michael Kathedrale (1977) enthaltene MIG-Ausgabe sein eigen nennt.

Thoralf Koß - Chefredakteur (Info) (Review 5136x gelesen, veröffentlicht am )

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Tracklist:
  • CD 1 (72:16):
  • Synphära
  • Conphära
  • Chromengel
  • CD 2 (75:30):
  • Neuronengesang
  • But Beautiful (Bonus Track)

Besetzung:

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