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Konstantin Wecker: Poesie und Widerstand – Live … Die Jubiläumskonzerte zum 70. Geburtstag (Review)

Artist:

Konstantin Wecker

Konstantin Wecker: Poesie und Widerstand – Live … Die Jubiläumskonzerte zum 70. Geburtstag
Album:

Poesie und Widerstand – Live … Die Jubiläumskonzerte zum 70. Geburtstag

Medium: 3 DVDs
Stil:

Liedermacher

Label: Sturm & Klang/Alive
Spieldauer: 305:55
Erschienen: 16.02.2018
Website: [Link]

„Ich war und bin ein Anarcho!“

„Wenn es zu viele Menschen vor der Bühne sind, besteht die Gefahr, dass die Poesie in einer Parole endet.“

„Ich war mit Mitte vierzig dem Tod näher als jetzt mit siebzig!“

Es war ein verdammt volles und recht nobles Haus, in dem KONSTANTIN WECKER, der Anarcho-Poet mit Hang zu Parolen, seinen 70. Geburtstag feierte und seinen wichtigsten Gast musikalisch nicht eingeladen hatte, sondern ihn dummerweise auch noch mit der Hilfe von Willi Astor vorführte, persiflierte: „Willy“.
Ein Anarcho-Geburtstag jedenfalls sieht anders aus und lächelt einem nicht so wie KONSTANTIN WECKER von der DVD „Poesie und Widerstand – Live … Die Jubiläumskonzerte zum 70. Geburtstag“ entgegen.

Manchmal ist es gar nicht so verkehrt, als ostdeutscher Kritiker seine alte AMIGA-LP von KONSTANTIN WECKER wieder aus dem Plattenschrank zu holen, die übrigens den für Weckers Leben symbolischen (Song-)Titel „Genug ist nicht genug“ trägt, und sich den ausführlichen Text darauf, der sich immer auf der Rückseite der in der vermauerten (und von Wecker leider viel zu intensiv hofierten) DDR (bzw. deren Diktatur-Partei SED, die dann zur LINKEn wurden) arg begehrten Lizenz-Platten befand, durchzulesen:
„Wecker, geboren in München, ist, wie er selbst sagt, ein barocker Typ. Seit seinem fünften Lebensjahr spielt er Klavier, absolvierte jedoch kaum strenge Übungsprogramme. Er phantasierte am Instrument vor sich hin. Weckers Vater ist Opernsänger und Maler, die Mutter eine kunstverständige und lebenserfahrene Person.“

Auch beim auf der DVD gebannten Geburtstagskonzert spielen die Erinnerungen an Weckers Vater, der von Konstantin heiß geliebt wird, weil er ihm keine wirklichen Grenzen setzte, sogar hinter verschlossener Tür auf das Bett statt den Sohn einprügelte, weil Mutter es so verlangte, und der ein echter Pazifist und großartiger Musiker (wie später eben auch sein Sohn) war, eine bedeutende Rolle. Es ist beachtlich zu sehen, wie ein gerade 70 Jahre alt gewordener Mann, der das Leben in all seinen Facetten genossen und einem lauten „Empört euch“ ertragen hat, seinem Vater von ganzem Herzen huldigt, ein Lied für ihn vorträgt und viele Geschichten über ihn erzählt. Manchmal hat man gar den Eindruck, KONSTANTIN WECKER spräche manchmal von sich statt seinem Vater.

Überhaupt sind seine Geschichten zwischen den Titeln ein wahrer Genuss. Er, der spät- und früh-romantische Anarcho, der NOVALIS liebt, sogar einen Text von ihm mit zusätzlichen Strophen versieht, und außerdem die Leidenschaft der italienischen Sprache genießt, LUCIO DALLA bewundert und mit PIPPO POLLINA gemeinsam singend auf der Bühne seinen Geburtstag feiert. Er, der aber auch übertrieben mit Ängsten spielt, gar den 3. Weltkrieg herbeiredet, dann wiederum alle Grenzen öffnen will, die Welt als seine Heimat ansieht, aber im erzkatholischen Bayern vergisst, dass das wahre Übel von so vielem Leid nicht etwa im Glauben, sondern den Religionen liegt. In den Kriegen werden die Waffen gesegnet, doch der Sänger und Poet Wecker setzt seine „pazifistische Waffe“ – das Wort – etwas zu einseitig ein, hat die Gegner (Bänker, Nazis, Profiteure, Wirtschaftsmagnaten, Politiker) auf seiner Feind-Agenda klar definiert, vergisst aber auch diejenigen, die linksradikal sind oder glaubensverpeilt ihren Terror anrichten, die mit keinen guten Absichten das Land, welches ihm die Möglichkeit gab, so erfolgreich zu sein, ohne ihn für seine knallharte Kritik zu bestrafen (In der DDR sah das ganz anders aus!), missbrauchen. Ja, die Welt ist keine Heimat, aber sie stellt uns den oder die Orte bereit, die wir für uns als Heimat verstehen und die wir unbedingt schützen sollten, weil wir sie lieben und für sie verantwortlich sind. Einerseits eine Friedensbewegung einfordern, aber andererseits sich auch nach Anarchie sehnen, die ein paar radikale Tendenzen aufweist, ist auch nach 70 Jahren Leben nicht der ideale Weg zum Glück.
„Zwischen dem den schönen Künsten verpflichteten Elternhaus und den Abenteuern der Straße war Wecker hin- und hergerissen.“ (AMIGA-Text von Fritz-Jochen Kopka)

Und schon ist man mitten drin in dem beeindruckenden Konzertereignis zum 70. Geburtstag von KONSTANTIN WECKER, das es nun endlich, nachdem es bereits auf der Doppel-CD „Poesie und Widerstand“ als Zusammenstellung aus den diesem Anlass entsprechenden drei Konzerten gebannt wurde, nun – in völlig anderer Zusammenstellung – auf einer opulenten 3-DVD-Box erhältlich ist.

Er hat bereits einen Wohlstandsbauch, dieser Wecker, den er stolz vor sich herträgt, denn er ist auch Zeichen eines gelebten und zugleich genossenen Lebens, das trotz vieler Tiefschläge, die er meist selber zu verantworten hatte, dafür steht, dass Wohlstand auch nicht hungern heißt. Darum drehen sich auch seine Lieder, seine Gedichte, die er zwischen einigen Liedern liest, seine Sprechtexte und das liebevolle Miteinander zwischen ihm und seinen Bühnenmusikern, deren Highlight im gemeinsamen Auftritt mit 12 Musikern der Bayrischen Philharmonie liegt, wobei Wecker besonders betont, dass für diesen Auftritt 12 Musiker aus 12 unterschiedlichen Nationen ihn als Philharmoniker begleiten.
Aber natürlich auch das liebevolle Miteinander mit seinem Publikum, das im Circus Krone am 31. Mai, 1. und 2. Juni 2017 zu seiner musikalischen Geburtstagsparty mit dabei war, ihm und den Musikern immer wieder stehende Ovationen bescherte, selbst wenn nicht alle Beiträge wirklich zu beeindrucken wussten.

Auch kann man es den, der „Den Parolen keine Chance“ gibt, nicht oft genug fragen: „Was hat Wecker eigentlich geritten, seinen wegweisenden Titel ‚Willy‘ (Völlig zutreffender Originaltext von der AMIGA-LP: „Der ‚Willy‘ ist Weckers engagiertestes Lied. Als Wecker sang, wer Willy war, da wusste man mit einem Male auch, wer Wecker ist, erhielten seine frühen Lieder eine Richtung.“) nicht mit zu diesem Jubiläumskonzert zu spielen?“
Noch schlimmer ist, dass bei den seltsamen Geburtstagsgästen, die ihn während der Konzerte so überraschen, WILLI ASTOR mit „Gestern hab‘ ich mein Wecker daschlag‘n“ den „Willy“ persifliert, aus dem nachdenklich-kritischen Zeitgeist eine Witznummer werden lässt.
Eine weitere Witznummer ist der jämmerliche Quark mit den WELL BRÜDERN, die auch noch eine Grußbotschaft von Gerhard Polt überbringen. Auch wenn das alles zum Glück nur auf der beigelegten Bonus-DVD enthalten ist, es passt nicht zu dem ernsten Mahner und Romantiker Wecker, der seinen Geburtstag gleich dreimal hintereinander auf der Bühne inszeniert, um sich selbst zu feiern und feiern zu lassen.

Am Ende der gut 5 erlebten Musik-Stunden, von denen auf der Bonus-DVD außerdem eine gute Stunde lang Wecker über sich selber spricht, möchte man als Germanist und Kritiker auf einen von Wecker gern angewandten lyrischen Schachzug zurückgreifen, indem man einfach zwei Zeilen von ihm – die übrigens im Menu der drei DVDs eröffnend von ihm gesungen werden – zwei eigene hinzufügt, also:

„Ich singe, weil ich ein Lied hab‘,
Nicht weil es euch gefällt.“
Ich singe, weil ich ein‘ Trieb hab‘,
Ein‘ Trieb auf diese Welt!

FAZIT: Er lächelt uns aus Anlass seines 70. Geburtstags wieder so friedvoll und zufrieden von seiner aktuellen 3-DVD-Box an, der poetische Rebell, streitbare Musiker und privater Wechselbad-aller-Gefühle-Charakter KONSTANTIN WECKER, der sich bis zur gänzlichen Selbstzerstörung der Sucht nach Leben hingeben konnte und wohl noch immer kann. Nach 70 Jahren feiert er sich dafür bei insgesamt drei Jubiläumskonzerten am 31. Mai, 1. und 2. Juni 2017 im bayrischen Circus Krone. Diese dicke Box mit drei DVDs hat dieses Ereignis würdevoll und mit viel Alters-Anarchie, die manchmal auch durch ein wenig Altersstarrsinn geprägt zu sein scheint, festgehalten.

Thoralf Koß - Chefredakteur (Info) (Review 4242x gelesen, veröffentlicht am )

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Tracklist:
  • DVD 1 – Konzert, Teil 1 (111:30):
  • Leben im Leben (inkl. Happy Birthday vom Publikum)
  • Ich singe, weil ich ein Lied hab‘
  • Der alte Kaiser (inkl. Text zur Entstehung des Liedes)
  • Was passierte in den Jahren
  • An meine Kinder (inkl. Text „Papa, es schneit“)
  • Liebesdank
  • Liebeslied im alten Stil
  • Weil ich dich liebe
  • = Gedichte und Prosa =:
  • *Eine ganze Menge Leben
  • *Liebes Leben
  • *Das Stöhnen meines Mitmenschen am Klo nebenan
  • *Ach so schwankend
  • *Gelebtes Leben
  • Der Krieg
  • Wenn unsre Brüder kommen
  • Was keiner wagt
  • Wut und Zärtlichkeit (inkl. Text von Max Frisch über Poesie)
  • Den Parolen keine Chance
  • Die Weiße Rose
  • Niemals Applaus
  • Das ganze schrecklich schöne Leben
  • Wehdam
  • Alles das und mehr (inkl. Text zum Thema Alter)
  • DVD 2 – Konzert, Teil 2 (110:00):
  • Empört euch (mit dem Kammerorchester der Bayerischen Philharmonie)
  • Novalis (mit dem Kammerorchester der Bayerischen Philharmonie)
  • Weltenbrand (mit dem Kammerorchester der Bayerischen Philharmonie)
  • Ich habe einen Traum (mit dem Kammerorchester der Bayerischen Philharmonie)
  • Den Parolen keine Chance – Reprise (mit dem Kammerorchester der Bayerischen Philharmonie)
  • Sage Nein (mit dem Kammerorchester der Bayerischen Philharmonie & Pippo Pollina)
  • Questa Nuova Realtà (mit dem Kammerorchester der Bayerischen Philharmonie & Pippo Pollina)
  • Caruso (mit dem Kammerorchester der Bayerischen Philharmonie & Pippo Pollina)
  • Stirb ma ned weg (mit dem Kammerorchester der Bayerischen Philharmonie & Dominik Plangger)
  • Buonanotte Fiorellino (mit dem Kammerorchester der Bayerischen Philharmonie & Pippo Pollina sowie Dominik Plangger)
  • Stürmische Zeiten, mein Schatz (mit dem Spring String Quartet)
  • Wenn der Sommer nicht mehr weit ist
  • Inwendig warm
  • Gracias A La Vida
  • Was immer mir der Wind erzählt
  • Tropferl im Meer (mit Dominik Plangger)
  • Jeder Augenblick ist ewig (Gedicht, inkl. Verabschiedung)
  • DVD 3 – Bonusmaterial: Noch mehr musikalische Gäste (84:25):
  • Gestern hab‘ ich mein Wecker daschlag‘n (Willi Astor)
  • Hornsextett (= Hornisten der Bayerischen Staatsoper): Nur dafür lasst uns leben / Kir Royal / Happy Birthday / Hoch soll er leben
  • Aus Händels Feuerwerksmusik (Well Brüder, inkl. Grußbotschaft von Gerhard Polt)
  • Blues Goes To Mountain (Willy Michl)
  • 70 Jahre Poesie und Widerstand (Ein Gespräch mit Konstantin Wecker)
  • Making Of der Münchner Konzerte im „Circus Krone“
  • „Er kennt keine Form von Neid“ (Die Band über die Zusammenarbeit mit Konstantin Wecker)
  • „Konstantin ist ein großer Künstler“ (Stimmen von Kollegen über den Musiker Wecker)
  • Herbst im Sommergewand (Dokumentation)

Besetzung:

  • Gesang - Konstantin Wecker
  • Keys - Konstantin Wecker
  • Sonstige - Band: Johannes Barnikel, Fany Kammerlander, Wolfgang Gleixner, Jens Fischer-Rodrian, Severin Trogbacher, Marcus Wall

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