Partner
Services
Statistiken
Wir
STEORRAH, PHOBIATIC & RAPTVRE - Halle am Rhein, Köln - 02.02.2019
Krach am Bach, genauer gesagt in Köln-Mülheim, als Underground-Alternative zum Rock-Hard-Programm auf der anderen Seite des Rheins (mit Amorphis, Soilwork, Jinjer...), sowie zum Deaf-Forever-Pflichttermin in Oberhausen (mit Ascension, Necros Christos und Venenum): Wie es derzeit um den Metal in Deutschland bestellt ist, wenn selbst im Schatten solcher Szene-Events richtig starke Underground-Billings für wenig Kohle mehr als nur schwermetallische Stangenware bieten, sollte jedem Fan klar sein.
Wurde im Fratzenbuch noch um pünktliches Erscheinen gebeten (weil ab 22 Uhr kein Lärm ins nahe Wohngebiet dringen darf), stehen sich die Besucher vor der Halle am Rhein zunächst ein wenig die Beine in den Bauch, weil drinnen offenbar noch am Bühnensound gebastelt wird. In der prinzipiell gemütlichen, heute allerdings recht kühlen Halle übt sich der für den Gig aus Berlin angereiste STEORRAH-Bassist Raoul Zillani, welcher gestern Abend noch mit einer anderen Band zockte und kaum geschlafen hat, im Dämpfen meiner Erwartungen und orakelt, dass er auf der Bühne später vielleicht einfach umkippen werde. Ob dafür überhaupt der Platz reicht?
Zunächst müssen sich RAPTVRE auf dem engen Raum zurechtfinden, auf dem sie ihr Live-Debüt geben. Nach nur wenigen Songs geistert mir als Stilbezeichnung für ihre energisch-ruppige Darbietung "Hectic Metal" durchs Oberstübchen, denn die Band hastet die meiste Zeit durch ihren wuchtigen Set, und drosselt nur selten - dann jedoch effektiv - das Tempo. Ob es sich um ein Trio oder doch um ein Quartett handelt, ist mir nicht vollends klar, denn der geschminkte (Gast-?) Sänger tritt erst nach ein paar Minuten auf die Bühne, die er auch vor dem Rest der Band wieder verlässt, während Kirill Gromada an der Gitarre, Stefan Braunschmidt am Bass und Yannik Bremerich am Schlagzeug ihren gelungenen Bühneneinstand episch ausklingen lassen. Danach steht fest, dass vor allem der agile Kirill den Gesang auch gut und gerne hauptverantwortlich übernehmen könnte, ringt er seinen Stimmbändern doch ein breiteres Spektrum ab als der zwischenzeitliche Frontmann, der sich zudem erst in den Gig reinfinden und im Gegensatz zu seinen Nebenmännern eine gewisse Unsicherheit ablegen muss. "RAPTVRE explores the abyssal depths of Black-, Death- and Progressive-Metal with a dissonant and abrasive twist", so die Band über sich selbst auf zeitgenössischen Kanälen; sooo progressiv erscheint mir der leidenschaftlich Arsch tretende Metal hingegen (noch) nicht, doch nach einem kurzen, intensiven Gig bin ich gespannt, womit RAPTVRE um die Ecke kommen werden... a dream inside a dream? Ihr Debüt-Album soll wohl in diesem Jahr erscheinen.
Mit brutalem technischen Death Metal kann man mich für gewöhnlich jagen, insofern erwarte ich nicht, dass mir PHOBIATIC aus Essen imponieren - doch weit gefehlt: Was die Herren aus dem Pott abliefern, muss nicht gefallen - doch mindestens beeindrucken. Denn was Kai Bracht am Schlagzeug und Robert Nowak an der Gitarre an irrer Geschwindigkeit vorlegen, ist mitunter abartig - macht jedoch einen Mordsspaß, denn es passt alles wie der sprichwörtliche Arsch auf den Eimer. Im Vergleich dazu agiert Bassist Christian Neumann nahezu entspannt, während er dem Ganzen mit variablem Spiel Druck verleiht, und der hünenhafte Sänger Sebastian Meisen von Anfang an den Kontakt zum Publikum sucht. Seine über dem Hochgeschwindigkeits-Death-Metal thronenden Grunts sind eine Wucht, von den Texten bekomme ich hingegen außer den Titeln nicht viel mit, wobei die Ansagen - "ein Lied über den Scheiß-Terror, den Scheiß-IS" - neugierig machen, ob z.B. "Heads Will Roll" den Schulterschluss mit Niles "Call For Destruction" sucht. Wie auch immer, der Auftritt der Ruhrpott-Deather ist spielerisch erhaben, dazu absolut sympathisch - nach über 30 Jahren im Metal finde ich unerwarteter Weise doch noch Zugang zum Brutal Technical Death. Darüber muss ich selbst schmunzeln, während der unausgeschlafene Raoul sich derweil als Frontrow-Banger für den folgenden Gig aufwärmt.
STEORRAH haben in einem an deutschen Death-Metal-Veröffentlichungen extrem starken Jahr mit "The Altstadt Abyss" das für mich schönste Album vorgelegt, dessen Live-Umsetzung ich mit Spannung und Vorfreude erwarte. Und natürlich liegt heute Abend der Schwerpunkt auf dem dritten Studio-Album, wobei "The Silver Apples Of The Moon" gleich verdeutlicht, dass die Rhein- und Siegerländer trotz Death-Metal-Fundament nach den beiden vorigen Bands eher bedächtig rüberkommen und mit anderen Mitteln für Gänsehaut-Atmosphäre sorgen. STEORRAH präsentieren sich als musikalische Geschichtenerzähler abseits fast aller metallischen Klischee-Niederungen, und vielleicht lässt gerade diese Facette das Quartett für ein "Mainstream-Metal-Publikum" zuweilen unnahbar bis abgehoben erscheinen. Dabei nimmt Frontmann Andreas März heute Abend fröhlich Kontakt mit dem Publikum auf, und wechselt verwegen zwischen tiefen wie giftigen Growls und vielseitigem Klargesang. Trotz reduzierter Setlist verzichtet die Band weder auf Klavier-Intro und atmosphärische Samples von Band, noch auf die Darbietung des rund zwölfminütigen "Where My Vessel Dwells", wohl DEM Meisterstück der Band bislang, bei welchem Schlagzeuger Christian Schmidt für eine zuvor ungehörte trommlerische Dynamik sorgt. Ob Raouls Bassspiel nun vom Jazz zehrt, während Gitarrist Nico Dos Santos eher dem Prog Rock / Metal zuneigt, ist letztlich nicht wichtig, denn STEORRAH verbinden unterschiedliche Einflüsse zu ihrem eigenen - eingängigen - Stil. Gerade live lassen sich abenteuerliche Longtracks formidabel in den Sand setzen, doch trotz zahlreicher Tempo- und Stimmungswechsel überfordert das Quartett die Hörer nicht, sondern lässt an Groove und Heaviness nichts missen. Und nachdem mit "The Milk of Human Kindness" (vom zweiten Album) und "Whitsun, Bloody Whitsun" (vom Debüt) die Rolle rückwärts mit erkennbarem Spaß an der Freude gelingt, bleiben noch sechs Minuten für eine spontan gekürzte Version von "The Altstadt Abyss", mit der sich die Band, bei der allein der Schlagzeuger nicht singt, würdevoll verabschiedet. Insofern kann ich mich Andreas nur anschließen: "Köln, das war geil."
FAZIT: Der Underground in Deutschland lebt nicht nur - er brodelt, speit Gift und Galle, tost und braust, und hält selbst für mittelalte Szenegänger Überraschendes bereit. Drei starke Bands für zehn Euro (AK) - das ist ein mehr als fairer Kurs, und es bleibt zu hoffen, dass die Halle am Rhein sich als rechtsrheinisches Konzertort weiter etablieren und bei ähnlichen Veranstaltungen noch mehr Publikum anlocken kann. Wer über den Zustand der heutigen Metal-Szene jammert, der hat keine Ahnung.